Die vorklinische Ausbildung der Immatrikulationsjahrgänge 1955 und 2015 in Jena als ein Beispiel für den Wandel des Medizinstudiums an der Friedrich-Schiller-Universität nach dem 2. Weltkrieg

Rettungshubschrauber, Foto: Stefan Groß

Günter Stein, Werner Linß

In diesem Jahr steht das seit dem Staatsexamen 1960 traditionell stattfindende Semestertreffen unseres Immatrikulationsjahrganges 1955 unter dem Motto „60 Jahre Physikum“. Dies hat uns veranlasst, den vorangestellten Überblick über einige Eckpunkte des Medizinstudiums nach 1945 aufzuzeigen und eine Analyse unseres Studienjahres bis zum Physikum vorzunehmen.

Medizinstudium nach 1945
Das Medizinstudium gehörte zu den sog. kriegswichtigen Studien und wurde bis fast zum Ende des Krieges aufrechterhalten, in Greifswald wegen der kampflosen Übergabe der Stadt sogar noch etwas länger. Wegen der Mangelsituation an Ärzten und des zunehmenden Bedarfs der Wehrmacht wurde in den letzten Kriegsjahren die Zahl der Studenten erhöht; 2/3 der Studierenden waren weiblich, Kriegsversehrte waren die zweitstärkste Gruppe. Um die Zahl der Absolventen zu erhöhen, wurden die Standards des Studiums und der Prüfungen von den Behörden des NS immer weiter gesenkt. Es galt der Studienplan von 1939, der bis 1944 immer mehr modifiziert wurde.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Zusammenbruch des Dritten Reiches lag die medizinische Ausbildung wie das gesamte Gesundheitswesen in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) am Boden. Mit dem Befehl Nr. 17 richtete die Sowjetische Militäradministration Deutschland (SMAD) eine Deutsche Zentralverwaltung ein ; das Gesundheits-und Sozialwesen fiel in die Zuständigkeit der Deutschen Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen (DZVG), die Anfang 1948 als Hauptverwaltung in die Deutsche Wirtschaftskommission einging (DWK). Erster Präsident wurde auf Vorschlag von Otto Grotewohl Dr. med. Paul Konitzer, SPD, dem nach seiner Verhaftung Anfang 1947 und nach einem Interim durch Vizepräsident Prof. Dr. med. Maxim Zetkin der parteilose Dermatologe Prof. Dr. med. Karl Linser folgte. Die Wurzeln des neu organisierten Gesundheitswesens lagen einerseits im sowjetischen Modell, andererseits in den Reformbestrebungen aus der Weimarer Republik, die zum Teil als Reimport aus der Sowjetunion Eingang fanden. Die Sowjetunion hatte sich auf diesem Gebiet in den zwanziger Jahren stark an Weimar orientiert.
Die Bausubstanz der Medizinischen Fakultäten war weitgehend zerstört. Es fehlte an Lehrmaterialien und -büchern. Die soziale Lage der Studierenden war schwierig. 1946 wurde die 1. Hochschulreform durchgeführt, deren Aufgabe es war, antifaschistisch und demokratisch gesinnten Nachwuchs durch ebenso geprägte Hochschullehrer an den Hochschulen auszubilden.

Hochschullehrer
Die Hochschullehrer wurden bezüglich ihrer Verstrickung im NS-System überprüft und gemäß den alliierten Beschlüssen „entnazifiziert“. Der Anteil der politisch belasteten Hochschullehrer war in der Medizin vergleichsweise hoch, knapp 50 % der medizinischen Hochschullehrer erhielten in der SBZ ein Lehrverbot oder wurden entlassen. Um die Funktion der Kliniken und Institute aufrecht zu erhalten, erhielten einige der entlassenen Hochschullehrer Notdienstverträge, mit denen sie ärztlich, aber nicht in der Lehre tätig werden konnten.

Zulassung zum Medizinstudium
Voraussetzung für das Studium war, dass die Bewerber den Bevölkerungskreisen angehörten, die „entscheidend am Neuaufbau mitgewirkt haben und damit die Gewähr dafür boten, dass sie auch die neuen gesellschaftlichen Aufgaben erfüllen werden“.
Bevorzugt werden deshalb zum Studium zugelassen:
1. Arbeiter und deren Kinder
2. Werktätige Bauern oder deren Kinder
3. Schaffende Intelligenz und deren Kinder
(Volkskammerabgeordnete, Nationalpreisträger, Helden der Arbeit, Verdiente Aktivisten, Verdiente Erfinder, Verdiente Lehrer und Ärzte des Volkes, Inhaber eines Einzelvertrages,Angehörige der technischen Intelligenz etc. aber auch Abiturienten und Absolventen von Fachschulen, die die Abschlussprüfung mit „Auszeichnung“ bestanden haben oder mit einer Medaille ausgezeichnet wurden, Zöglinge von staatlich anerkannten Kinderheimen).
Für die Studienjahre 1953/54 und 1954/55 ergänzte das Staatssekretariat für das Hochschulwesen die Zulassungsverordnungen durch Richtlinien: Arbeiter- und Bauernkinder mindestens 50 %, weibliche Studierende möglichst 30 %.

