Die Religion der Atheisten

Archäologische Funde bestätigen, dass seit Anfang der Zivilisation, wenn nicht eher, Menschen an höhere Mächte geglaubt haben. Der Glaube an die Transzendenz ist somit evolutionär von Vorteil, was jedoch nicht die Existenz Gottes voraussetzt.

Prof. Dr. Dr. Gerhard Vollmer ist Physiker, Philosoph und sitzt im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung GBS, der einflussreichsten atheistischen Vereinigung Deutschlands. Die GBS hat vor kurzem einen Aufsatz von ihm veröffentlicht, der im folgenden Band erschienen ist:

Gerhard Vollmer: Auf der Suche nach der Ordnung. Beiträge zu einem naturalistischen Welt- und Menschenbild. Stuttgart: Hirzel, 1995.

Der elf-seitige Aufsatz stellt den Leitgedanken der GBS dar und liefert seinen Mitgliedern Argumente bei der Mission und den seltenen seriösen Diskussionen mit Theisten. Die kursiv gesetzten Thesen stammen von Prof. Dr. Dr. Gerhard Vollmer.

Unter rational denkenden Wissenschaftlern, die sich mit Gott beschäftigen, besteht die einhellige Meinung, dass es keine zwingende Argumente für oder gegen die Existenz Gottes gibt

Alle sogeannten Gottesbeweise, welche die Existenz Gottes zwingend nachweisen, haben sich als fehlerhaft erwiesen. Die Existenz Gottes als höheres Wesen lässt sich aber auch nicht zwingend widerlegen.

Ein Atheist glaubt nicht an Gott, genauer: nicht an die Existenz (eines) Gottes. Dementsprechend ist ein Theist jemand, der an (einen) Gott glaubt.
Definition: Gott ist ein höheres oder höchstes personales Wesen, Schöpfer und Urgrund der Welt,
vollkommen, allmächtig, allwissend, allgütig, ewig, allgegenwärtig, unendlich gerecht.

Atheisten finden es angemessen, dem Theisten die Argumentationslast aufzuerlegen. Sie argumentieren mit der Asymmetrie der Beweismöglichkeiten, dass Existenzaussagen leichter zu belegen als zu widerlegen sind. In den Wissenschaften gilt nicht als bewiesen, was nicht widerlegbar ist! Ansonsten müssten Nessies, Einhörner, Engel, Teufel und Hexen unsere Ontologie bevölkern. Die Beleglast liegt also grundsätzlich bei dem, der die Existenz von etwas behauptet.

Es wäre nun möglich und interessant, verschiedene religiöse oder religionsähnliche Haltungen daraufhin zu überprüfen, ob sie theistisch sind und welche Form von Theismus sie darstellen. So wäre etwa der Pantheismus, wie ihn Spinoza, Goethe oder Einstein vertreten, wonach Gott und Natur eins sind und es keinen persönlichen Gott gibt, durchaus atheistisch; und so bezeichnet auch Schopenhauer den Pantheismus als eine „höfliche“ oder „vornehme“ Form des Atheismus. Auch die religiösen Vorstellungen des New Age sind pantheistisch. Das „ganzheitliche Denken“ unterscheidet nicht zwischen Gott, Mensch und Natur: Alles ist eins.

Somit lohnt sich die Auseinandersetzung mit atheistischen Gedanken für jeden, der auf dem Weg zur Erkenntnis Gottes voranschreiten will.

Wenn Gerhard Vollmer ein Fehler in seiner Beweiskette unterlaufen ist, dann bedeutet es nicht, dass die Existenz Gottes bewiesen ist.

Theistische Erwiderung der Thesen:

Glaubt der Atheist nicht an Gottes Existenz oder weiß er, dass Gott nicht existiert? Nach den dargelegten Annahmen kann der integre, wissenschaftlich denkende Atheist nicht beweisen, dass es Gott nicht gibt. Er kann somit nur glauben, das Gott nicht existiert.
Wie steht es mit dem Theisten? Glaubt der Theist an Gott oder weiß er, dass es Gott gibt? Die analoge Antwort lautet, dass der Theist lediglich an Gott glaubt.

