Der Einzelne und seine Freiheit

Ich bin nur dadurch Ich, dass ich mich mache,
d.h. dass nicht ein Anderer Mich macht,
sondern Ich mein eigen Werk sein muß.

Max Stirner1

Wer die Frage nach der Freiheit stellt, stellt sich damit unweigerlich der Frage nach seiner eigenen Freiheit. Wer sich nach seiner Freiheit fragt, fragt nicht nur nach der Freiheit an-sich oder dem Begriff der Freiheit, sondern sieht sich mit einer ganzen Reihe von Fragen konfrontiert. Ich will einige dieser Frage, die mir wesentlich erscheinen, herausgreifen und im folgenden diskutieren. Dies werden im besonderen zwei meiner Ansicht maßgebende Fragen sein, auf die mein hauptsächliches Augenmerk gerichtet sein wird. Bevor ich auf diese beiden Fragen eingehen werde, möchte ich aber einiges Grundsätzliche zum Begriff der Freiheit sagen.

(A) Der Begriff der Freiheit

Gemeinhin werden sowohl zwei Arten der Bestimmung der Freiheit, nämlich eine negative und eine positive, als auch zwei Arten der Freiheit unterschieden. Nach der negativen Bestimmung der Freiheit ist Freiheit das Fehlen oder die Abwesendheit von Zwang, Beeinflussung oder Manipulation. Nach der positiven Bestimmung ist Freiheit die Möglichkeit zur autonomen Entscheidung und zum autonomen Handeln. Abgesehen davon wird in der philosophischen Diskussion seit Hume gewöhnlich zwischen Handlungsfreiheit und Willensfreiheit unterschieden. Handlungsfreiheit ist die Freiheit zu tun (zu handeln), was (wie) man will. Willensfreiheit ist die Freiheit zu wollen, was man will. Anhand dieser vier kurzen Charakterisierungen der Freiheit lässt sich nun zeigen, wo eine Diskussion des Begriffs der Freiheit anzusetzen hat. Als erstes ist zu bemerken, dass, wie wir anhand der Bestimmung von Willensfreiheit und Handlungsfreiheit sehen, vor allem der Begriff des Willens eng mit dem Begriff der Freiheit verknüpft ist. Was soviel bedeutet wie: Nur wenn wir wissen, was es heißt einen Willen zu haben oder was der Wille ist, können wir sagen, was es bedeutet, frei zu sein. Die Klärung des Begriffs des Willens, und des freien Willens im speziellen, bringt allerdings einige Probleme mit sich. Ist der Wille ein Vermögen oder nur ein Phänomen oder Eindruck? Was für eine Beziehung besteht zwischen Willen und Handlung? Gibt es einen unfreien Willen? Doch vor allem wirft sich die Frage auf, was es bedeutet, dass jemand will oder wollen kann, was er will. Ist es denn möglich etwas zu wollen, was man nicht will? In anderer Form kann man dieses Problem auch derart formulieren: Ist alles was ich will, tatsächlich von mir selbst gewollt? Ich werde später vor allem dieser Frage nachgehen. Der zweite zentrale Begriff, vor allem in Zusammenhang mit Handlungsfreiheit, neben dem Begriff des Willens ist naturgemäß der Begriff der Handlung. Wenn man sich überlegt, was eine Handlung ist, so stößt man ebenso, wie bei der Analyse des Begriffs des Willens, auf grundlegende Probleme; z.B.: Ob jedes Handeln grundsätzlich absichtliches Handeln ist oder ob es auch unabsichtliche Handlungen gibt, die sich ohne eine vorausgehende Absicht oder unwillentlich ereignen und dennoch als Handlungen einer bestimmten Person ausgewiesen werden können? Was individuiert eine Handlung? Diese Fragen verlangen nach einer eindeutigen Abgrenzung des Begriffs der Handlung vom Begriff der Körperbewegung. Überdies hinaus muss geklärt werden, wie das Verhältnis von Handlungsabsicht, Willen und dem Vollzug einer Handlung beschaffen ist. Wie sich noch herausstellen wird ist es sinnvoll eine willentliche Körperbewegung2 einer Person, der eine Absicht vorausgehen kann, als eine Handlung zu bezeichnen. Das bedeutet: Wenn jedes Handeln, willentliches Handeln ist, dann kann nur ein Handeln, das auf dem freien Willen einer Person basiert, als freies Handeln bezeichnet werden. Damit erweist sich der Begriff des freien Willens als der zentrale Begriff jeder angemessenen Analyse des Begriffs der Freiheit. Dies bedeutet allerdings auch, dass es ohne freien Willen weder Willensfreiheit noch Handlungsfreiheit3 gibt.

Werfen wir einen Blick auf den Gebrauch des Wortes „Freiheit“ im Alltag. In bezug auf welche Arten von Freiheit wird das Wort „Freiheit“ im Alltag gewöhnlich angewendet? Wenn wir im Alltag von Freiheit sprechen, so beziehen wir uns in den meisten Fällen damit auf eine bestimmte Art der Bewegungsfreiheit, nämlich die Möglichkeit sich von einem Ort nach eigenem Willen zu einem anderen Ort zu bewegen. Eine gängige Art der Bestrafung basiert drauf, jemanden hinsichtlich dieser Freiheit auf ein Minimum einzuschränken. Als grundsätzlichste Form der Bewegungsfreiheit ist allerdings jene Fähigkeit anzusehen, die es jemandem ermöglichlicht seinen Körper nach seinem Willen zu bewegen. Diese beiden Arten der Bewegungsfreiheit, örtliche und körperliche Bewegungsfreiheit, sind als Unterarten der Handlungsfreiheit anzusehen.

