Der „Ring des Nibelungen“ als mythische Nacherzählung – die Leipziger Oper hat nach 40 Jahren Richard Wagners Mammutwerk erstmals wieder als Zyklus auf dem Spielplan

Seit 1878/79 ist es der vierte „Ring“, den die Geburtsstadt Wagners nach langer Pause in ihrer Oper realisiert hat. Ein internationales Publikum eilte für beide Zyklen nach Leipzig, und die Einheimischen – unter ihnen die Älteren – erwarteten gespannt, was ihnen nach dem berühmten Ring von Joachim Herz aus den Jahren 1973-1976 Neues geboten würde.

Bereits Operndirektor Angelo Neumann hatte 1878, zwei Jahre nach der Erstaufführung in Bayreuth, mit der Genehmigung Richard Wagners begonnen, den Ring in Leipzig auf die Bühne zu bringen. „Manches viel befriedigender zur Geltung gelangt wie in Bayreuth“ urteilte die Presse damals.

Dieser „Ring“ warf einen langen Schatten ähnlich dem viel späteren von Joachim Herz. Das Werk als kompletter Zyklus kam erst wieder anlässlich des 125. Geburtstages des Komponisten 1938 zur Aufführung. Wolfram Humperdinck, der Sohn des Komponisten Engelbert Humperdinck, hatte 1933 mit der Inszenierung des „Rheingolds“begonnen, dabei auf „Werktreue“ bestanden, allerdings auf neue Maßstäbe in bühnentechnischer Hinsicht gesetzt. Schon vor dem sogenannten „Jahrhundert-Ring“ von Patrice Chéreau in Bayreuth setzte Joachim Herz ab 1973 neue Maßstäbe für die Wagner-Interpretation.

Mit dem Abschied vom Bärenfell und der Neubayreuther Weihestimmung setzte Herz im Sinne George Bernhard Shaws auf die politischen Implikationen des „Rings“ und machte die Götter zu Feudalherren und Alberich zum ersten Kapitalisten. In einem spektakulären Bühnenbild von Rudolf Heinrich fand der Kampf um die Macht und die Unterdrückung der Besitzlosen als sozial-revolutionäres Drama und auch als Befreiungsdeklaration für das Theater in der DDR statt.

In diesem Jahr nun endlich nach 40-jähriger Pause der gesamte neue Leipziger „Ring“ in der Inszenierung von Rosamund Gilmore mit dem Gewandhaus Orchester unter der Leitung des Intendanten und Generalmusikdirektors Ulf Schirmer. Bereits im Wagner-Jubiläumsjahr 2013 war das „Rheingold“ erschienen, der „Ring“ hatte Zeit zum Wachsen.

Am Ende des berühmten Vorspiels zum sogenannten „Vorabend“ tauchen vor den Rheintöchtern in einer monumentalen Phantasiearchitektur und inmitten eines Planschbeckens dunkel umhüllte bewegte Wesen auf. Die Rheintöchter schwimmen ja schon lange nicht mehr auf deutschen Bühnen und sind jetzt statt vom Wasser „in den Tiefen des Rheins“ offensichtlich von Bedeutungstiefe umgeben. Alberich, garnicht zwergenhaft, hat eher die Ausstrahlung eines Wotan, der wiederum trotz Tragen seines Speeres eine gewisse jugendliche Unbekümmertheit ausstrahlt.(Jürgen Linn und Tuomas Pursio).

Man wird in der „Walküre“ und im „Siegfried“ noch zwei weitere Sänger als Wotan erleben, beinahe rollengerecht bei der Vielschichtigkeit und Wandlung dieser Figur. Das ist übrigens eine Auffälligkeit dieses „Rings“, dass tragenden Rollen in den jeweiligen Teilen mit unterschiedlichen Sängerinnen und Sängern besetzt sind.. Auch ohne aufwendige Bühnentechnik gelingt der Abstieg nach Nibelheim als einer der Höhepunkte des ansonsten kammerspielartigen „Rheingolds“, in dem mitunter die Personenführung wie auch in manch anderen Szenen des Rings zu kurz kommt.

