Die Entstehung der Parthenon unter Phidias

Antike Reste, Griechenland, Foto: Stefan Groß

Zu Beginn des 5. Jh v. Chr. fielen die Perser in Griechenland ein, eroberten Athen und zerstörten die Akropolis. Nach dem Sieg des attitischen Bundes über die Perser in der Seeschlacht von Salamis (480 v. Chr.) betraute Perikles, einer der führenden Staatsmänner Athens, die berühmtesten Architekten und Bildhauer seiner Zeit damit, die Akropolis wieder aufzubauen. Die Wiederherstellung war zwischen  447 und 400 v. Chr. abgeschlossen.

Das erste  große, zwischen 447 und 432 v. Chr. errichtete Projekt war der Athene Parthenos gewidmet, das Parthenon. Perikles beauftragte Phidias mit der Überwachung der Arbeiten und der Ausführung der Kolossalstatuen (430 v. Chr.).[1]

Die Frage, inwieweit Phidias an der Planung und Ausführung des Skulpturenschmucks am Parthenon beteiligt war, hat in der früheren Phidias-Forschung eine große Rolle gespielt.[2] Plutrach berichtet, Phidias habe aufgrund seiner Freundschaft mit Perikles die Leitung oder Aufsicht über alle Arbeiten auf der Akropolis innegehabt. Einige Forscher haben daraus abgeleitet, dass Phidias das Programm der Bilder entworfen habe, das dann – daran lässt die Forschung keinen Zweifel – von mehreren Meistern ausgeführt worden sei, Phidias in gewissem Sinne also der Schöpfer des Skulpturenschmucks sei.

Heute ist die vorherrschende Meinung, dass Phidias eher eine Vermittlerfunktion zwischen den verschiedenen Bildhauern besaß. Da die Stadt Athen Auftraggeber des Parthenon war, wurden alle damit in Zusammenhang stehenden Fragen (auch die künstlerischen) der Volksversammlung vorgelegt, die auf demokratische Weise darüber befand. Man kann sich vorstellen, dass ein so hervorragender Künstler und einflussreicher Politiker wie Phidias ein von ihm entwickeltes Programm der Volksversammlung zur Entscheidung vorgelegt und sich damit durchgesetzt hat. Phidias war also nicht das große, alles überragende Genie, das nur seinem eigenen Gesetz gehorcht und in unüberwindlichem Gegensatz zu einer es kaum oder gar nicht verstehenden Volksmasse Kunst geschaffen habe, sondern eingebunden in Athens demokratische Strukturen; nicht das eigene Kunstgesetz war ihm oberstes Prinzip, sondern der Wille, Athen und dessen Demokratie zu dienen. Insofern muss man den Skulpturenschmuck am Parthenon als das Gemeinschaftswerk aller Athener ansehen.

Der Architekt Iktinos und sein Assistent Kallikrates entwarfen einen dorischen Tempel, der in seinen Dimensionen alle übrigen Tempel seiner Zeit übertraf. Der ganz aus weißem Marmor errichtete Bau wird von 16 Säulen auf jeder Langseite und acht Säulen auf jeder Schmalseite getragen. Die Säulen stehen auf einem dreistufigen Unterbau (Stereobat). Der Innenraum, die Cella, ist auf drei Seiten von einem Säulengang umgeben, der auf zwei Seiten zweistöckig ausgeführt ist. Darin erhob sich einst die majestätische Statue der Göttin, eines der großen Meisterwerke des Phidias, aus Gold und Elfenbein und ca. 13 Meter hoch. Heute können wir nur noch die Marmorsäulen mit ihren Kanneluren bewundern, sie haben an der Basis einen Durchmesser von 1,90 Meter und sind ca. 10 Meter hoch. Sie verjüngen sich nach oben hin (Entasis) und sind von einem dorischen Kapitell gekrönt. Die gesamte Konstruktion erscheint so harmonisch, weil sie sich streng an ihre mathematische Beziehung zwischen ihren Einzelteilen hält. Bemerkenswert ist auch die plastische Wirkung der Säulen.

Wie so viele andere Kunstwerke der Antike ist auch das berühmte Kultbild der Athena Parthenos, welches von Phidias entworfen wurde, zu heutiger Zeit nicht mehr erhalten. Lediglich durch antike Nachbildungen der Statue und Berichte antiker Geschichtsschreiber wie Pausanias ist es möglich, sich ein Bild der Darstellung zu machen. Sicher jedoch ist, dass Phidias die bedeutsame Kultstatue in einer ebenso eindrucksvollen Umgebung aufstellte, nämlich im Parthenon.

Die Athena Parthenos befand sich dabei im östlichen Teil des Tempels im Naos, der 29,52 Meter lang und 19,22 Meter breit war.[3] Der Raum war durch zwei Säulenreihen aus jeweils neun Säulen der dorischen Ordnung in drei Teile gegliedert, von denen der mittlere Teil 9,8 Meter in der Breite maß. In einem Abstand von ungefähr zehn Metern vom Eingang entfernt, befand sich die Athena-Statue, die durch eine Barriere vom restlichen Bereich abgetrennt war. Zudem reichte sie bis fast unter die Decke des Tempels und konnte aus diesem Grund auch nur aus relativ geringer Distanz im Ganzen betrachtet werden.

