Dieser Stoff gibt viele Geschichten her

Eine Ausstellung im Deutschen Sport- und Olympiamuseum verbindet Trikotdesign und Fußballhistorie der Europameisterschaften


Möglicherweise hat Papst Johannes Paul II. den Ausgang des Finales der Fußball-Europameisterschaft 1980 in Italien vorausgesehen. Der damalige Pontifex habe bei einer Audienz für die teilnehmenden Nationalmannschaften plötzlich in Richtung der deutschen Mannschaft geblickt und zwei Finger wie zu einem Victory-Zeichen erhoben. „Horst, Du sollst zwei Dinger machen“, interpretierte der damalige deutsche Mittelstürmer Horst Hrubesch die Geste Seiner Heiligkeit und setzte sie beim Endspiel gegen Belgien auch gleich um. Hrubesch machte seine ,zwei Dinger‘ zum 2:0-Sieg gegen Belgien, und Deutschland war zum zweiten Mal Europameister. Oder lag der Erfolg eher doch am Trikot der deutschen Kicker? Erstmals lief die Elf mit Hemdkragen auf und schwarzen Nähten im Ärmelbereich, und die Rückennummer wurde laut Designexperten durch „ein inneres Linienleben moderner interpretiert“.
Das sah doch in den 1960er und 1970er Jahren noch ganz anders aus. Weißes Trikot, schwarze Hose, weiße Stutzen – mit dieser eher streng preußischem äußeren Art in der Kleidungsgestaltung hielten die besten Fußballer auf internationaler Bühne die deutschen Farben hoch. In diesem eher farblosen Dress schied man 1968 im entscheidenden Spiel gegen den vermeintlichen Fußballriesen Malta aus. Vier Jahre später wurde diese fußballerische Schmach eindrucksvoll beseitigt. Im Europameisterschaftsfinale 1972 wurde die Sowjetunion mit 3:1 besiegt. Einen Trikottausch, also eine neue oder überarbeitete Version der Bekleidung, hatte es wohl gemerkt nicht gegeben. Erst 1980 wurde die deutsche Nationalmannschaft für die Endrunde neu ausstaffiert, nachdem die Kleidung, wie oben beschrieben, einem ,Facelifting‘ unterzogen worden war.
Seit diesem Turnier wird regelmäßig an den Trikots der Spieler designt. Das Nationaltrikot wird mehr und mehr zum Identifikationsobjekt, Sammlerstück, massenhaften Verkaufsartikel und – je nach sportlichem Erfolg – zum Kleidungsstück mit Kultstatus. Ältere Fußballkenner erinnern sich beispielsweise an das berühmte „Fieberkurventrikot“ von 1988 mit der auffallend schwarz-rot-goldenen Brustapplikation. Oder etwa jenes Leibchen von 1996 mit den drei schwarz-rot-goldenen Sternen auf der Brust, in dem Oliver Bierhoff nach seinem „Golden Goal“ in der Verlängerung gegen Tschechien die deutschen Farben zum dritten EM-Titel geschossen hatte und jubelnd über den Platz lief. Ganz anders das Trikot vier Jahre später mit den Nationalfarben als dünnen Streifen im Kragenbereich – ein Trikot, das überhaupt nicht ankam und angeblich für das Scheitern Deutschlands in der Vorrunde mit verantwortlich war: Das Ausscheiden wurde mit ätzender Ironie auch bewertet als die bewusste Strafe eines „offensichtlich modebewussten Fußballgottes“.
Erfahren lassen sich all diese höchst unterhaltsamen und teilweise wunderbar anekdotisch zusammengestellten Details in einer aktuellen Ausstellung des Deutschen Sport- und Olympiamuseums in Köln. „Trikottausch“ heißt die kleine, aber feine Schau in dem deutschlandweit einmaligen Museum, die fast zeitgleich zur Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine bis zum 8. Juli zu sehen ist. In erster Linie handelt es sich dabei um eine Designschau, denn im Mittelpunkt steht die Frage: Wie hat sich das Spielerdress der deutschen Fußball-Nationalmannschaft seit der ersten EM-Teilnahme