Demnach ist uns der Begriff der Handlungsfreiheit im Alltag in gewisser Weise vertraut. Dies sollte uns Anlass geben, uns kurz etwas genauer mit dem Begriff der Handlung und des Handelns auseinanderzusetzen. Was macht eine Handlung aus? Ist jedes Handeln absichtliches Handeln? Ein klarer Fall einer Handlung mit einer vorausgehenden Absicht ist der folgende. Eine Person bewegt sich auf eine Treppe zu, hat die Absicht diese Treppe hinunterzugehen und setzt dies auch in die Tat um. In diesem Fall liegt (a) eine Absicht, die Treppen hinunterzugehen, vor und (b) der Wille diese Absicht in die Tat umzusetzen. Wenn es nun gelingt diese Absicht in die Tat umzusetzen, so hat man eine absichtliche Handlung, eine Handlung mit vorausgehender Absicht, vollzogen. Eine Handlung scheint vor diesem Hintergrund ein Komplex willentlicher Körperbewegungen zu sein, dem eine Absicht vorausgeht, die durch die Körperbewegungen in gewissem Sinn erfüllt wird. Ein Fall der demnach eindeutig keine Handlung wäre, ist der Fall, wenn die angesprochene Person die Treppe hinuntergestoßen wird. Was ist aber, wenn sie die Treppe hinunterstolpert? Hier müssen wir genauer differenzieren. Angenommen jemand hat die Absicht eine Treppe hinunterzugehen und nach wenigen zurückgelegten Stufen stolpert er die restliche Treppe hinunter. Würden wir in diesem Fall von einer Handlung sprechen, einer Handlung, welche eine vorausgehende Absicht erfüllt? Wenn wir etwas nur dann als Handlung anerkennen, wenn dadurch eine vorausgehende Absicht strikt erfüllt wird, dann wäre es nicht angebracht die eben skizzierte Bewältigung der Treppe eine Handlung zu nennen. Ist das adäquat? Wenn wir den eben beschriebenen Fall tatsächlich eine Handlung nenne wollen, dann scheint zumindest das strikte Erfüllen der vorausgehenden Absicht für eine Handlung nicht notwendig zu sein. Angenommen die Absicht der betreffenden Person war es nicht die Treppe hinunterzugehen, sondern die Treppe irgendwie zu bewältigen. Diese Absicht würde auch dann erfüllt werden, wenn die betreffende Person nach wenigen zurückgelegten Stufen die restliche Treppe hinunterstolpert. Sollen wir in diesem Fall von einer Handlung sprechen? Ein zusätzliches Problem bei dieser Art der Treppenbewältigung besteht allerdings darin, dass der Komplex der Körperbewegungen, durch den die Treppenbewältigung erfolgt, aus einigen oder mehrheitlich aus Körperbewegungen besteht, die nicht willentlich geschahen. Im wesentlichen wirft dieses Treppenbewältigungs-Beispiel drei Fragen oder Probleme auf: (a) Ist es notwendig, dass eine Handlung aus einem Komplex ausschließlich willentlicher Körperbewegungen besteht? (b) Ist es notwendig, dass eine Handlung eine vorausgehende Absicht hat und dass diese Absicht auch strikt erfüllt wird? (c) Was individuiert eine Handlung bzw. ab wann sollen wir anstatt von einer Handlung von mehreren Handlungen sprechen? Wenn wir (a) in bezug auf unser Beispiel mit „ja“ beantworten, dann wäre die besprochene Treppenbewältigung mit Stolpern keine Handlung, da jene Körperbewegungen, die das Stolpern konstituieren, keine willentlichen Körperbewegungen sind. Intuitiv scheint die Treppenbewältigung aber eine Handlung zu sein, auch wenn der Handelnde kurzzeitig die Kontrolle über seinen Körper und seine Schritte verloren hat. Auch in dem Fall, wo die der Treppenbewältigung vorausgehende Absicht durch die Treppenbewältigung nicht explizit erfüllt wird, scheint intuitiv eine Handlung vorzuliegen. Eindeutig keine Handlung einer Person liegt dann vor, wenn eine Person eine Treppe hinuntergestoßen wird, diese Person aber keine Absicht hat, die Treppe hinunterzugelangen. Auch dann, wenn jemand die Absicht hat eine Treppe hinunterzugelangen und die Treppe hinuntergestoßen wird, kann nicht von einer Handlung der betreffenden Person gesprochen werden. Wir sehen, dass der Begriff der Handlung schwer exakt zu fassen ist. Eine zusätzliche Schwierigkeit ergibt sich, wenn wir jene Handlungen im Alltag einbeziehen, die zwar willentlich, aber mehr oder weniger automatisch geschehen, also ohne explizite vorausgehende Absicht. Sollen wir all die vielen, täglichen automatisierten Körperbewegungen, wie die Hand heben, Schritte machen, den Kopf drehen etc. Handlungen nennen? Im Gegensatz zu Reflexen scheinen sie willentlich zu erfolgen. Und auch wenn ihnen keine explizite Absicht vorausgeht, so geschehen sie doch auch nicht unabsichtlich? Gibt es überhaupt unabsichtliches Handeln? Gibt es ein Handeln ohne vorausgehende Absicht, das jedoch nicht unabsichtliches Handeln ist? Man könnte sagen es gibt ein Handeln, dem eine Absicht vorangeht, und ein Handeln, dem keine Absicht voran geht, aber es gibt kein unwillentliches Handeln. Die Körperbewegungen eines Gestoßenen oder Stolpernden sind nicht willentlich. Wir sollten deshalb zwischen absichtlichen Handlungen, Handlungen denen eine (explizite) Absicht vorangeht, und willentlichen Handlungen, denen eine (explizite) Absicht vorausgehen kann, unterscheiden. Unabsichtliches Handeln im Sinn von unwillentlichem Handeln gibt es allerdings nicht. Es ist aber denkbar eine Handlung eine unabsichtliche Handlung zu nennen, wenn diese Handlung anders als beabsichtigt verläuft. Ich will es bei diesen Hinweisen zur Klärung des Begriffs der Handlung belassen und zur Frage nach der Freiheit im Alltag zurückkehren.

