Das Narrativ und der Tod

Foto: Stefan Groß

Narrative sind Meinungen, die in Geschichten eingebunden sind und als Fakten gehandelt werden. Narrative, die nicht auf Fakten basieren, sind postfaktische subjektive Betrachtungen und entziehen sich somit der objektiven Beurteilung und der Wahrheit. Narrative können in wenigen Fällen der Realität entsprechen, womit die Unterscheidung zwischen Meinung und Fakt erschwert wird. Die Verbreitung von Narrativen birgt Gefahren. Die folgenden Narrative sind für den grausamen Tod vieler, auch unschuldiger Menschen verantwortlich.

Es heißt, so ein Narrativ, dass im Kampf um Aleppo Krankenhäuser bombardiert werden. Das Narrativ darf ja der Realität entsprechen. Bei Narrativen spielt jedoch der Wahrheitsgehalt keine Rolle, so zynisch es auch klingen mag. Im Fall Aleppo gäbe es zwei objektive Quellen, die nicht anwendbar sind: Allah und Jürgen Todenhöfer. Denn der Erste schweigt, während sich seine Anhänger gegenseitig massakrieren, und der Zweite verbreitet nur solche Narrative, für die er entlohnt wird. Wir werden uns deshalb mit den Narrativen der aktiv und passiv Handelnden beschäftigen.

Die Bewohner der zu vernichtenden Stadt klagen in ihrem Narrativ diesyrische und die russische Luftwaffe an, die ihre Krankenhäuser von oben aus zerstören. Unzählige Patienten, Ärzte und vor allem Kinder sterben. Dieses Narrativ aus Aleppo soll der Welt beweisen, dass Assad und Putin Kriegsverbrecher sind. Wie träge die Welt reagiert, ist bekannt und braucht nicht weiter erläutert zu werden. Das Narrativ schlägt erwartungsgemäß in der zivilisierten Welt nicht an.

Warum erwartungsgemäß? Weil es in den letzten 100 Jahren ausreichend Massenmorde an Unschuldigen gegeben hat, die die Menschheit nicht bewegt hat.

Die Russen widersprechen dem Aleppo-Narrativ. Sie behaupten, dass ihre Luftwaffe keine Krankenhäuser angreift. Somit steht Narrativ gegen Narrativ und jedem steht es frei, das ihm genehme anzunehmen. Wir könnten nun zur Tagesordnung schreiten. Denn auf dieselbe Weise ist es Selbstmordattentätern gelungen, als verehrungswürdige Märtyrer zu sterben. Und auf dieselbe Weise hat sich die Welt gerne überzeugen lassen, dass der Jüdische Tempel in Jerusalem zur Zeit Jesus ein muslimisches Heiligtum gewesen ist.

Es besteht die Möglichkeit, dass nur die Bewohner Aleppos lügen und die Russen hingegen die Wahrheit sagen. Nicht unwahrscheinlich, dass alle Krankenhausärzte von Aleppo nach Deutschland ausgewandert sind, da die deutsche Willkommenskultur nach syrischen Ärzten lechzt. Diese Peinlichkeit löst sich durch ein postfaktisches russisch-syrisches Bombardement aus der Luft in Luft auf.

Doch es besteht auch die Möglichkeit, dass die Bewohner Aleppos die Wahrheit sagen und die Russen lügen. Warum die Russen in diesem Fall lügen, liegt auf der Hand: Sie wollen keine Kriegsverbrecher sein. Doch warum zerstören die Russen dann Krankenhäuser?

Antwort: Um die in Aleppo ausharrende Bevölkerung zu demoralisieren und zur Aufgabe der Stadt zu bewegen! Ob das mit den Bombardements gelingt, ist äußerst fraglich. Doch es geht nicht um Putins beabsichtigte Konsequenzen. Eine weitere, nicht weniger logische Antwort wäre, dass die Russen nicht befürchten, als Kriegsverbrecher angeklagt zu werden. Um diese Antwort und These zu verstehen, sollte man im Denken der Welt über den Nahen Osten bewandt sein. Hier ist postfaktisch jeder ein ausgewiesener Experte.

