Die bestrittene Willensfreiheit in der Neurobiologie und das egoistische Gen der Soziobiologie, zwei Kategorienfehler der modernen Naturwissenschaft, die „böse in die Irre führen

Viele Neurobiologen bestreiten die Willensfreiheit des Menschen und fordern, da die Menschen dieser Erkenntnis nach nicht für ihre Taten verantwortlich gemacht werden können, eine grundlegende Reform bzw. gar die Abschaffung des bisherigen Strafrechts (etwa unter: Berliner Zeitung – Archiv). Der andere Fall eines Kategorienfehlers liegt in der Soziobiologie. Dort wird das Sozialverhalten des Menschen allein mit einem gen-zentrierten Ansatz von der Evolutionstheorie her verstanden, und zwar unter Leugnung der Eigenständigkeit des geistig-kulturellen Seins des Menschen als Kategorie eigener Art. Das läuft durch diesen gen-zentrierten Ansatz definitionsgemäß stets auf einen Sozialdarwinismus hinaus. Eine Erkenntnis von Konrad Lorenz zeigt, dass beiden naturwissenschaftlichen Vorstößen ein gemeinsamer Kategorienfehler hinsichtlich des menschlichen Seins zugrundeliegt. Denn nach Lorenz ist auch das evolutive Sein des Menschen geschichtet, wobei direkte Übertragungen oder Anwendungen von Erkenntnissen oder Gesetzmäßigkeiten einer Schicht oder Ebene (neuronal oder genetisch) auf eine andere (geistig) als sogenannte Kategorienfehler „böse in die Irre führen“. Nur mit der Berichtigung des Kategorienfehlers stimmen die neurobiologischen Erkenntnisse mit der jahrhundertelang bewährten Praxis des Strafrechts überein und bestätigen diese voll und ganz, und in Hinsicht auf die Soziobiologie kann nur so eine sozialdarwinistische Interpretation menschlichen Sozialverhaltens verhindert und stattdessen der Fokus auf das weitere Wachsen des Eigentlich-Menschlichen gelegt werden, nämlich als geistig-kulturelle und nicht genetische Weiterentwicklung.

Die Schichtung des evolutiven Seins nach Konrad Lorenz
Die Evolution hat sich dem Verständnis von Konrad Lorenz nach nicht gleichmäßig vollzogen, sondern sie besitzt die Struktur einer Schichtung, die sich auch in den Lebewesen selbst wiederfindet. Die vier großen Schichten des evolutiven Seins sind das Anorganische (Materie), das Organische (Pflanzen), das Seelisch-Emotionale mitsamt des Raum-Bewusstseins (Tiere) und das selbstbewusst Geistige (Menschen). Lorenz stützt sich hier auf den Philosophen Nicolai Hartmann, dem nach es „gewisse Grundphänomene unüberbrückbarer Andersheit im Stufengange der Realgebilde“ gibt, wobei „eine phänomengerecht angelegte Kategorielehre diese Einschnitte ebenso sehr berücksichtigen [muss] wie die Seinszusammenhänge, die über sie hinweggreifen“ (Lorenz 1987, S. 57). Über die Beziehungen und Bedingungen, die zwischen diesen Schichten herrschen und sie darin als solche erst definieren, zitiert Lorenz weiter dazu Hartmann mit den Worten: „So erhebt sich die organische Natur über der anorganischen. Sie schwebt nicht frei für sich, sondern setzt die Verhältnisse und Gesetzlichkeiten des Materiellen voraus; sie ruht auf ihnen auf, wenn schon diese keineswegs ausreichen, das Lebendige auszumachen. Ebenso bedingt ist seelisches Sein und Bewußtsein durch den tragenden Organismus, an und mit dem allein es in der Welt auftritt. Und nicht anders bleiben die großen geschichtlichen Erscheinungen des Geisteslebens an das Seelenleben der Individuen gebunden, die seine jeweiligen Träger sind. Von Schicht zu Schicht, über jeden Einschnitt hinweg, finden wir dasselbe Verhältnis des Aufruhens, der Bedingtheit >von unten< her, und doch zugleich der Selbständigkeit des Aufruhenden in seiner Eigengeformtheit und Eigengesetzlichkeit“ (Lorenz 1987, S. 57-58).
