Cyberspace

– einige Windows zum Medium der Zukunft

„Edler Freund! Wo öffnet sich dem Frieden, Wo der Freiheit sich ein Zufluchtsort?

Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden,

Und das neue öffnet sich mit Mord.

[…]

In des Herzens heilig stille Räume

Mußt du fliehen aus des Lebens Drang:

Freiheit ist nur in dem Reich der Träume,

Und das Schönste blüht nur im Gesang.“

(Schiller „Der Antritt des neuen Jahrhunderts“)

1. Das Gespenst

Ein Gespenst geht um in Amerika und Europa – das „Gespenst des Cyberspace“1. Alle jungen Kräfte in den Computer-Laboratorien und wissenschaftlichen Institutionen haben sich zu einer Jagd auf die technische Machbarkeit der künstlichen Realität verbündet. In zwanzig, dreißig Jahren, sagen sie, wird jeder seinen „Personal Simulator“ zur Erzeugung künstlicher Realität besitzen. Sie prophezeihen eine ganz neue Art der Fremd- und Selbsterfahrung. Sie sagen die Demokratisierung der Kommunikation voraus, die Zunahme von Toleranz, das Aufblühen von Kreativität. Während viele Intellektuelle den Verlust alter Visionen beklagen, basteln die Computer-Freaks an einer neuen, gewaltigen Utopie.

„Multimedia“, Wort des Jahres 95, feiert Hochkonjunktur in Magazinen, Zeitschriften und Büchern.2 Nicht immer geht es dabei direkt um Cyberspace oder „virtuelle Realität“ (VR).3 Aber immer werden Perspektiven eines Paradigmenwechsels eröffnet, der sich mit der Entwicklung der elektronischen Medien abzeichnet. Dieser Paradigmenwechsel wird mal als kultureller, mal als kommunikativer, als pädagogischer, politischer, psychologischer, ethischer oder philosophischer spezifiziert; er umfaßt die Gesamtheit gesellschaftlicher Erscheinungen. Wann diese generelle Umwälzung akut bzw. in welchen Schritten sie sich vollziehen wird, bleibt im großen und ganzen Spekulation. Optimisten sprechen davon, daß in allernächster Zeit bahnbrechende Entdeckungen bevorstehen, Skeptiker verweisen auf unbewältigte technische Probleme und halten die perfekte Erzeugung virtueller Realität erst spät im nächsten Jahrtausend für möglich.4 Aus kulturkritischer Sicht ist die entscheidende Frage natürlich nicht, wie schnell und mit welchen konkreten Verfahren die Probleme des „Tracking“5 oder der Umsetzung von Geruch und Geschmack in die VR gelöst werden können, sondern ob der Erfolg der Techniker überhaupt wünschenswert ist.

In dieser Entweder-Oder-Fassung kann die Frage jedoch gar nicht gestellt werden. Denn auf bestimmten Gebieten, wie der Medizin oder der Architektur, überzeugt die Technik der Simulation wohl auch orthodoxe Gegner.6 Das Problem von Cyberspace liegt in seiner Zukunft als Massenmedium: der Gebrauch durch alle bereitet denen, die sich für die Gesellschaft und deren Entwicklung verantwortlich fühlen, Kopfschmerzen. Unter den Stichworten Realitätsverlust, Zerstreuungssucht und Cybersex treffen zahllose Warnungen ein. Diese müssen durchaus ernst genommen werden. Aber man sollte sie auch in ihrer Historizität wahrnehmen, denn wie ein Blick in die Geschichte zeigt, ist die Rede von der Großen Gefahr nicht neu. Was wir momentan erleben, ist Wiederholung.

Das erste Fenster zum Medium der Zukunft sei also der Blick zurück, in die Geschichte der Mediendiskussion. Anschließend werden die Für und Wider zu den bereits genannten Stichworten zusammengetragen und wird die Frage erörtert, ob wir Cyberspace brauchen und ob wir nicht vielleicht schon längst die mentalen Vorbereitungen dafür treffen. Schließlich aber wird festzustellen sein, daß das Medium der Zukunft die gegenwärtigen Medien nicht verdrängt, sondern im Gegenteil ihnen einen großen, geradezu historischen Auftrag erteilt.

2. Die neuen Medien

Als durch Gutenbergs Druckpresse viel leichter viel mehr Bücher auf den Markt gebracht werden konnten, machte das nicht jeden Vertreter der Schrift glücklich. Auf den Markt drängten nun neben den kirchlichen Texten in großer Menge profane, die dem kanonischen Wort den Platz stahlen. Man befürchtete den Verschleiß des Wortes. Dahinter stand vor allem die Furcht, inmitten der aufkommenden Informationslawine die Kontrolle über das Wort und die bisher ausgeübte Deutungsmacht über die Realität zu verlieren.7 Die Zunahme des gedruckten Wortes erhöhte auch das Konfliktpotential; sie ermöglichte, sich aus ganz unterschiedlicher Weltsicht auf Geschriebenes zu berufen. Es ist nicht verwunderlich, daß bald Forderungen nach Zensur und nach klarer Verantwortlichkeit für Gedrucktes erhoben wurden.

Die im 18. Jahrhundert endgültig einsetzende Karriere der Schrift führte, wie die zeitgenössische Lesewutdiskussion zeigt, zu ähnlichen Problemen. Man klagt über die umsichgreifende Produktion und Lektüre „elender und geschmackloser Romane“, die, wie der Kantianer Johann Adam Bergk 1799 warnt, „an Rohheit der Sitten [gewöhnen] und an eine Denkungs- und Sinnesart, die Ausschweifungen in der Liebe, im Trunke, Heuchelei, Hinterlist und zwecklose Bravour für rühmliche Thaten hält“.8 „Die Folgen einer solchen geschmack- und gedankenlosen Lektüre sind also“, so Bergk: „unsinnige Verschwendung, unüberwindliche Scheu vor jeder Anstrengung, grenzenloser Hang zum Luxus, Unterdrückung der Stimme des Gewissens, Lebensüberdruß, und ein früher Tod“.9 Bergks Urteil folgten, wenn auch mit weniger pointierten Formulierungen, die meisten seiner Zeitgenossen. Dabei wurden zweierlei Gefahren benannt: das Lesen falscher Bücher und das falsche Lesen, Schon die zerstreute Lektüre war ein Verstoß: „Ein Lesen, womit man bloß die Zeit vertreiben will, ist unmoralisch, weil jede Minute unsers Lebens mit Pflichten ausgefüllt ist, die wir ohne uns zu brandmarken nicht vernachlässigen dürfen“10. Lesen zum Zeitvertreib gewöhne an den Müßiggang, dessen psychologische Beziehung zum Laster niemand so eifrig herausarbeitete wie die Popularphilosophen des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Sowohl die Rezeption falscher Wertvorstellungen wie die bloß zerstreute Lektüre verstößt gegen das Gebot der persönlichen Vervollkommnung, das zum Imperativ des Aufklärungszeitalters erhoben worden war.

Die Schrift war somit nicht nur das genuine Medium der Aufklärung, sie war auch deren größte Gefahr. Es zeigt sich: das Medium an sich ist neutral. Womit die Seiten des Buches beschrieben werden, das wollten die Verwalter der Aufklärung kontrollieren, und im Erziehungsinteresse bzw. im Interesse der „sozialen Brauchbarkeit“ des Bürgers hielten sie dabei auch den Ruf nach der Zensur für gerechtfertigt. Bürgerliche Aufklärer und adlige Obrigkeit vereinten sich somit im Kampf gegen einen Großteil der Schrift, von dem sie die Gefährdung des gesellschaftliche Systems befürchteten.11

Die Entwicklung des Kinos am Anfang dieses Jahrhunderts läßt die gleiche ambivalente Haltung zum neuen Medium erkennen. Die Gegner der laufenden Bilder mochten diese lediglich unter kinematischem Aspekt akzeptieren, nicht unter kinematographischem. Ersterer, hieß es, ermögliche durch die beschleunigte oder verlangsamte Darstellung natürlicher Vorgänge Relitäts-erkundung (das Aufblühen einer Pflanze in zwanzig Sekunden; der Vogelflug in Zeitlupe), zweiterer führe durch das Zerstreuungsangebot und die Bedienung der Schaulust eher zu Realitätsverlust. Die im Film vermutete Gefahr der Verführung des Publikums (z.B. zur Vernachlässigung der eigenen politischen Interessen), der Flucht in Illusionswelten und der „Geistesverpöbelung“ veranlaßte schließlich selbst einen Mann wie Tucholsky, nach der Zensur zu rufen12. Bemerkenswert sind die Parallelen in der Argumentation gegen das immer populärer werdende Medium. Denn den Ruf nach Überwachung des kulturellen Marktes13 sowie die Klage über die „Verderbnis“ der Sitten14 und die Trübung des Wirklichkeitssinns15 durch das Kino sind bereits aus der Lesewutdiskussion des 18. Jahrhunderts bekannt. Diese Einwände werden nun auch mit Blick auf das neue Medium Cyberspace erhoben.

Aufgewachsen noch in der Logik der „Gutenberg-Galaxis“ (Marshall Mc Luhan) fürchten die Kritiker des Cyberspace zunächst eine weitere Akzentuierung des Bildlichen zuungunsten des Begrifflichen. Dies verstärke den ohnehin registrierbaren Verlust an Ernsthaftigkeit und geistiger Tiefe. Während selbst die Lektüre „schlechter und geschmackloser Romane“ noch auf der Umsetzung toter Buchstaben in „innere Bilder“ beruht und damit ein kreatives Moment besitzt, verlangt das elektronische Medium diese Arbeit der Zeichenbelebung überhaupt nicht mehr. Es ermöglicht die Informationsaufnahme ohne jede Investition an geistiger Energie, gleichsam in spielerischer Form. „Leser sind Grübler“16 – der Mensch am Computer aber „wird nicht mehr Arbeiter sein (`homo faber'), sondern ein Spieler mit Informationen (`homo ludens')“.17 Dabei wird die Information vorrangig nicht als Schrift, sondern als Bild aufgenommen bzw., in der VR, sogar erlebt.