Die Verwandlung Alberichs in einen Riesenwurm dank der als Skelettteile kostümierten Tänzer ist allerdings spektakulär. Wo Magie und Märchen ins Spiel kommen, vor allem im „Siegfried“, ergänzt die Choreografie von Rosamund Gilmore das Bühnengeschehen und die Musik perfekt, in anderen Szenen erledigt das Tanzensemble zwar nützliche Arbeiten wie das Bereitstellen und Wegräumen von Requisiten wirkt aber nicht sinnstiftend.. Den ganzen Zyklus in einer Form des „mythischen Realismus“ zu erzählen, war die Absicht der Regisseurin und „die mythische Kraft, die die einzelnen Teile verbindet, sollte durch Kreaturen, halb Mensch,halb mythologische Wesen, von Tänzern verkörpert werden“ (R. Gilmore).

Nicht eine Neudeutung des „Rings“ war das Ziel sondern unter Einsatz von Tänzern seine Geschichte mit neuen Mitteln zu erzählen. Nun enthält ja dieses Werk Erzählung satt, man denke nur an Wotans großen Monolog im zweiten Aufzug der „Walküre“, in dem er die gesamte Handlung des „Rheingolds“ wiedergibt. Siegmund und Sieglinde im ersten Aufzug erzählen ihre Vorgeschichten, und auch Siegfried erzählt vor seinem Tod in der „Götterdämmerung“ seine Erlebnisse aus dem „Siegfried“.

Die Ring-Erzählung braucht keine noch so phantasievoll gestaltete Verstärkung durch den Tanz, zumal die Musik von Richard Wagner die stärkste Kraft des „Rings“ ausmacht. Was den Riesenbau dieser Tetralogie zusammenhält sind Wagners sogenannte „Leitmotive“, nach seiner eigenen Definition Motive der „Ahnung“ und „Erinnerung“. Sie dienen als Wegweiser in konkreten Handlungszusammenhängen, greifen wie das Libretto vor und zurück und legen sich als ein verbindendes Netz über das gesamte Werk.

Wer nur die Handlung kenne, schrieb1889 Bernhard Shaw, der wisse nichts vom hintergründigen Sinn in Text und Partitur. So gesehen enttäuscht dieser neue Leipziger Ring, der dennoch von starken Bildern (Bühne und Kostüme: Carl Friedrich Oberle und Nicola Reichert) lebt und musikalisch mit guten Sängern und einem hervorragenden Orchester auftrumpft. Selten hat man Bläser so tosen, Geigen so flirren und die Steigerung des Gesamtklangs bis zum Äußersten hören können. Thomas J. Mayer, den man bereits vor Jahren im Karlsruher Ring als Wotan kennenlernen konnte, hat stimmlich enorm zugelegt und brilliert als Wotan in der „Walküre“.

Schöner und ergreifender kann man „Wotans Abschied“ nicht singen. Eva Johansson als Brünnhilde ist ihm ebenbürtig, kommt aber an die Qualität von Christiane Libor mit ihrem hochdramatischen und bis zu höchsten Höhen flutenden Sopran in der „Götterdämmerung“ nicht heran. Dort ließ auch Siegfried (Thomas Mohr) aufhorchen, den man schon im „Rheingold“ als Loge hören konnte. Mit weniger Metall in der Stimme als Christian Franz als „Siegfried“- Siegfried gab er mit seinem sicher geführten schönen Heldentenor ein überzeugendes Rollendebut ab. Die „Götterdämmerung“ ist insgesamt der stärkste Teil dieses Zyklus, nicht nur musikalisch sondern auch szenisch. In einer überdimensionierten Säulenhalle, deren Säulen zum Schluss zerbersten, treten die Tänzer nur noch als Lakaien der Gibichungen auf und erinnern noch andeutungsweise an die Fabeltiere der einzelnen Götter. ( Wotans Raben und Frickas Widder). Siegfried kommt neben Grane (ein Tänzer:Ziv Frenkel ) zu Fall, und neben seine Leiche legt sich Brünnhilde am Schluss auf einen von innen glutrot aufleuchtenden Konzertflügel.

Auch die Requisiten vergangener Szenen färben sich rot wie die Stoffballungen, die zu denen in der Musik herunterfallen und alles bedecken. Das Ende der Götter ist auch das Ende der Zivilisation, und ob es Hoffnung auf einen Neubeginn gibt, bleibt offen.

In der nächsten Spielzeit steht der Zyklus während der Wagner-Festtage vom 28. Juni bis zum 2.Juli auf dem Programm.

Über Sylvia Hüggelmeier 33 Artikel
Sylvia Hüggelmeier studierte Kunstgeschichte, Germanistik, Publizistik und Pädagogik an den Universitäten Münster/Westfalen und München. Seit 1988 schreibt sie als Freie Journalistin für verschiedene Zeitungen.

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