Flucht und Umsiedlung nach 1945

Bis Mitte 1941 wurde der Konflikt von der deutschen Wehrmacht in Europa vorwiegend als Eroberungskrieg geführt. Nach Polen wurden in kurzen, konzentriert geführten Feldzügen Dänemark, Norwegen, Belgien, die Niederlande, Luxemburg, der Großteil Frankreichs, Jugoslawien und Griechenland erobert und besetzt. Die Gebiete wurden teils ins Deutsche Reich eingegliedert, teils mit vom Deutschen Reich abhängigen Regierungen beherrscht und wirtschaftlich ausgebeutet. Juden, Oppositionelle und des Widerstands gegen den Nationalsozialismus verdächtigte Personen wurden planmäßig verschleppt, zur Zwangsarbeit herangezogen oder sofort ermordet. Großbritannien war von der Kapitulation Frankreichs (22.Juni 1940) bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion (22.Juni 1941) Deutschlands einzig verbliebener europäischer Kriegsgegner. Dieses Durchhalten der Briten, das von Churchills Standfestigkeit gegenüber Adolf Hitler angeführt wurde, war von großer, wohl mitentscheidender Bedeutung für den Verlauf des Zweiten Weltkrieges. Das nationalsozialistische Deutsche Reich führte den Krieg gegen die UdSSR als einen Vernichtungskrieg. Hitler gilt dabei als treibende Kraft. Bereits in seinem Werk „Mein Kampf“ hatte er die Vorstellung der Eroberung von „Lebensraum im Osten“ weiterentwickelt, indem er sie mit Sozialdarwinismus, Rassenideologie, Antisemitismus und Antibolschewismus verknüpfte. Immer wieder betonte er, dass er Osteuropa bis zum Ural als Ergänzungs- und Siedlungsraum für ein künftiges „Großgermanisches Reich“ begriff. Der Vormarsch der Wehrmacht konnte im Winter 1941/42 vor Moskau erstmals abgewehrt werden. Nachdem die Rote Armee im Winter 1942/43 einen erneuten Vorstoß bei Stalingrad stoppen konnte, drängte sie die Invasoren nach und nach zurück. Im Juni 1944 gelang ihr dann die Zerschlagung der Heeresgruppe Mitte, womit die deutsche Niederlage unausweichlich geworden war. Bis Ende 1944 musste die geschlagene Wehrmacht sich an die Reichsgrenzen zurückziehen.
Mit dem Kriegseintritt des Königreichs Italien an der Seite des Deutschen Reiches im Juni 1940 wurde auch Nordafrika zum Kriegsschauplatz. Das ab Februar 1941 an den Kämpfen beteiligte Deutsche Afrikakorps konnte zwar die Niederlage der Achsenmächte in Nordafrika verzögern, aber nicht abwenden. Nach der Niederlage bei El-Alamein (1942) schwanden Hitlers Aussichten, im globalen Maßstab gegen das britische Empire vorgehen zu können. Im November 1942 landeten anglo-amerikanische Truppen in Nordafrika und zwangen die deutschen und italienischen Truppen in Tunesien zur Kapitulation (Mai 1943). Nach der Landung auf Sizilien (Juli 1943), in der Normandie (Juni 1944) und in Südfrankreich (August 1944) führten auch US-amerikanische, britische, kanadische und französische Truppen in Kontinentaleuropa neben den sowjetischen Truppen einen Landkrieg gegen die Truppen der Wehrmacht. Italien stand ab Oktober 1943 offiziell auf der Seite der Alliierten. Ab Oktober 1944 drangen alliierte Truppen im Westen auf das Gebiet des Deutschen Reiches vor, und im Januar 1945 rückte die Rote Armee nach Ostpreußen vor. Mit Durchhaltebefehlen trieb die politische und militärische Führung derweil die deutschen Truppen noch im Frühjahr 1945 weiter in einen längst verlorenen Krieg, wodurch auf beiden Seiten noch Hunderttausende von Menschen getötet wurden. Am 25.April 1945 stießen an der Elbe US-amerikanische Truppen auf sowjetische Truppen. Am 8.Mai 1945 trat die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht in Kraft, der Krieg in Europa war damit beendet. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges stieg die Sowjetunion neben den USA in den Rang einer Supermacht auf.