Die Bildung einer neuen Schicht mit ihrer Eigengesetzlichkeit ist nach Lorenz dadurch verursacht, dass manchmal in der Entwicklung „schlagartig völlig neue Systemeigenschaften [entstehen], die vorher nicht, und zwar auch nicht in Andeutungen, vorhanden gewesen waren“ (Lorenz 1987, 49). Lorenz veranschaulicht das als Zusammenschalten einer Spule mit einem Kondensator zu einem elektrischen Schwingungskreis, dessen neue Eigenschaften vorher weder in der Spule noch im Kondensator auch nur ansatzweise zu finden waren. Diese Erkenntnis erklärt, dass es auf der geistigen Ebene des Menschen eine Willensfreiheit geben kann, obwohl derselbe Vorgang auf der darunterliegenden, neuronalen Ebene rein deterministisch bedingt ist und dort eine Willensfreiheit nicht einmal ansatzweise zu finden ist. In gleicher Weise existiert auf der organischen Ebene die Lebendigkeit, obwohl bei Betrachtung desselben Geschehens auf der anorganischen Ebene darunter eine Lebendigkeit nicht existiert.
Bedingt durch die „Eigengeformtheit und Eigengesetzlichkeit“ der verschiedenen Schichten oder Ebenen, die darin die Schichtung erst definieren, ist es nicht möglich, Erkenntnisse der einen Schicht auf eine andere ohne Weiteres zu übertragen. Zu diesen Grenzüberschreitungen oder Kategorienfehler, die „böse in die Irre führen“ (Lorenz 1987, 61), schreibt Lorenz weiter: „Wir verstehen genau, warum es unmöglich ist, die Eigenschaften des höher integrierten Systems aus denen des niedrigeren zu deduzieren (s. S. 55), und ebenso, warum es blanker Unsinn ist bei den einzelnen Untersystemen einer Ganzheit oder bei einfacheren Vorfahren höherer Lebewesen nach Eigenschaften und Leistungen zu fahnden ‑ geschweige denn solche zu postulieren ‑, die erst mit dem schöpferischen Akt höherer Integration in Existenz getreten sind“ (Lorenz 1987, 61). Daher kann es sehr wohl eine Willensfreiheit auf der geistigen Ebene des Menschen geben, obwohl diese Eigenschaft auf der neuronalen Ebene nicht vorhanden ist, genauso wie der Egoismus der geistigen Ebene des Menschen nicht auf der darunterliegenden genetischen Ebene als ein „egoistisches Gen“ postuliert werden kann bzw. das geistig-kulturelle Sein des Menschen nicht unter genetischen Gesetzmäßigkeiten beurteilt werden kann. In beiden Fällen liegt gemäß dem Schichtmodell von Lorenz ein Kategorienfehler vor.

Der Kategorienfehler der Neurobiologie
Die Gehirnforschung betrachtet das menschliche Sein auf der neuronalen Ebene. Sie stellt dort natürlicherweise eine Determiniertheit fest, da hier alles den physikalisch-chemischen Naturgesetzen entsprechend abläuft. Bei den sogenannten Libet-Experimenten wird dabei erkannt, dass schon vor dem angegebenen Willensschluss der Probanden ein sogenanntes „Bereitschaftspotential“, das als Auslöser einer Handlung gilt, in bestimmten Hirnregionen gemessen werden kann. Diese Erkenntnis der neuronalen Ebene wird von vielen Neurobiologen dann einfach auf die geistige Ebene des Menschen übertragen und angewandt, was zu der Aussage führt, dass es den freien Willen überhaupt nicht geben kann und dass in der Konsequenz dessen etwa Straftäter für ihre Taten nicht verantwortlich gemacht werden können.
Das Schichtmodell von Lorenz deckt auf, welcher gravierende (Kategorien)Fehler dieser Interpretation der neurobiologischen Versuche und Erkenntnisse mit ihren offensichtlich weltfremden Forderungen an das lange bewährte Strafrecht zugrundeliegt. Zunächst sind die Ergebnisse der Neurobiologie insofern richtig, da es auf der physikalisch-chemischen Ebene, die die Neurobiologen auch in den Libet-Experimenten beobachten, natürlich keine Willensfreiheit gibt, aber dort gibt es auch keine Farbwahrnehmung, keine Laute und keine Ich-Vorstellung.