Studienordnungen
Schon in der 2. Hälfte des Jahres 1945 begann die Arbeit an einer neuen Studien- und Prüfungsordnung. Beide wurden unter Federführung des Berliner Internisten Prof. Theodor Brugsch, Vizepräsident der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung (DVV) in Zusammenarbeit mit der Charité erstellt. Der Studienplan wurde am 13.Januar 1946 von Fritz von Bergmann auf der 4. Tagung der Landes-und Provinzialgesundheitsämter vorgestellt und durch die SMAD für alle 6 Universitäten der SBZ als verbindlich erklärt. Der neue Studienplan löste den von 1944 ab, ein von der DVV, Abteilung Humanmedizin erstellter neuer Studienplan war ab Oktober 1946 gültig.
Inhaltliche Veränderungen des Curriculums1946 waren in der Vorklinik:
-Die Fächer Geschichte der Medizin, Vererbungslehre und Rassenkunde sowie Bevölkerungspolitik wurden abgeschafft,
-Zoologie und Botanik wurden im Fach Biologie zusammengefasst, um eine bessere Ausrichtung an den Bedürfnissen der Medizin zu erreichen.
-Neu eingeführt wurde die Topographische Anatomie.
Die klinische Ausbildung erfuhr folgende Veränderungen:
-Die Fächer Orthopädie, Naturgemäße Heilkunde, Rassenhygiene und Menschliche Erblehre als Grundlage der Rassenhygiene wurden abgeschafft.
-Dafür fanden orthopädische Aspekte wieder Eingang in den Prüfungsstoff der Chirurgie.
-Das arbeitshygienische Fach wurde durch die Gewerbehygiene,das sozialmedizinische durch die Sozialhygiene ersetzt.
-Neu im Curriculum wurden die Physikalische Therapie und Balneologie aufgenommen.
In beiden Studienabschnitten fand die Vorlesung „Politische und soziale Probleme der Gegenwart“ Eingang. Als fakultative Ergänzungsvorlesungen wurden die „Einführung in die Geschichte der Philosophie und Erkenntnistheorie“ für die Vorklinik sowie die Geschichte der Medizin und Soziologie angeboten. Damit sollte an alte Traditionen angeknüpft werden, die im letzten Jahrzehnt verschüttet worden seien.
Das „Kleine Latinum“ als Grundlage des Medizinstudiums musste im 1. Studienjahr von denjenigen Studenten erworben werden, die das Abitur in B-Klassen der Erweiterten Oberschule (naturwissenschaftliche Ausbildung) abgelegt hatten; befreit waren die Abiturienten einer A-Klasse (neusprachlicher Zweig) und einer C-Klasse (altsprachlicher Zweig). In unserem Studienjahrgang 1955 mussten mehrere Studenten einen einjährigen Lateinunterricht mit dem Abschluss „Kleines Latinum“ absolvieren.
Das Studium erstreckte sich über 11 Semester: 5 vorklinische gefolgt von 6 klinischen, an die sich die Examina anschlossen. Durch die Verlängerung der Vorklinik auf 15 Semesterstunden konnten eine topografisch-anatomische Demonstration und Seminare sowie ein histologischer Bestimmungskurs eingeführt werden.
Unter Berücksichtigung der Erfahrungen des Dritten Reiches ( „Arzt als Gesundheitsführer, der den deutschen Menschen die Pflicht und Eigenverantwortung zur Gesundheitsführung bewusst zu machen und neue Wege zu suchen“ hatte, „um das individuelle Leistungsvermögen zu steigern“), „der progressiven Entwicklung der Sozialhygiene in der Weimarer Republik, die als Vorbild für die Ausbildungsprogramme der Sowjetunion dienten, und aus der konkreten Situation nach dem Krieg wurde die Ausbildung eines „Volksarztes“ vorgesehen“. Nach Alfred Beyer (1885-1961, seit 1918 SPD-Mitglied, bis 1924 im Preußischen Landtag, 1919-1933 in der Preußischen Gesundheitsverwaltung tätig, seit 1925 als Ministerialrat, 1933 entlassen, 1946-1948 Vizepräsident der DZVG, 1947-1956 Ordinarius für Sozialhygiene an der Charité) sollte „ ein neuer Arzttypus“ geschaffen werden, „der das Vertrauen des Volkes“ geniest, „sein Freund und Berater in allen gesundheitlichen und sozialen Nöten werden wird. Was der Hausarzt für wenige begüterte Familien war, wird der Volksarzt für seine Kranken werden. Gleichzeitig wird er im Dienste des Volkes der Volksgesundheit durch eine moderne Prophylaxe dienen. Die neue Zeit müsste Eingang in den Studiengang finden“.