Neben den beiden erwähnten Arten der Bewegungsfreiheit ist uns im Alltag der Begriff der Meinungs- oder Redefreiheit geläufig. Hierbei handelt sich ebenfalls um eine Unterart der Handlungsfreiheit, da jede Kundmachung oder Artikulation von Meinung eine Handlung ist. Eine weitere, entscheidende und oft im Alltag angesprochene Art der Freiheit ist die Gedankenfreiheit, die darin besteht, dass man denken kann, was man will. Es ist eindeutig, dass diese Art der Freiheit keine Unterart der Willensfreiheit ist. Ist sie deshalb eine Unterart der Handlungsfreiheit? Sollen wir Denken als Handeln auffassen? Wir haben vorhin Handlungen mit Körperbewegungen, die willentlich geschehen und denen eine Absicht vorausgehen kann, identifiziert. Demgemäss kann Denken unmöglich als ein Handeln aufgefasst werden. Sollen wir deshalb den Begriff des Handelns weiter fassen als wir es taten oder sollen wir eine dritte Art der Freiheit neben der Handlungsfreiheit und der Willensfreiheit postulieren? Es scheint mir intuitiv unangebracht zu sein, Denken als ein Handeln aufzufassen.4 Eine angemessene Möglichkeit dieser Schwierigkeit zu entgegnen, bestünde darin, grundsätzlich zwei neue Kategorie der Freiheit einzuführen; nämlich bewusstseinsimmanente (innere) und bewusstseinstranszendente (äußere) Freiheit. Demnach würde sowohl die Gedankenfreiheit als auch die Willensfreiheit unter innere Freiheit fallen und die Handlungsfreiheit unter äußere Freiheit. Die Frage ist nur was eine solche Unterscheidung leistet, und ob eine strikt Unterscheidung zwischen Innen und Außen auch Sinn macht.

Wir haben zwei verschiedene Bestimmungen der Freiheit angeführt, eine positive und eine negative. Nun stellt sich auf dieser Grundlage natürlich die Frage, ob sich diese beiden Bestimmungen zu einem Begriff der Freiheit ergänzen oder ob sie zwei verschiedene Begriffe der Freiheit repräsentieren? Es scheint mir so, als ob durch die beiden angeführten Bestimmungen zwei verschiedene Begriffe der Freiheit eingeführt werden. Die positive Bestimmung der Freiheit scheint Freiheit als eine Fähigkeit zu charakterisieren, die negative Bestimmung hingegen als einen Zustand. Meines Erachtens macht eine solche Unterscheidung zwischen der Freiheit als Fähigkeit und Freiheit als Zustand durchaus Sinn. Ich werde im folgenden erörtern, inwiefern es adäquat ist, sowohl eine Fähigkeit der Freiheit als auch einen Zustand der Freiheit anzunehmen; wobei naturgemäß die Fähigkeit Voraussetzung für das Erreichen oder das Bewahren eines Zustands der Freiheit ist.

Wenden wir uns zuerst der Fähigkeit der Freiheit zu. Was ist die Fähigkeit der Freiheit? Grob gesprochen kann man sagen, jemand hat die Fähigkeit der Freiheit, dann und nur dann, wenn er einen freien Willen hat. Was ist aber ein freier Wille? Und wer hat einen freien Willen? Nach unserer oben angeführten Charakterisierung der Willensfreiheit hat jemand einen freien Willen dann und nur dann, wenn er wollen kann, was er will. Was ist aber wiederum damit konkret gemeint? Es soll besagen, dass jemand nur von sich aus, unabhängig von irgendwelchen äußeren oder inneren Einflüssen, von Zwängen, Motiven, Gründen oder Manipulation etwas wollen kann. Jemand hat demnach einen freien Willen, wenn er autonom und von sich aus etwas wollen kann; wenn nur der Wille selbst Ursache des Wollens ist. Wie ist diese Selbstverursachung des Willens, das von sich aus Wollen, zu verstehen? Ist nicht jede Person durch gewisse Gründe, ihren Charakter, ihre Wünsche und Motive, durch ihre mentale Biographie schlechthin in ihrem Wollen determiniert? Was aber befähigt eine Person sich aller ihrer Determinanten zu entheben und etwas davon losgelöst zu wollen? Denn nur dann kann einer Person ein freier Wille und ein freies Wollen zugeschrieben werden, wenn dieselbe von sich aus etwas wollen kann, und von sich aus so viel heißt wie, dass die Person unabhängig von ihren Determinanten (=Charakter, Wünsche, Motive, Gründe, mentale Biographie, Gepflogenheiten, Erziehung, Gene, etc.) etwas wollen kann und nur der Wille der Person selbst Ursache des Wollens ist. Jemand hat einen freien Willen, wenn er, obwohl ihn seine Determinanten stets auf ein ganz bestimmtes Wollen festzulegen scheinen, auch anders wollen kann.