Bereits ab Herbst 1944 setzten sich große Flüchtlingsströme aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Ostbrandenburg, seit 1945 auch aus dem annektierten Sudetenland in Bewegung. Die Flucht wurde von deutschen Behörden angeordnet oder erfolgte aus Angst vor den Gefahren der näherrückenden Kriegsfront wie Bombardierungen oder Artilleriebeschuss. Berichte und Gerüchte über Massaker, Massenvergewaltigungen und Plünderungen in bereits von der Roten Armee oder Partisanenverbänden erreichten Gebieten taten ein Übriges. Im Oktober 1944 begannen auch sogenannte wilde Vertreibungen durch die ortsansässige nichtdeutsche Bevölkerung, besonders in Gebieten mit deutschen Minderheiten wie etwa auf dem Balkan oder in der Slowakei. Neusiedler kamen an, die zuvor oft selbst vertrieben worden waren. In allen Besatzungszonen unternahmen Vertriebene Versuche, eigene Organisationen zur Artikulation ihrer Interessen zu gründen. In der SBZ/DDR wurden diese Organisationen von der Polizei unterdrückt.
Bis in die 1960er-Jahre hinein fanden jedoch, informell organisiert, auch in der DDR Vertriebenentreffen statt.In den Westzonen und ab 1949 in der Bundesrepublik organisierten sich zahlreiche Vertriebene in Landsmannschaften, die sich 1957/58 im Bund der Vertriebenen (BdV) zusammenschlossen.In den 1950er- und frühen 1960er-Jahren bildeten die Vertriebenen eine vergleichsweise einflussreiche Interessengruppe. In der bundesdeutschen Politik waren Flüchtlinge und Vertriebene in sämtlichen Parteien vertreten.
In der sowjetischen Zone und der DDR setzte sich die Bezeichnung „Umsiedler“ durch und behauptete sich bis zum Zusammenbruch der real sozialistischen Staaten Osteuropas. In den Westzonen und später der BRD wurden die Begriffe „Vertreibung“ bzw. „Vertriebene“ zur offiziellen, in bestimmten Fällen auch gesetzlich fixierten Bezeichnung. Dort tauchte dann auch der Terminus „Heimatvertriebene“ zuweilen auf. Parallel zu den politischen und kulturell agierenden Landsmannschaften bildete sich 1949 der „Zentralverband vertriebener Deutscher“ (ZvD), der sich 1954 zum „Bund vertriebener Deutscher“ (BvD) umbenannte. Ende 1958 fusionierte der BvD mit seinen damals 11 Landesverbänden und der Verband der Landsmannschaften zum „Bund der Vertriebenen-Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände“. Als politische Partei fungierte ab 1950 der BHE, ab 1952 „Gesamtdeutscher Block/BHE, wo ehemalige Nationalsozialist_innen die Richtung vorgaben. Die Termini „Vertriebene“ und „Vertreibung“ waren in der BRD unhinterfragte Konstanten sowohl der politischen Sprache als auch im Alltagsleben. Bei allen politischen und sozialen Gruppierungen, die die 7,6 Millionen „Vertriebenen“ in der BRD und deren Nachkommen vertraten, war ein breiter antikommunistischer Konsens vorherrschend, das Ressentiment vom „bolschewistischen Terror“ war weit verbreitet.
Der Begriff „Vertriebene“ ermöglichte die Entstehung eines volksgemeinschaftlichen Denkens der eigentlich aus heterogenen Schichten und Klassen stammenden Menschen. Es wurde immer an diesem Begriff festgehalten, um den eigenen Opferstatus zu zementieren und daraus Identität zu schöpfen. Neutralere Bezeichnungen wie Flucht oder Umsiedlung wurden vehement abgelehnt. Völkische Traditionspflege steht bei den Vertriebenenverbänden hoch im Kurs – nicht nur personell. Ohne die identitätsstiftende, regressive Traditionsarbeit (Volkstänze, Bräuche, Mundarten, Trachtenpflege) wäre der Zusammenhalt der Vertriebenenverbände nicht bis in die Gegenwart zu organisieren gewesen. Im Zentrum des völkischen Ansinnens steht der Kampf um das »Recht auf die Heimat«, wobei in den letzten Jahren völkisch-partikularistische Modelle den früher gängigen staatlich-expansionistischen vorgezogen werden. Im „WitikoBrief“, dem internen Mitteilungsblatt des Witikobundes, war bereits vor einigen Jahren die Parole ausgegeben worden, für »unsere in den Oder-Neiße-Gebieten und im Sudetenland verbliebenen Landsleute« ein Volksgruppenrecht zu fordern, das „den dortigen Deutschen in ihrer Gesamtheit deutsch zu bleiben ermöglicht“ und das „Autonomieregelungen für solche Gebiete vorsieht, wo sie einen wesentlich mitbestimmenden Faktor darstellen wie etwa in Oberschlesien“. Es wird dabei ein völkischer Nationalismus vertreten, der sich in Abgrenzung zu anderen Nationalitäten wie zum Beispiel Polen sieht. Dabei dienen die Geschichtsauffassungen Herders und Fichte, die von einem „deutschen Nationalcharakter“ sprechen, als Vorbilder.