Auf dem 3. Parteitag der SED 1950 wurde das Zurückbleiben der Hochschulen in politisch-ideologischer Hinsicht kritisiert. Die SED forderte, „gegen alle reaktionären Ideologien wie gegen den bürgerlichen Objektivismus, Kosmopolitismus und Sozialdemokratismus“ zu kämpfen und „die Ergebnisse der Sowjetwissenschaft“ zu vermitteln. Auf der 4. Tagung des ZK der SED im Jahre 1951 wurde in Fortsetzung dieser Kritik die 2. Hochschulreform 1951/52 beschlossen.Es ging um die Umsetzung der Stalinisierung an den Universitäten und Hochschulen und um den Aufbau des Sozialismus im Land.
Wesentliche Bestandteile waren:
-Einführung des Zehnmonatstudienjahres einschließlich der Zwischenprüfung und Praktika
-Zentralisierung der Leitung des Hoch-und Fachschulwesens durch ein neu einzurichtendes Staatssekretariat für das Hochschulwesen
-Schaffung von Prorektorfunktionen für die Bereiche Gesellschaftliches Grundstudium, Studienangelegenheiten und Berufspraktika, Forschungsangelegenheiten sowie wissenschaftlichen Nachwuchs.
Für alle Studenten an den Hoch- und Fachschulen wurden folgende Pflichtfächer eingeführt:
-gesellschaftswissenschaftliches Grundstudium mit den Fächern Marxismus-Leninismus,Politische Ökonomie sowie Dialektischer und Historischer Materialismus;
– Unterricht in russischer Sprache und Literatur und in deutscher Sprache und Literatur
-Sportunterricht
Die Bildung von Seminargruppen wurde angeordnet.

Unterricht in Russischer Sprache
Das Staatssekretariat für Hochschulwesen, Prof.Harig ,hat mit Schreiben vom 16. Februar 1954 Programme für das Studium der russischen Sprache an den Universitäten und Hochschulen veröffentlicht.
„Ziel des Unterrichts ist, die an den Universitäten und Hochschulen der Deutschen Demokratischen Republik heranwachsenden jungen Wissenschaftler zu befähigen, sich die Ergebnisse der fortschrittlichsten Wissenschaft ,der Sowjetwissenschaft, durch das Studium der sowjetischen wissenschaftlichen Literatur in russischer Sprache anzueignen, um sie im Interesse des Aufbaus des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik anwenden zu können. Jeder Student soll lernen, die sowjetische Fachliteratur seines Gebietes in russischer Sprache mithilfe eines Wörterbuches zu lesen und ins Deutsche zu übersetzen sowie ein einfaches Gespräch über Fragen seines Fachgebietes in russischer Sprache zu führen. Die Studierenden des 2. Studienjahres legen eine Zwischenprüfung, die des 3. Studienjahres legen einer Abschlussprüfung ab. Sie ist ein Teil des Staatsexamens bzw. der Diplomprüfung“.
Durch die Einführung der Fächer Marxismus-Leninismus, Russisch, Deutsch und Sport veränderte sich im Vorklinischen Studium die Stundenverteilung, so kam es vor allem zu Verkürzungen der Lehrstunden für Anatomie.
In Jena erhoben Studierende um den 17.Juni 1953 die Forderung, das Fach Marxismus-Leninismus abzuschaffen. Im Herbst 1956 kam es zu Protesten von Medizinstudierenden unseres Studienjahres im Zusammenhang mit den Ereignissen in Ungarn. Es wurde die Abschaffung des Marxistisch-Leninistischen Grundstudiums und des Russisch-Unterrichts gefordert. Situation bei uns schildern?