Es ist unbezweifelbar, dass wir in unserem täglichen Tun und Wollen von Determinanten bestimmt sind und werden, und dass wir im besonderen unter dem Einfluss unserer mentalen Biographie und unserer Umwelt stehen. Ist eine Person auf dieser Grundlage tatsächlich in der Lage sich all ihrer Determinanten zu entheben und davon unabhängig etwas zu wollen? Auch wenn eine Person gewöhnlich unter dem Einfluss ihrer Determinanten steht und auf dieser Grundlage etwas will oder handelt, so muss sie, wenn sie tatsächlich einen freien Willen hat, grundsätzlich in der Lage sein zumindest in gewissen Situationen etwas zu wollen oder zu tun, was entweder im Widerspruch zu ihren Determinanten steht, beziehungsweise sich nicht auf diese zurückführen lässt oder durch dieselben erklärt werden kann. Diese Forderung bringt allerdings eine weitere Schwierigkeit mit sich. Es stellt sich die Frage, wie sich die Beziehung zwischen den Determinanten einer Person (=Charakter, Wünsche, Motive, Gründe, mentale Biographie, Gepflogenheiten, Erziehung, Gene, etc.) und dem tatsächlichen Wollen oder Tun einer Person überhaupt beschreiben oder erklären lässt. Welche Art von Beziehung besteht zwischen den Determinanten einer Person und dem Tun und Wollen dieser Person? Eine Kausalbeziehung? Können die Determinanten einer Person tatsächlich das Wollen und Tun einer Person direkt verursachen? Was ist, wenn Konflikte zwischen den einzelnen Determinanten auftreten? Wodurch wird dann das Wollen oder Tun einer Person gelenkt? Gibt es unterschiedliche Grade des Einflusses unter den Determinanten? Und wodurch sind diese Grade wiederum bestimmt? Nur wenn wir klar sagen können, wie und inwieweit die Determinanten einer Person die Handlungen und den Willen einer Person bestimmen oder verursachen, können wir auch sagen was es heißt, dass eine Person unabhängig von diesen Determinanten etwas wollen oder handeln kann.

Angenommen der Wille einer Person wird in den meisten Situationen ihrer Existenz tatsächlich von Determinanten bestimmt oder sogar verursacht. Inwieweit ist auf diesem Hintergrund die Fähigkeit frei handeln oder wollen zu können überhaupt von Relevanz? Handelt es sich bei der Fähigkeit der Freiheit nur um eine partielle Fähigkeit? Ist es möglich, dass eine Person in allen Situationen frei handelt und sich stets auf der Grundlage ihres freien Willens entscheidet, völlig unabhängig von ihren Determinanten? Es ist zwar logisch möglich, aber ich will bezweifeln, dass es faktisch möglich ist; und zwar aus folgenden Gründen: Abgesehen davon, dass es grundsätzlich schwer vorstellbar ist, dass jemand unabhängig von all seinen Determinanten handelt oder etwas will, so ist die Vorstellung eines Menschen, der stets unabhängig von all seinen Determinanten handelt und etwas will, äußerst problematisch. Erstens scheinen auf dieser Grundlage die Handlungen einer Person völlig unerklärbar und unnachvollziehbar zu werden, für andere und den Handelnden selbst. Und zweitens wäre es für einen solchen Menschen nicht nur unmöglich in einem dem Menschen gewöhnlichen Gemeinwesen zu leben und sich nach den Regeln, Gebräuchen und Gepflogenheiten der Gemeinschaft zu richten, sondern er könnte womöglich überhaupt nicht als Mensch existieren oder zum Beispiel eine Sprache erwerben. Wenn der Mensch tatsächlich die Fähigkeit der Freiheit, einen freien Willen, hat, dann scheint diese Fähigkeit demzufolge eine für den Menschen ausschließlich partiell anwendbare und einsetzbare Fähigkeit zu sein. Wie sollen wir auf dieser Grundlage allerdings zu einem tatsächlichen Zustand der Freiheit und damit zu eigentlicher Freiheit gelangen oder uns einen solchen Zustand bewahren? Ist die Fähigkeit der Freiheit, der freie Wille nur eine Scheinfreiheit? So wie es eine Scheinfreiheit ist, wenn man sagt: Eine Person ist frei, wenn sie sich nicht behindert, beeinflusst oder gezwungen fühlt, selbst wenn dies der Fall ist. Die eigentliche Freiheit, den Zustand der Freiheit, haben wir als einen Zustand der Abwesendheit von Zwängen, Manipulation und Einflüssen beschrieben: Jemand ist nur dann tatsächlich frei, wenn er auf der Basis seiner Fähigkeit der Freiheit in einen Zustand der Freiheit existiert. Die Frage nach der Freiheit ist für den einzelnen Menschen hauptsächlich eine Frage nach einer Existenz in Freiheit, einer Existenz im Zustand der Freiheit, der durch Abwesendheit von Zwängen, Manipulation und Einflüssen geprägt ist. Aber eine solche Existenz in Freiheit scheint auf der Grundlage unserer nur partiell anwendbaren Fähigkeit der Freiheit nicht möglich zu sein. Sollen wir demzufolge die Idee der eigentlichen Freiheit, eines Zustands der Freiheit, einer Existenz in Freiheit, verwerfen? Ich will diese, wie ich meine, zentrale Schwierigkeit der Freiheit zum Anlass nehmen, um auf die meiner Ansicht nach wesentliche Frage (1) überzuleiten: Inwiefern ist der Verlauf der Existenz und die Existenz eines Menschen durch Zwang und Manipulation bestimmt?