Unter pädagogischem Gesichtspunkt kann man diese Art der Wahrnehmung nur begrüßen, entspricht es doch der didaktischen Forderung nach Anschaulichkeit, wenn der Lerner die Information nicht mehr erst in ein Bild umwandeln muß, um sie zu verstehen. So wird er z. B. den Zusammenhang von Krankheitserregern, Killer- und Freßzellen im menschlichen Organismus mittels VR als unmittelbarer Zeuge eines Kampfes erfahren, und so wird er geschichtliche Prozesse durch das entsprechende Eintauchen in die Vergangenheit nachvollziehen können Er tritt dem Lernstoff nicht gegenüber, er verschmilzt mit ihm im didaktischen Modell der Immersion. Diese Lehrmethode ist hocheffektiv, wie das enorme Lernen des Kleinkindes zeigt, das z. B. nicht durch Wissen über die Sprache sprechen lernt, sondern durch deren Erleben.18 Der auf die Schrift orientierte traditionelle Intellektuelle erkennt in der Tendenz zur Bilderflut und zum unmittelbaren Erleben allerdings nur den Niedergang der Kontemplation. Nachdem der Mensch schon das Latein als Wissenschaftssprache verloren hat und so all den Emotionen einer lebenden Sprache ausgesetzt wurde, droht nun die Vertreibung der Wörter überhaupt. Die Distanz zur Information, die Möglichkeit kritischer Aneignung gehe damit verloren. Wenn die Kulturtechnik des Lesens aufgegeben werde, verspiele man auch zivilisatorische Erfolge; das An-sich-Halten des Lesers, die „Unterdrückung von Handlungsimpulsen“, die in der Entsinnlichung des Lektürevorganges liegt, 19 werde einer neuen Undiszipliniertheit weichen. Aus einer anderen Perspektive und mit der Möglichkeit anderer Wertung bedeutet dies die Rückkehr des Wortes in den Geist der Musik – Dionysos kehrt heim und stürzt Apollon vom Thron.

Damit sind wir schon bei Pro und Kontra. Zunächst sei jedoch die Konstante festgehalten, die im historischen Umgang mit dem neuen Medium jeweils begegnet: der das Wort besitzt, warnt vor dem Kommenden. Stets verläuft die Argumentation dabei moralisch: immer ist die Jugend vor ihrer Demoralisierung und die Gesellschaft allgemein vor ihrem Untergang zu bewahren. Die feindliche Einstellung zum neuen Medium besitzt allerdings noch in anderer Hinsicht eine historische Dimension: es handelt sich um den Kampf der Gegenwart gegen die Zukunft, um den Kampf einer Generation gegen ihre Ablösung. Die ältere Generation, die die Sprache ihrer Kinder nicht mehr versteht, schimpft diese „digitale Analphabeten“. Sie sieht eine Gefahr darin, daß das Wort als Waffe verloren geht, und warnt wie der Literaturwissenschaftler Barry Sanders: „Die Pistole ist das Schreibgerät der Analphabeten“20. Der Begriff „post-literarisches Analphabetentum“ ist dabei durchaus kein neuer Begriff, er wurde bereits vor knapp vierzig Jahren eingesetzt, als mit dem Fernsehen die „globale Bilderflut“ begann.21 In ähnlicher Weise mag im Mittelalter manch Kirchengelehrter den Laien geschimpft haben, der sich erlaubte, gegen die wohlüberlegte Rede des Pastors seine eigene verworrene Auslegung der Welt und der „Heiligen Schrift“ zu setzen. Die Kirche fürchtete von Gutenbergs Druckpresse den Verschleiß des Wortes und damit den Verlust von Informationsmacht und Autorität. Die Ablösung des Buches durch den Computer, die Ablösung der Schrift durch das Bild führt nun zwar nicht zu vermehrtem Pistolenkauf (da wären zunächst ökonomisch-soziale Ursachen zu zitieren), sie greift aber jene an, die die öffentliche Schrift „besitzen“. Die alten Waffen verlieren ihre Gewalt. Jedes Medium besitzt seine spezifischen Themen, Perspektiven und sozialen Normen. Das neue Medium ist das Medium der neuen Generation, die sich darin aus der Logik veränderter soziokultureller Strukturen und Werte ausdrückt. Es befreit von alten Diskursen und deren Autoritäten, es eröffnet neue Distinktionsmöglichkeiten. Die Kontroverse um Cyberspace vollzieht sich auch als Generationskonflikt, das Alter der Redner ist nicht unparteiisch.

3. Die große Warnung

Betrachtet man nun die vorgebrachten Einwände gegen Cyberspace, tritt einem immer wieder das Thema Cybersex entgegen. So denkt John Perry Barlow, vormals Textschreiber für „Greatful Dead“, heute Techno-Crank, „lieber nicht zuviel daran, wie jemand, der es mit einer Maschine treiben will, in seinem Leben mit Frauen umspringt … falls welche darin Platz haben.“22 Die Möglichkeit des Cybersexes empfiehlt sich aus moralischer Perspektive natürlich bestens als Angriffspunkt. Dabei ist noch gar nicht klar, wie Cybersex aussehen wird. Vollendet er den Auszug der Lust aus dem Fleisch ins Gehirn, wie ihn in jüngster Zeit Nicholson Baker in seinem Roman „Vox“ nicht ohne hintergründige Ambivalenz beschrieb, hat er sogar einiges für sich. Denn die Erotik des Zeichens basiert auf der Imaginationskraft und bezeichnet den Vorsprung des Menschen gegenüber der bloß fleischlichen Lust des Hier und Jetzt aller anderen Gattungen. Zielte Cybersex jedoch auf die Imitation der körperlichen Lust in der VR, was durch die entsprechende Entwicklung des taktilen Feedbacks einmal möglich sein könnte, wäre er keine raffinierte Spielform menschlicher Sexualität, sondern nur die Wiederholung des Herkömmlichen auf der Basis uneingeschränkter Macht. Obgleich auch dies nicht zwingend ist. Natürlich ist denkbar, daß man sich einen Sexualpartner programmiert, der im Akt zum völligen Objekt wird (die Headline „Cybersex mit Marilyn Monroe“ gab es ja schon). Ebenso können in der VR jedoch dialogische Interaktionen erfolgen, die auf den üblichen sozialen Geschlechtsakt, als Bestandteil und Belohnung einer zwischenmenschlichen Kommunikation, zielen. Der Möglichkeiten sind viele, und was Mißbrauch genannt werden muß, ist eine Frage subjektiver Ansichten und kultureller Entwicklung. Diejenigen Kritiker, die pauschal auf den Ekel vor dem Sex mit einer Maschine spekulieren, machen es sich zu einfach. Auch hier ist der historisierende Blick gefordert, denn auch hinsichtlich der Sexualität verändern sich Einstellungen im Verlauf der Geschichte grundlegend: die Mehrheit empfindet den „nicht-finalen“ Geschlechtsakt (der keine Lust der Fortpflanzung mehr ist), die Onanie oder die Homosexualität längst nicht mehr als unmoralisch.

Man muß als Kritiker des Cyberspace jedoch gar nicht auf Cybersex abheben. Allein schon die Möglichkeit, sich in eine beliebige virtuelle Realität zu begeben, ist manchem Alarmsignal genug. So didaktisch wie Adam Bergk spricht am Ende des 20. Jahrhunderts natürlich keiner mehr über das Phänomen Zerstreuung, aber auch heute markieren viele im Zuwachs des Spielerischen und Unverbindlichen das große Übel für die Gesellschaft. Cyberspace wird den Umgang der Gesellschaft mit sich selbst grundlegend verändern; der kritische Blick eröffnet eine Menge negativer Utopien. Die subjektive Projektion wird, so eine Überlegung, im Zeitalter ihrer technischen Produzierbarkeit die Auseinandersetzung mit der Realität tendenziell verdrängen. Wenn VR in ist, ist RL (real life) out. Dies führe zu „sozialem Autismus“ und zum Verlust von Alltagskonflikten. Das wiederum bedinge massenhafte Konfliktunfähigkeit und die Diskussion und Lösung allgemeiner Konflikte nur noch durch wenige, was eine neue Weltdiktatur ermögliche. Aber auch andere Szenarien sind denkbar. Die Machbarkeit privater Phantasien im Cyberspace erhebt den Cybernauten zum Schöpfer einer eigenen Welt, in seinem virtuellen Reich gewinnt er die Erfahrung uneingeschränkter Macht. Wie begegnen sich Doudez-Götter (denn sie können nicht immer VR erschaffen) auf einer realen Straße? Grüßen sie sich? Betreten sie nun auch den nicht von ihnen geschaffenen Raum als Herrscher? Statt zu einer Weltdiktatur könnte es auch zur allgemeinen Anarchie kommen, was freilich noch keine sympathischere Variante ist.

Fast immer befürchten die Kritiker des Cyberspace den Verlust wirklicher Kommunikation und wirklichen Realitätsbezuges sowie die Zunahme allgemeiner Anonymität. Pointiert ist von Zombies die Rede, plastisch gemacht im Bild der Cybernauten, die, eingeklemmt in ihre Dataglove-Head-Tracking-Montur, jeweils allein im Hinterstübchen Kontakte zu ihren Mitmenschen aufnehmen, die sie nicht kennen und nicht wirklich kennenlernen: „Der Virtuelle Mensch, reglos vor seinem Computer, macht Liebe via Bildschirm und seine Vorlesungen per Telekonferenz. Er wird zum motorisch und wohl auch zerebral Behinderten“23. Diese Warnung vor Cyberspace als Flucht in Illusionswelten, als Konfliktscheu und geistige Degenerierung scheint von einem grundsätzlichen Mißtrauen in die conditio humana getragen zu sein, von der Gewißheit vorangig negativer Nutzung der Möglichkeiten neuer Technik. Die Überzeugung, daß ein souveräner Umgang mit Cyberspace nicht erfolgen wird, erinnert ein bißchen an den Streit um die Freigabe weicher Drogen. Die skeptische Argumentation besitzt indes gewiß auch ihren psychologischen Wert. Einmal disqualifiziert sie alle anderen, während für die eigene Person in der Warnung das Bannen beansprucht werden kann. Zum zweiten bietet sie in post-ideologischer Zeit noch einmal die Möglichkeit des Auftritts: der große Alarm gebiert eine große Geste, auch der „negative Prophet“ ist schließlich ein Prophet.

Dennoch: wer über 30 ist und die Flipper der Spielhöllen beobachtet hat, teilt die vorgebrachten Befürchtungen. Die Vision eines emanzipierten Umgangs mit Cyberspace entbehrt nicht einiger Blauäugigkeit. Sie scheint sich einzureihen in die Sammlung populärer Utopien dieses Jahrhunderts. Dabei greift sie an dessem Ende dessen Anfang auf: statt eines „Zurück zur Natur“, eines „Kommunemiteinander“, „richtigen Sozialismus“ oder esoterischer Lösungen lebt wieder die Vision von der guten Technik.

