Der Blick auf das Wesen der Technik

In Zeiten des ökofundamentalistisch motivierten Wut- bzw. Angstbürgers von ‚Stuttgart 21‘ und Fukushima erlebt ein altbekanntes deutsches Motiv eine Renaissance – nämlich das der Technikskepsis. In diesem Zusammenhang wird oft das Denken Martin Heideggers zur Flankierung diverser Attacken in Stellung gebracht. Und tatsächlich scheinen seine Schriften um die 1950er Jahre herum davon zu strotzen, die Menschen vor dem vorstellenden Herstellen, der Machenschaft und der Ermächtigung durch das ‚Ge-stell‘ zu warnen.
Lässt sich die Bodenhaftung und Natursehnsucht, das Aufbegehren gegen das Maschinenzeitalter und dessen Rationalismen als ideeller Gravitationskern Deutschlands ausmachen und eine Linie ziehen von der Frühromantik um 1800 bis hin zu Heidegger? Sind wir auch heutzutage zufrieden nur unter den „Erlen“, die Friedrich von Hardenberg (Novalis) 1789 so zart beschrieb?:
Die Erlen.
Wo hier aus den felsichten Grüften
Das silberne Bächelein rinnt,
Umflattert von scherzenden Lüften
Des Mayes die Reitze gewinnt

