Boris Palmer fordert: Flüchtlinge oder Europa – Nach dem Ende der Wahl in Italien

Militaerschiff in Italien, Foto: Stefan Groß

Wir können Italien helfen –
Aber wir müssen wählen: Flüchtlinge oder Europa.

Der Spiegel zeigt es unverblümt: Die Flüchtlingskrise hat die Wahl in Italien zu einem Desaster gemacht.

Was Frankreich durch Macron noch erspart geblieben ist, hat Italien ereilt: Ein Wahlergebnis, bei dem antieuropäische und radikale Kräfte die Mehrheit haben. Man würde sich schon freuen, wenn Berlusconi gewonnen hätte. Stattdessen ist jetzt die offen ausländerfeindliche Lega Nord die stärkste Kraft rechts der Mitte.

In meinem Buch habe ich folgendes geschrieben:

„Es gabe bereits eine Flüchtlingskrise vor dem Krieg in Syrien. (…) Das System war so ungerecht und unausgewogen, dass Italien um Hilfe bitten musste. Der damalige italienische Innenminister Roberto Maroni sagte bei einem Brüsseler Treffen der Innenminister im Februar 2011: „Es handelt sich um eine Dimension von Flüchtlingsströmen, wie wir sie noch nie gehabt haben“. Eindringlich schilderte er, dass tausende Menschen auf der kleinen Insel Lampedusa gestrandet seien und ein noch größerer Ansturm im Sommer erwartet werde. Italien verlangte eine Revision des Dublin-Abkommens und eine europäische Verteilung der Flüchtlinge. Vor allem Deutschland sperrte sich heftig dagegen. Innenminister Thomas De Maziere konterte das Ansinnen seines Kollegen trocken: „Italien ist gefordert, aber bei weitem noch nicht überfordert.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel bestätigte diese Haltung der Bundesregierung: Die Flüchtlinge sollten in Italien bleiben.

Seit die Balkanroute geschlossen ist, nimmt Italien wieder die meisten Flüchtlinge in Europa auf. Wenn Dublin gilt, müssen sie dort auch bleiben. Außer Deutschland und dem anderen Ankunftsstaat Griechenland lehnen aber alle anderen europäischen Staaten die Zwangsumverteilung von Flüchtlingen mehr oder weniger deutlich ab. Die bestehenden Quoten werden nicht erfüllt. Fakt ist: Wir lassen Italien wieder allein.

Im Ergebnis ist das Zeitfenster für Reformen in der EU quasi geschlossen, bevor es sich öffnet. Frankreich hat so lange auf Deutschlands Regierungsbildung gewartet, bis Italien gekippt ist.

Der Erfolg der Populisten, ganz besonders der Lega Nord, ist ohne Flüchtlingskrise in Italien nicht zu verstehen. Die Szene, die der Spiegel schildert, macht das Problem sehr eindringlich sichtbar. In Italien sind junge Männer aus Afrika die relative Mehrheit der Flüchtlinge, nicht syrische Familien. Gewaltprobleme nehmen unvermeidlich zu. Und anders als in Deutschland ist keine Entspannung in Sicht. Wir haben trotz bester Konjunktur 13% AfD im Parlament. Wie sollen da 20% für die Lega Nord angesichts gravierender wirtschaftlicher Sorgen in Italien verwundern?

Wir können Italien und Europa helfen. Entweder nehmen wir die Flüchtlinge auf, die Italien nicht mehr verkraftet. Oder wir beteiligen uns daran, die Mittelmeerroute so zu schließen, wie die Balkanroute. Durch Rücknahmeabkommen ähnlich dem mit Erdogan und robuste Grenzsicherung, das heißt Rettung mit Frontex und Rücktransfer in afrikanische Häfen.

Beides ist möglich.

Wer für die erste Lösung plädiert, muss erklären, wie er dafür die Mehrheit der Deutschen gewinnt und erhält, ohne dass bei uns die Wahlen so ausgehen wie in Italien. Moralisch aller Ehren wert, aber nach meiner Überzeugung nicht mit dem Mehrheitswillen der Wahlbevölkerung in unserem Land vereinbar.

Wer für die zweite Lösung plädiert, muss rechtliche Fragen in den Griff bekommen, Frontex ausstatten und mit schlimmen Staaten Abkommen schließen. Moralisch nicht schön, aber auch nicht schlimmer als Merkels Abkommen mit Erdogan. Der hält Kriegsflüchtlinge von Europa fern. Aus Afrika kommen mehrheitlich Menschen, die miserable Lebensumstände abschütteln wollen.

Nein, das ist alles nicht schön. Aber wir müssen reale Alternativen bewerten. Und natürlich gehört zu jeder Lösung unserer europäischen Probleme eine ehrliche Politik gegen Fluchtursachen. Abschottung ohne wirksame Hilfe vor Ort ist moralisch in der Tat nicht vertretbar.

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