Seminargruppen
Mit der Anweisung Nr. 26 des Staatssekretariats für Hochschulwesen der DDR vom 6. 9. 1952 wurden die Seminargruppen eingeführt. Sie sollten „die Grundeinheit“ sein, die „nicht nur den einzelnen Studenten aus einer Isolierung reißt, sondern auch die Verbindung der Studenten zu den Mitgliedern des Lehrkörpers eng und persönlich gestaltet.Die Seminargruppen sollen jeden Studenten zu einem Kämpfer für die Einheit unseres Vaterlandes erziehen, zu einem glühenden Patrioten, der bereit ist, an der Seite der Arbeiterklasse die Errungenschaften der Werktätigen zu schützen.
Die Seminargruppen sollen jeden Studenten zum systematischen, beharrlichen und disziplinierten Studium erziehen und zu ausgezeichneten Studienleistungen.
I.Jeder Student wird mit Beginn des 1. Studienjahres Angehöriger einer Seminargruppe, die in der Regel während des gesamten mehrjährigen Studiums als festgefügtes Kollektiv bestehen bleibt.
II. Auf der Grundlage der selbstständigen Arbeit aller Studenten soll die Seminargruppe jeden Studenten so anleiten und fördern, dass er hervorragende Studienergebnisse erreicht. Bei der Durcharbeitung des Lehrstoffs legen die Seminargruppen besonderen Wert auf eine gute Anleitung und Kontrolle des Selbststudiums, ständiger Erfahrungsaustausch über die Studienmethoden und Studienergebnisse der besten Studenten.
Kameradschaftliche Anwendung der Kritik und Selbstkritik, zur bewussten Einhaltung der Studiendisziplin und zur Achtung und Ehrerbietung gegenüber ihren Lehrern ….gemeinschaftliche Besuche von kulturellen Veranstaltungen, Vorträgen, Ausstellungen und Museen. Professoren, Dozenten und Assistenten geben der Seminargruppe fachlicher Anleitung und unterstützen sie in der Entwicklung guter Studienmethoden.
Jede Seminargruppen hat einen Seminargruppensekretär,der von der Seminargruppe in Zusammenarbeit mit der Freien Deutschen Jugend vorgeschlagen und vom Dekan bzw. Fachrichtungsleiter bestätigt wird.
Seminargruppensekretär kann nur ein Student sein, der aufgrund seiner fachlichen Leistungen, seiner politischen Arbeit und seines persönlichen Verhaltens Vorbild für alle Studenten ist. Der Seminargruppensekretär unterstützt den Lehrkörper bei der Ausbildung und Erziehung der Studenten, er mobilisiert die Seminargruppe für die Erfüllung ihrer Aufgaben und kontrolliert die Einhaltung der Studiendisziplin.
V.Die Seminargruppen werden nach Studienjahren und Fachrichtungen gebildet, ihr gehören in der Regel bis zu 30 Studenten an.Jede Seminargruppen kann sich einen Namen geben,der die bestehende Tradition des deutschen Volkes verkörpert und der Seminargruppe Vorbild und Verpflichtung ist. Nach Rücksprache mit dem Lehrkörper stellt die Seminargruppe einen Arbeitsplan für das Studienjahr auf, der vom Dekan bzw. Fachrichtungsleiter bestätigt wird. Über die Arbeit der Seminargruppe führt der Seminargruppensekretär ein Gruppenbuch; in diesem Buch wird über die Erfüllung des Arbeitsplanes, über die besondere fachliche Leistung einzelner Studenten die Einhaltung der strengen Disziplin berichtet“.

Immatrikulationszahlen
Großen Einfluss auf das Studium übte der Ärztemangel in der SBZ und DDR aus. Es wird vermutet, dass insgesamt 20.000 Ärzte und Zahnärzte im Zeitraum von 1949-1989 in die Bundesrepublik gingen, ob als „Republikflüchtlinge“ oder ab 1978 verstärkt legal als Ausreisende, im Zeitraum 1955-1961 allein etwa 5600. So sank der Anteil der Allgemeinmediziner von 50 % im Jahr 1958 auf 30 %, im Jahre 1958. Aus den fünfziger Jahren wird berichtet, dass in bestimmten Gebieten überhaupt keine Fachärzte mehr tätig waren. Interessanterweise wollte Ende der 40er Jahre das neue Ministerium für Arbeit und Gesundheit noch keine Schritte einleiten, um diese Mangelsituation zu beseitigen, da angenommen wurde, dass westdeutsche arbeitslose Ärzte nach der Herstellung der Einheit Deutschlands zur Verfügung stünden (Linser 1955). Nun wurden die Immatrikulationszahlen erhöht, die Medizinischen Akademien in Dresden, Erfurt und Magdeburg gegründet und 1955 einmalig das Studium auf 5 Jahre verkürzt.
In den Jahren 1953-1962 stieg die Zahl der jährlichen Neuzulassungen für das Medizinstudium von etwa 1800 auf etwa 2100 mit einem Maximum1959 von etwa 2500. Die Zulassungskontingente nach dem Volkswirtschaftsplan 1955 für Humanmedizin in Jena betrugen 215 Studierende oder Studenten-Grundsatzentscheidung,darunter 50 für die Medizinische Akademie Erfurt;für das Studienjahr 1956/57 waren je 25 Studierende der Humanmedizin für Erfurt und Magdeburg vorgesehen. Für die Zahnmedizin waren zunächst 15, nach einer Korrektur 35 Studierende vorgesehen.
Im Januar 1954 studierten in Jena 107 Studenten Zahnmedizin, davon 33 im 1., 16 im 2., 24 im 3., 30 (darunter 13 Absolventen der Lehrinstitute für zahnärztlichen Nachwuchs, ehem. Dentisten) im 4., 4 im 5. Studienjahr.