4. Segnungen der Technik

Einer der „positiven Propheten“ des Cyberspace ist Jaron Lanier (Jg.1960), Musiker, High-School-Aussteiger und Chef der Firma VPL Research im kalifornischen Silicon Valley. Er glaubt, „daß die virtuelle Realität vielen Menschen in der westlichen Zivilisation eine aufbauende Erfahrung mit multiplen Realitäten bieten könnte, eine Erfahrung, die ansonsten abgelehnt wird“, und „daß das auch zu mehr Toleranz und Verständnis führen wird.“24 Die Möglichkeit der interpersonellen Vernetzung in einer VR, so Lanier, wird ein Mehr an Begegnungen zwischen den Menschen bringen, wird Mitempfinden fördern und Gewalt reduzieren: „Das Tragische an der physischen Wirklichkeit ist, daß sie zwingend ist“25 aus der VR dagegen kann man jederzeit aussteigen.

Dieser sehr amerikanische Gedanke einer spielerischen Kommunikation mit der Option des plötzlichen Ausstiegs gewinnt vielleicht mehr Akzeptanz, wenn man die Rückzugsmöglichkeit unter dem Gesichtspunkt der Fremdheitserfahrung beleuchtet. In der VR, in der sich die Menschen mit einer gewissen Anonymität begegnen, könnte es tatsächlich viel eher möglich sein, Berührungsängste abzubauen, die oftmals die Interaktion mit fremden Personen verhindern. Anonymität bietet Schutz und ermöglicht die Aufnahme unberechenbarer Beziehungen. Man vernetzt sich mit einem Unbekannten, begibt sich mit ihm in eine gemeinsame VR, zu der und in der sich beide irgendwie verhalten müssen. Alles Unbekannte ist ein Risiko, aber Cyberspace hält das Risiko zunächst sehr gering, da er möglich macht, die Begegnung mit Escape jederzeit zu beenden. Das Risiko des Einlassens auf Unbekanntes kann auf der Grundlage dieser Rückzugsmöglichkeit also immer wieder eingegangen werden. Die VR ist nicht zwingend, was im übrigen auch in einer anderen Hinsicht gilt: die VR ist eine Bühne, der Cybernaut ein Schauspieler, der sich frei kostümieren und maskieren sowie verschiedene Rollen spielen kann – niemand hindert ihn, in der Maske seines Nachbarn oder des regierenden Bürgermeisters aufzutreten.

Die Anonymität der Interaktion und selbst die Möglichkeit, sich eine Maske zuzulegen, spricht noch nicht gegen diese Technik. Zunächst muß man festhalten, daß auf diese Weise jene „Tyrannei der Intimität“ umgangen wird, die zu einem Verlust an Offenheit für das Fremde führen kann.26 Cyberspace ist die geeignete Technik zur zeitgenössischen Einsicht, „daß Menschen nur dann gesellig sein können, wenn sie auch über einen gewissen Schutz voreinander verfügen. Ohne Barrieren, ohne Grenzen, ohne Distanzen zwischen ihnen werden sie destruktiv […] weil die moderne, von Kapitalismus und Säkularismus hervorgebrachte Kultur notwendigerweise im Brudermord endet, sobald die Menschen intime Beziehungen zur Grundlage gesellschaftlicher Beziehungen machen.“27 Das muß nicht heißen, daß diese Interaktion oberflächlich oder unehrlich verläuft; man denke an die klassische Situation der Zugfahrt-Beichte oder an das Vertrauenstelefon. Mitunter ermöglicht erst Anonymität wirklich Intimität, und in mancher Hinsicht ist sie dem modernen Menschen ohnehin zu einer mentalen Größe geworden. So basiert das Bedürfnis nach verständigungsorientierter, herrschaftsfreier Kommunikation in Partnerschaften heute oftmals gerade auf der gegenseitigen Akzeptanz eines dem anderen jeweils unzugänglichen Bereichs. Viele Beziehungen funktionieren überhaupt nur auf der Grundlage eines „Melusine“-Vertrags, der jedem einen dem Partner nicht zugänglichen Zeit-Raum garantiert. Man befreit sich vom „Terror der Authentizität“, der noch vor einigen Jahren „Beziehungsgespräche“ und beziehungsinternen Fraktionszwang zur Norm erhob.28 In dieser Entwicklung ist genaugenommen bereits die Escape-Geste zu erkennen, die nicht den Konsens zu erzwingen oder den unzugänglichen Bereich des Partners zu erkunden sucht. Das kann nach dem traditionellen Liebes- und Ehe-Konzept zum Niedergang der Beziehung führen (im Sinne mangelnder Arbeit an ihr), das kann aber auch deren Bestand sichern (indem das Aushalten des Widerspruchs trainiert wird).

Es bliebe also zu bedenken, ob nicht die Möglichkeit von Escape Escape erst überflüssig macht. Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach Kommunikationsgewinn oder -verlust im Maskenspiel des Cyberspace nicht so einfach zu beantworten, wie es seine Gegner oft tun. Selbst der moralische Wert einer auf „falschen Identitäten“ beruhenden Kommunikation ist nicht sogleich zu klären. Hinweise, der Cybernaut belüge sein Gegenüber, wirken jedenfalls naiv. Spätestens seit La Rochefoucauld ist man aufgeklärt über den Anteil der Berechnung am menschlichen Verhalten. Es ist wahr, der Cybernaut probiert andere Identitäten. Dazu muß er die anderen Identitäten aber kreieren, und das heißt auch, sich zunächst der „eigenen“ bewußt werden. Es ist eine Herausforderung, diese andere Identität glaubhaft zu spielen, was schon beginnt, wenn er sich eine andere Hautfarbe oder ein anderes Geschlecht zulegt. Das glaubhafte Spiel eines anderen Charakters wird sehr schnell die alte Theaterfrage entstehen lassen, welche Identität denn seine eigene sei, wenn er so überzeugend verschiedene Rollen annehmen kann. Gibt es diese Identität möglicherweise gar nicht? War sie bisher nur das Ergebnis eingeschränkter Handlungsspielräume, ein Zufallsprodukt der Schwerkraft unserer Lebensumstände? Es wird sich zeigen, wie weit man fähig ist, eine andere Identität anzunehmen. Man darf davon ausgehen, daß die im Cyberspace gegebene problemlose Annahme einer anderen Gestalt eine gute Voraussetzung für die Annahme einer anderen Identität bietet. Das gilt nicht nur für den Verunstalteten, dessen Brandnarben im Cyberspace verschwunden sein werden, oder für den Parkinsonpatienten, dessen Zittern der Computer aus der intentionalen Bewegung herausfiltern wird. In der VR jeder die Chance eines anderen Ichs, insofern psychologisch wirkt, was Karl Kraus einmal sagte: man steht lange unter dem Eindruck, den man auf einen Menschen gemacht hat.

Das Spiel mit Identitäten, die Lösung von biographischen Festschreibungen hat darüber hinaus einen demokratisierenden Aspekt. Cyberspace hebt Klassen- und Rassenunterschiede auf. „Der einzelne erscheint dort nicht als Vertreter einer sozialen, wirtschaftlichen, religiösen oder geographischen Hierarchie, sondern ausschließlich in seiner Eigenschaft als Mensch“, stellt Bernd von den Brincken fest.29 Auch Feministinnen können hoffen, denn Cyberspace wird, wie Donna Haraway voraussagt, die Gleichberechtigung der Geschlechter endlich verwirklichen.30

5. Die Vision des kreativen Konsumenten

Im Gegenzug zu den Warnern bringen die Propheten des Cyberspace dessen Nutzern natürlich ein grundsätzliches Vertrauen entgegen. Sie sagen den selbstbewußten, kreativen Umgang mit dem neuen Medium voraus, das die Passivität und Manipuliertheit des Fernsehzuschauers beende. Jaron Lanier sieht nicht im Cyberspace, sondern im Fernseher – als Ein-Weg-Medium – das Mittel, das Zombies produziert. Der Cyberspace sei dagegen ein „soziales Medium“, weil dort die Menschen miteinander agieren.31 Lanier würde Günther Anders' Ansicht teilen, daß die herkömmlichen elektronischen Medien ihr Publikum der Sprache berauben und zu „Unmündigen“ wie „Hörigen“ machen.32 Er annonciert aber (in gewisser Weise den Teufel mit dem Beelzebub austreibend) im Cyberspace die Rettung, die den Entmündigten die Sprache zurückgibt: Cyberspace läßt die Menschen, die zuvor als „Massen-Eremiten“33 unerkannt vor ihren Bildschirmen saßen, in die Gemeinschaft zurückkehren, der vormalige Sessel-Voyeur kann sich nun selbst präsentieren.

In eine ähnliche Richtung gehen die Überlegungen Timothy Learys, der in den 70er Jahren mit seiner „Neuropolitik“ die Vision des Auswanderns ins Weltall eröffnete und heute auf Cyberspace schwört. Leary sieht im Cyberspace die Möglichkeit, „das Individuum zu stärken, ihm die Mittel zu geben, sich vor der Macht des elektronischen Fernsehers, vor dem Staat, den Institutionen oder den Religionen zu schützen“.34 Cyberspace als Entmachtung der großen Netzwerke wie CBS oder BBC. Der Gedanke ist eigentlich schön: Die passiven, manipulierten Fernsehkonsumenten weichen den kreativen, sich ihre eigene Wirklichkeit erschaffenden Cybernauten; die Themen der Pausen- und Cocktailgespräche sind nicht mehr „Dallas“ und „Die Lindenstraße“, sondern die gestern erschaffene Landschaft oder programmierte Interaktionsweise – Kreativität und Phantasiereichtum entwickeln sich zu neuen Prestigeindikatoren, die aktive Rezeption wird soziales Druckmittel.

Wen das ein bißchen an die Pflicht zur Selbstvervollkommnung erinnert, die dem Leser im Zeitalter der Aufklärung aufgegeben wurde, der irrt nicht. So wie Adam Bergk damals die zerstreute Lektüre unmoralisch und unsozial nannte, gibt heute Jaron Lanier mit Blick auf das Fernsehen zu bedenken: „Die Zeit über, in der man sich bloß Medien reinzieht, hört man auf, ein verantwortliches oder soziales Wesen zu sein.“35 Aber wird die Trennung stimmen: hier Fernsehen, das man nur konsumiert, dort Cyberspace, in dem man aktiv ist? Oder stellt sich auch beim Cyberspace der „Konserveneffekt“ ein, indem einige Experten dem Massenpublikum immer neue VR's produzieren? Warren Robinett dämpft Timothey Learys Optimismus, jeder werde mit Cyberspace seine eigenen Phantasien umsetzen, jeder werde also in der Zukunft ein Künstler und sein eigener Fernsehstar sein.36 Die Umsetzung bleibt immer noch kompliziert und anstrengend genug, gibt Robinett zu bedenken und erinnert daran, daß heute ja auch nur die wenigsten ihre Träume in einem Roman oder in einer Skulptur Gestalt annehmen lassen: „Es ist eine Menge Arbeit, einen Roman zu schreiben oder eine Skulptur herzustellen.“37 Und weil es sogar verdammt viel Arbeit ist, wird möglicherweise auch Cyberspace ein Massenmedium sein, für das einige wenige Programme schreiben, die die vielen anderen konsumieren. Man erinnere sich in diesem Zusammenhang an die Hoffnung der 70er Jahre, die Videotechnik werde zu einer aktiven, kommunikativen Nutzung des elektronischen Mediums führen und die Macht des öffentlichen Fernsehens brechen. Was sich entwickelte, war nicht eine kreative Video-Massenbewegung, sondern der (Musik-/Werbe-) Videoclip und der (künstlerische) Beruf des Videokreateurs, der mit diesem Medium als Träger einer neuen Ästhetik und als neuer Vermittler von Lebensgefühl Kunst und Kommerz zusammenführte. Was die Masse betrifft, so gibt es sie (abgesehen von „drehenden Touristen“) nur als Konsument des Videos.