Um die Beziehungen zwischen den neuronalen Vorgängen und dem Empfinden und Bewusstsein dieser Vorgänge auf der geistigen Ebene des Menschen an einem anschaulichen Beispiel darzustellen: Wenn sich jemand etwa auf einer Speisekarte für ein bestimmtes Gericht entscheidet, so hat »er« auf der geistigen Ebene dabei das Empfinden, das mit einem freien Willen zu tun, doch die Betrachtung desselben Vorgangs dieser freien Wahl auf der neuronalen Ebene sieht ganz anders aus. Vor allem gibt es dort kein »Ich-Zentrum«, keinen Homunkulus oder keine besonderen, »geistigen« Neuronen. Das ist im Grunde eine der wichtigsten Erkenntnisse der Neurobiologie, wenn nicht gar die wichtigste. Auch die Vorstellungen und Reflexionen des frei handelnden Ichs der geistigen Ebene bestehen auf der neuronalen Ebene nur in bestimmten, ebenfalls deterministischen Rückkopplungsvorgängen.
Im Einzelnen heißt das an dem genannten Beispiel der Auswahl eines Gerichtes, dass bestimmte neuronale Erregungszustände des vegetativen Nervensystems vorliegen, wie Appetit oder Ekel, desweiteren emotionale unseres Instinktsystems, etwa als Freude darüber, sich satt zu essen und natürlich liegen auch Erregungszustände der »höheren« neuronalen Vorgänge oder Denkprozesse vor, die die finanziellen Kosten des Gerichts, Folgen für das Übergewicht usw. betreffen. Alle diese neuronalen Zustände treffen mit je nach Situation unterschiedlichen und wechselnden Stärken vereinfacht gesagt aufeinander, wobei sich wie überall auf der materiell-körperlichen Ebene der stärkste Impuls deterministisch und den physikalisch-chemischen Gesetzen gemäß durchsetzt und auf diese Weise zur neuronalen Entscheidung führt. Diese Entscheidung wird durch motorische oder akustische neuronale Impulse dann in die Tat umgesetzt, gleichzeitig darin auch neuronal als Entscheidung registriert und reflektiert und so auf der geistigen Ebene des Menschen erst bewusst, allerdings in der Weise, dass auf der geistigen Ebene sich die dort existierende Ich-Vorstellung diese Entscheidung als frei und bewusst im Vorhinein der Entscheidung getroffen zuschreibt und nicht als Reflexion einer deterministisch gefallenen Entscheidung im Nachhinein. Die Struktur der neuronalen Entscheidungsfindung entspricht darin der der geschichteten evolutiven Entwicklung, d.h. die das Bewusstsein ergebenden »höheren« neuronalen Prozesse liegen stets am Ende eines eigentlichen Entscheidungsvorgangs, auch wenn Bewusstseinsprozesse bei der deterministischen Entscheidung ebenfalls beteiligt waren. In dieser Weise wird sozusagen ein Wille der Ich-Vorstellung erst dann in der Reflexion bewusst, »nachdem er schon gewollt war«.
Konrad Lorenz hat von einem „Parlament der Instinkte“ gesprochen. Darin hat dann auch das, was wir unserer geistigen Ebene gemäß Verstand und Vernunft nennen, nur eine mehr oder weniger starke Stimme, die entsprechend ihrer Stärke in die deterministische Entscheidung eingeht, wobei wir in der Regel die Durchsetzung eines Instinkts gegen die Vernunft ebenfalls als unseren Willen bezeichnen, etwa im Falle einer Straftat. Interessant wird es jedoch, wenn überstarke Gefühle oder Instinkte vorhanden sind, etwa im Fall einer Sucht wie bei Rauschgiften, aber ein anderes gutes Beispiel dafür ist die von vielen Menschen heute vergeblich gewünschte und angestrebte Gewichtsreduzierung. Hier will ganz offensichtlich das »vernünftige Ich« etwas anderes als das, was sich im determinierten Prozess der Entscheidung auf der neuronalen Ebene faktisch durchsetzt. Gerade diese Fälle bestätigen so, wie die Entscheidungsprozesse neuronal ablaufen.

