Cora Irsen auf den Spuren Franz Liszts

Nun wird doch noch ein Glanzpunkt auf das Liszt-Jahr in Jena gesetzt: Das Collegium Europaeum hat die Pianistin Cora Irsen zu Konzerten nach Jena eingeladen. Und was war da zu hören? Nicht nur Kraftvolles, von einer Person, deren Taille wohl mit zwei Händen zu umfassen war. Man spricht gerne von einem orchestralen Klang des Pianoforte, wenn ein Fortissimo das Instrument schier zum Bersten bringt. Nun, der Steinway ist an diesem Konzertabend nicht geborsten, und die Pianistin zeigte nicht nur an den Pianissimostellen und den filigranen Passagen, an den lastenden „Trüben Wolken“ und den tausend anderen „in rechtem Maße“ getroffenen Klängen, welche undenkbar reichen Gestaltungsmöglichkeiten ihr offen stehen.
Der „Grand galopp chromatique“ von Franz Liszt wurde vom Komponisten selbst gerne gespielt, es war eines jener „Schlachtrösser“, von denen er einmal behauptet hat, so etwas könnten nur Hans von Bülow und er selbst spielen, bis in einem Pariser Salon ein Klavierlehrer einen Schuljungen ans Klavier setzte, der es genauso fehlerfrei spielte und Liszt dann behauptete, nun könnten es drei. Der junge Klavierschüler war Georges Bizet. Von einer sonderlichen Karriere als Pianist war bei ihm allerdings nie die Rede.
Aus den „Pilgerjahren“ hatte Cora Irsen „Vallée dObermann“ mitgebracht, und der Rezensent glaubte, mit der Interpretation dieser Komposition in ihrer unglaublichen Vielfalt und Differenziertheit wäre bereits der Höhepunkt des Abends erreicht. Dann aber entführten die „Wasserspiele“ und die „Zypressen“ der Villa d´Este in den Süden nach Italien und spätestens dann wurde man gewahr, was man für einen Klavierabend erlebte.
Es hat lange gedauert, bis Liszts Spätwerke das Licht der Öffentlichkeit erblickten, und in Jena noch länger. Ein Kollege von Cora Irsen, Martin Högner, hat 1986 zum hundersten Todestag die „Trüben Wolken“ dahier erstmalig vorgestellt und vor kurzem Camelia Sima zur Ausstellungseröffnung „Franz Liszt – Ehrenbürger von Jena“. Es gab diesmal von der Pianistin und von Hanns von Mühlenfels Einführungen in manche Werke, Ausschnitte aus Briefen und Tagebüchern, und eben auch den Hinweis, dass die „Bagatelle ohne Tonart“ doch nicht ganz auf die alten Grundlagen verzichtete, bei allen Eröffnungen auf kommende Zeiten.
Waren die Interpretationen nicht schon Überraschungen genug, so stellte Cora Irsen dann noch die Pianistin und Komponistin Maria Jaell aus dem Schülerkreis Liszts vor. Und bei aller deutschen Gründlichkeit in vielen Lexika und im Musikleben muss man dann doch wohl ein wenig daran zweifeln, ob das vermittelte Musikgeschichtsbild so ganz vollständig ist und das wirkliche Musikleben nicht doch noch manche Entdeckung bereit hält. Drei Werke hatte Cora Irsen ausgesucht, aus wie vielen bisher kaum gehörten, gewiss dem Dante-Kenner Franz Liszt verbunden, ebenso gewiss aber von einer eindringlichen Selbstständigkeit, dass man sich wundern muss, warum Pianistengenerationen bisher daran vorbei gegangen sind. Immerhin hätte auffallen müssen, dass Franz Liszt ihr den Mephisto-Walzer und Camille Saint Saens ihr ein Klavierkonzert gewidmet haben, Albert Schweitzer bei ihr Unterricht nahm und sie die erste war, die alle Beethoven-Sonaten in Paris vorgestellt hat, obwohl Liszt auch nicht ganz untätig daran war, Beethoven dort bekannt zu machen.
Den Abschluss des Konzertes bildete die „Spanische Rhapsodie“ von Liszt. Widmet er sich anfangs mehr der altbekannten „La Folia“, so wird es später eine „Jota aragonesa“. Liszt hat dieses Stück lange nach einer Spanientournee aufgeschrieben. Natürlich war das eine Gelegenheit, pianistisches Feuer zu entfachen. Aber man kam nicht nur dabei aus dem Staunen nicht heraus, was einem Franz Liszt bei den Veränderungen der Melodien alles so eingefallen ist, und was die Pianistin in so souveräner Art vorstellen konnte. Und davon, dass es ein teuflisch halsbrecherisches Werk ist, war nichts zu merken.
Man muss schon sehr lange zurückdenken, dass ein solcher Klavierabend in Jena gegeben wurde. Als einst ein Horst Teßner und Herr Grüßer die Kammerkonzerte und später die „Stunde der Musik“ in Jena organisierten, und das Volkshaus noch 1150 Plätze hatte gegen kaum 900 heute, da hatte Jena bei etwa 70 000 Einwohnern einst 720 Abonnenten (also etwa 1 % der Bevölkerung) dafür, und die freiverkäuflichen Karten waren meist schnell weg., und zwar nicht nur, wenn Kyoko Tanaka, Wilhelm Kempf und Takahiro Sonoda oder Elly Ney auftraten, oder Enrico Mainardi, Erika Köth und Peter Anders. Dieser Abend hätte von der Kunst des Dargebotenen her in solch einen vollbesetzten Volkshaussaal gehört, aber diese Zeiten sind unwiderruflich vorbei. Also seien wir froh, dass in der Ratsdiele mit ihrem lobenswerten Instrument uns solch ein Abend beschert wurde. Man darf auf das nächste Konzert warten. Aber bitte mit einer etwas gescheiteren Werbung!

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