Wie Martin Schulz mit den Ängsten der Menschen spielt

Martin Schulz, Foto: Stefan Groß

Martin Schulz spielt mit den Ängsten der Menschen. Seit er von seinem Brüsseler Präsidententhron in die Niederungen deutscher Politik hinabgestiegen ist, trifft er – sofern man ihm Glauben schenkt – nur Menschen, die Angst vor der Zukunft haben. Die vom sozialdemokratischen „Gottkanzler“ beschworene „breite Mitte“ wälzt sich Nacht für Nacht schlaflos im Bett – wegen finanzieller Nöte und aus Angst vor der Zukunft. Deutschland – schlaflos durch die Nacht.

Kürzlich, so die Schulz-Erzählung, traf der Kandidat einen Arbeitnehmer, 50 Jahre alt und seit 35 Jahren erwerbstätig. Der habe Angst, im Fall der Arbeitslosigkeit nur 18 Monate lang Arbeitslosengeld I zu beziehen und sich anschließend mit Hartz IV begnügen zu müssen. Warum der offenbar tüchtige Mann um seinen Arbeitsplatz fürchtet, wissen wir nicht. Wie viele deutsche Arbeitnehmer so denken und fühlen, ist ebenfalls unbekannt. Aber für Super-Schulz ist schon einer, der Angst hat, einer zu viel. Sein Patentrezept: die Agenda 2010 korrigieren, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verlängern. Wie lange die Bezugsdauer künftig sein soll, verrät Schulz – wie üblich – nicht. Aber seine Botschaft ist unmissverständlich: Wenn ich regiere, gibt’s mehr Geld vom Staat – irgendwie.

Falls die Agenda-Politik so fehlerhaft war, wie sie die Sozialdemokraten zunehmend darstellen, gäbe es doch eine einfache Lösung: Zurück zur Bezugsdauer des Arbeitslosengelds aus der Vor-Agenda-Zeit. Das waren – sage und schreibe – bis zu 32 Monate. Wer dann immer noch keine Arbeit hatte, der bekam im Anschluss die etwas geringere Arbeitslosenhilfe – bis zur Rente. Es war ein System ganz im Sinne fürsorgestaatlicher Ideologie: Arbeitslose werden gut versorgt. Ob sie jemals wieder Arbeit bekommen, ist demgegenüber sekundär.

Die lange Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes und die anschließende, unbegrenzte Alimentierung Beschäftigungsloser über die Arbeitslosenhilfe galten als sehr sozial, hatten aber sehr unsoziale Folgen. Wer finanziell so gut abgesichert war, der zeigte sich bei der Aufnahme einer neuen Arbeit oft sehr wählerisch. Je länger die Betroffenen ohne Job waren, umso schwieriger erwies sich ihre arbeitsmarktpolitische Resozialisierung. Das Ergebnis: Die Arbeitslosigkeit stieg immer weiter, auch weil die hohen Kosten dieser sozialen Absicherung die Arbeitskosten in die Höhe trieben und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen verschlechterten.

Mit der Agenda-Politik der rot-grünen Bundesregierung, unterstützt von der schwarz-gelben Mehrheit im Bundesrat, änderte sich das. Der Staat beließ es nicht bei der Versorgung der Arbeitslosen. Er forderte von ihnen auch, sich schneller um neue Jobs zu bemühen, und er förderte sie dabei. Natürlich lief und läuft das alles nicht perfekt, könnten und müssten die Arbeitsagenturen bei der Weiterbildung und Umschulung noch mehr tun. Aber aller Kritik zum Trotz: Mit Hilfe der Agenda 2010 eilen wir von Beschäftigungsrekord zu Beschäftigungsrekord. Auch dank der Agenda 2010 ist die Beschäftigungslage in Deutschland besser als im angeblich viel sozialeren Frankreich.

Der neue Vorstoß des Sozialapostels Schulz zeigt, wohin er die SPD führen will: zurück in jene Zeit, als die Sozialdemokraten noch geglaubt hatten, die Wirtschaft wachse automatisch, wie Franz Müntefering bei der Einführung der Agenda 2010 zerknirscht einräumte. Für die alte SPD war es wichtiger, Menschen ohne Arbeit bestens zu versorgen, als Bedingungen zu schaffen, unter denen es mehr Arbeitsplätze gibt. Wenn Schulz durch die Hallen und über die Plätze zieht, sollte die SPD deshalb ihre alte Hymne neu vertonen: „Mit uns zieht die alte Zeit …“.

Erschienen auf Tichys Einblick

Finanzen

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