Das Land, wo der Pfeffer wächst

Da, wo der Pfeffer wächst ist ein Ort, von dem zwar jeder spricht, aber dann doch niemand weiß, wo er eigentlich liegt. Wenn man jemanden also dahin schicken möchte, spielt man ganz einfach auf diese „Ferne“ an, in die man einen ungeliebten Zeitgenossen manchmal wünscht. Pfeffer wird nämlich hauptsächlich in Indien, Brasilien, Indonesien und Malaysia angebaut. Seine Wildform allerdings, so deutet es sich zumindest an, stammt offensichtlich aus einem Land, in dem auch heute noch in jedem Garten Pfeffer für den Eigenbedarf angebaut wird: Burma, dem heutigen Myanmar.
Alice Schwarzer und die Fotografin Bettina Flitner bereisten von 2000 bis 2012 sechs Mal diesen lange Zeit isolierten, von den britischen Kolonialherren geschmiedeten Vielvölkerstaat, der einst als das reichste Land Asien galt und heute weder über ein Gesundheits-, ein Bildungs-, ein Rechtssystem und eine funktionierende Wirtschaft verfügt. Über hundert Ethnien leben in der so verwunschenen Region zwischen China und Indien, und es ist nicht sicher, wie es nach der völlig überraschten Öffnung in ein paar Jahren aussehen wird. Medienpräsent ist es mittlerweile geworden, nicht zuletzt durch den Teilsieg der „Nationalen Liga für Demokratie“ und deren Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die „Lady“, wie die Tochter des revolutionären Staatsgründers General Aung San und Witwe eines Engländers vom Volk genannt wird. Sie gilt als Symbol der Hoffnung in dem von einer postsozialistischen Militärdiktatur bevormundeten Land. Doch die Öffnung birgt neben den vielen Chancen zugleich Gefahren „für das bisher relativ unberührte Land und seine entsprechend ahnungslose Bevölkerung“, wie Alice Schwarzer treffend feststellt.
„Reisen in Burma“ ist eine Ode an dessen äußerst liebenswürdigen Bewohner, ihre Kultur und die überwältigenden Landschaften sowie einen allgegenwärtigen Buddhismus. Beide Frauen sind durch die mittelalterlichen Markhallen von Yangon gestreift, haben mit den Burmesen barfuß bei Sonnenuntergang die unvergleichliche Shwedagon umrundet, „die Tausend-Pagoden-Felsen von Bagan durchwandert und unter dem mächtigen Eulen-Baum am Ayerwaddy lauwarmes Myanmar-Bier getrunken. Sie riskierten auf den staubigen Straßen Mandalay in Fahrrad-Rikschas ihr Leben und sahen den Goldbeatern beim Schlagen der Goldplättchen zu, die im ganzen Land als Zeichen der Ehrerbietung meterdick die Buddhas bedecken. „Wir sind vom nördlichen Bhamo aus mit dem öffentlichen Verkehrsboot unter Hunderten von Burmesen und Reissäcken den Ayerwaddy hinuntergeglitten und haben gestaunt, wie gut ein Curry mit frischem Fisch aus dem Fluss und so einer verdreckten Bordküche schmecken kann.“ Schwarzer und Flitner sind mit einem ehemaligen Rebellenführer in den verbotenen Süden des Inle-Sees gefahren, haben „nachts die Hyänen heulen hören und am Tag biblische Szenen unter Palmen bestaunt.“
Von all diesen wunderbaren Eindrücken schreibt Alice Schwarzer in sechs kurzen Reiseberichten. Doch das Buch wirkt vor allem durch die eindrücklichen Aufnahmen von Bettina Flitner. Es sind weniger ihre verwunschen-märchenhaften Landschaftsaufnahmen, sondern größtenteils die Menschen, die vor ihrer Linse auf Resonanz stoßen. Alltagsszenen auf einem Markt, Fischer beim Einholen ihrer Netze oder eine religiöse Zeremonie in einem Tempel, stehen neben größeren und kleineren Porträtaufnahmen von zumeist jungen und alten Frauen sowie Kindern in ihrer traditionellen Sandelholz-Bemalung. Auf einer Seite stolziert eine ältere Burmesin hocherhobenen Hauptes durch einen Markt, auf dem Kopf trägt sie einen Krautkopf. Auf einer anderen flickt eine junge Frau alte Plastiksäcke. Stolz präsentiert sich ein paar Seiten weiter eine Nonne im rosa Gewand mit einem papiernen Sonnenschirm.

Nach der Lektüre dieses wunderbaren Buches schließt man sich unweigerlich den von Alice Schwarzer geäußerten Wunsch an: Möge „die sanfte Öffnung [dieses Landes] gelingen und ein behutsamer Übergang vom Militärregime zur Demokratie westlichen Stils oder vielleicht sogar ein dritter Weg gangbar sein – dann wäre das nicht nur gut für Burma, sondern gut für alle, die dieses Land lieben gelernt haben. So wie wir.“

Alice Schwarzer, Bettina Flitner
Reisen in Burma
Dumont Verlag, (Juni 2012)
160 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 383219424X
ISBN-13: 978-3832194246
Preis: 34,95 EURO

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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