(B) Existenz und Zwang

Ich werde im folgenden zwei verschiedene, maßgebende Arten des Zwangs, von denen die Existenz des einzelnen Menschen betroffen sein kann, diskutieren, nämlich den immanenten Zwang der Existenz und den grundsätzlichen Zwang zur Existenz. Es wird sich zeigen, inwiefern die Existenz des einzelnen Menschen tatsächlich von diesen beiden grundlegenden Arten des Zwangs betroffen ist.

Der immanente Zwang der Existenz ist jenes Phänomen, das wir bereits teilweise beleuchtet haben. Dieses Phänomen betrifft, unter anderem, die angesprochene Tatsache, dass das Wollen und Handeln des einzelnen Menschen unter dem beinahe ständigen Einfluss seiner Determinanten steht. Dies scheint deshalb notwendig zu sein, da andernfalls (a) die Handlungen und das Wollen eines Menschen für andere Menschen und den betreffenden Menschen selbst unerklärbar und unnachvollziehbar wären und (b) ein solcher Mensch unmöglich in einem Gemeinwesen, wie es für Mensch üblich ist, existieren könnte. Dieser zweite Grund ist deshalb maßgebend, da sich die Existenz des einzelnen Menschen vor allem vor dem Hintergrund eines Gemeinwesens vollzieht. Ein Neugeborenes ist beispielsweise unfähig ohne die Eingebundenheit in eine Gemeinschaft zu überleben. Der Menschen ist vor allem als ein politisches Wesen zu charakterisieren, das durch die Ordnung und Willensbildung eines Gemeinwesens bestimmt wird. Besonders durch seine körperliche Manifestation in der Welt ist der Mensch der Welt und ihren Kausalprozessen ausgesetzt. Einen der maßgebenden Einflüsse auf den einzelnen Menschen stellen die anderen Menschen dar. Die körperliche Manifestation des Menschen in der Welt, seine Fähigkeit zu Handeln, und sein freier Wille erzeugen ein Spannungsfeld zwischen dem einzelnen Menschen und den anderen Menschen, das die Basis für den immanenten Zwang der Existenz bildet. Die Existenz des einzelnen Menschen ist vor allem durch eine Urangst vor der Freiheit der anderen Menschen geprägt. Diese Angst ist im wesentlichen eine Angst vor der Kontrolle durch den anderen und der Begrenzung und Bedrohung der eigenen Freiheit durch die Freiheit des anderen. Die Reaktion auf diese Angst ist ein zwischenmenschlicher immanenter Zwang zur Selbstkontrolle und gegenseitigen Kontrolle, der in den Ordnungs- und Herrschaftszielen und -verhältnissen der Menschheit seinen Ausdruck findet. Die Existenz des einzelnen Menschen vollzieht sich unter dem immanenten Zwang seine Freiheit im Hinblick auf die Existenz und Freiheit der anderen Menschen einzuschränken. Der einzelne Mensch steht unter dem immanenten Zwang seiner selbst und anderer seine Freiheit in Hinblick auf die Ordnungs- und Herrschaftsziele und -verhältnissen der Menschheit zu begrenzen. Das Resultat dieses immanenten Zwangs der Existenz ist die Manipulation des einzelnen Menschen zum Gemein-Menschen, der durch die Willensbildung und Ordnung eines Gemeinwesens bestimmt ist. Die menschlichen Ordnungs- und Herrschaftsziele sind die objektiven Manifestationen der Transformation der Fähigkeit der Freiheit des einzelnen Menschen in gemeinmenschliche Kontrolle und diese werden durch folgende Faktoren bestimmt: (a) die Kausalprozesse in der Welt auf die der Mensch (gegenwärtig oder grundsätzlich) keinen (direkten) Einfluss hat und die das Wollen und Handeln des Menschen begrenzen, (b) die Sterblichkeit oder die Zerstörbarkeit des Menschen, die den Menschen selbst mit seiner Ausgrenzung bedroht und (c) die anderen Menschen, die den einzelnen Mensch mit ihrer Freiheit in seiner Freiheit bedrohen und begrenzen. Der immanente Zwang der Existenz gewährleistet die Manipulation des einzelnen Menschen zum Gemein-Menschen, der in seinem freien Willen maximal begrenzt ist.5