Medizinische Akademien
Im Jahre 1954 kam es zur Gründung der Medizinischen Akademien in Erfurt, Magdeburg und Dresden, und es wurden Berufungslisten für diese Rumpffakultäten aufgestellt. Die Bewerbungen von anderen interessierten Städten und Chefärzten 1953, wie Frankfurt/Oder, Cottbus, Görlitz und Berlin-Buch wurden nicht berücksichtigt . Die Gründung der Medizinischen Akademien war wohl einer von mehreren Versuchen des Ministeriums für Gesundheitswesen, die Hochschulmedizin an sich zu ziehen. So unterstanden die Medizinischen Akademien dem MfG, während Fragen der Lehre und Forschung sowie die Berufungspolitik in die Kompetenz des Staatssekretariats für das Hoch-und Fachschulwesen verblieben

1953 ging vom MfG und der zuständigen Abteilung des ZK der SED eine Initiative aus, das Medizinstudium auf 5 Jahre zu verkürzen, um kurzfristig den Ärztemangel zu beseitigen.Es kam zu einer harten Auseinandersetzung zwischen dem MfG, das eine Direktive bezüglich der Verkürzung des Medizinstudiums auf 5 Jahre verschickt hatte und dem Staatssekretariat für Hochschulwesen, das ein verkürztes Studium untersagte. Das führte zu Verwirrungen, da ein Teil der Studierenden versuchte, nach 5 Jahren abzuschließen, andere diszipliniert 6 Jahre studieren wollten.Parallel begann sich der Wissenschaftliche Beirat Medizin mit dem Thema zu befassen. Professoren aus Halle, Jena sowie die Proffs. Schwarz/Greifswald und Rapoport/Berlin lehnten im Beirat meist im Sinne ihrer Fakultäten diese Neuordnung des Studiums ab. Dennoch folgten im November 1954 die Fakultäten der Empfehlung des WBM vom 9.6.1954,die Staatsexamin einmalig vorfristig nach dem 5. Studienjahr durchzuführen.Ein 5- jähriges Studium wurde generell abgelehnt, jedoch waren alle Fakultäten außer Halle dazu bereit, das 12. Semester zum Examenssemester zu erklären und so zu einer Verkürzung des Studiums zu gelangen. Für ein 5-jähriges Studium lagen 1955 Studienplanvorschläge unter anderem aus Halle und Jena vor , nach denen die Ausbildung unseres Immatrikulationsjahrganges ohne Probleme oder Störungen erfolgte.
1956 wurde die Vorklinik wieder auf 5 Semester verlängert und das letzte Semester als Prüfungssemester bestätigt.

Praktikum
1952 wurde festgelegt, dass am Ende des ersten Studienjahres ein Krankenpflegepraktikum über 6 Wochen, im dritten, vierten und fünften Studienjahr je eine 6-wöchige Formular in den Fächern Innere Medizin, Chirurgie und einem Wahlfach abzuleisten ist. In der ministeriellen Anweisung wird vermerkt, dass für die Formulatur ein Anspruch von 100 DM pro Monat besteht. In unserem Studienjahr war zusätzlich eine Famulatur im Betriebsgesundheitswesen oder beim Kreisarzt und seinen Institutionen verpflichtend festgelegt. Eine Bezahlung erfolgte lediglich in den Krankenhäusern der Wismut AG.

 

Lehrplan für das Medizinstudium nach Staatssekretariat für Hochschulwesen 1952
Vorklinik
1.Studienjahr Herbstsemester Frühjahrsemester V S,Ü,P V SÜP
Grundlagen M-L 2 1 2 1
Russ.Sprache u. Lit. 2 2
Deut.Sprache u. Lit. 1 1
Körpererziehung 2 2
Physik für Mediziner 3 3 3
Chemie für Mediziner 4 4 4
Biologie 4 4
Anatomie I+II 4 1 4 1
Allg. Histologie 2
Anat.Präparierkurs 8
Verbandkurs 1 für
Wochenstunden insgesamt Herbstsemester 19+14=33
Frühjahrssemester 17+15=32
Für Zahnmediziner: pro Woche 1 Stunde Einführung in die Zahnersatzkunde, 4 Stunden Seminar in Zahnersatzkunde.