Das Problem ist die conditio humana. Es wollen gar nicht alle Künstler sein. Gottseidank, sagen die Künstler, wo bliebe sonst ihr Publikum. Es wollen auch nicht alle eine neue Identität probieren. Das wäre gefährlich, denn es brächte die Frage mit sich, wer man ist, und, viel schlimmer: warum. Der Mensch aber will sich nicht erkennen, sondern von sich abgelenkt sein. Friedrich Schleiermachers Worte sind heute nicht weniger aktuell als vor zwei Jahrhunderten: „Es scheuen die Menschen, in sich selbst zu sehn, und knechtisch erzittern viele, wenn sie endlich länger nicht der Frage ausweichen können, was sie getan, was sie geworden, wer sie sind. Ängstlich ist ihnen das Geschäft und ungewiß der Ausgang.“38 Selbsterkenntnis birgt viele Fragen. Vor allem eröffnet sie den Blick auf die eigene Endlichkeit. Zerstreuung besitzt einen nicht zu unterschätzenden psychologischen Wert, der interessanterweise gerade in der Entstehungszeit des Buches als Massenmedium wiederholt angesprochen wird. Ludwig Tieck, Zeitgenosse Schleiermachers, läßt den Titelhelden seines Romans „Geschichte des Herrn William Lovell“ 1795/96 in diesem Zusammenhang sagen: „Ist die Welt nicht ein großes Gefängnis, in dem wir alle wie elende Missetäter sitzen, und ängstlich auf unser Todesurteil warten? O wohl den Verworfenen, die bei Karten oder Wein, bei einer Dirne oder einem langweiligen Buche sich und ihr Schicksal vergessen können.“39 Bedauernswert, erfahren wir, wer die Naivität zur Zerstreuung verloren hat – um es mit den Worten Tiecks bzw. einer seiner Figuren zu besiegeln: „alles ist verächtlich, und selbst, daß man die Verächtlichkeit bemerkt.“40 Es kommt im Leben einzig auf die Zerstreuung an. Deswegen hat man auch die Jagd lieber als die Beute, wie Blaise Pascal schon hundert Jahre zuvor feststellte: „Das ist alles, was die Menschen haben erfinden können, um sich glücklich zu machen, und diejenigen, die sich angesichts dessen als Philosophen aufspielen und glauben, die Welt sei sehr wenig vernünftig, wenn man den ganzen Tag damit verbringt, einem Hasen nachzujagen, den man als gekauften nicht haben wollte, kennen unsere Natur nicht gut. Dieser Hase würde uns nicht vor dem Gedanken an den Tod“ bewahren, „die Jagd jedoch bewahrt uns davor.“41 Es ist, wie es ist, und wer anderes erwartet, kennt den Menschen wenig.

Der Gedanke ist nicht neu, sein Terminus technicus lautet horror vacui. Es ist die Angst vor der Selbstreflexion und die Unfähigkeit, mit sich selbst etwas anzufangen, die den Menschen in die Zerstreuung treibt. Auch Günther Anders, der zuvor die entfremdete Arbeit für den horror vacui verantwortlich machte, nennt ihn schließlich ein menschliches Urphänomen und knüpft implizit an Pascal an, wenn er sagt, die Jäger jagten nicht nach der Beute, sondern nach der Chance, jagen zu dürfen: „Nicht nur mit dem Bedürfnis nach Sattsein werden wir geboren, sondern mit dem `zweiten Bedürfnis' nach der Durchführung der Sättigung.“42 Was also passiert, wenn immer effektivere Nahrungsbeschaffung die Durchführung der Sättigung verkürzt und das Problem der freien Zeit zuspitzt – und wenn darüber hinaus Gott als Lösung des Vakuums verlorengegangen ist?

6. Das Glück des Zimmers

Die Angst vor sich selbst ist am Ende immer die Angst vor dem einsamen Zimmer. Nur Einsiedler verschließen sich, auf der Suche nach Gott, in die Zelle. Im allgemeinen gilt Pascals Satz, „daß das ganze Unglück der Menschen aus einem einzigen Umstand herrühre, nämlich, daß sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können“, und daß dies der Grund dafür sei, daß „das Spiel und der Umgang mit Frauen, der Krieg und die hohen Ämter so begehrt sind“.43 Aber nicht alle laufen einem Hasen hinterher, und die Jagd nach einem hohen Amt ist auch nicht jedermanns Sache. Pascals Satz entstand vor der Erfindung der Massenmedien. Seitdem gibt es einen Ausweg: die Zerstreuung im Zimmer. Ein Buch birgt genug Lärm, die Stille eines ganzen Hauses zu vertreiben. Und dieser Lärm ist sogar sozial hilfreich, geradezu moralisch, wie schließlich auch der Lesesuchtdiskurs um 1800 feststellte, wenn es heißt: „Wer will es tadeln, daß ein Mann von seiner Arbeit ermüdet, und nachdem er des Tages Last und Hitze getragen, statt daß Andre seines Gleichen öffentliche Häuser besuchen, und die übrigen Stunden des Tages am Spieltisch oder bey der Flasche tödten, ein Buch zur Hand nimmt, das, wenn es ihn auch nichts weiter lehrt, als was ihm sein eigner gesunder Verstand auch hätte sagen können, ihn dennoch die Beschwerden der Arbeit vergessen macht, und ihn vor Langeweile schützt?“44 Lektüre, sei es auch die „elender und geschmackloser Romane“, ist gut an sich. Sie wird zum Garanten sozialer Ordnung, da sie den Bürger im Zimmer hält. Um asozialen Verhaltensversuchungen widerstehen zu können, so lautet die Schlußfolgerung, muß einer nicht Anhänger der Kantschen Pflichtenethik werden, sondern Leser. Wer liest, sündigt nicht.

Dieser Aussage halten andere entgegen, man lese sich die Sünde erst an, was von der These ausgeht, der Text stimuliere zu bestimmten Handlungen. Aber da sind Zweifel angebracht, denn diese These überschätzt den Einfluß eines Buches und vergißt die Macht des sozialen Kontextes, aus dem heraus der Leser liest. Ein Medium ist nicht mächtiger als sein Umfeld, es wird Tendenzen stärken, aber nicht hervorrufen können. Jaron Lanier bemüht dagegen die Kompensationsthese und markiert einen sozial positiven Effekt der VR darin, daß sie „schlechte Energien absaugt“, wodurch wir „auf der physischen Ebene eine wenn auch noch so kleine Abnahme von Gewalt und Schmerz im Austausch für Ereignisse auf der virtuellen Ebene, die zwar häßlicher sein können, aber keinerlei Folgen nach sich ziehen, weil sie eben virtuell sind.“45 Daß die Ereignisse auf der virtuellen Ebene tatsächlich so folgenlos bleiben, wie Lanier hier unterstellt, muß allerdings ebenfalls bezweifelt werden. Die Frage, wie Medien angeeignet werden, ob der Rezipient wehrlos einer Manipulation aufsitzt oder ob er aktiv und souverän mit dem Angebotenen umgeht, ist bis heute nicht geklärt. Ein in letzter Zeit zum Thema erschienener Band unterstützt die These vom „aktiven Rezipienten“.46 Aber auch die Souveränität des „aktiven Rezipienten“ ist ambivalent, denn je stärker bereits die Primärsozialisation des Menschen von Medien bestimmt ist, um so schwerer wird es, den Medien etwas eigenes, vor ihnen bestehendes entgegenzusetzen. Dennoch wird man sagen dürfen, der Leser will nicht durch einen Text zum Mord animiert werden, er will während der Lektüre seine unterbewußte Mordlust „abführen“, was er mit Cyberspace in einer bisher ungewohnten Realitätsnähe wird tun können. Vor allem aber will ein Rezipient zerstreut sein. Wer viel liest, hat schließlich auch keine Zeit für einen Mord – oder, mit Blick auf Cyberspace: wer in der VR rumballert, kann auf dem Marktplatz niemanden anrempeln.

Die Medialisierung der Welt schützt die Welt – dies wäre also die Konsequenz unter psychologischem Aspekt. Das ganze Glück der Menschen rührt schließlich aus dem einzigen Umstand her, daß sie mit einem Buch ruhig in einem Zimmer bleiben können. Cyberspace wird da völlig neue Möglichkeiten eröffnen. Und genau dieser Möglichkeiten bedarf die Welt dringend, denn das Verbleiben des Menschen im Zimmer ist auch unter ökologischem Aspekt unerläßlich. „Das Leben aus erster Hand ist dabei, die Erde zu ruinieren. Im Leben aus zweiter Hand liegt die Rettung“, heißt es in einem Buch von Wolf Schneider und Christoph Fasel mit dem Titel „Wie man die Welt rettet und sich dabei amüsiert“.47 Ihre Schlußfolgerung: „Die Zukunft gehört dem Stubenhocker“.48 Das klingt nach Ironie, und so ist es auch gemeint. Aber eigenartigerweise überzeugen die Autoren ihren Leser trotzdem von dem, was sie nicht meinen. Denn es gibt ihn ja tatsächlich, den ökologischen Notstand und jenen horror vacui, der nach Zerstreuung schreit, und es stimmt doch, andererseits, daß der Stubenhocker keinen Autofriedhof und kein Ozonloch produziert. Die Ironie unterliegt schließlich ihrem denunzierten Text; ein Zeichen mehr dafür, daß in der Zukunftsdiskussion die alten Verabredungen nicht mehr funktionieren.

