Das kosmopolitische Europa vom Fin du Siècle: Wagner und Fortuny in Venedig

Inmitten der Vorbereitungen zu Wagners 200. Geburtstagin diesem Jahrkann man gewiss ohne Übertreibung behaupten, dass Venedig eine Vorreiterrolle einnimmt.
In dem nach dem verheerenden Brand vom Jahre 1996 wieder aus der Asche auferstandenen Teatro La Fenice wurde der sächsische Komponist gemeinsam mit dem im gleichen Jahr geborenen Giuseppe Verdi bereits im vergangenen November mit einer Tristan und Isolde– Erstaufführungbedacht, die der Koreaner Myung-Whung Chung zwei Tage nach Verdis Otello dirigierte. Parallel zur Inszenierung, die sich Wagners Vorstellung eines „unsichtbaren Theaters“ viel mehr näherte als den meisten in seinem Herkunftsland, wird in den Sale Apollininee im Piano Nobile des Musiktempels eine Ausstellung gezeigt, die die Geschichte der Oper und ihrer Aufführungen in Venedig rekonstruiert und mit einer Fülle von Informationen neu aufrollt.
Höhepunkt der Wagner-Feierlichkeiten, die das ganze Jahr 2013 begleiten werden, ist aber eine spektakuläre Schau, die in der aparten, faszinationsreichen Atmosphäre von Palazzo Fortuny einen ideellen Rahmen gefunden hat. Analysiert wird darin der Einfluss, den Richard Wagner und das Phänomen des„Wagnerismus“ – sowohl in ikonografischer als auch in ästhetischer Hinsicht – auf die bildenden Künste um die Jahrhundertwende ausübten. In den 1860er Jahren mit Michael Echtner und Anselm Feuerbach in München entstanden, hatte sich der Trend zu einer Malerei, die inden mythischen Gestalten und Atmosphären von Wagners Dramen ihre Inspirationsquelle fand, kurz danach mit Hans Markart in ganz Deutschland und mit Henry Fantinin Frankreich ausgebreitet. Dort avancierte die neue Kunstrichtung in der Schwebe zwischen Spätnaturalismus, Symbolismus und Liberty – auch dank des Engagements der berühmten Pariser „Revue Wagneriènne – zur kulturellen Mode, die dazu beitrug, Wagners Vermächtnis als „philosophische Offenbarung“ europaweit salonfähig zu machen.
In der Schau auf drei Ebenen des behutsam restaurierten gotischen Palastes am Campo San Beneto wird zum ersten Mal die Rolle sichtbar, die dessen Hausherrn, dem Venezianer katalanischer Herkunft Mariano Fortuny (1871-1949) auf dem Gebiet des Wagnerismus zukam: die Rolle nämlich eines absoluten Protagonisten.
Für den in Grenada geborene Multitalent, der sich seit 1889 in Venedig niedergelassen hatte, galt Wagner als einer der wichtigsten Impulsgebern für sein eigenes künstlerisches Schaffen, das sich selbst heute noch wie ein „Gesamtkunstwerk“ erleben lässt. Der sonst eher bei einer breiteren Öffentlichkeit für die kostbaren, von ihm entworfenen Stoffe und Kostüme sowie für die sagenumwobenen Lampen, die seinen Namen tragen, bekannte Designer ante litteram war an erster Stelle ein begnadeter bildender Künstler, der aus einer berühmten spanischen Malerfamilie stammte und seine Ausbildung in Paris absolviert hatte. Unter Wagners Einfluss und ganz im Geiste des Komponisten, der wie er selbst eine innige Beziehung zur Lagunenstadt pflegte, in der er lange lebte und starb, entfaltete Fortuny im Laufe der Jahre ein vielseitiges Aktivitätenspektrum als Maler und Graphiker und gleichzeitig als Bühnenbilder und Erfinder.
Fortunys Arbeit verwirklichte sich in einem Balanceakt zwischen Modernität – sprich technischem Fortschritt – und Verinnerlichung der Erfahrungen der Vergangenheit, insbesondere jener Schönheitsideale der Renaissance, denen der aristokratische Künstler stets die Treue hielt.
Ideale, für die sich diese außergewöhnliche Künstlerpersönlichkeit jenseits aller Konventionen Zeit seines Lebens – und auch dank seines großen Vermögens – konsequent und kompromisslos einsetzte.
Ans Licht gebracht wird in der Ausstellung Fortunys gesamter Wagner-Zyklus bestehend aus 46 Gemälden und zahlreichen Stichen, die sich alle im Besitz des nun zur Stadt Venedigs gehörenden Museums befinden und zum Teil aus diesem Anlass restauriert wurden. Die Palette reicht von den Temperas auf Papier vom Ring des Nibelungen und der Meistersinger von Nürnberg bis hin zu den Gouachen, Temperas und Radierungen, die der Meister zu dem umfangreichsten Zyklus Parsifal schuf. Zu diesem Komplex gehört ein Werk, das Fortunys Verbindung zur Münchner Kunstszene eindeutig belegt: das 1896 bei der VII. Großen Kunstausstellung unter Franz von Lenbachs Vorsitz im Glaspalast präsentierte und mit einer Goldmedaille ausgezeichnete Bild „Fanciulle-Fiore“.