 

2. Studienjahr Herbstsemester Frühjahrsemester V S,Ü,P V SÜP
Grundlagen M-L 2 1 2 1
Russ.Sprache u. Lit. 2 2
Körpererziehung 2 2
Anatomie III 4 1
Topographische Anatomie 2
Anatomischer Präparierkurs 8
Physiologische Chemie 5 3 5 3
Physiologie mit Praktikum 5 3 5 3
Embryologie 2
Histologische Übungen 2 2

Insgesamt Wochenstunden Herbstsemester 18 + 17 = 35,
Frühjahrssemester 14 + 19 = 33
(S= Seminar, Ü=Übungen,P= Praktikum)

Für Zahnmediziner: pro Woche 1 Stunde Werkstoffkunde

 

Vorlesungsprogramme
Offensichtlich bestand von den zentralen Stellen der Wunsch, die Vorlesungsprogramme für alle Universitäten verbindlich vorzugeben. Das Vorlesungsprogramm für Anatomie wurde von Prof. Voss, Jena ausgearbeitet und am 1.September 1953 veröffentlicht.

Prüfungsordnung
Mit dem Studienplan von 1946 veröffentlichte die DZVG eine Prüfungsordnung.
Sie gliederte sich wie folgt:
1. Ärztliche Zwischenprüfung nach dem 2. Semester: Chemie, Physik und Biologie
2. Ärztliche Zwischenprüfung nach dem 5. Semester : Anatomie, Physiologie und Physiologische Chemie.
3.Ärztliche Zwischenprüfung nach dem 8. Semester: Innere Medizin, Chirurgie Geburtshilfe und Gynäkologie, Pathologische Anatomie mit Spezieller Pathologie, Pharmakologie und Hygiene.
4.Ärztliche Prüfung nach dem 11. Semester: Fächer der 3. Zwischenprüfung sowie Sozialhygiene, Kinderkrankheiten Psychiatrie/Neurologie, Augenkrankheiten, Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde,Gerichtliche Medizin und Sozialmedizin.

Ab 1952 und damit auch verbindlich für unser Studienjahr waren folgende Prüfungen abzulegen:
1. Studienjahr:
Grundlagen des Marxismus-Leninismus,
Abschlussprüfung in Physik, Chemie, Biologie
2. Studienjahr: Grundlagen des Marxismus-Leninismus
Abschlussprüfung in Anatomie, Physiologie, Physiologischer Chemie

Das vorklinische Medizinstudium an der Friedrich-Schiller-Universität Jena 2017 und vor 60 Jahren – ist ein Vergleich statthaft?

Damals wie in der heutigen Zeit wird der vorklinische Abschnitt des Medizinstudiums als sehr lernintensiv sowie reich an hohen Anforderungen beim Erwerb der gesetzlich geforderten Leistungen (Scheinen) für die Zulassung zur Prüfung zum Abschluss dieser Etappe. Mehrere Reformen des Medizinstudiums in diesen 6 Jahrzehnten hatten sehr deutliche Auswirkungen auf den Ablauf, die Gewichtung der einzelnen Fächer, die Studienorganisation, die Gestaltung der Prüfungen und auch die Zahl der Semester. Wir möchten uns ganz bewusst auf die Jahre 1955/1957 und 2015/2017 beschränken. Den ehemaligen Studierenden in den dazwischen liegenden Jahren ist es also unbenommen, den eigenen Erinnerungen Glauben zu schenken.

Lehrveranstaltungen im 1. Studienjahr 1955/56

Herbstsemester

Vorlesungen

Anatomie I 4 Wochenstunden Prof. Dr. Voss

Histologie 2 Wochenstunden Prof. Dr. Voss

Zoologie 4 Wochenstunden Prof. Dr. Gersch

Botanik 4 Wochenstunden Prof. Dr. Wartenberg

Anorganische Chemie 4 Wochenstunden Prof. Dr. Hein

Experimentalphysik 4 Wochenstunden Prof. Dr. Straubel

Marxismus-Leninismus 2 Wochenstunden Herr Seemann

Übungen, Seminare, Praktika

Anatomie-Seminar 1 Wochenstunde Frl. Brandt

Gesellschaftwiss. Seminar 1 Wochenstunde Mertens

Russisch 2 Wochenstunden Herr Dimitroff

Englisch 2 Wochenstunden Herr Hahn

Sport 2 Wochenstunden Herr Wehner

gesamt 32 Wochenstunden

Im September/Oktober unterbrach ein obligatorischer Ernteeinsatz für 2 Wochen die Lehrveranstaltungen

Frühjahrssemester

Vorlesungen

Anatomie II 4 Wochenstunden Prof. Dr. Voss

Experimentalphysik 3 Wochenstunden Prof. Dr. Straubel

Organische Chemie 4 Wochenstunden Prof. Dr. Drefahl

Marxismus-Leninismus 2 Wochenstunden Herr Naumann

Übungen, Seminare Praktika

Präparierkurs ! 8 Wochenstunden OA Dr. Müller

Physikalisches Praktikum 1 Wochenstunde Prof. Dr. Straubel

Chemisches Praktikum 4 Wochenstunden OAs Dr. Prüfer

Gesellschaftswiss. Seminar 1 Wochenstunde Mertens

Russisch 2 Wochenstunden Herr Dimitroff

Englisch 2 Wochenstunden Herr Hahn

Sport 2 Wochenstunden Herr Müller

gesamt 33 Wochenstunden

In der anschließenden Semesterpause war ein 6-wöchiges Pflegepraktikum abzuleisten.