Wann genau der Entwurf und der Baubeginn der Athena Parthenos anzusetzen sind, ist ebenfalls unbekannt. Vermutlich konnte erst mit der Planung begonnen werden, als die Pläne für den Parthenon fertiggestellt waren, um den zu Verfügung stehenden Platz berechnen zu können. Fest steht aber, dass die Statue im Jahre 438 v.Chr. vollendet und im Heiligtum platziert wurde.[4]

Bei der Statue der Athena Parthenos handelte es sich um ein kolossales Kultbild von zwölf Metern Höhe, welches die Stadtgöttin Athena in einem bodenlangen Gewand darstellte. Das Monument bestand aus ebendieser gewaltigen Kultstatue und einer Basis, auf der die Geburt der Pandora in Anwesenheit von 20 weiteren Gottheiten zu erkennen war. Dabei war die Athena-Statue aus wertvollen Materialien erbaut. Die unbekleideten Teile der Athena sowie die Figur der Nike bestanden aus Elfenbein, das Gewand jedoch aus Gold.[5]

Auf dem 1,16 Meter hohen Kopf der Athena Parthenos schloss sich ein reicher Kopfschmuck von 1,45 Meter Höhe an. Die Grundlage des Kopfschmucks bildete ein Helm der attischen Form mit Nackenschirm und beweglichen Wangenklappen, auf dem zentral eine Sphinx abgebildet war. Diese Sphinx galt als Symbol der Weisheit, während die Greifenprotome zu beiden Seiten der Sphinx auf dem Helm als Schützer des Goldes verstanden wurden. Phidias nutzte den Nackenschirm des attischen Helmes hierbei wohl als Unterstützung des Halses, welcher durch den üppigen Kopfschmuck stark beansprucht war.

Den Helm setzte Phidias jedoch tiefer in die Stirn als gewöhnlich und nutzte deshalb die nach oben und unten ausschweifende Form eines Stirnschirms. Durch den parallelen Verlauf des Helmrandes mit der Augenbrauenform sowie der „einspringende(n) Spitze über dem Nasenansatz“ konnte so der „Eindruck des Eulenhaften“ entstehen, so dass Athena durch diesen unterschwelligen Hinweis auf ihr Attribut, die Eule, eindeutig identifiziert werden konnte.[6] Die Augenbrauen sowie auch ihre Wimpern wurden wahrscheinlich durch ein dunkleres Material vom weißen Untergrund des Elfenbeins abgehoben. Die Augen selbst wurden nicht aus Elfenbein, sondern aus Stein geschaffen, so dass diese realistischer wirkten.

Bauten wie der des Parthenon zeugen auch heute noch von der Bedeutung und  künstlerischen Größe Griechenlands. Zur damaligen Zeit war dieses Bauwerk ein Wahrzeichen und Stolz der Bürger Athens, ihrer angeblichen politischen und kulturellen Überlegenheit über andere griechische Städte. Und es war auch ein Instrument der politischen Propaganda, es war nicht umsonst der große Staatsmann Perikles, der ihn errichten ließ. In der Schönheit und Perfektion der Bauwerke der Akropolis sahen Athener und Fremde gleichermaßen die höchsten Ideale Griechenlands verkörpert.[7]

Östlich des Parthenon errichtete der Architekt Mnesikles (437-432 v. Chr.) die Propyläen, die Vorhalle, über die die Besucher die heilige Stätte betreten und verlassen. Einst sahen sich die Pilger, sobald sie die Stufen erklommen hatten, der riesigen Bronzestatue der Athene gleich neben dem Tempel gegenüber. Kallikrates erbaute den kleinen ionischen Tempel der Siegesgöttin Athena Nike und das Erechtheion. Weitere Bauwerke rund um den Parthenon wurden für Zeremonien und Kultzwecke errichtet. Diese Festlichkeiten fanden alle vier Jahre statt und lockten eine große Anzahl von Besuchern auf die Akropolis.

An der bildhauerischen Gestaltung des Parthenon arbeitete nicht nur Phidias selbst, sondern auch eine Reihe großer, unbekannter Künstler, die zu seiner Schule gehörten. Die Vorgabe lautete, das Ansehen Griechenlands im Allgemeinen und Athens im Besonderen zu steigern und die physische und kulturelle Überlegenheit der Griechen über die so genannten „Barbarenvölker“ zu steigern.

Die Reliefs der 92 Metopen des dorischen Frieses zeigen den  Kampf  gegen die Giganten und die Kentauren, die alles „Barbarisches“ und „Unzivilierte“ verkörperten.[8] Die Statuen an den beiden Stirnseiten verherrlichten due Göttin Athene. Vor der Hauptfassade war die Geburt dargestellt, sie entspringt vollständig dem Kopf des Zeus, andere Gottheiten des Olymps assentieren sie bei dem Ereignis. Vor der rückwärtigen Front kämpft die Göttin gegen den Meeresgott Poseidon im die Herrschaft über Attika.

