Auftakt zu Hollands Jubiläumsjahr 2016 in der Grafischen Sammlung – Von Karel Appels „Bittenden Kindern“ zu Jheronymus Bosch' „Visionen eines Genies“

„Vragende Kinderen“ (Bittende Kinder) nennt sich eine Wandmalerei des berühmten holländischen Malers Karel Appel, die Geschichte geschrieben hat. 1949 dem 26. jährigen Maler von der Stadt Amsterdam für die Rathaus-Kantine im Auftrag gegeben, wurde sie auf Druck der städtischen Angestellten, die den Anblick bettelnder Kinder beim Speisen nicht ertragen konnten und sie sogar mit Essnäpfen bewarfen, zeitweise abgedeckt. Abgebildet auf seiner für die damalige Zeit anstößigen Art waren bettelnde deutsche Kinder, die der sensible Künstler kurz nach Kriegsende an deutschen Bahnhöfen gesehen hatte und mitleidig auf die Wand transponiert hatte. Ein Werk, das unter die Haut geht, und auf Anhieb Assoziationen weckt mit den Szenen, die sich seit vorigem Sommer an unseren europäischen Bahnhöfen zwischen Skopje, Budapest, Salzburg und München abgespielt haben. Leidende Kinder, unschuldige Opfer auf jeder Seite, egal ob bei den Siegern oder den Besiegten – und selbst wenn aus dem Volk stammend, das noch kurz davor das eigene Land in die Knie gezwungen hatte – sind ein wiederkehrendes Thema bei diesem Kunstschaffenden, der seinen hohen Bekanntheitsgrad primär den zahlreichen farbenprächtigen Skulpturen an öffentlichen Plätzen weltweit zu verdanken hat.
Mit Größen wie Dubuffet und Bloch zählt Appel zu den frühesten Protagonisten der internationalen Avantgarde und zu den Erneuerern der Kunst nach 1945. 1947 war er auch einer der Gründer der CoBrA-Gruppe, deren Mitglieder – darunter Jorn und Lucebert – sich für eine Rückkehr zum Gegenständlichen einsetzen. Er selbst ging dann eigene Wege und vollzog eine gegensätzliche Entwicklung, die „von der Linie aus zur Malerei“ hinführte und unentwegt schließlich zur Abstraktion. Diese Entwicklung lässt sich nun in einer herausragenden Ausstellung seiner weitaus weniger bekannten Arbeiten auf Papier in der Pinakothek der Moderne verfolgen, die Anfang Februar mit einer einleuchtenden Einführung des Kunsthistorikers Andreas Strobl eröffnet wurde. Eine „suchende Linie“ charakterisiert die Zeichnungen der ersten Jahren, die im Blickpunkt dieser in Kooperation zwischen dem Centre Pompidou entstandenen Werkschau steht, wo sie zunächst zu sehen war, und der Graphischen Sammlung, die sie bis zum 17.April präsentiert. Ersichtlich wird wie das Zeichnen bei Appel kein „Nebenprodukt der Malerei“ sei, sondern das ihm am meisten kongenial Medium. Die in den Fokus rückenden „zeichenhaften Figuren“ finden ihre Parallele in den mit Holzplatten und Nägeln gestalteten, beinah puppenhaften Skulpturen der 50er Jahren. Zahlreich die Einflüsse, denen Appel ausgesetzt war, wie die an Picassos Art anklingende „Ziege“ offenbart oder der Bus mit schwarzem Hintergrund, der an Dubuffet erinnert. Neben Paris, wo er sich seit 1950 niederließ, eine rege Ausstellungstätigkeit zu verzeichnen hatte und seit 2006 im Père Lachaise begraben ist, war Amerika wichtigste Station im Leben dieses selbsternannten „staatenlosen Künstlers“, der sich selbst als „Wanderer zwischen Raum und Zeit“ definierte. In den USA fing er an, Malerei mit Collage zu verbinden in großformatigen experimentellen Bildern, in denen er „Farbe mit der ganzen