BUNTES BÜRGERFEST AUF DEM ST.-JAKOBS-PLATZ

Mit einer Feier am 12. Dezember 2013 hatte die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) das vom leitenden Minister von König Max II.und im Geiste der Aufklärung wirkenden Reformer Grafen Montgelas das am 30. Juni 1813 erlassene „Judenendikt“ gewürdigt (S. Art. N° 95 – 01/2014), das als „Meilenstein“ im Zuge der Judenemanzipation gilt. Öffentlich-rechtlich garantierte Organisationsform erhielt die „Jüdische Kultusgemeinde München“ jedoch erst 1815. Zum 200. Jubiläum und zum 70. Jahrestag ihrer Wiedergründung nach der Shoah fand am 21. Juni ein von ihr initiiertes Bürgerfest, das den St. Jakobs-Platz mit einem breit gefächerten Programm in in eine Bühne unter freiem, ab und zu bedrohlichem Himmel verwandelte. An dem Bürgerfest beteiligt waren die Nachbarn der IKG rund um den Platz, der nach dem Bau der Synagoge „Ohel Jakob“ und des Gemeindezentrums im Jahre 2006 mehr und mehr zu einem der beliebtesten Treffpunkte für Einheimische, Besucher und Touristen wieder entwickelt hat. Jahrelang als Nebenschauplatz im Zentrum vom „Millionendorf“ und zeitweilig sogar zum Bushalteplatz degradiert, hat der St.Jakobs-Platz einen neuen Flair gewonnen und lockt mit dem angrenzenden Sebastiansplatz viele zum Verweilen in Cafés, Lokalen oder im Sommer auf öffentlichen Bänken vor dem Brunnen. An einem Ort, an dem viele Baustile kontrastierend und dennoch harmonisch koexistieren: das Neo-Barocke mit Jugendstilelementen in der Innenausstattung vom Orag-Haus Rücken an Rücken mit dem mittelalterlichen Ignaz-Günther-Haus und dem Stadtmuseum neben den modernen Bauten, die jüdisches Leben in die vormalige „Hauptstadt der Bewegung“ zurückgeführt haben.
Vielfältig wie die architektonischen Stilrichtungen sind auch die Darbietungen auf der Bühne, die den Rhythmus des Bürgerfestes zwischen 12 und 18 Uhr skandieren: Chöre, Tanzgruppen, Showballett, Kabarett mit „Bavaria“ Luise Kinseher und mehrere Bands, die Musik in den unterschiedlichsten Formen und Ausrichtungen präsentierten, von den traditionellen jüdischen Klängen und den Liedern des legendären Leonhard Cohen bis hin zu Funk und Soul und Tanzmusik für Piano und Percussion. Nach den Auftritten der Schwesterband vom Angerkloster und des Synagogenchors erfreute eine herrliche Modeschau mit zwischen 1815 und heute kreierten Kostümen Hunderte von Besuchern, die in den Platz strömten, sich sonst geduldig in die riesige Schlange einreihten, um die Synagoge zu besichtigen oder beim Ausschank vom koscheren Restaurant „Einstein“ auf eine der köstlichen jüdisch-israelischen Spezialitäten warteten. Genutzt wurde von vielen auch die Möglichkeit, einen Abstecher bei freiem Eintritt in das Münchner Stadtmuseum oder in das Jüdische Museum zu machen oder auch die bewegende Dauerausstellung „Stimmen_Orte_Zeiten“ zu sehen. Besonderes Interesse erweckte die Sonderausstellung „Jüdisches Leben in München gestern & heute“ auf großen viereckig allseitig bedruckten Tafeln an mehreren Stellen rund um den Platz. Neben Texten, die als Information über jüdische Feste und Rituale und über die wechselseitige Geschichte des Judentums in München dienten, „stießen“ die Besucher auf einen Reigen von Biografien illustrer Mit-Bürger, die – wie manche auf einmal wahrzunehmen schienen – jüdischer Abstammung waren. Vertreter des Sports, wie der erst in letzter Zeit wieder aus der Versenkung geholten Kurt Landauer, dem Gründer und Förderer vom Fußballverein Bayern München, der Musikwelt wie Ben Hain, der die deutsche Musik nach Israel einführte, oder Bruno Walter, der zu den größten Dirigenten aller Zeiten gehört. Es geht um Familiendynastien wie die Bankiers Aufhäuser oder die Kunsthändler Bernheimer, die Münchens Stolz waren und wieder geworden sind. Um Politiker wie der weitsichtige Kurt Eisner neben Revolutionären wie Gustav Landauer, die nach dem Débacle vom Ersten Weltkrieg Münchens Schicksal hätten in die Hand nehmen wollen und dafür gewaltsam aus dem Leben scheiden mussten. Revolutionäre, die auch wegen ihres literarischen Werks in die Geschichte eingegangen sind, wie Erich Mühsam, der Anarchist, oder Ernst Toller, der an einem grenzenlosen Idealismus litt und daran selbst zugrunde ging. Alle an Deutschland leidende Menschen, weltbekannte Autoren wie Lion Feuchtwanger oder feinfühlige Literaten wie Grete Weil-Jokisch, die im Umfeld von Thomas Manns ältesten Kindern Erika und Klaus kreiste und – wie sie – unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung den Weg ins freiwillige Exil wählte. Sterne am Theaterhimmel ihrer Zeit wie Fritz Kortner und Therese Giehse, die während der Emigration am Schauspielhaus in Zürich ihre Triumphe als Brecht-Interpretin wie auch als Dürrenmatt-Muse und Darstellerin feierte. Vieles können hier die Münchner in Erfahrung bringen, die sich der Geschichte ihrer Stadt wieder bewusster werden wollen und nach Jahren der Verdrängung einsehen, wie eng verwoben deutsches und jüdisches Leben seit der 1900 Jahrhundertwende war und wie sehr dies zum Aufstieg der Isar-Metropole zu einer der bedeutendsten Kulturstädten Mitteleuropas beitrug. Allen zugänglich ist die Ausstellung bis zum 19. Juli. Man wünscht, sie würde für immer als Dauereinrichtung am Jakobsplatz zu sehen sein.

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Dr. Anna Zanco-Prestel, hat Literaturwissenschaften (Deutsch, Französisch und Italienisch) und Kunstgeschichte in Venedig, Heidelberg und München studiert. Publizistin und Herausgeberin mit Schwerpunkt Exilforschung. U.d. Publikationen: Erika Mann, Briefe und Antworten 1922 – 69 (Ellermann/DTV/Mondadori). Seit 1990 auch als Kulturkoordinatorin tätig und ab 2000 Vorsitzende des von ihr in München gegründeten Kulturvereins Pro Arte e.V.

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