Der letzte richtige Gazakrieg zwischen Israel und dem Palästinensischen Teilstaat findet vor mehr als zwei Jahren statt. Die weltweit offizielle Terrororganisation Hamas, die dort über ihre Araber nach einer einzigen demokratischen Wahl „regiert“,klagt in ihrem Narrativ die Juden bei der Welt an, die Krankenhäuser in Gaza zu beschießen. Da die Hamas den Zement benötigt, um unterirdische Tunnels nach Israel zu stabilisieren, um Juden Israels zu überfallen, zu verschleppen oder zu morden, bleibt kein Zement übrig, um Schutzräume gegen Bomben für die eigene arabische Zivilbevölkerung zu bauen. Deshalb begeben sich in einem Kriegsfall mit Israel die nicht privilegierten Bewohner des Gazastreifens in die Obhut von Krankenhäusern, da sie davon ausgehen, dass die Juden Israels im Gegensatz zu Syrischen Muslimen und Russen keine Krankenhäuser angreifen.

Dummerweise glauben genau dies auch die vom Gazastreifenvolk gewählten Terroristen. Sie verschanzen sich in Krankenhäusern und beschießen von dort aus Israel und seine Verteidigungsarmee, was zum jüdischen Narrativ wird. (Es sei erinnert, dass Narrative, wenn auch selten, auf Fakten beruhen dürfen!) Die israelische Gegenreaktion ist vorhersehbar und kein Kriegsverbrechen! Das Kriegsverbrechen liegt offiziell auf Seiten der Hamas, doch darum geht es im Hammas-Narrativ nicht.

Die Welt und die UNO freuen sich über den Beschuss des arabischen Gazastreifen-Krankenhauses, da sie nun endlich den Juden das langersehnte Kriegsverbrechen unterschieben können. Mit großem Getöse wird ein israelkritischer jüdischer Richter aufgetrieben, der den Judenstaat erwartungsgemäß * verurteilt. Die USA verhindern Schlimmeres. Bei einer Revision des Verfahrens kommt die Wahrheit des jüdischen Narrativs ans Licht und Israel wird freigesprochen. Die Hamas wird verwarnt. Doch nach so langer Zeit nach so einem unbedeutenden Krieg interessiert sich niemand mehr dafür. Das Terroristen-Narrativ der Hamas setzt sich im Weltgedächtnis fest, dass Israel ein Krankenhaus beschossen hat und somit Juden Kriegsverbrecher sind.

* Warum Juden seit mehr als 2.000 Jahren gehasst werden, ist Inhalt eines weit komplizierteren Narrativs.

Putin und seine Russen lieben das Hamas-Narrativ. Dialektisch mit einem Schuss jüdischer Chuzpe kommen sie zu folgendem Schluss:

Wenn entsprechend dem glaubhaften Hamas-Narrativ die von aller Welt verhassten Juden straflos ein Kriegsverbrechen in Form einer Krankenhausbeschießung begehen dürfen, warum werden die von aller Welt geliebten Russen für das gleiche Verbrechen bestraft? Selbst Assad erwartet aus demselben Grund einen Freispruch. Denn nicht nur die Russen sind in Deutschland bei Pegida, AfD und den Linken gleichermaßen beliebt, sondern auch die Syrer, die mit Willkommensgeschenken von den Deutschen überhäuft werden!

Und so werden wegen den palästinensischen Narrativen alle Krankenhäuser in Aleppo zerstört – oder auch nicht. Je nach Narrativ.

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Über Nathan Warszawski 535 Artikel
Dr. Nathan Warszawski (geboren 1953) studierte Humanmedizin, Mathematik und Philosophie in Würzburg. Er arbeitet als Onkologe (Strahlentherapeut), gelegentlicher Schriftsteller und ehrenamtlicher jüdischer Vorsitzender der Christlich-Jüdischen Gesellschaft zu Aachen.

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