Die Umdeutung des neuronalen Geschehens auf der geistigen Ebene des Menschen
Um in dieser Weise das Libet-Experiment nachzuvollziehen: Der Wille zu der auszuführenden körperlichen Bewegung ist im Grunde schon seit Bekanntwerden des Versuchsablaufs mehr oder weniger latent vorhanden. Irgendwann setzt sich dieser neuronale Impuls, die Bewegung tatsächlich auszuführen, gegenüber den neuronalen Impulsen unseres Empfindungs- und Denkprozesses durch, es noch nicht zu tun. Auf der höchsten neuronalen Ebene dieser Denkprozesse und Reflexionen gibt es dabei definitionsgemäß keine sozusagen neuronale Instanz darüber, die entscheiden könnte, den ausführenden neuronalen Impuls zu einem bestimmten Moment in Gang zu setzen (und wenn es sie gibt, müsste das neuronale Geschehen dort betrachtet werden). Das Wechselspiel der von gegensätzlichen oder verschiedensten neuronalen Einflüssen geprägte Geschehen auf der höchsten oder letzten neuronale Ebene der Ich-Vorstellung und Denkprozesse kann sich daher dort nur deterministisch gemäß der physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten entscheiden (ansonsten müsste es so etwas wie »geistige Neuronen« oder einen Homunkulus geben).
Erst im Nachhinein dieser deterministischen Entscheidung kommt es zur neuronalen Erkenntnis oder Reflexion der schon vollzogenen Entscheidung. Nur darin wird es auf der geistigen Ebene bewusst, dass die Entscheidung tatsächlich gefallen ist. Es wird jedoch nicht das vorangegangene determinische neuronale Geschehen erkannt und bewusst, sondern die Reflexion allein ist der ursprüngliche Erkenntnis- und Bewusstseinsakt. Erst darin kann sich der Proband im Libet-Experiment den Zeitpunkt seines Willensausführung merken bzw. das ist der Zeitpunkt der Erkenntnis und des Bewusstseins der Willensausführung, obwohl zu diesem Zeitpunkt, wie es der Libet-Versuch bestätigt, die eigentliche Entscheidung neuronal schon stattgefunden hat. Dass sie faktisch schon vorher stattgefunden hat, kann dem Probanden naturgemäß nicht bewusst sein oder werden, wenn die neuronale Entscheidung deterministisch fällt und die neuronale Erkenntnis oder Reflexion dessen naturgemäß stets später erfolgt.
Die Deutung des deterministischen neuronalen Entscheidungsprozesses als »unsere« Entscheidung ist zwar insofern sogar richtig, da sowohl die vegetativen und instinkthaften neuronalen Einflüsse als auch die der selbstbewussten Denkprozesse, die an dieser Entscheidung beteiligt sind, alle zu »uns« gehören. Doch wie alle neuronalen Prozesse geschieht auch die eigentliche Entscheidung auf der neuronalen Ebene rein deterministisch, wobei der bewusstseinsschaffende neuronale Reflexionsprozess der vollzogenen Entscheidung dort wie gesagt stets erst im Nachhinein der Entscheidung stattfindet, während auf der geistigen Ebene dasselbe Geschehen so gedeutet wird bzw. nur gedeutet werden kann, als habe die dort existierende Ich-Vorstellung diese Entscheidung im Vorhinein, bewusst, frei und willentlich getroffen.
