Byung-Chul Han – Lob der Erde. Eine Reise in den Garten: Traumgarten oder: „Zurück zum Glück“

Blumen, Foto: Stefan Groß

„Der ist der Herr der Erde,

Wer ihre Tiefen mißt,

Und jeglicher Beschwerde

In ihrem Schoß vergißt.

 

Er ist mit ihr verbündet,

Und inniglich vertraut,

Und wird von ihr entzündet,

Als wäre sie seine Braut.“

 

Diese Worte lässt Novalis in seinem Roman »Heinrich von Ofterdingen« einen alten Bergmann singen. Der in Südkorea geborene und mittlerweile in Berlin lebende und dozierende Philosoph Byung-Chul Han hat diesen Gesang aufgegriffen. Er intoniert, webt und analysiert ihn für sich weiter. Drei Jahre lang lässt er den Leser an seinen Empfindungen, seiner aktiven Teilnahme und Zuwendung in seinen Bi-Won (koreanisch für »Geheimer Garten«), seinem Traumgarten teilhaben. Er öffnet die Gartentür zu seinem „ekstatischen Ort zum Verweilen“.

Entstanden ist ein kleines Kompendium, welches sich – wie man vermuten darf – nicht mit Pflanzanleitungen, Bewässerungssystemen und der Empfehlung von geeigneten Düngemitteln beschäftigt, sondern Byung-Chul Hans »Lob der Erde« spiegelt seine Empfindungen, seine Meditation, sein „Verweilen in der Stille“ auf emotionale, literarisch-poetische und natürlich philosophische Art und Weise wider: „Ich ließ die Zeit weilen und duften.“ Und dies sogar mitten im Winter. Han gestaltet aktiv – entgegen jeglicher Gärtnerweisheit – einen immerblühenden Garten, ein Stück Erde, die selbst im dunklen, kalten Winter Berlins farbenfrohe Knospen hervorbringt.

Immer wieder flicht er Gedichte und Gedanken von Adorno, Barthes, Benn, Brecht, Eichendorff, Goethe, Heidegger, Hölderlin, Kant, Nietzsche, Rilke, Schiller, Schubert und Schuhmann ein. Vor allem dessen »Gesänge der Frühe«, die von einer geheimnisvollen Aura und tiefen Melancholie umgeben sind, bilden die Grundstimmung dieses Buches. Ein zarter Schleier aus leisen, fast zeitentrückten und zeitgedehnten Tönen liegt über seinen Betrachtungen, die den Text aber gerade dadurch zeitreich machen: „Der Garten entfernt mich einen Schritt mehr von meinem Ego.“, so Han.

Byung-Chul Han verweilt, sinniert und ergötzt sich an Sonnenwende, Kornblumen, Leberblümchen und Lein, an Anemone, Kamelie, Sonnenblume, Herbstzeitlose oder Funkien. Er versöhnt sich mit den wuchernden Gänseblümchen und betrachtet voller Liebe und Ehrfurcht die zerbrechlichen, zierlichen und zarten Winterblüher wie Winter-Heckenkirsche, Zaubernuss, Schneeglöckchen und Winterheide in seiner ansonsten kälteerstarrten Rückzugsoase am Berliner Wannsee. Von Zeit zu Zeit sind dem Buch insgesamt 24 „blumige“ Illustrationen von Isabella Gresser beigefügt, die in ihrer farblichen schwarz-weißen Schlichtheit, aber unglaublichen Detailfülle bis hinein zu feinsten Blattader kongenial den Grundton des Autors ergänzen.

»Lob der Erde« ist ein leises, ein besinnliches, ein stilles Buch. Es zeigt sich zeitlos und natürlich auch philosophisch. Freudige erhabene Momente wechseln sich mit meditativen, zuweilen gar düsteren Betrachtungen und Gedankengängen des Autors ab. Man muss den Text bewusst aufnehmen, ihn verinnerlichen und „verdauen“, dann versteht man auch die mitunter versonnene, intellektuell vergrübelte und in sich gekehrte Sprache des Autors und kann etwas von seinem eigenen, mitunter vom Lärm der Zeit verschütteten „planetarischen Bewusstsein“ hervorholen und dieses dann auch bewahren. Denn: „Denken ist Danken.“ Und dies tut Byung-Chul Han auf vielfältige Art und Weise. Der Leser ist aufgefordert, es ihm gleichzutun.

Letztendlich und vor allem stellt sein Text jedoch einen Gegenentwurf zur Digitalisierung der Welt dar. Einer Welt, „die einer totalen Vermenschlichung und Subjektivierung gleichkommt“ und die Erde zum Verschwinden bringt. „Wir überziehen sie mit unserer eigenen Netzhaut. Dadurch werden wir blind gegenüber dem anderen. (…) Digital heißt auf Französisch numérique. Das Numerische entmystifiziert, entpoetisiert, entromantisiert die Welt. Es beraubt sie jedes Geheimnisses, jeder Fremdheit und verwandelt alles ins Bekannte, ins Banale, ins Vertraute, ins Gefällt-mir, ins Gleiche. Alles wird vergleichbar. Angesichts der Digitalisierung der Welt täte es not, sie zu reromantisieren, die Erde, ihre Poetik wiederzuentdecken, ihr die Würde des Geheimnisvollen, des Schönen, des Erhabenen zurückzugeben.“

 

 

Byung-Chul Han

Lob der Erde. Eine Reise in den Garten

Ullstein Verlag, Berlin (9. März 2018)
156 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3550050380
ISBN-13: 978-3550050381

Preis: 24,00 EURO

 

 

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Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.