Ärztliche Vorprüfung Teil I (Vorphysikum) 1956

Zur Zulassung erforderlich waren der Nachweis über die regelmäßige und erfolgreiche Teilnahme an den Vorlesungen in Zoologie und Botanik, am physikalischen und chemischen Praktikum, am Gesellschaftswissenschaftlichen Seminar, am Sport und das Kleine Latinum.

Innerhalb von 3 Wochen waren am Ende des Frühjahrssemesters die mündlichen Abschlussprüfungen in Chemie, Physik, Allgemeiner Botanik und Allgemeiner Zoologie sowie die Zwischenprüfung in Marxismus-Leninismus abzulegen. Die Prüfungsgruppen bestanden aus jeweils 4 bis 5 Studierenden.

Lehrveranstaltungen im 2. Studienjahr 1956/1957

Herbstsemester

Vorlesungen

Anatomie III 4 Wochenstunden Prof. Dr. Voss

Embryologie 2 Wochenstunden OA Dr. Müller

Physiologie 4 Wochenstunden Prof. Dr. Schwarz

Physiologische Chemie 5 Wochenstunden Prof Dr. Zorn

Philosophie des

Marxismus-Leninismus 2 Wochenstunden Herr Fischer

Übungen, Seminare, Praktika

Histologischer Kurs 5 Wochenstunden OA Dr. Müller

Physiologisches Praktikum 4 Wochenstunden Dr. Klingenberg

Einf. Phys.-Chem. Praktikum 1 Wochenstunde Dr. Schmidt

Phys.-Chem. Praktikum 2 Wochenstunden Dr. Schmidt

Russisch 2 Wochenstunden Herr Dimitroff

Sport 2 Wochenstunden Herr Keitz

Gesamt 34 Wochenstunden

Im September/Oktober unterbrach ein obligatorischer Ernteeinsatz die Lehrveranstaltungen

Frühjahrssemester

Vorlesungen

Topographische Anatomie 2 Wochenstunden Prof. Dr. Scharf

Röntgenbilder des Gesunden 1 Wochenstunde Prof. Dr. Kaiser

Physiologie 4 Wochenstunden Prof. Dr. Schwarz

Physiologische Chemie 5 Wochenstunden Prof. Dr. Zorn

Philosophie des

Marxismus-Leninismus 2 Wochenstunden Herr Fischer

Übungen, Seminare, Praktika

Präparierkurs II 8 Wochenstunden Prof. Dr. Voss

Histologischer Diagnostizierkurs 2 Wochenstunden Prof. Dr. Scharf

Physiologisches Praktikum 4 Wochenstunden Dr. Klingenberg

Einf. Phys.-Chem. Praktikum 1 Wochenstunde Dr. Schmidt

Phys.-Chem. Praktikum 2 Wochenstunden Dr. Schmidt

Gesellschaftswiss. Seminar 1 Wochenstunde Herr Heß

Englisch 2 Wochenstunden Herr Hahn

Sport 2 Wochenstunden Herr Keitz

Gesamt 36 Wochenstunden

Ärztliche Vorprüfung Teil II (Physikum)

Zur Zulassung erforderlich waren der Nachweis über 4 Semester Medizinstudium und die regelmäßige und erfolgreiche Teilnahme an den Präparierkursen I und II, am Mikroskopischen Kurs, am Histologischen Diagnostizierkurs, am Physiologischen Praktikum, am Physiologisch-Chemischen Praktikum, am Gesellschaftswissenschaftlichen Seminar, am Sport und die Abschlüsse in Russisch und einer zweiten Fremdsprache, sowie die bestandene Ärztliche Vorprüfung Teil I und das abgeleistete Pflegepraktikum.

Innerhalb von 4 Wochen waren am Ende des Frühjahrssemesters die Staatsexamina in Anatomie, Physiologie, Physiologischer Chemie, sowie die Zwischenprüfung im Dialektischen und Historischen Materialismus abzulegen. Anstelle Zwischenprüfung bestand die Möglichkeit, eine Belegarbeit zu schreiben. Die Prüfungsgruppen bestanden aus jeweils 4 Studierenden. Nicht bestandene Einzelprüfungen (5) konnten vor Beginn des Herbstsemesters 1957 wiederholt werden.