Mit Phidias erreichte die klassische Bildhauerei ihren Höhepunkt. An den wenigen Fragmenten der Originalstatuen, die bis heute erhalten geblieben sind, wird deutlich, welche Höhenflüge der Künstler in der Behandlung des Steins erreicht hat und in welcher Vollendung es ihm gelungen ist, der toten Materie Leben einzuhauchen und dabei stets die feierliche Erhabenheit seiner Götterdarstellungen zu bewahren.

Demeter, an der Ostfront des Parthenon dargestellt, ist in einen Chiton gehüllt, der Faltenwurf schmiegt sich in rhythmischer Linienführung  weich und natürlich um den Körper. Am inneren, ionischen Fries des Tempels kommt ebenfalls das Gefühl des Künstlers für Rhythmus in Bewegung und Komposition zum Ausdruck. Es zeigt den Einzug der Bürger bei den Panathenäen. Junge Männer tragen Wasserkrüge, Mädchen und Reiter ziehen ein, folgen in gleichmäßigem, aber variantenreichen Rhythmus aufeinander, so dass dem Betrachter ein Eindruck von natürlicher Lebendigkeit vermittelt wird, obwohl es sich um eine mehr oder minder gleichförmige Prozession handelt. Alle Figuren waren ursprünglich in Ocker, Braun und Rot bemalt, der Hintergrund war in Blau gehalten.[9]

Am Fries der Ringhalle waren 92 Metopen angebracht, die symbolhaft auf den Sieg der Griechen über die Perser hinweisen. An der Südseite war die Schlacht zwischen Kentauren und Lapithen, an der Ostseite der Kampf der Götter gegen die Giganten und an der Westseite die Schlacht um Marathon zu sehen. Es sind keine Beschreibungen der Nordseite überliefert.

Bis zum 26. September 1687 blieb das Parthenon erhalten.
Doch an diesem Tag traf eine Granate der venezianischen Belagerer die Cella des Parthenons, in der die Türken ihr Schiesspulver lagerten, und sprengte sie in die Luft. Lediglich die äußere Säulenfassade des antiken Gebäudes blieb bestehen.[10] Der Großteil der erhaltenen Reliefs und Skulpturen des Parthenons befindet sich heute im British Museum in London und im Akropolis Museum in Athen. Einige andere Stücke sind im Pariser Louvre und in der Ny Carlsberg Glyptothek in Kopenhagen zusehen.

Die Statue im Zeustempel war eines der schönsten Werke des Phidias.[11] Die 12 m hohe Statue im Zeustempel von Olympia ruhte auf einem inneren Gerüst aus Eisen, Gips und Holz, war außen mit Goldblech, Elfenbei und Ebenholz verkleidet und wurde in der sogenannten Chrysellepanthin-Technik errichtet. Dabei werden vor allem bei Götterbildern Gesicht, Hände und Füße der hölzernen oder marmornen Figuren mit Goldblech und Elfenbein verkleidet und mit Edelsteinen und gegossenem farbigem Glas verziert. Bei Ausgrabungsarbeiten in Olympia in der Nähe des Zeustempels fand man die Überreste der Werkstatt des Phidias und darin Materialreste, Werkzeug etc., außerdem einen Keramikbecher.[12]

 

 

 

 

[1] Buschor, E.: Phidias der Mensch. München 1948, S. 52

[2] Schrader, H.: Phidias. Frankfurt am Main 1924, S. 19ff

[3] Davison, C. C.: Pheidias. The Sculptures & Ancient Sources, Institute of Classical Studies, University of London, London 2009,  S. 95

[4] Buschor, E.: Phidias der Mensch. München 1948, S. 76

[5] Strocka, V. M.: Pheidias (I), in: Künstlerlexikon der Antike: Band 2, München/Leipzig 2004, S. 210–236, hier S. 219

[6] Höcker, C./Schneider, L.: Phidias, Reinbek 1993, S. 62

[7] Höcker, C./Schneider, L.: Phidias, Reinbek 1993, S. 82

[8] Davison, C. C.: Pheidias. The Sculptures & Ancient Sources, Institute of Classical Studies, University of London, London 2009, S. 42

[9] Schrader, H.: Phidias. Frankfurt am Main 1924, S. 33

[10] Strocka, V. M.: Pheidias (I), in: Künstlerlexikon der Antike: Band 2, München/Leipzig 2004, S. 210–236, hier S. 226

[11] Davison, C. C.: Pheidias. The Sculptures & Ancient Sources, Institute of Classical Studies, University of London, London 2009, S. 65

[12] Schrader, H.: Phidias. Frankfurt am Main 1924, S. 92

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Über Michael Lausberg 545 Artikel
Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.

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