Ja und nein, könnte die Antwort lauten, denn ein Faktum ist es auch, dass technische Produkte und vor allem Maschinen aus unseren Landen in aller Welt geschätzt werden? So hat Deutschland im Jahre 2009 rund 370 Milliarden € mit der Ausfuhr von Maschinenbau- und elektrotechnischen Erzeugnissen u. Fahrzeugen erwirtschaftet – das entspricht einem Anteil an Gesamtvolumen des Außenhandels von rund 46 % (Quelle: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2010).
Wie soll man damit umgehen, dass unsere europäischen Nachbarn sich mittlerweile verwundert fragen, was los ist mit den technikliebenden-techikfeindlichen und möglicherweise apokalypseversessenen Deutschen?Zur Erhellung dieses Themas mag ein neues Buch beitragen, dessen Autor aus dem Freiburger Philosophenzirkel um Günter Figal stammt. Sören Riis fragt sich in Zur Neubestimmung der Technik. Eine Auseinandersetzung mit Martin Heidegger, ob der schwäbische Großdenker nicht noch mehr zu bieten hat, außer dem gehobenen Zeigefinger.
Etwas holzschnittartig gesehen, könnte die Neo-Naturseligkeit aus der Annahme gespeist werden, dass der Mensch nur in die Umwelt, die nicht von ihm selbst geschaffen ist, perfekt integriert sei. Hier spricht die Sprache bezeichnenderweise von ‚Mutter Natur‘ oder ‚Schoß der Natur‘. Also, warum etwas an dieser uterinen Perfektion verändern? Das diese Annahme mit der Gegenwart allenfalls im Stadium des Selbstbetruges korrespondieren kann mag zeigen, dass auch ökofundamentalistische Großdemonstrationen über Smartphones und Social Media Anwendungen wie Twitter oder Facebook koordiniert werden, während man gerade einen Schluck Bio-Ingwertee aus der Hightech-Thermoskanne trinkt und vor möglicherweise andrängenden Wasserwerfern mit atmungsaktiver Multifunktionskleidung geschützt ist.
Was ist aber mit der Umwelt, die vom Menschen selbst gemacht wurde? Das Nicht-Naturgegebene bezeichnen wir üblicherweise als das Künstliche. Was künstlich ist, steht der Natur entgegen, denn es ist vom Menschen geformt und in die Welt gesetzt. Ist es nicht sehr waghalsig daraus zu schließen, dass das Künstliche allein deshalb den Erdling aus seiner ‚natürlichen‘ Lebensweise herausnimmt und ihn von sich selbst entfremdet? Die ‚Natur‘ dieses Planetenbewohners ist es doch, die ihn dazu befähigt, das Vorgefundene zu verändern. Die Welt erschließt sich vor allem uns Abendländern primär über das Benutzen und Gebrauchen und weit weniger über den asketischen-meditativen Stillstand.
So war es auch Heidegger, der in seiner fundamentalen Analyse den Menschen mit dem ‚Zeug‘ und in der ‚Zeugganzheit‘ verortete. Nicht umsonst dämmert hier ein konstruktivistischer Zug auf und mit diesem zusammen auch die Begriffe Werkzeug und Handwerk. Freilich geschah das hauptsächlich in Sein und Zeit von 1927, also noch vor den Erfahrungen einer entfesselten Kriegsmaschinerie, der effizient durchorganisierten Tötungen der deutschen, sowjetischen und chinesischen Diktaturen und vor allem vor den amerikanischen Atombombenwürfen auf Hiroshima und Nagasaki.
Das Verharren in der Pro- oder Kontraposition zum Thema führt offensichtlich zu keinem Ergebnis. Vielmehr muss die Synthese her, denn Natur wie Technik verweisen beide auf das Wesen des Menschen – und zusätzlich steckt in der Künst-lichkeit die Kunst. Diese wiederum wies uns Abendländern über Jahrtausende den Weg zum Wahren, Guten und Schönen. Sören Riis steuert in seinem Buch diese Synthese an, indem er den Heideggerschen Dreiklang zwischen Natur, Technik und Kunst zum Tönen bringt. Die Rede ist hier von der Wiederbelebung der techné, also dem Versuch, sich der antiken Deutung einer zweckgerichteten Hervorbringung von Kunst, Handwerk und Wissenschaft aus einem gemeinsamen Geiste erneut zu versichern.
Grob lässt sich das Buch in drei Teilen erschließen, die sich hauptsächlich mit der vergleichenden Analyse dreier Schriften Heideggers befassen. Da wäre zunächst Sein und Zeit von 1927, dann Der Ursprung des Kunstwerks von 1935/36 und schließlich Die Frage nach der Technik von 1953. Da es zu hoffen ist, dass viele Ingenieure, Künstler und Nicht-Philosophen den Text lesen, ist es sehr sinnvoll, im ersten Teil gründlich in die Argumentationslinien und auch die Heideggersche Terminologie eingewiesen zu werden. So gerüstet, erschließt sich, warum Technik nicht nur weitere Technik hervorbringt, sondern auch den Menschen konditioniert, genau dieses zu tun.
Im zweiten Kapitel beschäftigt sich der Autor mit Heideggers Versuch, die Fähigkeit zur Technik und auch zur Kunst in einem gemeinsamen Rahmen zu verorten, der über die Begriffe Wahrheit, Lichtung, Entbergung definiert wird. Das antike Denken der techné macht diese Fusion möglich. Diese ist jedoch nie abgeschlossen, sondern befindet sich im permanenten Wandel bzw. „Streit“ zwischen „Erde und Welt“ und auf der „Lichtung“ des menschlichen Verstehen, Entwerfens und Handelns. Das letzte Drittel der vorliegenden Arbeit erscheint zunächst als Zusammenfassung des ganzen Buches, gerät aber am Schluss zum Versuch, aktuelle Fragestellungen z.B. zur Gentechnik philosophisch zu verorten.
Wenn Wissenschaftler, Ingenieure, Techniker, Künstler und auch alle anderen schöpferischen Menschen sich nicht nur mit der Frage begnügen, was oder wie sie etwas tun, sondern auch, warum sie es denn tun, dann sei dieses Buch empfohlen. Auch hilft Zur Neubestimmung der Technik. Eine Auseinandersetzung mit Martin Heidegger dabei, sich den Unterschied zwischen der Anwendung eines technischen Instruments und der Instrumentalisierung durch dasselbe bewusst zu machen. Eine mühelose Lektüre kann zwar nicht versprochen werden, aber eine lohnende – und auch eine, die die spezielle technikliebende-technikfeindliche, deutsche Balance verdeutlicht.

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Über Grothaus Christian J. 12 Artikel
Dr. phil. Christian J. Grothaus ist Autor und Kulturwissenschaftler. Er arbeitet an kommerziellen und künstlerischen Projekten in den Gebieten Kommunikation, Beratung, Schreibtraining, künstlerische Forschung, Wissenschaft. Sein neues Buch: "Baukunst als unmögliche Möglichkeit. Plädoyer für eine unbestimmte Architektur“Homepage: http://logeion.net/

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