Die Päpste der Entweltlichung

Nördlich von Rom, an den Berghängen rund um das in einem fruchtbaren Tal gelegene Städtchen Rieti, weisen Straßenschilder auf vier kleine Heiligtümer hin. Es sind vier Orte, an denen Franz von Assisi zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts eine gewisse Zeit verbracht hat, nachdem er mit einigen Gefährten seine Heimatstadt in Umbrien verlassen hatte. Poggio Bustone: eine kleine Einsiedelei an einer schroffen Felswand, in die sich die „Büßer von Assisi“ mit Franziskus an der Spitze zurückgezogen hatten, als sie überhaupt nicht mehr wussten, wie es weitergehen soll. Den Franziskaner-Orden, eine Regel oder Niederlassungen gab es da noch nicht. Greccio: Die Stätte des beginnenden franziskanischen Lebens, wo Franziskus das Krippenspiel erfand. Noch heute ist die kleine Zelle zu sehen, in der der Ordensgründer auf einem Steinblock schlief. La Foresta: Eine Steinhöhle, in die sich der kranke Franziskus zurückzog, weil seine Augen kein Licht mehr vertragen konnten. Und Fontecolombo im Westen Rietis, wo Franz in einer Felsspalte die Ordensregel niederschrieb, die Papst Honorius III. dann im Jahr 1223 billigen sollte, drei Jahre, bevor der „poverello“, der „kleine Arme Gottes“ schließlich starb. Wer Franziskus romantisieren will und aus ihm einen friedliebenden Naturmenschen und sonnenbesingenden Freund aller Tiere macht, verkennt, wofür das Leben des heiligen Ordensgründers aus Assisi wirklich steht: für die Radikalität des Evangeliums. Nicht für Umsturz und Revolution. Sondern für ein Gleichwerden mit Jesus Christus, dem Fleisch gewordenen Sohn. Für ein demütiges Mitleiden, das aus der Gnade Gottes lebt. Wofür übrigens Papst Franziskus ein sinnfälliges Zeichen setzte, als er sich am Wahlabend auf der Loggia des Petersdoms vor der Menge auf dem Petersplatz lange verbeugte, während diese auf seine demütige Bitte hin um den Segen Gottes für ihn betete.
Im Kloster von Greccio kann man auch die Zelle sehen, die der heilige Bonaventura bewohnte. Man könnte Bonaventura als das theologische Scharnier zwischen Papst Benedikt und seinem Nachfolger Franziskus bezeichnen. Der große Lehrmeister Joseph Ratzingers war der siebte Generalminister des Franziskanerordens und hat Franz von Assisi umfassend ausgedeutet – nicht nur bei der Leitung seines Ordens. Es ging damals um den Neuaufbau der Kirche, ausgehend von der Botschaft des Evangeliums. Und darum geht es auch heute. Das war das Kernanliegen Benedikts XVI. und Papst Franziskus setzt es fort, das zeigen schon seine ersten Katechesen während der Generalaudienz. Die Kirche darf nicht um sich selber kreisen, sondern muss hinaus zu den Leuten, bis an die Grenzen der menschlichen Existenz.
Mitte April hat Franziskus in seinem Schreiben an die Bischöfe Argentiniens als Papst „offiziell“ gemacht, was er bereits in seiner durchschlagenden Ansprache während der Generalkongregationen der Kardinäle vor dem Konklave gesagt hatte: „Eine Kirche, die nicht aus sich selbst herausgeht, erkrankt früher oder später im Klima der abgestandenen Luft des Zimmers, in dem sie eingeschlossen ist“, schreibt Franziskus. Und wie bereits im Vorkonklave beklagt er den Narzissmus in Theologie und Kirche, „der zur geistlichen Weltlichkeit und zum ausgefeilten Klerikalismus führt“ und es nicht gestatte, „die süße und tröstende Freude bei der Evangelisierung zu empfinden“. Entweltlichung hat das sein Vorgänger genannt. Vielleicht wird diese Forderung zur Grundmelodie des Bergoglio-Pontifikats. Zumindest deutet alles darauf hin. Über den anderen Leitstern von Papst Franziskus, den heiligen Ignatius, wird ab jetzt eine neue Kolumne unseres Magazins Auskunft geben. Auch der Gründer der Gesellschaft Jesu war jemand, der die Kirche nicht mit den Augen des mondänen Geistes, sondern als Schauplatz des Kampfes zwischen dem Fürsten dieser Welt und den himmlischen Mächten sah. Mit den Päpsten Benedikt und Franziskus ist das Vermächtnis der Kirchenväter und der großen Ordensgründer in den Blutkreislauf der Kirche zurückgekehrt. Zeit, sich wieder mit ihnen zu beschäftigen.

Quelle: http://www.vatican-magazin.de/index.php/magazin/aktuelle-ausgabe/inhalt/15-magazin/aktuell/editorial/173-editorial-52013

Über Horst Guido 35 Artikel
Guido Horst wurde 1955 in Köln geboren. Nach dem Studiun der Geschichte und Politologie arbeitete er für die katholische Presse als Journalist. Im Jahr 1998 übernahm Horst die Leitung der katholischen Zeitung Die Tagespost mit Sitz in Würzburg; 2006 gab er den Posten des Chefredakteurs ab und ging wieder nach Rom. Er wurde abermals Rom-Korrespondent der Tagespost und Chefredakteur der zusammen mit Paul Badde konzipierten Zeitschrift "Vatican-magazin".

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