Kraft seines Körpers verteilte“. In den USA, wo er wie ein Amerikaner aufgenommen wurde, entstanden Bilder einer „ungeheuren Vitalität“, über die er 1961 sagte: „ Ich male nicht, ich schlage“. Dort wurde er vom dem in intellektuellen Kreisen führenden Magazine „New Yorker“ mit Paul Klee gleichgesetzt, während ein englischer Kritiker ihn sogar mit Van Gogh verglich und meinte, er trage die „Schaffensleidenschaft“ seines Landmannes in die „Welt der abstrakten Ausdrucksform“ hinein, die „Van Gogh selbst suchte, aber nie finden konnte.“
Weitere Informationen unter: Staatliche Graphische Sammlung München
Die Karel-Appel-Werkschau, in der auch das Motiv der anfangs erwähnten „Bittenden Kinder“ zu sehen ist, gilt als Auftakt in München eines für das Nachbarland Holland an kulturellen Events besonders reichhaltigen Jahres. Höhepunkt des „Nationalen Veranstaltungsjahres Jheronymus Bosch 500“ aus Anlass des 500. Todestages des Künstlers (1450-1516) wird die einzigartige und umfangreichste „Übersichtsausstellung“, die diesem bedeutendsten Maler des Mittelalters je gewidmet wurde. Zum großen Jubiläum kehrt eine Vielzahl seiner Oeuvres (20 Gemälde, darunter Holztafeln und Triptychen, und 19 Zeichnungen) zu seinem Heimatort zurück, der Hauptstadt der an Belgien angrenzenden Provinz Nord-Brabant 'Hertogenbosch, von der der gebürtige Hieronymus van Aken seinen Künstlernamen herleitete. Zwischen dem 13. Februar und dem 8.Mai 2016 zeigt das dortige Het Noordbrabants Museum Leihgaben aus den bedeutendsten europäischen Museen mit herausragenden Werken wie „Der Heuwagen“ aus dem Madrider Museo Nacional El Prado, „Das Narrenschiff“ aus dem Pariser Louvre, sowie auch aus dem New Yorker Metropolitan Museum. Aus Venedig stammen u.a. der „ Einsiedler-Altar“ aus der Galleria dell'Accademia und die „Visionen aus dem Jenseits“ aus Palazzo Grimani, die dank der Unterstützung der Paul Ghetty Foundation in Kooperation mit dem für den Anlass ins Leben gerufene BRCP – Bosch Research and Conservation Project in der Lagunenstadt restauriert wurden. Diese größte Retrospektive des „Teufelschöpfers “- wie Bosch auch genannt wurde – bietet eine einmalige Gelegenheit in das fantasiereiche Universum seiner Monstern und Fabelwesen, seiner Alpträumen und Halluzinationen einzutauchen und seine Werke – darunter zwölf, die zum ersten Mal ausgestellt werden – gebündelt an einem historischen Ort, in dem man noch die authentische Atmosphäre des Mittelalters erleben kann.
Das komplette internationale Festprogramm mit Musik, Tanz, Theater, Zirkus, Forschung und Restaurierung finden Sie unter: www.bosch500.nl
Ticketverkauf für die Ausstellung „Jheronymus Bosch – Visionen eines Genies“ über tickets@hnbm.nl oder Tel.: +31(0)73-6877877 (Mo.bis Fr. von 9:00 bis 17:00 Uhr).

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Dr. Anna Zanco-Prestel, hat Literaturwissenschaften (Deutsch, Französisch und Italienisch) und Kunstgeschichte in Venedig, Heidelberg und München studiert. Publizistin und Herausgeberin mit Schwerpunkt Exilforschung. U.d. Publikationen: Erika Mann, Briefe und Antworten 1922 – 69 (Ellermann/DTV/Mondadori). Seit 1990 auch als Kulturkoordinatorin tätig und ab 2000 Vorsitzende des von ihr in München gegründeten Kulturvereins Pro Arte e.V.

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