Das Outing von Thomas Hitzlsperger und Homophobie im männlichen Profifußball – Ein Kommentar

Vor einigen Tagen hat sich der ehemalige Bundesligaprofi und Nationalspieler Thomas Hitzlsperger in einem Interview mit der ZEIT als homosexuell geoutet. Er wolle „die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern voranbringen.“ und jungen Profifußballern Mut machen, da sie an „meinem Beispiel sehen“ können, „dass man sowohl homosexuell als auch erfolgreicher Profifußballer sein kann.“[1] Erst nach dem Ende seiner Karriere sei für ihn „der richtige Zeitpunkt“ des Outings gekommen. Damit wolle er auch einen Monat vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi ein Zeichen setzen, wo „homosexuelle Propaganda“ ein Straftatbestand darstellt. Schon vor einiger Zeit erklärte Russlands Präsident Putin, dass sich die Teilnehmer_innen der Olympischen Winterspiele an das nationale Anti-Homosexuellen-Gesetz halten müssen, was in einigen Ländern wie den USA, der BRD und Frankreich zu heftigen Protesten geführt hatte.
Die Verlautbarung von Hitzlsperger zu seiner Homosexualität ist seit Tagen ein bestimmendes Thema in den hegemonialen Medien sowie in der Politik. Die Abweichung von der heterosexuellen Norm wurde vor allem im Boulevard zum Spektakel auserkoren, was in der ereignisarmen Zeit zu hohen Verkaufszahlen führen soll und wahrscheinlich auch geführt hat. Der facettenreiche Mensch Thomas Hitzlsperger wurde auf seine Homosexualität reduziert, das „Andere“ abseits der Norm. Berichte über den Familienmenschen Hitzlsperger, den Autofahrer Hitzlsperger, den Fleischesser Hitzlsperger oder den Urlauber Hitzlsperger bergen keine Sensation, kein Spektakel und damit auch keine Verkaufserlöse.
Der Mut, sich in der Öffentlichkeit als erster bekannter Profi zu seiner Homosexualität geäußert zu haben, stieß in der Regel auf Akzeptanz und Respekt. Bundeskanzlerin Merkel, der britische Premier Cameron, DFB-Präsident Niersbach sowie noch aktive Fußballprofis wie Lukas Podolski äußerten sich positiv und verbanden damit die Hoffnung, dass ein Outing anderer Profis nun erleichtert würde.
Im Gegensatz zum männlichen Profibereich ist die Akzeptanz von Homosexualität im Frauenfußball schon wesentlich weiter fortgeschritten. Die Direktorin des DFB, Steffi Jones, tritt in der Öffentlichkeit mit ihrer Freundin Nicole auf. Die aktuelle Torhüterin der Nationalmannschaft, Nadine Angerer, macht aus ihrer Bisexualität keinen Hehl. Ursula Holl, frühere Torhüterin in der Nationalmannschaft, und andere bekannte Sportlerinnen haben sich schon vor langer Zeit geoutet, was zu einer Normalität im Umgang mit dem Thema vor allem in den Medien geführt hat.
In anderen Sportarten abseits des Männlichkeitskultes im Fußball ist die Homo-, Bi- oder Transsexualität eines Sportlers oder einer Sportlerin eher eine Randnotiz. Bekannte Beispiele sind die Tennisspielerin Martina Navratilova, der Eiskunst-Olympiasieger Brian Boitano oder der Turmspringer Thomas Daley.
In den Fanprojekten von Teams aus den ersten drei Fußballligen in der BRD wurde das Thema Homo-, Bi- oder Transsexualität oder Homophobie erst in den letzten Jahren zu einem Thema. Es gibt mehr als 20 Fanclubs in der BRD, die auch durch Öffentlichkeitsarbeit für Akzeptanz und Toleranz werben.[2] Eine Beschäftigung mit dem Thema Homophobie entwickelte sich beim DFB auch erst in den letzten Jahren. Am 17. Juli 2013 gab der DFB gemeinsam mit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld die „Berliner Erklärung“ mit dem Motto „Gemeinsam gegen Homophobie. Für Vielfalt, Respekt und Akzeptanz im Sport“ heraus. Ob dies eine einmalige mündliche Erklärung sein wird oder ob Projekte mit Vorbildcharakter folgen werden, bleibt offen.
Dass Homophobie im männlichen Spitzenfußball (noch) als stark verankert gesehen werden muss, kann durch viele Beispiele belegt werden, die in der Öffentlichkeit bekannt wurden. Dies stellt wahrscheinlich nur die Spitze des Eisberges dar, die Dunkelziffer wird um ein Vielfaches höher sein. Lothar Matthäus behauptete 1996, dass „Schwule und Lesben problemlos an Äußerlichkeiten erkennbar“ seien. Christoph Daum brachte Ende Mai 2008 Homosexualität und Pädophilie in einen Zusammenhang. Der Kaiserslauterner Stürmer Mohamadou Idrissou sagte Ende April 2013 einem Schiedsrichter, der sich über dessen Körpersprache mokierte: „Ich bin nicht schwul. Ich habe eine Männer-Körpersprache und werde auch kein Schwuler sein. Das ist sein Problem.“ Auch international gibt es zahlreiche Beispiele von Homophobie, oft auch im Zusammenhang mit rassistischen Äußerungen. Anhänger_innen des russischen Spitzenklubs Zenit Sankt Petersburg veröffentlichten im Dezember 2012 eine Erklärung mit der Forderung, keine dunkelhäutigen, homosexuellen oder nichteuropäischen Spieler zu verpflichten oder spielen zu lassen.