Neben diesem immanentem Zwang unter dem die Existenz des einzelnen Menschen steht, scheint ebenso ein grundsätzlicher Zwang zur Existenz postuliert werden zu können. Ich werde festzustellen versuchen unter welchen Voraussetzungen ein solches Postulat Sinn macht. Das Postulat des grundsätzlichen Zwangs zur Existenz kann wie folgt formuliert werden: Die Existenz des einzelnen Menschen ist durch einen grundsätzlichen Zwang zur Existenz bestimmt, da der Mensch ungefragt existiert, da er sich vor seiner Zeugung oder Geburt nicht für seine Existenz entscheiden konnte, sondern zwangsweise in die Welt hineingeboren wurde. Wenn dieses Postulat wahr ist, dann ist die Existenz des Menschen mit einem Gefängnisaufenthalt vergleichbar; was natürlich jeden Anspruch des Menschen auf (eigentliche) Freiheit in Frage stellt. Metaphorisch kann man sich dieses Postulat auch wie folgt veranschaulichen: Jemand wird betäubt, sein Gedächtnis gelöscht, seine Fähigkeiten auf die eines Neugeborenen reduziert und er wird in dieser Verfassung in eine Zelle gesperrt. Wenn er zu sich kommt, versorgt man ihn mit Nahrung etc. und macht ihm mit Fortdauer der (neuerlichen) Entwicklung seiner (mentalen und körperlichen) Fähigkeiten klar, dass die Zelle, in der er sich befindet, die Welt ist, in die er hineingeboren wurde und dass er seine (weitere) Existenz in dieser Zelle zu verbringen hat. Auf dieser Grundlage lässt sich nun leicht zeigen, dass dieses Postulat eine entscheidende Voraussetzung hat. Dieses Postulat ist dann und nur dann sinnvoll, wenn eine Person bereits vor ihrer Zeugung oder Geburt in irgendeiner Form existiert, die es ihr grundsätzlich möglich macht vor ihrer Zeugung oder Geburt eine Wahl oder Entscheidung zu treffen; und die es ermöglicht diese Person zu einer gewissen Form der Existenz zu zwingen. Wenn jedoch der Wille und die Entscheidungsfähigkeit und -möglichkeit einer Person nur auf ihre Existenz in unserer Welt beschränkt ist, dann macht das angesprochene Postulat keinen Sinn. Es bleibt dann nur sich die Frage zu stellen, ob es möglich ist das Postulat so abzuändern, dass es unabhängig von der Möglichkeit einer Entscheidungsfrage oder Existenzfrage formuliert werden kann. Angenommen eine Person existiert vor ihrer Zeugung oder Geburt nicht. Kann man auf dieser Grundlage von einem Zwang zur Existenz sprechen, wenn diese Person sozusagen aus dem Nichts in die Welt hineingeboren oder hineingezeugt wird. Es scheint dies, wenn überhaupt, kein Zwang im herkömmlichen Sinn zu sein, da von diesem Zwang nicht unmittelbar der Wille einer bestimmten Person betroffen ist oder beeinflusst wird. Ist die Tatsache, dass wir gezeugt und geboren werden und dass wir irgendwann plötzlich zu existieren beginnen, ohne zu wissen, was uns geschah, ein Zeichen von Unfreiheit? Wenn wir uns selbst aus dem Nichts zeugen könnten, was immer das heißen mag, wäre dies ein Art fundamentaler Freiheit? Dies sind schwer fassbare Fragen. Intuitiv scheint mir jedoch etwas zwanghaftes an der Kreation von Personen zu sein, das aber schwer erklärbar ist. Ich will es hier bei dem Hinweis auf den sogenannten grundsätzlichen Zwang zur Existenz belassen.

(C) Die Freiheit des Einzelnen

Wir haben zuvor die Frage aufgeworfen, inwiefern die beschriebene Fähigkeit der Freiheit, der freie Wille des Menschen, nur eine Scheinfreiheit ist? Ich will die Diskussion dieser Frage mit der Diskussion einer weiteren mir wesentlich scheinenden Frage (2) verbinden, und zwar lautet diese: Inwiefern ist der Mensch frei?

Es ist meine Absicht der Diskussion folgende Annahmen vorauszuschicken. [A] Menschen habe die Fähigkeit der Freiheit, einen freien Willen, der es ihnen erlaubt in bestimmten Situationen unabhängig von ihren Determinanten etwas zu wollen oder zu handeln. Wenn Menschen nicht die Fähigkeit der Freiheit, einen freien Willen, hätten, dann wäre die Diskussion der Frage (2) obsolet. Denn ohne freien Willen ist es unmöglich eigentliche Freiheit, einen Zustand der Freiheit oder eine Existenz in Freiheit, zu erlangen oder zu bewahren. Der freie Wille ist die Voraussetzung für jede Form eigentlicher Freiheit. Die zweite Annahme lautet: Menschen ist es aus den angeführten Gründen nicht möglich, in allen oder den meisten Situationen auf der Basis ihres freien Willens unabhängig von ihren Determinanten etwas zu wollen oder zu handeln. Die Fähigkeit der Freiheit ist demnach nur partiell anwendbar. Als dritte Annahme möchte ich voraussetzen: [C] Jemand ist dann und nur dann tatsächlich frei, wenn er auf der Grundlage seiner Fähigkeit der Freiheit in einen Zustand der Freiheit existieren kann, der sich durch die Abwesendheit von Zwängen und Manipulation auszeichnet. Nur vor diesem Hintergrund lässt sich eine Existenz in eigentlicher Freiheit führen, eine Existenz die nicht von Zwängen und Manipulation gekennzeichnet ist.

Unter Voraussetzung dieser Annahmen bekommt die Frage, inwiefern die menschliche Fähigkeit der Freiheit nur eine Scheinfreiheit ist, einen konkreten Hintergrund. Wie sollte es uns möglich sein auf der Basis einer partiellen Fähigkeit der Freiheit einen Zustand tatsächlicher Freiheit zu erreichen oder zu bewahren? Dadurch, dass wir eigentliche Freiheit als Zustand bestimmt haben, gibt es naturgemäß zwei mögliche Relationen zwischen einer Person und diesem Zustand: entweder eine Person befindet sich im Zustand der Freiheit oder nicht. Wenn man sich in diesem Zustand befindet, dann sollte die Fähigkeit der Freiheit es ermöglichen diesen Zustand bewahren zu können. Wenn man sich nicht im Zustand der Freiheit befindet, dann sollte es einem die Fähigkeit der Freiheit ermöglichen, diesen Zustand zu erreichen. Wir sollten deshalb diese beiden Aspekte der Freiheitsbewahrung und Selbstbefreiung in die Annahme [C] wie folgt einfließen lassen: [C’] Jemand ist dann und nur dann tatsächlich frei, wenn er auf der Grundlage seiner Fähigkeit der Freiheit einen Zustand der Freiheit bewahren oder erreichen kann, der sich durch die Abwesendheit von Zwängen und Manipulation auszeichnet.

