Die verwestlichte Ostalgie

Vergangenheit wird heute nicht aufgebarbeitet, sondern gewinnbringend recycelt. Schriftsteller und Bürgerrechtler Lutz Rathenow analysiert die erinnerte DDR – als Marke und Medienprodukt. Der Markt fand seine möglichen Überlebenswege für eine DDR nach der DDR. Es strömen die Besucher aus aller Welt seit zwei Jahren ins kleine, aber geschickt inszenierte DDR-Museum in Berlin, um sich die ganz normale DDR anzusehen. Der junge Museumsgründer aus dem Westen macht das nicht schlecht. Diese DDR rechnet sich wirtschaftlich – viele Nie-DDR-Bürger wollen da hinein, wo viele Landeseinwohner vor 1989 hinauswollten – zumindest eine Westreise lang.
Zukunftsnutzung der recycelten DDR-Teile Der Osten als Erlebnisergänzung für den Westen, das scheint seine Zukunft zu sein. Zum Beispiel: Die steigende Zahl von marktwirtschaftlich umgerüsteten Panzerübungsplätzen, auf denen ehemalige Offiziere und Unteroffiziere Fahrunterricht oder Panzerausfahrten für Interessenten anbieten. Immer mehr westdeutsche Besucher und -innen buchen gern solche Abenteuer-Wochenenden. Die verwestlichte DDR-Nostalgie sortiert alles noch einmal neu – allein nach der Maxime: Welche DDR-inspirierten Produktangebote interessieren? Keine Vergangenheitsaufarbeitung – sondern Zukunftsnutzung der recycelten DDR-Teile.
Raritäten gesamtdeutsch herausputzt Wer aus dem Westen kam, musste keine moralischen Bedenken haben, wenn er den Osten als abgewirtschaftete Gerümpelbude betrachtete, aus der man Raritäten hervorgräbt und sie gesamtdeutsch herausputzt. Vom ersten Tag nach der Maueröffnung an suchten Wessis die DDR heim, um ihre Brüder und Schwestern davor zu warnen, sich ja nicht vom Westen über den Tisch ziehen zu lassen. Die als politische Berater – oft aus der Gewerkschaftsecke kommend – den antikapitalistischen Blick schulten. Sie alle haben an einem Produkt mitgewirkt, das schon in den 90er-Jahren zur erfolgreichsten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der neuen Bundesländer wurde.

Nein, man kopierte nie die dröge Werbearbeit aus der DDR, 'man' und viel 'frau' schufen sich ein marktwirtschaftliches Umfeld von Zuarbeitern im Bereich politische Bildung, Werbung und der Kreativindustrie neu. Aber erst durch Energiespritzen wie Oskar Lafontaine oder Bodo Ramelow und die Verwandlung der SED/PDS in die Linkspartei steht die Marke für Deutschland.
Vom Westen aufgewertet Was da bei der Wahl punktete, ist nicht mehr die alte DDR, ist auch noch nicht die DDR-isierte Bundesrepublik; das lebt und denkt in einem hoffnungsübervollen Raum dazwischen, eine globalisierte Ostalgie verkörpernd. Im Grunde hat die nachholende Boulevardisierung der DDR-Geschichte (zu DDR-Zeiten gab es keinen medienöffentlichen Klatsch und Tratsch) nicht nur Show-Stars, sondern auch Teile der politischen DDR-Elite menschlicher, interessanter, auf jeden Fall unterhaltsamer gemacht. Ein schönes Beispiel: der erste DDR-Bürger im Weltraum – Sigmund Jähn. Diese Weltraumfahrt imponierte Menschen im Osten, die vorgestanzten Sätze des Offiziers Jähn danach kaum. Heute darf er als gar nicht so politischer Mensch einfach populär sein.

So hat der Westen die DDR trotz vieler kritischer Einzelanalysen im Grunde aufgewertet. Selbst ihr Böses scheint spannend zu sein. Lebt die DDR nur Dank der immer neues altes Material verbrauchenden westlichen Mediengesellschaft überhaupt nur weiter?

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