Die jetzige Diskussion um Homosexualität im Fußball kann nicht ohne die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geführt werden. Heterosexualität wird immer noch als Norm begriffen; die Homosexualität einer Person wird häufig als Abweichung von den als geschlechtstypisch geltenden Verhaltens- und Ausdrucksweisen bestimmt. Die Heteronormativität handelt andere sexuellen Orientierungen als Randerscheinung ab.[3] Homophobie reicht von Vorurteilen und Bejahung von individuellen, institutionellen und staatlichen Diskriminierungspraktiken bis hin zu körperlicher Gewalt oder Mord. Die staatliche Homophobie ist besonders in einigen islamischen Ländern ausgeprägt, wo Homosexualität unter Männern mit dem Tode bestraft wird.
Es gab sogar bis 1969 im postfaschistischen Deutschland mit dem § 175 des Strafgesetzbuchs ein Sonderstrafgesetz, das sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte. In der BRD gibt es Homophobie in allen gesellschaftlichen Gruppen und Klassen, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Dies belegen unterschiedliche wissenschaftliche Umfragen aus den letzten Jahren. Die neueste repräsentative Umfrage im Rahmen der Universität Jena brachte 2013 folgende Ergebnisse: Der Aussage, homosexuelle Beziehungen seien unnatürlich, stimmten 29% der Befragten zu, wobei die Spanne von 14% bei den 18- bis 24-Jährigen bis 41% bei den Über-60-Jährigen reichte. Männer äußerten sich homophober als Frauen und religiöse Personen ablehnender als Atheisten.[4]
Besonders bei reaktionären Christen gilt nach freier Auslegungen einiger Stellen im Alten und Neuen Testament Homosexualität als Sünde und wird daher vehement abgelehnt. Diskriminierende Äußerungen zum Beispiel vom Kölner Kardinal Meisner sind kein Einzelfall. Homosexualität wird meist von der politischen Rechten in einem Zusammenhang mit dem Demographiediskurs gebracht. Es bestehe ein wie auch immer gearteter Zusammenhang zwischen Geburtenrückgang und der praktizierten Homosexualität mitsamt dem als zu liberal empfundenen Umgang in der politischen Praxis. Ein Bedrohungsszenario vom „Aussterben des deutschen Volkes“ wird konstruiert und dies mit der Forderung nach repressiven Maßnahmen von Seiten des Staates kulminiert. Homosexualität wird als Infragestellung zentraler konservativer Normvorstellungen empfunden und als Ausdruck einer „Dekadenz“ betrachtet, die seit Jahrtausenden gelebte patriachalische Rollenmuster bedrohen. Die Angst der Infragestellung des herrschenden Männlichkeitsideals, das durch strikte Geschlechtsunterscheidungen und starre Rollenverteilungen gekennzeichnet ist, drückt sich in der Abwertung und Diskriminierung homo-, bi- oder transsexueller Menschen aus.[5]
Die Annahme, dass mit dem Outing Hitzlspergers die letzte Bastion der Homophobie in der BRD gefallen wäre, führt ins Leere. Homophobie ist Bestandteil der gesellschaftlichen Wirklichkeit und wird es auch noch lange bleiben, wenn die Heterosexualität immer noch als Norm verstanden wird und sich vor allem weite Teile der katholischen Kirche noch immer an ihren alten Weltbildern und Vorhaltungen festhalten. Der im Prinzip richtige Fingerzeig auf die russische Regierung im Vorfeld der Winterspiele in Sotschi von Teilen des politischen Establishments enthält einen bitteren Beigeschmack, wenn im eigenen Land Homophobie nicht auf der obersten politischen und gesellschaftlichen Agenda steht.

[1] www.zeit.de/sport/2014-01/hitzlsperger-video-botschaft
[2] Aachener Nachrichten vom 9.1.2014, S. 23
[3] Hartmann, J., Klesse, C., Wagenknecht, P.: Heteronormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht, Wiesbaden 2007 S.294
[4] Best, H.,Dwars, D., Salheiser, A., Salomo, K.: „Wie leben wir? Wie wollen wir leben?“ – Zufriedenheit, Werte und gesellschaftliche Orientierungen der Thüringer Bevölkerung. Ergebnisse des Thüringen-Monitors 2013, S. 97f
[5] Rubin, G.: Sex denken. Anmerkungen zu einer radikalen Theorie der sexuellen Politik, in: Kraß, A. (Hrsg.): Queer denken. Gegen die Ordnung der Sexualität (Queer Studies), Frankfurt am Main 2003, S.31–79, hier S. 36f

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Über Michael Lausberg 545 Artikel
Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.

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