Diese Adaption macht auch unsere Schwierigkeit etwas klarer: Können wir mittels unserer partiell einsetzbaren Fähigkeit der Freiheit einen Zustand der Freiheit bewahren oder einen solchen erreichen? In diesem Zusammenhang ist es auch sinnvoll sich vor Augen zu führen, dass die Determinanten einer Person in gewissem Sinn zwanghaft und manipulativ sind. Somit lässt sich, auf das Phänomen der Determinanten angewandt, die eben angeführte Frage auch wie folgt formulieren: Können wir uns mittels unserer partiell einsetzbaren Fähigkeit der Freiheit unserer Determinanten nachhaltig entheben? Ziehen wird nun die in Abschnitt (B) herausgearbeiteten Thesen über das Verhältnis von Existenz und Zwang hinzu, dann zeigt sich das Problem der Freiheit in seinem vollen Umfang. Diese Thesen lauteten: (T1) Die Existenz des Menschen vollzieht sich auf der Basis des in (B) beschriebenen immanenten Zwangs. (T2) Die Existenz des Menschen vollzieht sich auf der Basis des in (B) beschriebenen grundsätzlichen Zwangs.

Die Frage nach der Freiheit wird auf der Grundlage von (T1) und (T2) vor allem zu einer Frage der Selbstbefreiung oder der Frage: Wie kann man einen Zustand der Freiheit erreichen? Nehmen wir an nicht nur die Annahmen [A]-[C] bzw. [C’] seien wahr, sondern auch (T2), dann scheint es nur eine Möglichkeit zu geben, Freiheit zu erlangen, auch wenn diese Freiheit in gewisser Weise paradox ist. Die einzige Möglichkeit zur Freiheit auf der Grundlage von (T2) wäre die Befreiung von der Existenz selbst, ein Freitod auf der Basis einer freien Willensentscheidung, der es ermöglicht sich nachhaltig der Determinanten und der durch Zwang und Manipulation bestimmten Existenz zu entziehen. Nur eine Freitod-Handlung, die auf einer freien Willensentscheidung basiert, kann jemanden, wenn (T2) zutrifft, zu tatsächlicher Freiheit führen.6 Wir haben allerdings gewisse Zweifel gegenüber der Sinnhaftigkeit von (T2) vorgebracht, die wir nicht ausräumen konnten. Im Gegensatz zu (T2) schien uns (T1) eine gut begründete These zu sein. Wie lässt sich nun auf dieser Grundlage und unter Voraussetzung von [A]-[C] bzw. [C’] ein Zustand der Freiheit erreichen? Auf dem Hintergrund von (T2) schien eine Freitod-Handlung dies vollbringen zu können. Ist durch eine Freitod-Handlung auf der Grundlage von (T1) das Erreichen eines Zustands der Freiheit ebenso möglich? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir näher darauf eingehen was eine Freitod-Handlung, eine Selbsttötung ausmacht. Eine wesentliche Komponente einer Freitod-Handlung ist die vorausgehende Absicht, die durch die Handlung erfüllt werden soll. Es scheint keine Freitod-Handlung ohne vorausgehende Absicht zu geben.7 Die vorausgehende Absicht einer Freitod-Handlung ist grundsätzlich nicht nur eine bloße Selbsttötungsabsicht, sondern eine Selbsttötungsabsicht zu einem gewissen Zweck. Derjenige, der einen Freitod begeht, tötet sich aus einem gewissen Grund zu einem gewissen Zweck. Aber nicht jede Freitod-Handlung ist eine freie Handlung, die auf einer freien Willensentscheidung basiert. Solche Freitod-Handlungen, die unter Zwang oder Manipulation zustande kommen und nicht auf dem freien Willen des einzelnen Menschen basieren, können wir zur Abgrenzung von tatsächlichen Freitod-Handlungen, die auf dem freien Willen des einzelnen Menschen basieren, Selbstmord-Handlungen nennen. Es ist demzufolge sinnvoll zwischen Freitod und Selbstmord zu unterscheiden. Die für unsere Zwecke entscheidende Frage ist, ob es eine Freitod-Handlung auf der Basis einer freien Willensentscheidung einer Person geben kann mit der vorausgehenden Absicht, einen Zustand der Freiheit zu erreichen, der sich durch Abwesendheit von Zwang und Manipulation auszeichnet und die diese Absicht auch erfüllt. Wenn wir tatsächlich einen freien Willen haben, dann sollte es möglich sein, eine Freitod-Handlung auf dieser Basis zu vollziehen. Kann aber eine Handlung, die auf einer freien Willensentscheidung basiert, überhaupt eine vorausgehende Absicht haben? Wenn die Absicht selbst auf einer freien Willensentscheidung basiert scheint dies kein Problem zu sein. Eine Freitod-Handlung mit der beschriebenen vorausgehenden Absicht zu vollziehen, scheint demnach möglich zu sein. Kann aber eine Freitod-Handlung diese Absicht auch erfüllen? Eine Freitod-Handlung ist gewöhnlich dann erfolgreich vollzogen, wenn sie zum Tod des Handelnden führt. In welcher Weise wird aber dadurch ein Zustand der Freiheit erreicht? Der Tod ist sinnvollerweise nicht als Zustand anzusehen. Es ist überhaupt fraglich als was der Tod anzusehen ist. Ob als Grenze zwischen Existenz und Nicht-Existenz, und damit als etwas ohne tatsächlichen ontischen Status? Ob als Ereignis oder Prozess? Als verbürgt gilt, dass sich nach oder mit dem Tod eine bestehende Einheit zwischen Person und Körper auflöst. Der Körper, die Manifestation einer Person in der Welt ist nach dem Tod der Person nur mehr bloße Manifestation seiner selbst, nur mehr ein Körper an-sich. Mit dem Tod endet die Existenz einer Person in unsrer Welt, soviel ist gewiss, was mit dieser Person darüber hinaus geschieht ist unklar. Diese Tatsache hat die Konsequenz, dass sich eine Person durch den Freitod selbstständig unserer Welt und ihrer Existenz entziehen kann. Und so wie sich eine Person im Falle der Wahrheit von (T2) durch den Freitod dem grundsätzlichen Zwang zur Existenz entziehen kann, kann sich eine Person im Falle der Wahrheit von (T1) durch den Freitod dem immanenten Zwang der Existenz entziehen. Und selbst, wenn sich sowohl (T1) als auch (T2) als falsch herausstellen sollten, befähigt einen der Freitod in der beschriebenen Weise immer noch sich seiner Determinanten nachhaltig zu entheben, wenn wir diese als zwanghaft oder manipulierend erachten. Eine gelungene Freitod-Handlung ist demnach ein Akt der Selbstbefreiung. Aber in welcher Weise führt dieser Akt der Selbstbefreiung zu einem Zustand der Freiheit? Zwei Antworten auf diese Frage sind denkbar: (I) Der Mensch ist auf der Grundlage seiner partiell anwendbaren Fähigkeit der Freiheit nicht in der Lage einen Zustand der Freiheit zu erreichen. Es ist ihm aber möglich sich dem Zustand der Unfreiheit, den seine Existenz darstellt, mittels Selbstbefreiung durch eine Freitod-Handlung zu entheben. Die zweite denkbare Antwort lautet: (II) Der Mensch ist durch eine Freitod-Handlung auf der Basis seines freien Willens in der Lage einen Zustand der Freiheit zu erreichen, der sich durch bloße Negativität, durch Nicht-Existenz (in unserer Welt) und die damit verbundene Abwesendheit von Zwang und Manipulation auszeichnet. Die zweite Antwort basiert auf der Annahme, dass sich der Zustand in dem sich eine Person nach ihrem Freitod befindet, wie immer dieser Zustand aussehen mag, ob er sich durch Nicht-Existenz oder Fort-Existenz auszeichnet, als ein grundsätzlich negativer Zustand in bezug auf die vorangehende Existenz in unserer Welt auszeichnet, die durch den Freitod verneint wurde. Für welche der beiden Antworten (I) und (II) wir uns auch immer entscheiden, eines ist in beiden Fällen in bezug auf das Gelingen der beschriebenen Freitod-Handlung zu berücksichtigen. Für das Gelingen der beschriebenen Freitod-Handlung ist es nötig, dass sich der einzelne Mensch seiner Freiheit bewusst wird, seiner Fähigkeit der Freiheit, so wie seiner Möglichkeit der Selbstbefreiung oder frei zu sein. Nur wenn er auf der Grundlage seines freien Willens handelt und die Absicht bildet, Freiheit durch eine Freitod-Handlung zu erlangen, kann er durch eine Freitod-Handlung auch tatsächlich Freiheit erlangen. Denn die Freiheit des Einzelnen ist der Freitod.

