Die konservative Frage der CDU

Die CDU ist wie ein lädiertes Schiff auf stürmischer See. Es hält sich noch über Wasser, folgt aber jeder Strömung und weiß nicht mehr, wie gegen den Wind zu segeln ist. Sein Kompaß ist nutzlos geworden, seitdem klare Zielvorgaben fehlen. Die Mannschaften murren schon, und manche würden gern in den Heimathafen zurückkehren, um sich neu zu orientieren. Die Frage nach dem Wohin setzt die Klärung der Frage voraus: Woher kommen wir, wo sind wir letztlich verankert? Das ist eine für die CDU sehr unangenehme konservative Frage.
Nicht nur für die CDU, ihr „C“ betreffend. Auch die SPD mit ihrem „S“ und die FDP mit ihrem „F“ haben in Zeiten nominalistischer Begriffsverwirrung Probleme mit ihrem verdrehten Selbstverständnis, zum Schaden der orientierungslosen Bürger und der Demokratie, die von den Wert- und Wahlentscheidungen ihrer Subjekte lebt. In ihrer „Berliner Erklärung“ läßt die CDU natürlich ein großes Interesse an ihren Stammwählern erkennen. Gleichwohl will sie eine ebenso breite wie schwammige „bürgerlichen Mitte“ schlucken. Diese läßt sich aber nicht so leicht von den übrigen Parteien ablösen, verspeisen und verdauen, wie sich das einige Schlaumeier in der CDU gedacht haben. In dem Maße sich die CDU chamäleongleich verfärbt, um sich unauffällig mal roten, mal gelben und auch grünen Wählerrevieren zu nähern, wird sie von ihren konservativen, besonders von den christlichen Stammwählern nicht mehr wiedererkannt.
Anspruchsvoll kritische Zeitgenossen geben sich nicht mit billigen Kopien zufrieden, wenn sie ein Original erhalten können. Die CDU scheint inzwischen ihre „postmoderne“ Strategie auf jene Wechselwählerschichten abgestimmt zu haben, die durch materielle Anreize, d.h. Wahlgeschenke korrumpierbar sind. Natürlich wird die CDU bei allen opportunistischen Verbiegungen immer noch irgend etwas als ihr Eigenes, Bewährtes und Bewahrenswertes erhalten wollen. Wenn das nicht ihr „C“ ist – als ihr überliefertes, übergeordnetes Integrationsprinzip, kann sie mir gestohlen sein. In ihren Programmen fehlt es nicht an Beschwörungen des christlichen Menschenbildes. An solchen Lippenbekenntnissen fehlt es nicht. Aber wo bleiben die konkreten Konsequenzen, etwa in Fragen des Lebensschutzes der Ungeborenen oder hinsichtlich des Leitbildes von Ehe und Familie? Gerade in diesen Fragen ist die CDU sehr leichtsinnig und voreilig Kompromisse mit ihren Koalitionspartnern eingegangen. Vielleicht wird erst die Macht der Verhältnisse – wie soziale Notlagen oder konkurrierende Parteiangebote – die CDU auf den Pfad der Tugend und der bewährten Tradition zurückbringen.
Die CDU kann die SPD mitsamt der FDP und den Grünen nicht verdrängen oder vereinnahmen. Das wäre der maßlose Anspruch einer Staatspartei, die sich triumphalistisch als die einzig noch verbliebene Volkspartei darstellt. In der Demokratie muß es immer die Wahl zwischen Alternativen geben. Wer behauptet, es gäbe zu ihm „keine Alternative“, hat bereits das Terrain der Demokratie verlassen. Eine nach links verrückte CDU würde nicht nur die eigene Parteiidentität verraten, sondern auch zur Gefahr für eine freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung werden. Wenn heute mit „links“ ein wachsender Staatsinterventionismus zu verstehen ist, läßt sich dieser nicht allein auf die Finanz- und Wirtschaftskrise zurückführen. Alle Parteien gaukeln den Leuten vor, der Staat könne sie vor den unangenehmen Folgen der „Globalisierung“, also vor Einbußen in ihren Leistungseinkünften retten. Eine „konservative“ Wohlstandsgarantie läßt sich jedoch weder nationalstaatlich noch EU-europäisch einlösen. So sucht sich der Staat stets neue Interventionsmöglichkeiten – von der Rechtschreibung über die Antidiskriminierung bis hin zur Bologna-Reform und dem Nichtraucherschutz, um seine noch verbliebene Macht zu demonstrieren.