Diese Umdeutung des deterministischen neuronalen Prozesses auf der geistigen Ebene ist jedoch nicht als ein zu berichtigender Fehler anzusehen, wie es die Neurobiologen als Verleugnung der Willensfreiheit tun, denn genau in dieser Umdeutung oder »Verfälschung« wird die geistige Ebene oder Schicht in ihrer „Eigengeformtheit und Eigengesetzlichkeit“ als frei denkende und handelnde Person oder Ich-Vorstellung erst bedingt, geschaffen und erhalten. Diese dort existierende Form oder Struktur eines Ichs ist dabei nicht weniger real als eine Farbwahrnehmung, denn dort geschieht vom Grundsatz her als Umdeutung oder »Verfälschung« dasselbe, da wir ganz bestimmte Wellenlängen des elektromagnetischen Spektrums auf der physikalischen Ebene in unserem Bewusstsein nicht als diese elektromagnetischen Wellenlängen erkennen, sondern wir empfinden und erkennen diese ganz bestimmten Wellenlängen auf der darüber liegenden Ebene in einer »Verfälschung« als etwas ganz anderes, nämlich als Farbe. Zu sagen, dass auf der physikalischen Ebene der elektromagnetischen Wellenlängen keine Farbe existiert und sie daher auch nicht in unserem Erkennen existieren kann, wäre derselbe Kategorienfehler wie im Fall der Willensfreiheit.
Der Proband des Libet-Experiments in seinem Selbstbewusstsein auf der geistigen Ebene kann es daher stets nur so verstehen, dass »er« zu diesem ersten Zeitpunkt der Bewusstwerdung der Entscheidung diese Entscheidung gewollt hat und zwar frei und willentlich. Würde er die deterministischen neuronalen Prozesse nicht in dieser Art verstehen, gäbe es keine Ich-Vorstellung, keine Persönlichkeit und kein Mensch-Sein. Das Geheimnis, Rätsel oder Wunder des freien und willentlichen Ich-Erlebens liegt so nicht in den neuronalen Prozessen, sondern in dem Erleben dieser neuronalen Prozesse auf der darüber liegenden Ebene des geistigen Seins, die gegenüber der neuronalen Ebene eine „Eigengeformtheit und Eigengesetzlichkeit“ besitzt.

Die Umdeutung ist selbst Teil des neuronalen Prozesses und erhält darin die geistige Ebene
Das bewusste Ich-Empfinden ist so das grundlegende Phänomen der geistigen Bewusstseinsschicht des Menschen, d.h. die Bedingungen, Strukturen und Gesetzlichkeiten auf dieser Ebene sind derart, dass wir in unserem Erkennen, Bewerten und Handeln stets und unbedingt davon ausgehen müssen, dass »wir« als frei handelnde Persönlichkeit auf der geistigen Ebene existieren, ebenso wie wir das allen anderen Menschen unbedingt zuschreiben müssen, vor allem auch im Strafrecht. Diese unbedingte Zuschreibung als frei und willentlich handelnde Person bildet nicht nur die Grundstruktur der geistigen Ebene, sondern diese Zuschreibung gehört in ihrer Wirkung auf der neuronalen Ebene dabei mit zu den wichtigsten deterministisch wirkenden Einflüssen, und nur in dieser Weise kann sich das geistig-kulturelle Sein als exklusive Ebene des menschlichen Seins in dieser Struktur erhalten und weiterentwickeln.
Indem der Mensch auf der geistigen Ebene so handelt, als hätte er einen freien Willen, hat er ihn dort tatsächlich, und er muss auch so handeln, um sein selbstbewusstes Mensch-Sein und seine Würde zu erhalten. Nur darin erhält auch das weiter Gültigkeit, was schon Darwin über das Gehirn des Menschen als „wunderbare Maschine“ gesagt hat, „die allen Arten von Dingen und Eigenschaften Zeichen beilegt und Gedankenreihen wachruft, die niemals durch bloße Sinneseindrücke entstehen könnten, oder, wenn dies der Fall wäre, doch nicht weiter verfolgt werden könnten“ (Darwin 2002, 268), wobei daraus „die höheren intellektuellen Fähigkeiten, wie das Schließen, Abstrahieren, das Selbstbewußtsein usw., entstanden“ (Darwin 2002, 268). Diese Abstraktionen funktionieren nur, wenn es in diesen Abstraktionen einen Handelnden gibt, der sich darin als frei und willentlich Handelnder versteht, auch wenn das selbst nur eine Abstraktion ist.