Die „Lobpreisung der Nation“ wie sie in Reaktion auf die Französische Revolution in Deutschland im 19. Jahrhundert aufkam und mit Namen verbunden ist wie Friedrich Ludwig Jahn, Ernst Moritz Arndt und Johann Gottlieb Fichte, ist elementarisches Charakteristikum der Vertriebenenverbände. Zum deutschen Volk gehören nach Auffassung der Vertriebenenverbände natürlich nicht nur Sachsen, Bayern und Rheinländer. Sondern selbstverständlich auch Ostpreußen, Schlesier, Sudetendeutsche und Siebenbürger Sachsen: „Ein Siebenbürger Sachse ist eben kein Rumäne und ein deutscher Oberschlesier kein Pole!“, lautet folgerichtig das Statement des BdV in dieser Frage. Ihre Spezifika erhalten diese „völkischen Eigenarten“ durch ihre aus dem vorgesellschaftlichen, quasi-natürlichen Bereich stammende Verknüpfung der geographischen Region mit einer politischen oder kulturellen Identität der in dieser verorteten Menschen. Auf welche Weise diese Verknüpfung erklärt wird, spielt in den Vertriebenenverbänden eine untergeordnete Rolle – solange die Annahme einer grundsätzlichen Differenz von Menschengruppen bestehen bleibt. Denn sowohl ein biologisch ausgerichtetes Polaritätsmodell („Rasse“) als auch ein über den Kulturalismus („Volkskultur“) geprägter Differenzansatz erfüllt die gleiche Funktion für die völkische Identität.
Die Sudetendeutsche Landsmannschaft kritisiert immer wieder die Benes-Dekrete und verhindert damit eine ausgewogene freundschaftliche Beziehung zwischen der BRD und der Tschechischen Republik und der Slowakei. Kritisiert wird von Seiten der Vertriebenenverbände vor allem, dass sich die Dekrete gegen eine Gruppe von Personen nicht wegen persönlich begangener konkreter Taten, sondern allein wegen ihrer nationalen Zugehörigkeit wandten. Damit missachteten sie das Prinzip der Unschuldsvermutung und verweigerten den Betroffenen zudem das Recht, sich vor einem unabhängigen Gericht zu verteidigen. Demnach läge also nicht nur eine Negierung der Unschuldsvermutung vor, sondern auch eine Beweislastumkehr zuungunsten der durch die Erlasse betroffenen Bevölkerungsgruppen, was rechtsstaatlichen Prinzipien widerspräche. Zwar wurden in Einzelfällen Ausnahmen gemacht; allerdings fiel das feste Eigentum bei selbst gewählter Ausreise dennoch an den sich neu formierenden tschechoslowakischen Staat.
Der Bund der Vertriebenen wird aus Bundesmitteln gefördert. Im Jahre 1995 betrug diese institutionelle Förderung über 3,5 Mio. DM. Davon wurden vom BdV 320.000 DM an seine Mitgliedsverbände weitergeleitet.Der Bund der Vertriebenen wird staatlich gefördert, weil an der Erfüllung seiner Aufgaben ein Bundesinteresse besteht. Zu diesen Aufgaben gehören die Integration der Aussiedler und Spätaussiedler, die soziale und kulturelle Unterstützung der deutschen Volksgruppen und Minderheiten, die Verständigung und Zusammenarbeit mit den Nachbarvölkern und die Pflege des Kulturgutes der Vertriebenen und Flüchtlinge als Teil des deutschen und europäischen Erbes. Die Bundesregierung bedient sich hierzu der Einrichtungen der Vertriebenenverbände. Die Grundlage der Tätigkeit des BdV ist im Bundesvertriebenengesetz (BVFG) von 1953 geregelt. In den nach § 22 BVFG gebildeten Beirat für Vertriebenen-, Flüchtlings- und Spätaussiedlerfragen, der die Aufgabe hat, die Bundesregierung in diesen Fragen zu beraten, entsenden die Vertriebenenverbände gemäß § 23 Abs. 1 BVFG allein sechzehn Vertreter. Auch auf Landes- und Kommunalebene bestehen Vertriebenenbeiräte, in denen die Sach- und Fachkompetenz der Vertriebenen gefragt ist.