Die Hoffnung auf die Technik des Cyberspace ist die Hoffnung auf eine Technik, die die problematischen Folgen der bisherigen Technik in sich aufhebt. Diese Technik wird die Antwort auf den Tourismus und die Mobilitätssucht des modernen Individuums sein, die wir uns angesichts der dadurch verursachten Umweltbelastung nicht auf Dauer leisten können. Die Zerstörungsenergien liegen dabei nicht nur im Verbrauch von Benzin und Kerosin, sondern auch in der Vernichtung dessen, was als Attraktion massenhaft Touristen anzieht, durch die massenhafte Präsenz von Touristen an eben diesen Orten. Die Höhlen von Lascaux wurden deswegen bereits 1963 geschlossen. Rund zehn Jahre später eröffnete man Lascaux II, eine getreue Nachbildung in unmittelbarer Nähe des Originals, und nun pilgert der Tourist nach Lascaux II, ohne sich ob der Immitation und der verlorenen Aura zu stören. Wann man im Museum bereits einer Kopie gegenübersteht, weiß man ohnehin nie so genau. Der Schutz des Originals verlangt nach Imitationen. Die „mediale Simulationsstrategie zur Rettung sämtlicher Sehenswürdigkeiten unserer Welt vor ihrer massentouristischen Zerstörung“ wurde deswegen bereits 1989 in Aussicht gestellt.49 Heute kann es kaum noch Zweifel geben: die Urlaubsreise am Computer wird das Signum der Zukunft sein.

Vom notwendigen Schutz der Sehenswürdigkeiten abgesehen: das Reisen hat sich hinsichtlich der Zeit-Raum-Erfahrung ohnehin schon lange auf den Umzug in den Cyberspace vorbereitet. Die Zunahme der Geschwindigkeit hatte zwar zur Überwindung einer größeren Distanz geführt und damit zur Erkundung neuer Räume, aber sie bedeutete zugleich den Verlust von Raum. Mit zunehmender Geschwindigkeit wird der durchquerte Raum immer weniger wahrgenommen. Während der Wanderer noch die Details des Weges erkennt, benötigt der Reiter einen Großteil seiner Aufmerksamkeit schon für das erhöhte Tempo. Die Kutsche war, wie Johann Gottfried Seume, der überzeugte Spaziergänger, 1805 klarmacht, bereits der Verrat am Reisen: „Man kann niemand mehr fest und rein in's Angesicht sehen, wie man soll“.50 Die weitere Entwicklung der Transportmittel änderte die Qualität des Reisens grundlegend. Tolstoi bemerkte dazu im 19. Jahrhundert: „Die Eisenbahn verhält sich zur Reise wie das Bordell zur Liebe.“ Der durchquerte Raum wird entwertet und existiert schließlich bloß noch als Zeit des Durchquerens.

Mit dem Flugzeug, das in eine andere Tages- und Jahreszeit bringt, verändert aber selbst die Zeit ihr Wesen. Sie markiert nur noch digital Differenzen, ohne Unterschiede analog, als Prozeß der Veränderung, kenntlich zu machen. Zwischen der Winternacht und der Sommermittagshitze gibt es nichts als den Aufenthalt in der ewig sich gleichenden Flugzeugkabine. Die Reise im Cyberspace tilgt, im Modus statischer Mobilität, schließlich auch den Zwischenraum Zeit. Man wird, vor seinem heimischen Computer sitzend, in Lichtgeschwindigkeit die Welt bereisen. Jetzt in Zentralafrika, jetzt in Alaska. Ein Zustand des „rasenden Stillstands“, um mit Paul Virilio zu sprechen. Wem dies eine Horrorvision ist, der denke an die mentale Wandlungsfähigkeit des Menschen; die Eisenbahn ist heute akzeptiertes Reisemittel, die Kutsche verkörpert inzwischen geradezu die Ursprünglichkeit des Reisens. Der Mensch hat mit der Benutzung des Flugzeugs die Angst abgelegt, die Seele könne bei dieser Geschwindigkeit nicht nachkommen, er hat auch die Paradoxien des Telefons überstanden, das einem ermöglicht, dem Liebsten „Ich wünschte, Du wärst hier!“ ins Ohr zu flüstern. Statische Mobilität, abwesende Anwesenheit – man kann sich an vieles gewöhnen.

Und was ist mit der Wirklichkeit?! Die Wirklichkeit ist Information und Wahrnehmung. Das beschränkt sie nicht auf die Mauer, gegen die man mit dem Kopf stößt. Ist etwa die Mauer, die einmal war, nun Fiktion? Auch Vergangenheit ist, als Erinnertes, Wirklichkeit. Und Cäsar, Goethe? Die Wahrnehmung wird nicht erst mit Cyberspace von der physischen Präsenz des Wahrgenommenen getrennt. Sprache ist generell die Anwesenheit des Abwesenden im Wort, sie vermittelt die andere Wirklichkeit im Laut. Die Schrift konserviert diese Vermittlung. Das Telefon war eine weitere Station in der Befreiung des Menschen aus dem „Territorium des Hier-und-jetzt“ – die modernen Technologien sind, als Sprache des Abwesenden, eine Fortsetzung der Schrift: der Computer ist nur das „letzte logische Glied in dieser Kette der Sinnesextensionen“.52 An das Telefon haben wir uns inzwischen gewöhnt. Die wenigsten schrecken vor dieser technischen Erweiterung und Beschränkung der Kommunikation noch zurück wie jene vom Telefon gänzlich verunsicherte Ruth in Margarethe von Trothas Film „Heller Wahn“. Wahrscheinlich werden künftige Generationen ebenso selbstverständlich mit Cyberspace und VR umgehen. Ihnen wird es keine Probleme bereiten, den Tag in ihren Zimmern am Cyberspace zu verbringen. Sie werden nicht über Fiktionen und Realitäten nachdenken, wenn sie in der VR unterwegs sind, mit fremden Menschen in fremden Räumen. Wer weiß das schon, was real ist. Kann man die eigenen Träume und Phantasien etwa als „irreal“ abtun? Gehören sie wirklich nicht zu uns? Und die Phantasien der Nachbarn, der Vorfahren? Die Propheten des Cyberspace diskutieren den Wirklichkeitsbegriff anders als dessen Kritiker. Wenn sie sich dazu Hilfe beim Dichter der „Blauen Blume“ holen, wird es schon schwer, sie als bloße Technikfanatiker zu disqualifizieren: „Wir träumen von Reisen durch das Weltall. Ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht. Nach innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und die Zukunft.“53

7. Himmel und Hölle

„Das Medium, mit dem wir uns zu Tode amüsieren können, ist auch ein unübertreffliches Werkzeug persönlicher Befreiung“, schließt Mathias Bröckers seinen Artikel über „Digital Magic“.54 Dieses Medium kann „nicht nur ungeahnte Reisefreiheiten eröffnen, sondern auch eine Pression beseitigen, die für das tödliche Beschleunigungsrennen der Moderne, welches Paul Virilio diagnostiziert, im Kern verantwortlich ist“ – der Mensch kommt vielleicht „erst zur Ruhe, wenn er sitzen bleiben kann – und gleichzeitig in Lichtgeschwindigkeit unterwegs ist.“55 Stellen wir uns also, unter Verzicht auf jede linkische Ironie, die Zukunft als eine Welt mit vollen Zimmern vor. Die ideale Lösung des ökologischen Problems: kein Autolärm, keine Auspuffgase. Die Straßen werden wieder begehbar; Raum für eine neue Spezies der Fußgänger. Rückkehr des Vogelsangs. Das Paradies auf Erden.

Diese Vision verlangt nach ihrem Aber. Denn in den Zimmern könnte die Hölle los sein. Die Ängste der Kritiker klingen durchaus plausibel. Wie steht es mit der Manipulation im Cyberspace? Werden Cyber-Banditen, Profis der neuen Technologie, sich Millionen von Opfern schaffen? Der Schriftsteller Peter Glaser nennt Cyberspace nicht unbegründet einen Raum, „in dem das Recht des Rechenstärkeren gilt“.56 Die Waffe des Cyberpunks ist das Bit. Ist die angestrebte Direktkoppelung zwischen Computer und menschlichem Gehirn erst einmal gelungen, könnten sich Cyberpunks auf dem umgekehrten Wege direkten Zugriff auf das Denken und Verhalten anderer Menschen verschaffen. Der ferngesteuerte Mensch wäre dann Wirklichkeit; Marionetten an Datenleinen. Und wie entgeht man der Manipulation durch Cyberspace? Warren Robinett erinnert an die Vision der dämonischen Maschine. Das Argument, man könne ja rechtzeitig den Stecker ziehen, beruhigt ihn nicht, „weil eine Maschine, die so intelligent wie ein Mensch ist, auch Möglichkeiten finden wird, ihre Umgebung zu manipulieren. Sie wird Mittel entdecken, ihre Macht auszuüben, und Waffen, um ihre Machtquellen zu schützen.“57

Ein weiteres Problem: im gefahrlosen Erleben riskanter Abenteuer im Cyberspace, wo der Crash mit dem Auto ohne Folgen bleibt, werden überlebenswichtige Relationen von Risiko und Wagnis zerstört. „Das eigentlich Gefährliche“, gibt Peter Glaser zu bedenken, „ist eine Kultur der Gewissenlosigkeit, die mit dem Computer einhergeht. Nichts, so scheint es, kann im digitalen Medium mehr wirklich zerstört, beschädigt oder auf moralisch bedenkliche Weise in Angriff genommen werden, da doch alles simuliert, substituiert, viertuell ist beziehungsweise eben nicht ist.“58 Niemand weiß, wie auf die Möglichkeit scheinbar folgelosen Handelns reagiert werden wird. Niemand weiß, gemäß welchen Normen man sich in der VR verhalten wird. Genügt der freiwillige Ehrenkodex, der heute im Internet angestrebt wird, oder benötigt man im Cyberspace klare Gesetze und eine entsprechende Exekutive, die vor virtuellen Körperverletzungen schützt und gegebenenfalls Beleidigungsklagen entgegennimmt? Ein anderes Problem, das sich bereits heute im Internet abzeichnet, ist die Informationsflut. Die Demokratisierung des Informationstransfers bedingt den Wegfall einer Vorauswahl wichtiger von unwichtigen Informationen. Man sieht sich mehr `Informationsmüll' ausgesetzt, als der traditionelle Briefkasten täglich aufnehmen konnte. Notwendig wird ein Datenschutz als Schutz vor Daten. Auch der künftige Umgang mit der realen Umwelt ist ungewiß. Im Cyberspace gibt es für den Raum kein principium individuationis, alles ist kopier- und speicherbar. Wenn der Raum seine Einzigartigkeit verliert, ist er nicht mehr zerstörbar, muß also auch nicht mehr geschützt werden. Gewinnen dadurch die wirklichen Räume ihre Aura und unsere Sorge zurück oder dürfen sie nun gar nichts mehr vom Menschen erhoffen? Konstruierte Fragestellungen erhellen schlagartig die ganze Problematik des Cyberspace: Welche realen psychischen Folgen hätte zum Beispiel der Mord (erlitten oder ausgeführt) in der VR? Was passiert, wenn man sich im Cyberspace verliebt, das virtuelle Erscheinungsbild aber auf beiden Seiten manipuliert ist? Usw., usf.

