Felix Mendelssohn Bartholdy in Jena

Um es vorweg zu nehmen: Der 1809 geborene Komponist hat die Saalestadt nach heutiger Kenntnis nie besucht. So bedeutet der Titel also nur die Beantwortung der Frage: Welche Rolle spielte seine Musik in den hiesigen Konzertprogrammen der damaligen Zeit? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Es sind durchgehend nur die Akademischen Konzerte dokumentiert. Aber was ist mit den nicht wenigen Chören, dem Männergesangverein Winzerla, dem Bürgerlichen Gesangverein, der Sängerschaft St. Pauli, der Singakademie, der Liedertafel und manch anderen mehr? Alle diese hatten wohl Chöre des Komponisten im Programm, schon auf Grund seiner allgemeinen Popularität, aber das ist eher eine doch ziemlich sichere Vermutung denn durch Nachweise bestätigt, und zumindest weiß man nicht, was da am häufigsten gesungen wurde.

Das Wirken des Universitätsmusikdirektors Wilhelm Stade für Mendelssohn Bartholdy

Es ist ein glücklicher Moment in der Musikgeschichte der Universität, dass 1838 sowohl eine neue Akademische Konzertkommission ihren Anfang nahm als auch ein neuer Universitätsmusikdirektor berufen wurde. Dieser Wilhelm Stade mit kaum mehr als zwanzig Jahren hatte nicht nur mit spärlicher Entlohnung auszukommen, ihm fehlte auch ein eigenes Orchester. Die Programmstruktur war damals anders als heute, variabler. Der großen Sinfonie am Anfang folgte so manche Kammermusik, Arien und und Opernausschnitte, Virtuosenwerke. Im zweiten Teil, meist ohne eine Sinfonie, war oft eine Ouvertüre zu hören. Man blieb also meist der Tradition verpflichtet.
Allein – die Liste der Komponisten ist beachtlich, die Stade in Jena erstmals vorstellte, ist beachtlich, und das ist, neben der verstärkten Aufführung von Oratorien und einer beträchtlichen Zahl von Uraufführungen, das eigentliche Verdienst.
Der Aufführungszahl nach stehen nach 1840 unter den lebenden Komponisten wie Gioacchino Rossini, Robert Schumann, Hector Berlioz, Franz Liszt die Werke von Mendelssohn Bartholdy an vorderster Stelle. Häufiger gespielt werden nur Ludwig van Beethoven, Wolfgang Amadeus Mozart und anfangs Carl Maria von Weber. Für einen Komponisten, der vorher dahier nicht auf dem Konzertprogramm auftaucht, ist das beachtlich und lässt neben allem anderen auf eine große Zuneigung des Publikums schließen.
Mendelssohn Bartholdy hat bekanntlich auch die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach wieder aufgeführt, was schließlich zur Folge hatte, dass manchenorts wie in Jena erstmals auch wieder Kompositionen des Barockkomponisten zu hören waren.
Wilhelm Stade ging 1860 nach Altenburg bei deutlich besserer Bezahlung. Auch die verdiente Auszeichnung mit dem Ehrendoktorhut änderte daran nichts mehr.
Eines Tages um die Jahrhundertmitte kam das Joachim-Quartett nach Jena, mit dem Konzertmeister Carl Stör aus Weimar, dem Bratscher Walbrül und dem Cellisten Bernhard Cossman. Sie brachten den Pianisten Hans von Bülow mit, der mit den anderen das d-Moll­-Klaviertrio von Mendelssohn Bartholdy spielte. Mit den Kutschen waren aus Weimar illustre Gäste gekommen, Bülows Mutter und Bettina von Arnim. Es ging spät in der Nacht bei Mondenschein zurück, und als man in Weimar ankam, war der Kutscher eingeschlafen. Die Pferde hatten den Weg allein gefunden.
Leider hat sich heutzutage das Spektrum der von Felix Mendelssohn aufgeführten Werke ganz allgemein ziemlich eingeengt, obwohl man hier und dort und vor allem auf Tonträgern doch hin und wieder etwas wie „Oedipus auf Kolonnos“, „Athalia“, „Antigone“, „Die Loreley”, „Die Entsagung“, einen der nicht wenigen Psalmen, auch die achtstimmigen, hören kann.