Die „Vertriebenen“ in der DDR erhielten nach der Wiedervereinigung eine einmalige Pauschalsumme von 4000 DM. In der SBZ hatte es aufgrund des Befehls Nr. 304 der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) von 1946 eine einmalige Unterstützung für Arbeitsunfähige und Bedürftige gegeben: 300 RM für Erwachsene, 100 RM für deren Kinder. Bis 1949 waren 400 Millionen Mark für diese Vertriebenensoforthilfe ausgeschüttet worden – fast jeder zweite Vertriebene hatte davon profitiert. Ebenfalls aufgrund eines Befehls der SMAD wurden die Vertriebenen seit 1945 offiziell als „Umsiedler“ bezeichnet; die SED sprach auch von „Neubürgern“.
Am 6.Juni 1950 unterzeichneten Ost-Berlin und Warschau die Deklaration über die „Grenzmarkierung an Oder und Neiße“. Am 5. und 6.Juni 1950 entsandte die Regierung der DDR eine Delegation unter Führung Walter Ulbrichts in die Volksrepublik Polen, die mit der polnischen Regierung unter Józef Cyrankiewicz in Warschau eine entsprechende Deklaration über den Grenzverlauf zwischen beiden Staaten unterzeichnete, die sogenannte Warschauer Deklaration vom 6. Juni 1950. Die Unterschrift unter diese Deklaration erfolgte nach internen Diskussionen unter dem Druck der Sowjetunion. Jener Grenzverlauf folgte weitgehend der Oder-Neiße-Linie, daher später auch „Oder-Neiße-Grenze“ respektive „Oder-Neiße-Friedensgrenze“ im offiziellen DDR-Sprachgebrauch.
Diese wurde in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als Demarkationslinie bezeichnet, da sie keine völkerrechtlich anerkannte Grenze darstellte. Einen Monat später wurde dieser Grenzverlauf im Görlitzer Abkommen festgehalten, allerdings verzichtete die Regierung der DDR trotz des zunächst ungelösten Problems auf der Insel Usedom auf die Geltendmachung von Grenzkorrekturen. Auch wurde die Teilung verschiedener Städte und Dörfer entlang der Oder und Neiße, wie Küstrin, Frankfurt (Oder), Guben und Görlitz, sowie der Verlust der westlich der Oder gelegenen Teile der Stadt Stettin und des Stettiner Zipfels sowie des westlich der Swine gelegenen Teils der Stadt Swinemünde ohne Widerspruch akzeptiert.
Die Vereinbarung war die Folge des 1945 auf der Potsdamer Konferenz unterzeichneten „Abkommens bezüglich der Westgrenze Polens“, welches auf Betreiben Josef Stalins die Oder-Neiße-Grenze vorläufig festlegte und statt der Glatzer Neiße, welche während des Zweiten Weltkrieges zeitweise als Grenzfluss zwischen Polen und Deutschland im Gespräch war, die Lausitzer Neiße als Westgrenze Polens bestimmte. Eine Grenzziehung entlang der Oder und der Glatzer Neiße hätte den Verbleib großer Teile Schlesiens bei Deutschland bedeutet: Die Städte Grünberg, Waldenburg und Hirschberg wären weiterhin zu Deutschland gehören, von Breslau wäre nur der Nordostteil polnisch geworden.
Die Bundesregierung erhob zwar faktisch schon seit dem Warschauer Vertrag von 1970 keine Ansprüche mehr auf die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie, erkannte die Grenze aber endgültig erst im Zuge der Zwei-plus-Vier-Gespräche an, um den „Wiedervereinigungsprozess“ zwischen den beiden deutschen Staaten nicht zu gefährden. Mit dem deutsch-polnischen Grenzvertrag wurde sie am 14.November 1990 völkerrechtlich bestätigt.
Wer die Grenze fortan in Frage stellte, hatte mit Parteistrafen und juristischer Verfolgung zu rechnen. Landsmannschaftliche Organisationen waren verboten. Eine Organisation für Vertriebene sei in der DDR überflüssig, da es sich bei den Konflikten zwischen Eingesessenen und „Umsiedlern“ um soziale Probleme handele, die angesichts einer raschen „Verschmelzung“ der beiden Bevölkerungsgruppen nur vorübergehenden Charakter trügen.