Die geistige Ebene des Menschen, auf der dieser als Person mit einem freien Willen existiert, ist darin natürlich nichts Substantielles, sondern wie der Wert des Geldes beruht es lediglich auf einer relativen Übereinkunft, Reflexion oder Abstraktion. Doch das ist darin nichts Neues, denn selbst der Beginn des Lebens und der Evolution mit der Bildung der ersten Urzelle bestand darin nicht in einer neuen Substanz, sondern lediglich in einer besonderen Struktur, die sich dann darin immer weiter entwickelte. Auch im Gehirn eines Menschen gibt es so nichts Besonderes, das ihn von den neuronalen Vorgängen bei einfachen Tieren unterscheidet, außer eben das besondere Zusammenspiel dieser neuronalen Vorgänge. Wenn dieses besondere Zusammenspiel als spezielle Struktur und Gesetzmäßigkeit der geistigen Ebene geleugnet wird, wie es viele Neurobiologen insofern versuchen, als sie dem Ich die Willensfreiheit als wichtigste und prägendste Eigenschaft absprechen, so wäre darin die grundlegendste Übereinkunft der geistigen Ebene des Mensch-Seins und damit diese Ebene selbst aufgehoben. Es wäre dasselbe, als würde die Übereinkunft des Geldwertes gekündigt, weil man erkannt hat, dass es im Grunde doch nur Papier ist – und dann wäre das Geld tatsächlich nur noch bloßes Papier. Genauso wäre ein Ich, das sich nicht als frei handelnd versteht, kein menschliches Sein mehr, sondern nur noch ein animalisches Wesen, dessen Verhalten nach festen Instinktprogrammen ohne Selbstbewusstsein deterministisch abläuft. Der Mensch würde so als unmündig behandelt und wäre es darin auch.
Ebenfalls zu den Einflüssen, die eine Entscheidung auf der neuronalen Ebene direkt und deterministisch bedingen, gehört die zugeschriebene Verantwortung und die damit verbundene Androhung von Strafen bei bestimmten Verhaltensweisen, die zwar dem animalischen Recht des Stärken entsprechen, aber nicht einem Zusammenleben der Menschen, das von geistig-kulturellen Werten geprägt ist. Wenn also die Menschen für ihr geistig-kulturelles Fehlverhalten nicht mehr verantwortlich gemacht oder bestraft würden, so würde das als Wissen auf der neuronalen Ebene sofort und direkt die deterministisch ablaufenden neuronalen Entscheidungsprozesse mit beeinflussen, so dass sich in der Konsequenz nur noch die neuronalen Impulse unseres ja weiterhin vorhandenen Instinktsystems durchsetzen würden. Die geistig-kulturelle Ebene des Mensch-Seins würde sich dadurch nicht nur in theoretisch-abstrakter Hinsicht aufheben, sondern der Mensch würde dadurch ganz konkret und praktisch wieder auf die Ebene des animalischen Seins mit seinem Recht des Stärkeren zurückfallen.

Dieses Verständnis des freien Willens lässt sich auch schon bei Kant finden, wenn dieser sagt: „Ein jedes Wesen, das nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln kann, ist eben darum, in praktischer Rücksicht, wirklich frei, d.i. es gelten für dasselbe alle Gesetze, die mit der Freiheit unzertrennlich verbunden sind, eben so, als ob sein Wille auch an sich selbst, und in der theoretischen Philosophie gültig, für frei erklärt würde“ (Kant 2005, S. 105), und: „Der Mensch handelt nach der Idee von einer Freiheit, als ob er frei wäre, und eo ipso ist er frei“ (Kant 1830, S. 132).