1 Der Einzige und sein Eigentum, Stuttgart: Reclam, 1972, S. 256.

2 Unterlassungen von Handlungen werden auf dieser Grundlage nicht als Handlungen angesehen.

3 Manche Philosophen vertreten die These, dass es Handlungsfreiheit auch ohne freien Willen geben kann. Diese These basiert vor allem auf einer Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Zwängen; demnach handelt jemand dann und nur dann frei, wenn sein Handeln nicht durch äußere Zwänge, d.h. Behinderungen, etc. beeinträchtigt ist. Meiner Ansicht nach ist die Unterscheidung zwischen äußeren und inneren Zwängen unangemessen, da ein Zwang immer den Willen einer Person betrifft, was für sogenannte äußere Zwänge nicht gilt. Wenn wir Handlungsfreiheit durch die Abwesenheit äußerer Zwänge definieren, dann müsste wir einen ferngesteuerten Roboter, der in seinen Bewegungen durch keine Hindernisse oder Beschränkung beeinträchtigt ist, als frei bezeichnen, was aber absurd ist. Handlungsfreiheit ist mehr als die Abwesendheit äußerer Hindernisse oder Beschränkungen.

4 Höchstens dann wenn wir auch Unterlassungen von Handlungen als Handlungen auffassen und den Begriff der Denkbewegungen oder mentaler Prozesse in unsere Betrachtungen einfliesen lassen.

5 Die Wirkungsweisen des immanenten Zwangs der Existenz müssten im Detail noch ausgearbeitet werden.

6 Wenn die Existenz tatsächlich eine Existenz wie in der oben beschriebenen Existenz-Haft ist, dann ist die einzige Möglichkeit Freiheit zu erlangen, sich dieser Existenz zu entziehen. Der einzige Weg zur Freiheit der einem auf dieser Grundlage bleibt, ist der Weg der Selbstbefreiung durch Freitod.

7 Eine Freitod-Handlung ohne vorausgehende Absicht ist keine Freitod-Handlung.

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