8. Die Chance der alten Medien

In all diesen Unwägbarkeiten liegt ein gewaltiger Schatz an Geschichten. Und da das neue Medium sich noch nicht selbst thematisieren kann, wird den `alten' Medien vor der Vertreibung einer ihrer wichtigsten Aufträge erteilt: ihr Nachfolger ist ihr letzter großer Gegenstand. Diesen und alles, was den Menschen als dessen Nutzer betrifft, gilt es, in Buch, Film und Theater darzustellen.

Freilich, es gibt bereits Bücher und Filme über Cyberspace: William Gibsons Neuromancer-Trilogie (1984-88), der Cyberspace-Film „Der Rasenmähmann“ oder „Total Record“ mit Arnold Schwarzenegger. 1995 kam die Verfilmung der frühen Gibson-Geschichte „Johnny Mnemonic“ in die Kinos, gefolgt von Kathryn Bigelows „Strange Days“. Aber all diese Produkte erfüllen kaum die Aufgabe, die hier gestellt ist. Gibsons Texte werden nur den ansprechen, der in der Cyberpunk-Terminologie bereits bewandert ist und Gefallen an poppig schwarzer Romantik findet. Die genannten Filme sind nicht viel mehr als Action-Klamotte in neuartigem technischen Design, denen Seriosität und Ausdauer im Gestalten eines ambivalenten Phänomens mangelt. Man hat den Eindruck, die Drehbuchautoren und Regisseure bedienen sich eines modisch gewordenen Themas, dem sie im Grunde nicht viel Anziehungskraft zutrauen, sondern mit den Zutaten eines üblichen Trillers meinen aufhelfen zu müssen. So gehen vor lauter Sex and Crime die wirklich delikaten Fragen unter. Der interessante Ansatzpunkt in „Strange Days“ ist z. B. die Konsumtion fremder bzw. eigener früherer Erlebnisse per Disketten-Aufzeichnung, was exakt einen wesentlichen Aspekt von Cyberspace anspricht. Es gibt auch den Ansatz der Problematisierung, wenn es in einer Szene heißt, der Mensch sei nicht umsonst zum Vergessen veranlagt. Aber dieser Satz erhält keine Chance, sein ungeheures Gewicht zu entfalten, er geht schnell verloren in der stürmischen Suche nach dem Absender einer Diskette, auf der ein Sexualmord aufgezeichnet ist. Drehbuchautor James Cameron („Terminator“, „Aliens“) hat in erprobter Manier einen Techno-Triller vorgelegt, der über eine Pseudoproblematisierung von Cyberspace (eine Art Alibi für den gewählten Plot) nicht hinausgeht. Dasselbe gilt für „Johnny Mnemonic“, der durch die miserable logische Struktur seinem Publikum zudem ein Höchstmaß an Gutwilligkeit abverlangt, überhaupt bis zum Ende auszuhalten. Solche Werke sind nicht dazu geschaffen, das Interesse des anspruchsvolleren Rezipienten zu wecken. Für das Medium Film gilt, was Hilmar Schmundt hinsichtlich der Cyberpunk-Literatur feststellte: sie ist „konsumierbar wie gedrucktes MTV“, sie „aspiriert nicht auf den Status als Weltliteratur, sondern sie unterhält, und zwar ein großes, zumeist jugendliches Publikum.“59

Cyberspace darf nicht allein Gegenstand der Unterhaltungskultur bleiben. Daß Cyberspace den Status realer Zukunft besitzt, adelt ihn zum Gegenstand auch ernsthafter Schriftsteller und Regisseure. Allmählich wird dies sogar erkannt. So thematisiert Wim Wenders in seinem Film „Bis ans Ende der Welt“ (1991) die Speicherung und nachträgliche Konsumierbarkeit der eigenen Träume. Er führt eindringlich deren möglichen Folgen vor Augen, indem er Menschen zeigt, die ohne Kontakt zum Nachbarn verstreut in der Landschaft hocken, auf Handmonitoren ihre Träume nachvollziehen und somit nur noch mit sich selbst kommunizieren. Auch auf dem Gebiet der ernsthaften Literatur kommt das Thema allmählich zu Ehren. Gert Heidenreich schreibt mit „Die Nacht der Händler“ (1995) eine Art Geheimbundroman des Cyberspace, in dem die „Antimagisten“, um die Kopie der Realität zu verhindern, fotografierende Touristen terrorisieren und schließlich selbst Herrschaft und Weiterleben in der VR anstreben. Der Roman ist als Krimi in Briefform angelegt, in dem es um die Aufdeckung einer großen Verschwörung geht. Er scheint absichtlich die Geschwindigkeit der genannten Action-Filme vermeiden zu wollen und läßt viele Nebensätze zu, in denen der nicht mehr junge Briefeschreiber seine solide Bildung und genaue Beobachtungsgabe ausweisen kann. Dies bekommt dem Roman nur zur Hälfte, denn die Redseligkeit des Erzählers in seinem abgeschiedenen Haus in den Bergen Liguriens scheut auch Banalitäten nicht und führt so zu einer Verschleppung der Handlung, die die Lektüre beträchtlich erschwert. Bei all dem werden die Probleme des Cyberspace (wie die „Second World Desease“ durch einen Longtrip in die VR) eher erwähnt als dargestellt. Erst am Ende bietet der Text einige spannende Konstellationen, wenn z. B. eine Figur, die sich in der VR befindet, von dort ihre eigene Ermordung in der Realität beobachtet und sich daraufhin auch als Figur der VR auflöst oder wenn der Protagonist in der VR in die VR einsteigt oder wenn es um die Löschung eines Programms aus diesem Programm geht, also um das Münchhausen-Problem des Cyberspace, sich am eigenen Schopfe aus dem VR-Sumpf zu ziehen.

Bei aller Unzufriedenheit, die Heidenreichs Roman hinterläßt, er ist immerhin der Versuch, das Thema Cyberspace mit angemessenenem Ernst und Aufwand an gedanklicher Zuwendung zu gestalten. Dies kann vom 26 Jahre jüngeren Norman Ohler (Jahrgang 1970), dem „deutschen William Gibson“60, nicht gesagt werden. Sein Roman „Die Quotenmaschine“ (1996) wird vom Verlag (Hoffmann und Campe) als „Hypertext“, der bereits im Internet vorlag, dort von verschiedenen Usern mitgeschrieben wurde und in willkürlicher Reihenfolge gelesen werden kann, interessant geredet. Was der Leser schließlich in der Hand hält, ist ein im Umfeld von Manhatten angelegter Detektivroman, in dem der scheinbar stumme Detektiv Maxx einen Mord aufklären soll, den er einst selbst, als Ray, begangen hat. Maxx recherchiert am PC ebenso wie sein Freund Paul, der in fremde Informationsnetze einzudringen sucht. Zwischendurch gibt es Liebesgeschichten und Szenen in Bars und überhaupt eine vielstrophige Hymne auf das verrückte New York. Über die Qualität dieses Romans („sprachlich einer der anspruchvollsten Cyberpunktexte“)61 wird man sich streiten. Nichts gegen gewagte, ambitionierte Formulierungen wie „Zara lachte: asphaltig, gerillt“, „Geschmack von blauem Stroh“ oder „Himmel wie geschmiedete Milch“ – auch die konsequente Zusammenschreibung trennbarer Verben und verbaler Wortgruppen („feststellte sie“, „er feuchtträumte“) läßt sich tolerieren, bei entsprechender Angst, schon konservativ geworden zu sein, sogar das „Flirten“ des Pissegeruchs mit fettigem Pizzadunst. Wenn Ohler kluge Sätz durch Kursivdruck markiert („Von deiner Vergangenheit kannst du dich nicht lösen, du kannst nur hinzuaddieren“), wünscht man sich jedoch schon, er hätte vorher sein Rechtschreibprogramm konsultiert, um den populären Fehler des „Hinzu-Addierens“ nicht in die Literatur zu übernehmen. Den sprachlichen Unsicherheiten62 stehen kompositorische Mängel63 zur Seite, so daß der Eindruck entsteht, der „Hochgeschwindigkeitsdichter“64 Ohler habe sich insgesamt nicht eben viel Zeit für sein Buch genommen und sei statt dessen in den Manierismus einer dunklen Sprache geflohen. Das abschließende Raunen vom Weiterschreiben des Textes im Internet und dem Hinaufschrauben der Geschichte „in immer komplexere Höhen“, in „totale Freiheit“ und „Entropie“ hinterläßt um so mehr das Gefühl einer Hochstapelei. Da dieser Roman nicht mittelmäßig, sondern ausgesprochen schlecht ist, werden ihn andere für sehr gut halten; möglich, daß er ein Kultbuch der deutschen Cyberpunk-Szene wird – ein erhellender Beitrag zum Thema VR ist er jedenfalls nicht.

Einen viel bemerkenswerteren Beitrag zum Thema findet man paradoxerweise bei Waleri Jakowlewitsch Brjussow (1873-1924), dem Begründer des russischen Symbolismus. Das Interesse der Symbolisten für die verborgensten Zonen des menschlichen Seins hat Brjussow Themen aufgreifen lassen, die auf Cyberspace vorausweisen. So beschreibt er in der Erzählung „Der Spiegel“ Kampf und Identitätswechsel eines Menschen mit seinem Spiegelbild und so gestaltet er in der Erzählung „Jetzt aber, wo ich erwacht bin“ das `bewußte' Leben eines Menschen im Traum als einer „anderen Wirklichkeit“. Die Welt des Traumes funktioniert dabei wie eine VR, in der der Erzähler über alle ihm bekannten Personen verfügt und sie in seine sadistischen Handlungen einfügen kann.65 Die Pointe besteht darin, daß der Erzähler die beiden Ebenen der Wirklichkeit schließlich nicht mehr zu trennen vermag und ganz real zum Mörder seiner Frau wird. Dieser kurze Text vom Jahrhundertanfang ist deshalb bemerkenswerter als die Cyberspace-Romane am Jahrhundertende, weil er sich auf den psychologischen Aspekt des Problems konzentriert und nicht als eine Art Science Fiction in einer bereits kaputten Welt handelt. Brjussow läßt sich auf die Gefahr der „anderen Wirklichkeit“ ein, der Thrill entsteht hier tatsächlich aus dem Umgang mit der VR, er ist nicht schon vor ihm und unabhängig von diesem vorhanden.