Nach dem schlechten Abschneiden der CDU bei den letzten Wahlen wäre eine selbstkritische Bilanz fällig gewesen. Der Bundesvorstand hat nicht den Mut zu einer schonungslosen Analyse aufgebracht. Die Vorschläge der „Berliner Erklärung“ zur Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise sind allzu vage und teilweise widersprüchlich. Eine immer neu schuldenfinanzierte Wachstumspolitik ist nicht vereinbar mit der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, wenn diese nicht auch ihre Ausgaben reduzieren. Die CDU sollte zu einer Ordnungspolitik der Sozialen Marktwirtschaft zurückkehren, die mit der katholischen Soziallehre kompatibel ist. Schulden haben etwas mit moralischer Schuld zu tun.
Christen müssen im Grunde konservativ sein. Aber nicht alle Konservativen sind Christen, wenn sie auch seit jeher in der CDU beheimatet sind. Das „C“ in der CDU setzt nicht das Credo voraus. Sondern das Einverständnis mit Werten, Pflichten und Rechten, die sich wirkungsgeschichtlich vor allem dem Christentum verdanken. Die zahlreichen Parteiaustritte, die Abwanderung vieler Stammwähler und die massenhafte Wahlenthaltung deuten auf zunehmende Verunsicherung und Enttäuschung hin. Dieser Vertrauensverlust ist nicht durch verstärkten Pragmatismus oder durch die Beschwörung früherer oder künftiger Erfolge zu kompensieren. Auch die statistisch-empirische Betrachtungsweise greift zu kurz. Die vom Parteivorstand bestellte Demoskopie erfaßt vor allem Quantitäten und bedient die Technokraten. Wir regen an, stärker die qualitativen Wertfragen in den Blick zu nehmen. Es gilt, die angestauten Krisen in Partei, Gesellschaft und Wirtschaft vor allem in ihrer geistig-moralischen und religiösen Dimension wahrzunehmen. Sonst muß man kampflos den jeweiligen Trends hinterherlaufen.
Von den C-Parteien erwarten wir eine stärkere Konzentration auf ihre christlichen und moralischen Voraussetzungen. Erst von diesen Bindekräften her ist es möglich, die verschiedenen Richtungen und Gruppen in einer Union zu integrieren. Damit sich die konservativen, liberalen und sozialpolitischen Strömungen in der Union nicht verselbständigen, bedürfen sie der Rückbindung an einen christlichen Kern. Dieser bildet das Einheitsprinzip der Union, die sonst zu einem reinen Interessenklüngel degeneriert. Von einer christlichen Partei erwarten wir, daß sie sich verfassungstreu für jene christlichen Werte einsetzt, die im Grundgesetz verankert sind. Das ist doch nicht zuviel verlangt, oder?

Quelle: http://www.die-neue-ordnung.de

Über Wolfgang Ockenfels 43 Artikel
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels, geboren 1947, studierte Philosophie und Theologie in Bonn und Walberberg. 1985 erhielt er eine Professur für Christliche Sozialwissenschaften mit den Lehrgebieten Politische Ethik und Theologie, Katholische Soziallehre und Sozialethik, Wirtschaftsethik sowie Familie, Medien und Gesellschaft an der Theologischen Fakultät Trier. Ockenfels ist zudem Geistlicher Berater des Bundes Katholischer Unternehmer BKU und Chefredakteur der Zeitschrift "Die Neue Ordnung" in Bonn. Er gehört zum Konvent Heilig Kreuz der Dominikaner in Köln.

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