Nach München zurück führt auch ein in seiner Feinheit bestechendes Portrait von König Ludwig II., dem Wagner alles zu verdanken hat. Es gesellt sich zu einer Reihe von Radierungen und Fotos-u.a. von Wagner – des baskischen Malers, Kupferstechers und Bildhauers Rogelio de Egusquiza, den Fortuny seit seiner Pariser Studienzeit kannte und mit Wagner befreundet war. Egusquiza, zudem ein Freund und Bewunderer von Fortunys Vater, übertrug dem noch Neunzehnjährigen seine Leidenschaft für Wagners Musik und ebnete ihm den Weg nach Bayreuth, wo er sich erstmalig 1891 begab. Dieser Reise, der weitere in späteren Jahren folgten, markierte Fortunys Abkehr vom formalen, dekorativen, „flamboyanten“ Akademismus seiner frühen Malerei und die Hinwendung zum Symbolismus, der sich in seinem stilistisch nicht leicht definierbaren Werk mit Jugenstil- und Neo-Renaissance-Elementen vermischt. In Bayreuth werden auch die Keime für seine erfolgreiche Laufbahn als Bühnenbilder gesetzt, die ihn zum geschätzten Mitarbeiter führender Theater aufsteigen ließ. Seine Idee, eines „Malens auf der Bühne wie mit der Farbenpalette„ fließt in seinen Entwürfen für das Bayreuther Wagner Theater ein. Ein mit Unterstützung der Venice International Foundation vor kurzem restauriertes Modell legt Zeugnis davon ab, sowie auch eine Reihe von Skizzen, die seine innovative Bühnenbeleuchtung, auch „Illuminotecnica“ genannt, verdeutlichen.
Mit Wagner wird sich Fortuny lebenslänglich beschäftigen.In seinen phantasievollen Gemälden führte er – wie Ausstellungskurator Paolo Bolpagni in seiner einleuchtenden Einführung zum umfangreichen, reich bebilderten 216seitigen Katalog schreibt – „mediterrane Solarität und Sinnlichkeit in Wagners wutentbrannte und düstere Inspiration“ ein.
Als Hauptvertreter des Wagnerismus in Italien und möglicherweise in ganz Europa wird er noch ein Jahr vor seinem Tod von der Mailänder Scala angefragt, Bühnenbilder für die 1950 geplante Neuinszenierung des Ring des Nibelungen unter Kurt Furtwängler zu realisieren: Eine Anerkennung seiner Verdienste, die wie ein überfälliges Tribut klingt. An eine Aufführung an der Mailänder Scala von 1900 erinnert allerdings ein Kostümentwurf aus der Zeichenmappe des Meisters sowie ein Modell vom I. Akt von Tristan und Isolde.
Gezeigt werden Fortunys Werke in der von Museums-Direktorin Daniela Ferretti meisterhaft gestalteten Schau in einer Art Gegenüberstellung zujenen anderer italienischen Künstler der Zeit, darunter Balestrieri, Previati, Wildt, Cambellotti, Marussig und Teodoro Wolf-Ferrari.Ergänzt wird die Schau durch beachtliche Positionen zeitgenössischer internationaler Künstler wie Brossa, Kiefer, Tàpies und Bill Viola, die Wagners Niederschlag auf die gegenwärtige Kunst exemplifizieren sollen. Die Ausstellung inmitten der opulenten Originaleinrichtung des Künstlerateliers macht ersichtlich, wie das kulturelle Europa rund um das Fin du Siècle eine in sich geschlossen Einheit bildete, in deren Innern Ideen und Einflüsse freien Lauf hatten und sich gegenseitig befruchteten, was – spätestens mit Ausbruch des I. Weltkriegs – nicht mehr möglich sein wird. Ein offenes, kreatives, kosmopolitisches Europa der sich verkürzenden Kommunikationswege, das man sich heute mehr denn je als Vorbild nehmen sollte.

Palazzo Fortuny – Campo San Beneto – Venedig bis zum 8. April 2013

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Dr. Anna Zanco-Prestel, hat Literaturwissenschaften (Deutsch, Französisch und Italienisch) und Kunstgeschichte in Venedig, Heidelberg und München studiert. Publizistin und Herausgeberin mit Schwerpunkt Exilforschung. U.d. Publikationen: Erika Mann, Briefe und Antworten 1922 – 69 (Ellermann/DTV/Mondadori). Seit 1990 auch als Kulturkoordinatorin tätig und ab 2000 Vorsitzende des von ihr in München gegründeten Kulturvereins Pro Arte e.V.

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