Vielleicht sollte man in dieser Weise auch heute das Thema angehen: aus der Normalität des Jetzt heraus ein Szenarium entwickeln und somit Cyberspace an den Erfahrungsschatz des Publikums anbinden. Statt Cyber-Action brauchen wir Cyber-Dramen. Die Gewalt des neuen Mediums liegt in ihm, nicht außerhalb – seine Problematik besteht nicht nur im aktionsreichen Kampf der Menschen um Informationen und Macht, sie besteht auch im Umgang des Menschen mit sich selbst angesichts dieses Mediums. Welch ein Stoff liegt z. B. allein in der Möglichkeit, sich jeden Wunsch im Cyberspace erfüllen zu können! Im Cyberspace gibt es kein Dort, heißt es in Gibsons Roman „Mona Lisa overdrive“ (1988).66 Klingt dieses Versprechen nicht wie eine Drohung? Wird nicht eine ganz neue Sehnsucht nach dem Unerfüllbaren entstehen, eine Sehnsucht nach der Sehnsucht, die viel verzehrender ist als die alte, weil sie auf die Hoffnung des Zurück setzen muß? Werden also nicht uralte Phänomene wie Erwartung und Erfüllung, Hoffnung und Verzicht ganz neu zu definieren sein? Man wünscht sich, ein Tschechow, ein Thomas Mann oder eben der Dichter der „Blauen Blume“ würden sich dem Thema zuwenden.

Das Themenspektrum könnten die Schriftsteller im übrigen ihrem wissenschaftlichen Überbau entnehmen. Die Literaturwissenschaft hatte sich in den 70er Jahren den Utopien zugewandt und auch Science Fiction als Form der Utopiebildung diskutiert. Heute zielt der Trend auf Gedächtnisforschung und Fremdheitserfahrung. Das sind im Grunde Vorleistungen für das anstehende Thema Cyberspace, das all diese Fragen erneut und aus einer neuen Perspektive stellen wird. Cyberspace bedeutet die technische Produzierbarkeit individueller Utopien und läßt somit nach der Lebbarkeit des Gewünschten fragen. Wie glücklich waren Pygmalion und Midas wirklich? Cyberspace bedeutet zum anderen die verlustfreie Speicherung der Vergangenheit, wodurch diese ihre spezifische Qualität als `sehr gut' bis `gar nicht' erinnerbar verliert. Die Indifferenz, die in der absoluten Verfügbarkeit über das Vergangene liegt, könnte den Tod der Vergangenheit gerade im Moment ihrer technisch erreichten Unsterblichkeit bedeuten. Darüber hinaus ergeben sich aus dieser Möglichkeit Fragen nach dem Verhältnis von Erinnerung und Konservatismus bzw. Glück und Vergessen. Cyberspace intensiviert schließlich die Anverwandlung des Fremden, wobei das Masken- und Rollenspiel die „sensualistische Mimesis“ begünstigt und den kognitiven Zugriff auf das Fremde verdrängt. Das führt zur Frage, ob noch von einem Bewußtsein der Mimesis oder vielmehr schon von gelebter multipler Identität bzw. Identitäslosigkeit zu sprechen sein wird. All diese Fragen sind Fragen der künftigen Literatur- bzw. Kulturwissenschaft. Den Künstlern obliegt es, die in ihrer theoretischen Formulierung recht komplizierten Problemstellungen in die Anschaulichkeit eines Romans oder eines Films zu überführen.

Es wird deutlich, daß das neue Medium die alten noch lange nicht verdrängt. Es fordert sie im Gegenteil heraus, mit ihren Mitteln dessen Möglichkeiten und Gefahren ernsthaft und möglichst unparteiisch zu behandeln. Dabei wird man ums Spekulieren nicht herumkommen, dabei werden Generationsfragen nicht unbeteiligt bleiben, und wahrscheinlich werden auch viel zu schnelle Entweder-Oder-Antworten nicht ausbleiben. Ausschlagen kann man diese Aufgabe jedoch nicht, will man nicht, wie Günther Anders dem „antiquierten Menschen“ bescheinigte, den eigenen Produkten ratlos nachlaufen67. Denn wenn man auch nichts genau weiß, eins ist schon heute abzusehen: auch dieses Medium wird nicht ethischer Bedenken wegen nicht entwickelt werden.

Anmerkungen

1. Mathias Bröckers, Digital Magic, in: Cyberspace. Ausflüge in Virtuelle Realitäten, hg. v. Manfred Waffender, Hamburg 1991, S. 91.

2. Um einige Beispiele herauszugreifen: die Vierteljahresschrift „Ästhetik und Kommunikation“ stellt Nummer 88 (Februar 1995) unter den Titel: „Medien an der Epochenschwelle“; die „Zeitschrift für Kulturaustausch“ stellt Nummer 3 und 4/1995 unter den Titel „Neue Medien und internationale Kulturbeziehungen“; die Vierteljahresschrift „Sprache im technischen Zeitalter“ bietet im Heft 135 (September 1995) die Rubrik „Cyberpunk und Neoromantik“ an; Gerd Hurrle und Franz-Josef Jelich geben den Tagungsband „Vom Buchdruck in den Cyberspace“ (Marburg 1995) heraus, 1994 berichtete der Band „Kultur und Technik im 21. Jahrhundert“ (hg. v. Gert Kaiser, Dirk Matejoski und Jutta Fedrowitz, Frankfurt/M. und New York) von einem Kongreß des Wissenschaftszentrums NRW; Georg Rempeters veröffentlichte 1994 das Buch „Die Technikdroge des 21. Jahrhunderts. Virtuelle Welten im Computer“.

3. Cyberspace (kybernetischer Raum) ist genaugenommen der Oberbegriff für alle Vorgänge, die in einem technischen Raum stattfinden, wozu Telefonschaltungen und Computervernetzungen ebenso gehören wie VR (als die künstliche Realtität in einem technischen Raum). Der in William Gibsons Science-Fiction-Texten erstmals auftauchende Begriff Cyberspace wird im normalen Sprachgebrauch kaum von VR differenziert und von mir im folgenden synonym verwendet.

4. Vgl. Georg Rempeters, Die Technikdroge des 21. Jahrhunderts. Virtuelle Welten im Computer, Frankfurt/M. 1994, S. 51.

5. Das Tracking bezeichnet die Messung der Bewegung des Cybernauten sowie die Transformation dieser Daten in die VR und ist damit die Hintergrundtechnologie des Cyberspace. Dabei geht es vor allem um die Echtzeitübertragung der Daten, ein möglichst großes Arbeitsumfeld, die Kontrolle mehrerer Ziele (Kopf, Hand, mehrere Personen) und um ein anwenderfreundliches Equipment.

6. In der Chirugie verspricht man sich große Erleichterungen durch eine Probeoperation in der den Patientenkörper und seine Konstitution simulierenden VR sowie Vorteile für die reale Operation durch den Einsatz von Videokamera und simultan gesteuerten Mini-Instrumenten im Körper des Patienten (Gallenoperationen werden so z. B. nicht mehr einen 25, sondern nur noch einen 1,5 cm langen Schnitt in der Bauchdecke erfordern). Mit Blick auf Bauprojekte erleichtert die Konstruktion des Entwurfs in der VR, wo er auf seine statischen Qualitäten bzgl. Erdbeben und Stürmen und auf seinen Temperaturhaushalt oder seine Akustik geprüft und noch vor dem ersten Spatenstich durchwandert werden kann, Entscheidungen über das Projekt erheblich und hilft, hohe Korrekturkosten zu vermeiden.

7. Vgl. Der Monitor als Fenster in einen unbegrenzten Raum. H. W. Franke im Gespräch mit Florian Rötzer, in: Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien, hg. v. Florian Rötzer, Frankfurt/M. 1991 S.291f.

8. Johann Adam Bergk, Die Kunst, Bücher zu lesen, Jena 1799, S. 248.

9. Ebd., S. 412.

10. Ebd., S. 86.

11. Es ging dabei nicht nur um das Verbot von „Gespenster, Ritter und Heldenromanen, vorzüglich die, wo Betrüger vorkommen“, wie es die Wiener Zensurbehörde 1800 ausspricht (vgl. Intelligenzblatt der Allgemeinen Literaturzeitung Nr. 39 vom 22. 3. 1800, S. 318). Verschiedene Aufklärer rieten dem „gemeinen Manne“ selbst von der Lektüre „ehrenwerter“ Bücher der Aufklärung (wie Rousseaus „Contrat social“) ab, wenn sie in der Wirkung dieser Literatur den Verlust der „naiven“ sozialen Brauchbarkeit des Lesers innerhalb seines unmittelbaren Kontextes fürchten mußten (vgl. Ulrich Herrmann, Aufklärung und Erziehung. Studien zur Funktion der Erziehung im Konstitutionsprozeß der bürgerlichen Gesellschaft im 18. und frühen 19. Jahrhundert in Deutschland, Weinheim 1993). Zu Zensurbestrebungen innerhalb der Aufklärung selbst vgl.u. a.: Die Philosophie der deutschen Aufklärung. Texte und Darstellung, hg. v. Raffaele Ciafardone, deutsche Bearbeitung von Norbert Hinske und Rainer Specht, Stuttgart 1990 und Bodo Plachta, Dammatur – Toleratur – Admittitur. Studien und Dokumente zur literarischen Zensur im 18. Jahrhundert, Tübingen 1994.

12. Kurt Tucholsky, Verbotene Filme in: Prolog vor dem Film. Nachdenken über ein neues Medium 1909-1914, hg. v. Jörg Schweinitz, Leipzig 1992, S. 219: „Die Filmzensur ist nötig. Weil Kinder eine starke Hand nötig haben. Und weil für eine Schulklasse von Rüpeln der Stock gerade gut genug ist.“

13. So z. B. die Forderung nach „Konzessionierung der Kinotheater“ und „Erhöhung der Altersgrenze“ (Ulrich Rauscher [1884-1930], Kinopublizist, später Ministerial-Beamter und Deutscher Gesandter in Warschau: Die Welt im Film, in: ebd., 195-208, hier: 197).

14. Nach Willy Rath ([1872-1940] Journalist, Bühnenschriftsteller, seit 1918 Drehbuchautor) verschlimmern die „verlogen-sentimentalen Filmpantomimen der Fremde […] das Verschlampen des deutschen Empfindens in den Volksmassen“ und wirken „kräftiglich all dem schönen Bemühen um ästhetische Volks- und Jugend-Erziehung entgegen“ (Emporkömmling Kino [1913], in: ebd., 75-89, hier: 86).

15. Robert Gaupp (1870-1953), Neurologe und Psychiater an der Universität Tübingen, ist der Überzeugung, daß das Kino „in seiner heutigen Form nicht bloß den Geschmack verdirbt und den Wirklichkeitssinn trübt, sondern auch das gesunde Denken und Fühlen unseres Volkes gefährdet, Leib und Seele der Jugend schädigt“ (Die Gefahren des Kino [1912], in: ebd., 64-69, hier: 69).