Gibt es Zusammenhänge zwischen Glaube und Fakten? Nach heutiger Erkenntnis beweist der Glaube an Gott nicht dessen Existenz. Atheisten debattieren lediglich über den Glauben, die Existenz Gottes wird nicht berührt. Was unterscheidet dann Atheisten von Theisten, die Mitglieder einer religiösen Gemeinschaft sind?

Wenn Mitglieder verschiedener Religionen über Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten ihrer Religion sprechen, setzen sie die Existenz Gottes voraus. Unter ihnen findet gewöhnlich kein Disput über die Existenz Gottes statt. Die Auffassungen über das Wesen Gottes sind in den verschiedenen Religionen nicht identisch. Schon unter monotheistischen Theologen gibt es unüberbrückbare Differenzen zwischen der Trinität und Allah, die aus politischem Kalkül verschwiegen werden. Religionen, die sich auf Abraham berufen, sind sich nicht sicher, welche Glaubenslehren ihrem monotheistischen Club beitreten dürfen. Die Unterschiede (und Ähnlichkeiten) in den Auffassungen Gottes zwischen Mono- und Polytheisten sind kaum erforscht.

Die Glaubensinhalte zwischen den einzelnen Religionen gehen weit auseinander, ähnlich den Glaubensinhalten zwischen Theisten und Atheisten. Der Atheismus ist im Chor der Religionen ein weiterer Glaube, auch wenn dies von den allermeisten Atheisten vehement bestritten wird. Der Theist glaubt an Gott und der Atheist glaubt, dass es keinen Gott gibt. Es führt zur Verwirrung zu behaupten, dass der Atheist nicht glaubt, dass es Gott gibt. Somit relativiert sich der atheistische Anspruch, dem Theisten die Argumentationslast aufzuerlegen. Jeder, der sich am Disput beteiligt, ist verpflichtet, seinen Standpunkt zu darzulegen.

Die Einteilung des Pantheismus als Sonderform des Atheismus ist eine wichtige, wenn nicht unabdingbare atheistische Forderung. Denn der Pantheismus ist weniger der Glaube an Gott, als das Wissen um die Existenz Gottes. Der Pantheist ist imstande, mit der Prämisse, dass das Universum göttlich ist, die Existenz Gottes zu beweisen. Der Pantheist wird nur denjenigen nicht von seiner Argumentation überzeugen, der nicht am Vorhandensein des Universums glaubt. Die Existenz des Weltalls lässt sich nicht beweisen, sie ist ein Axiom. Kirchlich sind Axiome Dogmen. Wenn nun der Atheist den Glauben des Pantheisten als seinen eigenen ansieht, dann lässt er die Existenz Gottes zu. Dass wäre das Ende des real existierenden Atheismus.

Nun könnten Atheisten, um dem Widerspruch zu entkommen, festlegen, dass der Pantheismus nicht atheistisch ist. Doch dann kommen neue Schwierigkeiten auf sie zu. Der wissenschaftliche Atheist erkennt das Vorhandensein des Universums an. Das Weltall darf in Zeit und Raum endlich oder unendlich sein. Derzeit überwiegt die Meinung, dass das Universum einen zeitlichen Beginn hat und endlich, wenn auch unbegrenzt ist. Der Gläubige, wozu auch der Atheist zählt, kann sich die Frage stellen, wer oder was das Universum bewirkt hat. Das unendliche Universum könnte sich selber erschaffen, keinen Gott zu seiner Existenz benötigt haben. Das endliche Universum benötigt einen Schöpfer, der die Attribute Gottes hat, wie sie oben erwähnt sind. Um ein Universum zu erschaffen, muss der Schöpfer allmächtig sein. Lediglich die Attribute „allgütig“ und „unendlich gerecht“ erfahren einen Bedeutungswandel, der der Alltagssprache widerspricht.