Der Kategorienfehler in der Soziobiologie
Diese Art von Kategorienfehler ist auch in der Soziobiologie zu finden. Denn die heutige Soziobiologie bestreitet mit ihrem gen-zentrierten Ansatz genau das, was der Verhaltensforscher Konrad Lorenz gerade besonders betont und herausstellt, nämlich Geist und Kultur des Menschen als Schicht oder „Kategorie eigener Art“ (Voland 2013, 214). Auch für Darwin war es (in seiner Auseinandersetzung mit den spiritualistischen Ansichten von Alfred Russel Wallace) „durchaus nicht berechtigt, den Menschen in eine besondere Ordnung zu stellen“ (Darwin 2002, 194), während Lorenz ganz im Gegensatz dazu den Geist des Menschen sogar mit der Entstehung des Evolutionsprozesses selbst vergleicht und es für ihn die beiden größten Ereignisse oder „Fulgurationen“ sind, „die sich in der Geschichte unseres Planeten je ereignet haben“ (Lorenz 1987, 216). Denn beim Menschen geschieht nun auf neuronale Weise genau das, was vorher auf genetische Weise den Kern dessen darstellt, was Evolution im Grunde ist, bedingt und trägt, nämlich die systematische Gewinnung, Speicherung und Weitergabe von Information (vgl. Lorenz, 217). Für Lorenz ist es „daher keine Übertreibung zu sagen, dass das geistige Leben des Menschen eine neue Art von Leben sei“ (Lorenz 1987, 217).
Dagegen werden Geist und Kultur in der heutigen Soziobiologie nur als Imitation gedeutet, als ein „»imitiere die Erfolgreichen!«“ (Voland 2013, 216), also die genetisch Erfolgreichen, so dass „Kul­turgeschichte begann, als das survival of the fittest ein Imitation of the fittest ins Schlepptau nahm“ (Voland 2013, 216). Weiter heißt es dazu bei Voland: „Vor diesem Hintergrund wird das eigentliche Problem der sogenannten »nature/nurture-Debatte« sichtbar: die unter manchen Biologen und Kul­turwissenschaftlern gleichermaßen weit verbreitete Auffassung, wonach »Sozialisation« oder »Kultur« Alternativen zur evolutiven Erklärung mensch­lichen Verhaltens sein sollen, beruht schlichtweg auf einem Kategorienfehler“ (Voland 2013, 215), und: „Die Auffassung von der gen-zentrierten Wirkweise der biologischen Evolution steht in krassem Widerspruch zu Vorstellungen, wie sie zuvor in der Verhaltensforschung vorgeherrscht haben und wie man sie mit dem Schlagwort der »Gruppenselektion« etikettiert hat“ (Voland 2013, 8).
Die Soziobiologie macht genau wie schon die Neurobiologie keinerlei Unterscheidung zwischen den verschiedenen Ebenen oder Schichten des evolutionär bedingten Seins und wirft von daher sogar den Kultur- und Geisteswissenschaftlern einen Kategorienfehler vor, weil diese das menschliche Sein unter anderen Gesetzlichkeiten als denen der genetischen Evolution verstehen. Doch im Sinne des Schichtenmodells von Lorenz begeht die Soziobiologie genau dadurch selbst den Kategorienfehler, weil auch das Sein des Menschen geschichtet ist und man nicht die Gesetzmäßigkeiten der einen (genetischen) Schicht einfach so auf die geistige Ebene übertragen kann, wobei zudem die geistige Ebene gar nicht als Ebene und Schicht eigener Art und Gesetzmäßigkeit angesehen wird, sondern nur als eine Imitation.
Wenn die Soziobiologie das geistige Sein des Menschen allein unter den genetischen Gesetzmäßigkeiten der darunterliegenden animalischen Ebene betrachtet, so ergibt das genau dadurch immer wieder einen Sozialdarwinismus, auch wenn das nicht gewollt und beabsichtigt ist. Diese Deutung beruht in derselben Weise auf einem Kategorienfehler, der nach Lorenz „böse in die Irre führt“, wie die Forderung nach Abschaffung des Strafrechts durch viele Neurobiologen.

Literatur:
Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, München 1987
Eckart Voland, Soziobiologie, Berlin-Heidelberg 2013
Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Stuttgart 2005
Immanuel Kant, Vorlesungen über die philosophische Religionslehre, Leipzig 1830

Über Ehlert Bernd 23 Artikel
Bernd Ehlert ist Mitglied im Humanistischen Verband Deutschlands sowie in der Meister-Eckhart-Gesellschaft. Er tritt für eine Überwindung der Widersprüche zwischen Natur- und Geisteswissenschaften und damit für ein einheitliches Weltbild ein. Ehlert ist auch Autor der Tabvla Rasa, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken.

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