16. Norbert Bolz, Theorie der neuen Medien, München 1990, S. 67.

17. Vilèm Flusser, Gedächtnisse, in: Philosophien der neuen Technologie, hg. v. ARS ELECTRONICA, Berlin/W 1989, S. 50.

18. Vgl. dazu Georg Rempeters, Die Technikdroge des 21. Jahrhunderts. Virtuelle Welten im Computer, Frankfurt/M. 1994, S. 115-118.

19. Vgl. dazu Erich Schön, Der Verlust der Sinnlichkeit oder Die Verwandlungen des Lesers. Mentalitätswandel um 1800, Stuttgart 1987, hier: S. 163.

20. Vgl. Barry Sanders, Der Verlust der Sprachkultur, Frankfurt/M. 1995 (New York 1994), Umschlagmotto.

21. Vgl. Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. I, Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München 1992 (11956), hier: S. 3.

22. John Perry Barlow, Im Nichts sein, in: Cyberspace. Ausflüge in Virtuelle Realitäten, hg. v. Manfred Waffender, Hamburg 1991, S. 255-273, hier: 268.

23. Jean Baudrillard, Videowelt und fraktales Subjekt. in: Philosophien der neuen Technologien, hg. v. ARS ELECTRONICA, Berlin/W 1989, S. 127.

24. Was heißt „virtuelle Realität“? Ein Interview mit Jaron Lanier, in: Cyberspace. Ausflüge in Virtuelle Realitäten, hg. v. Manfred Waffender, Hamburg 1991, S. 80.

25. Ebd. S. 81.

26. Vgl. Richard Sennett, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt/M. 1986, S. 334ff. und 425.

27. Ebd. S. 393.

28. Vgl. Elisabeth Beck-Gernsheim, Liebe, Ehe, Scheidung, in: Aufbruch in die Neunziger. Ideen, Entwicklungen, Perspektiven der achtziger Jahre, hg. v. Christian W. Thomsen, Köln 1991, S. 42-63.

29. Bernd von den Brincken, Eine andere Art von Welt-Raum, in: Cyberspace. Ausflüge in Virtuelle Realitäten, hg. v. Manfred Waffender, Hamburg 1991, S. 165-177, hier: S. 173.

30. Vgl. Donna Haraway, Manifesto fpr Cyborgs: Science, Technology and Socialist Feminism in the 1980s, in: Socialist Review, Nr. 80 (März 1995), S. 65-107.

31. Was heißt „virtuelle Realität“? Ein Interview mit Jaron Lanier, in: Cyberspace. Ausflüge in Virtuelle Realitäten, hg. v. Manfred Waffender, Hamburg 1991, S. 83.

32. Vgl. Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. I, Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München 1992 (11956), S. 107

33. Ebd. S. 102.

34. Timothey Leary, Die Macht des Individuums durch elektronische Wirklichkeiten erweitern. Ein Gespräch mit Florian Rötzer, in: Cyberspace. Zum medialen Gesamtkunstwerk, hg. v. Florian Rötzer und Peter Weibel, Klaus Boer Verlag 1993, S. 137-139, hier: 138.

35. Was heißt „virtuelle Realität“? Ein Interview mit Jaron Lanier, in: Cyberspace. Ausflüge in Virtuelle Realitäten, hg. v. Manfred Waffender, Hamburg 1991, S. 82.

36. Vgl. Timothey Leary, Die Macht des Individuums durch elektronische Wirklichkeiten erweitern. Ein Gespräch mit Florian Rötzer, in: Cyberspace. Zum medialen Gesamtkunstwerk, hg. v. Florian Rötzer und Peter Weibel, Klaus Boer Verlag 1993, S. 137-139, hier: 139.

37. Warren Robinett, Auf der Suche nach umfassender Erfahrung. Ein Gespräch mit Florian Rötzer, in: Cyberspace. Zum medialen Gesamtkunstwerk, hg. v. Florian Rötzer und Peter Weibel, Klaus Boer Verlag 1993, S. 133-136, hier: 136.

38. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Philosophische Schriften, hg. v. Jan Rachold, Berlin 1984, S. 77.

39. Ludwig Tieck, Schriften, Bd. 7, Berlin 1828, Reprintausgabe Berlin 1966, S. 22. Vgl. Novalis, der im „Ofterdingen“-Roman sogar von der Flucht in die Arbeit als Flucht vor der Selbstreflexion spricht (Novalis, Schriften, hg. v. Paul Kluckhohn und Richard Samuel, Bd. I, Stuttgart 1960, S. 326).

40. Ebd. S. 81.

41. Pascal, Nr. 136/139. Die erste Zahl gibt die Zählung der Lafuma-Ausgabe an, die zweite Zahl die Zählung der Brunschvicgs-Ausgabe. Helvétius, der in seinem posthum veröffentlichten Hauptwerk „Vom Menschen, dessen Geisteskräften und von der Erziehung desselben“ (1773) die Beschäftigung als Vermeidung von Langeweile und Unlustgefühlen nennt, spricht von der Jagd auf einen Vogel.

42. Vgl. Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. I, Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München 1992 (11956), S. 136 und 199.

43. Pascal, Nr. 136/139.

44. Warum liest man Bücher? und was hat man dabey zu beobachten?, in: Bremische Beyträge zur lehrreichen und angenehmen Unterhaltung für denkende Bürger, Bremen, 1/1795, 1-30, hier: 12f.

45. Was heißt „virtuelle Realität“? Ein Interview mit Jaron Lanier, in: Cyberspace. Ausflüge in Virtuelle Realitäten, hg. v. Manfred Waffender, Hamburg 1991, S. 81.

46. Vgl. Medienrezeption als Aneignung. Methoden und Perspektiven Qualitativer Medienforschung, hg. v. Werner Holly und Ulrich Püschel, Opladen 1993.

47. Wolf Schneider, Christoph Fasel, Wie man die Welt rettet und sich dabei amüsiert, Hamburg 1995, S. 14.

48. Ebd.

49. Vgl. Wolfgang Welsch, Ästhetik und Anästhetik, in: ders., Ästhetisches Denken, Stuttgart 1990, S. 20.

50. Vgl. Seumes Vorrede zu „Mein Sommer 1805“, in: Seume, Prosaische und poetische Werke. Tl. 4., Berlin o. J. (1879), S. 8.

51. Zitiert nach: Virilio, Ästhetik des Verschwindens, Berlin 1986 (Paris 1980), S. 116.

52. Peter Weibel, Territorium und Technik, in: Philosophien der neuen Technologie, hg. v. ARS ELECTRONICA, Berlin/W 1989, S.100, 102 und 108.

53. Novalis im Blütenstaubfragment Nr.16 aus dem Jahr 1798, als Motto benutzt in: Cyberspace. Ausflüge in Virtuelle Realitäten, hg. v. Manfred Waffender, Hamburg 1991, S. 5.

54. Mathias Bröcker, Digital Magic, in: Cyberspace. Ausflüge in Virtuelle Realitäten, hg. v. Manfred Waffender, Hamburg 1991, S. 90-97, hier: 97.

55. Ebd.

56. Peter Glaser, Das Innere der Wir-Maschine, in: Cyberspace. Ausflüge in Virtuelle Realitäten, hg. v. Manfred Waffender, Hamburg 1991, S. 303-233, hier: 233.

57. Warren Robinett, Auf der Suche nach umfassender Erfahrung. Ein Gespräch mit Florian Rötzer, in: Cyberspace. Zum medialen Gesamtkunstwerk, hg. v. Florian Rötzer und Peter Weibel, Klaus Boer Verlag 1993, S. 133-136, hier: 135.

58. Peter Glaser, Das Innere der Wir-Maschine, in: Cyberspace. Ausflüge in Virtuelle Realitäten, hg. v. Manfred Waffender, Hamburg 1991, S. 303-233, hier: 232.

59. Hilmar Schmundt, Modems, Mythen, Neuromantik, in: Sprache im technischen Zeitalter, Nr. 135 (September 1995), S. 281-293, hier: S. 284 und 292.

60. Roland Koberg im „Zeitmagazin“ vom 16. 2. 1996, S. 8.

61. Hilmar Schmundt, Modems, Mythen, Neuromantik, in: Sprache im technischen Zeitalter, Nr. 135 (September 1995), S. 281-293, hier: S. 290.

62. Diese bestehen in logischen Fehlern („Trinkgelder können in Form von Geschichten erzählt [?!] bzw. in Form von Schweigen bezahlt werden“) und in erschreckend uneleganten Formulierungen, die die Lektüre zur Tortur machen („Blickte in ein Bewußtsein, das aus Gründen, die sie nicht genau verstand, nicht umgehen konnte mit der Situation, die sie durch ihr plötzliches Auftreten geschaffen hatte“).

63. Das betrifft den gesamten Text und zeigt sich mitunter sogar im willkürlichen Wechsel der Erzählperspektive innerhalb eines Satzes: „Kippler sieht: Ray: sieht: daß Ray die Lippen in normalem Tempo bewegt, die Waffe liegt ruhig in seiner Hand, deutet auf mein [d.i. Kippler] Gesicht, was heißt/Fang an zu laufen!“

64. So Roland Kobergs Titel im „Zeitmagazin“ vom 16. 2. 1996, S. 8.

65. Manche Sätze über jene Traumwelt könnten heute unverändert auf Cyberspace angewandt werden: „Du bist frei! Begreife, daß deine Handlungen nur für dich selbst existieren, und du wirst dich freiwillig deinen eigenen, aus der dunklen Tiefe deines Willens aufsteigendenn Trieben hingeben. – In solchen Augenblicken hatte ich niemals das Verlangen, irgendeine gute Tat auszuführen. Im Gegenteil,, wissend, daß ich bis zu den letzten Grenzen völlig unbestraft bleiben würde, beeilte ich mich, irgend etwas Wildes, Böses und Sündiges zu tun“ (Brjussow, Jetzt aber, wo ich erwacht bin, in: Jenseits des Meirur. Erzählungen des russischen Symbolismus, hg. v. Christa Ebert, Leipzig 1981, S. 26-34, hier: S. 27).

66. William Gibson, Mona Lisa overdrive, München 1992, S. 60.

67. Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. I, Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München 1992 (11956), S. 15f.

Über Simanowski Roberto 8 Artikel
Prof. Dr. Roberto Simanowski hatte 2002 eine Hochschuldozentur für Medienwissenschaft und Kulturtheorie digitaler Medien am Institut für Medienwissenschaft der FSU Jena inne. Seit 2003 ist er Assistant Professor am Department of German Studies, Brown University, Providence, RI, USA.

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