Letztendlich ist es theistisch nicht relevant, ob die Welt sich selber erschaffen hat oder Gott das Werk vollbracht hat. Woraus hat Gott die Welt erschaffen? Aus dem Nichts? Ist das Nichts nicht das, was wir Menschen nicht erkennen können? Was hindert Gott daran, dass Universum aus sich selbst zu erschaffen, was wir Menschen genauso wenig erkennen können? Der ewige Gott erschafft eine endliche Welt! Oder die ewige Welt erschafft das endliche Universum. Wenn das Universum nicht erschaffen worden, sondern notwendigerweise zufällig entstanden ist, dann wird eben die „Notwendigkeit“ zum Schöpfer erhoben.

Wir leben in einem endlichen Universum, dem wir nicht entfliehen können und wollen. Pantheistisch ist das Universum und mit ihm die Menschen göttlich.

Unbegrenzten Fähigkeiten führen zu Paradoxien. Beliebt ist die Allmachtsparadoxie: Kann Gott einen Stein schaffen, der so schwer ist, dass er ihn selbst nicht tragen kann?

Eine höchst menschliche Glaubensfrage. Ähnlich der Frage, ob die linke oder die rechte Hand Gottes stärker ist. Wichtiger ist die Beantwortung der Frage, warum der göttliche Mensch im Vergleich zu Gottes Omnipotenz derartig ohnmächtig ist. Eine einleuchtende und einfache Atheisten-konforme Erklärung ist, dass die Omnipotenz mit der Unendlichkeit und der Größe korreliert. Die Macht der Sonne übersteigt die Macht der Menschen. Die Macht des Alls übersteigt die Macht der Sonne. Die Macht des Unendlichen übersteigt die Macht des Alls.

Schwerwiegender ist die Frage, ob Allmacht, Allwissen und Allgüte miteinander vereinbar sind. Ist Gott allgütig, so möchte er menschliches Leid verhindern; ist er allwissend, so weiß er, wie das zu bewerkstelligen wäre; ist er allmächtig, so kann er das auch in die Tat umsetzen. Wieso ist unser Leben dann von Angst, Trauer und Schmerz durchwebt? Diese Frage nach der Theodizee, nach der Verantwortung und der Rechtfertigung Gottes für die Existenz des Übels in der Welt, ist für die Theologie, gleich welcher Religion, eine der schwierigsten überhaupt.

Die Theodizee ist ein Problem des Glaubens. Auch wenn wir Menschen sie nicht erklären können oder nicht erkennen wollen, beweist die Theodizee weder die Existenz Gottes, noch seine Nicht-Existenz.

Die übrigen Argumente sind methodologischer Natur. Sie zeigen, warum es sinnvoll ist, die Gotteshypothese zu verneinen: Sie ist, soweit verständlich, unprüfbar und insgesamt entbehrlich.

Das Universum verlangt die Gotteshypothese. Wer nicht nach dem Grund des Seins sucht, für den ist nicht nur die Gotteshypothese entbehrlich.

Was aber ist ein Atheist?
Wir können nun noch etwas genauer sagen, was wir unter einem Atheisten verstehen wollen. Jemand ist ein Atheist, wenn er alle Gottesvorstellungen ablehnt: die metaphysische, die anthropomorphe mit einem endlichen oder sonst wie beschränkten Gott, aber auch die anthropomorphe mit einem unendlichen Gott. Dagegen ist ein Theist oder ein Gottgläubiger jemand, der Gott (oder Götter) in einer der genannten Varianten für existent hält.
Da sich diese Gottesvorstellungen gegenseitig ausschließen, kann niemand mehr als eine davon widerspruchsfrei vertreten.

q.e.d.

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Über Nathan Warszawski 535 Artikel
Dr. Nathan Warszawski (geboren 1953) studierte Humanmedizin, Mathematik und Philosophie in Würzburg. Er arbeitet als Onkologe (Strahlentherapeut), gelegentlicher Schriftsteller und ehrenamtlicher jüdischer Vorsitzender der Christlich-Jüdischen Gesellschaft zu Aachen.

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