verändert? „Es ist gut, dass es bei den Nationaltrikots in all den Jahrzehnten gewohnte Standards wie das Wappen des jeweiligen Fußballverbandes auf der Herzseite und die Rückennummer erhalten geblieben sind“, stellt Sören Kelling fest. Der 24 Jahre alte Design-Student an der Köln International School of Design ist der geistige Vater der Ausstellung. In seinem Studium befasste er sich unter anderem mit dem rund 80 Seiten umfassenden Regelwerk der FIFA bezüglich der Trikotgestaltung. „Die FIFA ist hier eine sehr konservative Organisation, weil sie verhindert, dass es bei den Nationaltrikots zu Auswüchsen kommt.“ Schließlich gelangte er zur Frage des Trikottauschs von EM zu EM, was letztlich nach Gesprächen mit dem Museum sowie seinem Professor in der Ausstellung mündete.
Dass der Bekleidungsstoff der deutschen Spieler eine Menge hergibt und sogar für eine eigene Ausstellung ausreicht, zeigt sich beim Rundgang mit den zwölf Stationen im unterschiedlichen Trikotdesign. Die Trikots der ehemaligen DDR kommen indes nicht vor. Die Mannschaft der DDR hatte sich nie für die Endrunde einer EM qualifiziert. Wer nun eine Aneinanderreihung verwaschener, weil einstmals schweißgetränkter und mit Rasenspuren gezeichneter Trikots erwartet, wird positiv enttäuscht. Denn die ausgestellten Trikots werden in ihren jeweiligen Turnierkontext eingebettet, so dass sich zugleich ein kompakter und prägnanter sowie aufschlussreicher und schlüssiger Rundgang durch die Geschichte der Europameisterschaften ergibt.
Die gibt es in der heutigen Form übrigens erst seit 1968 und sie sind eigentlich eine Erfindung der Sowjetunion und des Ostblocks. Denn 1958 schlug die Sowjetunion im Endspiel um den ,Europapokal der Nationen‘ mit 3:1 das Team aus Ungarn. Der fußballeuropäische Ostblock betrat damit zehn Jahre lang fast geschlossen den grünen Rasen und jagte dem runden Leder nach. Sepp Herberger, der legendäre erste deutsche Nationaltrainer, hielt von diesem Turnier nichts: „Zwischen zwei Weltmeisterschaften ist der Neuaufbau einer starken Nationalelf die erste Aufgabe. Ein Europaturnier stört.“
Fußballfreunde dürften froh und dankbar dafür sein, dass sich der Weltmeistertrainer von 1954 hier irrte. In den kommenden Wochen wird sich wieder zeigen, in wie weit äußeres Design und sportliches Abschneiden der deutschen Mannschaft miteinander in Verbindung stehen. „Mit dem Nationaltrikot verbindet man Stolz und Tradition. Es ist verbunden mit großen Erfolgen, großen Namen, großen Geschichten“, sagt Nationaltrainer Joachim Löw. Möglicherweise schreiben Jogis Jungs in den kommenden Wochen eine weitere große Geschichte. Deutschland spielt in grün, der Farbe der Hoffnung – auf den vierten EM-Titel?

(bis 8. Juli, mo bis fr 10 bis 18 Uhr, sa und so 11 bis 19 Uhr)

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Über Constantin Graf von Hoensbroech 74 Artikel
Constantin Graf von Hoensbroech absolvierte nach dem Studium ein Zeitungsvolontariat über das "Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses - ifp". Nach Stationen in kirchlichen Medien war er u. a. Chefredakteur von "20 Minuten Köln", Redaktionsleiter Rhein-Kreis-Neuss bei der "Westdeutschen Zeitung", Ressortleiter Online bei "Cicero" sowie stellvertretender Pressesprecher der Industrie- und Handelskammer zu Köln. Seit März 2011 ist er Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation der Rheinland Raffinerie der Shell Deutschland Oil GmbH.

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