Das Wirken des Universitätsmusikdirektors Ernst Naumann von 1860 – 1906

Der neue Dirigent, ein bescheidener Mann mit unendlichem Fleiße, hat zumindest in den Anfangsjahrzehnten, als er noch selbst die Programme ausarbeitete, manchmal fast in jedem Konzert einer Spielzeit Kompostionen von Felix Mendelssohn Bartholdy vorgestellt. Das betrifft sowohl Sinfonien als Ouverturen, Konzertarien und Instrumentalkonzerte, Lieder und Chöre, Kammermusiken. Letztere behielten zwar ihren Platz in den üblichen Akademischen Konzerten, aber Naumann entwickelte gleich von Beginn an Musikalische Soireen mit Liedern und Kammermusikwerken. Es waren anfangs vorwiegend Musiker der Hofkapelle in Weimar, mit Naumann als Bratscher, die diese Programme bestritten, und manch ein Werk von Mendelssohn Bartholdy war dabei. Zu den oben genannten ersten Solisten der Hofkapelle aus Weimar kamen auch deren Chef Eduard Lassen, als Pianist, dazu Sänger wie z. B. der berühmte Feodor von Milde oder Emilie Genast-Merian.
Nicht nur das Violinkonzert in e-Moll dieses Komponisten erfreute sich großer Beliebtheit. Auch die Klavierkonzerte waren dahier zu hören. Eher kennt man heute wohl den „Elias“, die gesamte Musik zu „Ein Sommernachtstraum“ von William Shakespeare, „Die erste Walpurgisnacht“ und den „Paulus“.
1886, einen Monat vor seinem Tode, weilte Franz Liszt in Dornburg. Während die meisten anderen den Weg über die Höhen zurück nach Weimar fanden, fuhr Liszt nach Jena, um sich den „Paulus“ von Mendelssohn Bartholdy anzurühren. Niemand wusste, dass die Unterrichtsstunde am nächsten Tag die letzte sein sollte. Liszt begann sie mit Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy.
Man kann heutzutage weder von einer Vernachlässigung noch von einer besonderen Pflege der Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy in Jena sprechen. Die Kompositionen sind längst normale Bestandteile der Konzertprogramme geworden, wobei eine größere Bandbreite aus seinem Schaffen allerdings kein Schaden wäre. Allein seine Orgelmusik ist einigermaßen regelmäßig in der Stadtkirche und auch in der Friedenskirche zu hören. Wo bleiben die Lieder, Chöre und die lohnenswerte Kammermusik ? Hat nicht eine erneute Aufführung des „Paulus“ in diesem Jahr 2009 gezeigt, wie begeistert diese Musik aufgenommen worden ist?
Es hat der Musik selbst des Felix Mendelssohn Bartholdy eigentlich bei ihrer festen Verwurzelung zum Beispiel in den vielen Chören nicht sonderlich geschadet, dass sie während der Zeit des Nationalsozialismus nicht gespielt werden durfte, wenn auch die Unterbrechung anschließend zu mancher Unkenntnis geführt hatte. Und um ihn aus den Herzen und Hirnen ganz zu tilgen, wurde auch sein Denkmal in Leipzig abgerissen. An welchem Merkmal wollte man eigentlich festmachen, dass ausgerechnet dies keine deutsche Musik sei? Einst hatte schon ein Richard Wagner mit der Verteufelung Felix Mendelssohn Bartholdys begonnen, aber damals hatte keiner daran gedacht, ihn von den Spielplänen zu vertreiben. Trotz der langen Abstinenz bis zum Ende des Krieges hatten so manche Sänger den Melodienreichtum behalten, worauf man dann wieder aufbauen konnte. Es sollte nicht vergessen werden, zumal es eigentlich heutzutage trotz vieler Bemühungen noch nicht völlig überwunden ist, dass mit Mendelssohn Bartholdys Werken auch viele andere Musik verboten wurde und anderes sich gar nicht entwickeln konnte.
Auf den beschrittenen Wegen wie mit dem „Paulus“ durch die Jenaer Philharmonie oder den Liedern, die z. B. der Volkschor Lobeda zu seinem Jubiläum gesungen hat, oder den Orgelsonaten in der Stadtkirche kann man ruhig weitergehen, aber vielleicht findet sich dann hin und wieder Platz für manches arg lang nicht gehörte Werk.

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