Ein Nichtantreten zur Ärztlichen Vorprüfung Teil I nach 2 Semestern Medizinstudium und der Ärztlichen Vorprüfung Teil II nach 4 Semestern Medizinstudium hatte die Exmatrikulation zur Folge, wenn nicht schwergewichtige Gründe nachgewiesen werden konnten (z.B. bei Krankheit ein kreisärztliches (amtsärztliches) Attest). Nichtbestandene Wiederholungsprüfungen führten in der Regel zur Exmatrikulation, nur sehr selten wurde eine zweite Wiederholung genehmigt, die dann gewöhnlich an einer anderen Universität abgelegt werden musste.Ergebnisse Vorphysikum 1956 und Physikum 1957 unseres Studienjahres
Nach der handschriftlichen Liste des Archivs der Friedrich Schiller Universität Jena wurden im September 1955 für das Studium der Humanmedizin 245 Studierende, davon 129 (52,6 %) weiblich und 116 (47,4 %) männlich , für das Studium der Zahnmedizin 37 Studierende, davon 16 (46,3 %) weiblich und 21 (56,7 %) männlich immatrikuliert. Nach den Unterlagen des Thüringer Staatsarchiv Rudolstadt konnten die nachfolgenden Daten den Akten des Bezirkstages und des Rates des Bezirkes Gera, Bezirksarzt ,Personalunterlagen zur Approbation entnommen werden. Es handelt sich um eine positive Auswahl derjenigen Studenten, die das Staatsexamen absolviert und die Approbation vom Bezirksarzt in Gera erhalten haben. Zu den anderen Studierenden gehören die Studienabbrecher, in die Bundesrepublik verzogene oder in einem anderen Bezirk der DDR approbierte Absolventen. Es kann keine Aussage getroffen werden, wie viele der Immatrikulierten die Prüfungen des Vorphysikum bzw. Physikum nicht bestanden haben und deshalb das Studium abbrechen musste.
Der Altersdurchschnitt zum Vorphysikum 1956 betrug bei den Humanmedizinern 19,6 Jahre, bei den Zahnmedizinern 20,1 Jahre ohne wesentliche Geschlechtsdifferenz.
Tabelle 1 zeigt die Durchschnittsnoten der Prüfungen in den Vorphysikumsfächern Physik, Chemie, Allgemeine Botanik, Allgemeine Zoologie und Marxismus-Leninismus (ML) und die Aufschlüsselung des Anteils der Noten 1-5 in den Fächern. Der Anteil der die Prüfungen nicht bestandenen Studierenden ist sehr gering, die Wiederholungsprüfungen wurden bestanden.
Der Notendurchschnitt pro Student in den Fächern Physik, Chemie, Botanik, Zoologie betrug 2,4, unter Hinzufügung des Prüfungsergebnisses in ML ebenfalls 2,4; der Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Studierenden war unwesentlich
.
In Tab. 2 sind analog die Prüfungsergebnisse in den Fächern des Physikums Anatomie, Physiologie, Physiologischer Chemie und ML dargestellt. Der Anteil der nicht bestandenen Erstprüfungen liegt höher; die Wiederholungsprüfungen wurden bestanden. Der Notendurchschnitt pro Student in den Fächern Anatomie, Physiologie und Physiologischer Chemie betrug 2,9, unter Hinzufügung des Prüfungsergebnisses in ML 2,8; der Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Studierenden war wiederum sehr gering.

Wenn man berücksichtigt, dass die Studienbedingungen damals sehr schwierig waren
-hoher Anteil der sog. Arbeiter-und Bauern Kinder mit Abiturdurchschnitt um 2,0 und finanziellen Problemen
-zum Teil schlechte Wohnraumsituation, hygienische Unzulänglichkeiten, soziale Probleme (Lebensmittelrationierung, Geld verdienen durch Nachtdienste in den Kliniken)
-mangelhafte Verfügbarkeit von Lehrmaterial
-Aversion gegenüber dem Russischunterricht und den Vorlesungen in ML und damit Zeitverschwendung zu Ungunsten der eigentlichen Studienfächer dann sind diese Prüfungsergebnisse bemerkenswert gut und zeigen die Ernsthaftigkeit der Einstellung zum Studium und zum künftigen Beruf.

 

Quellen:
-Archiv FSU Jena: Liste der Immatrikulation September 1955
Nr.-Läufer Studienjahr 1955//56 24571-25627
-Thüringer Staatsarchiv Rudolstadt:
Bezirkstag und Rat des Bezirkes Gera;
Bezirksarzt Personalunterlagen

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