Als 1989 die Mauer fiel, strömten Zehntausende Schlesier, Pommern und Ostpreußen in die Versammlungen der Vertriebenenverbände: Es bestand starker Nachholbedarf, über die „verlorene Heimat zu reden und das Unrecht zu benennen“. Viele hatten bereits lange vorher die Konsequenzen gezogen: Von den gut vier Millionen Vertriebenen in der DDR hatten sich bis zum Mauerbau 1961 über eine Million in den Westen abgesetzt.
In den Westzonen wurde das Koalitionsverbot für Flüchtlinge und „Vertriebene“ Ende der vierziger Jahre aufgeweicht. Zunächst hatten die Alliierten befürchtet, unter den Westpreußen, Pommern oder Sudetendeutschen könnten schnell Nationalismus und Revanchismus erstarken. Im Februar 1946 war der Versuch von Linius Kather, vor 1933 einziger Vertreter der Zentrumspartei im Stadtparlament von Königsberg, eine „Notgemeinschaft einzelner Landsmannschaften“ zu gründen, von der Militärregierung untersagt worden. Und im Mai 1946 wurde sein Antrag auf Genehmigung einer „Arbeitsgemeinschaft deutscher Flüchtlinge“ abgelehnt. Doch bei der evangelischen Kirche entstanden „Hilfskomitees“ für Menschen aus den Vertreibungsgebieten, geleitet von Eugen Gerstenmaier; die katholische Kirche ernannte den früheren Ermländer Bischof Maximilian Kaller zum „Flüchtlingsbischof“.
Eine der umstrittensten Figuren bei „Vertriebenenorganisationen“ ist Erika Steinbach. Steinbach war Mitglied des Bundesvorstandes der Landsmannschaft Westpreußen. Seit 1994 ist sie Mitglied des Bundes der Vertriebenen (BdV), ab dem 2. Mai 1998 dessen Präsidentin. Sie wurde zuletzt 2012 durch die BdV-Bundesversammlung mit 97,5% der Stimmen als BdV-Präsidentin bestätigt. Im November 2014 trat sie nicht mehr zu den Neuwahlen des Präsidiums an.
Sie ist Vorsitzende der vom BdV 2000 gegründeten Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“, bis zum Tode von Peter Glotz im Jahr 2005 gemeinsam mit ihm.Sie ist Vorsitzende der Jury zur Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen. Der Preis wird seit 2003 verliehen.
Im Jahr 2004 schlug Steinbach für die Entschädigungsansprüche der Vertriebenen eine innerstaatliche Regelung vor, um die außenpolitische Konfliktlage zu beenden. Der Vorschlag stieß auf Widerstand im Präsidium des BdV. Sie warf der rot-grünen Bundesregierung vor, in Antwortschreiben an enteignete Vertriebene diese an Polen verwiesen zu haben und ihr Recht dort einzuklagen, gleichzeitig aber öffentlich in Deutschland die Rechtsansprüche zu bestreiten. Die Linie einer innerstaatlichen Regelung verfolgte sie weiter. So distanzierte Steinbach sich gemeinsam mit dem BdV-Präsidium von den Entschädigungsforderungen der Preußischen Treuhand,deren Klage der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Oktober 2008 zurückwies.
Steinbach stimmte 1991 im Bundestag gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Sie war eine der 13 Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion, die bei der Abstimmung über den deutsch-polnischen Grenzvertrag eine Erklärung abgaben, warum sie nicht zustimmen könnten. Es seien insbesondere Eigentums- und Vermögensfragen offengeblieben. Dem deutsch-polnischen Vertrag über gute Nachbarschaft stimmte sie 1991 zu.
In ihrem Vortrag an der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität Warschau am 20. Oktober 1999 betonte sie die kulturellen Gemeinsamkeiten von Deutschen und Polen und warb für einen offenen Dialog. Gleichzeitig erinnerte sie an die Botschaft der polnischen Bischöfe von 1965 und deren Aussage „wir vergeben und bitten um Vergebung“. Die Veranstaltung des BdV, der auf Steinbachs Initiative hin am 19. Juli 2004 in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin eine Erinnerungsveranstaltung zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes mit dem Leitsatz „Empathie – der Weg zum Miteinander“ durchführte, an der neben Erika Steinbach Kardinal Karl Lehmann, Ralph Giordano, Hans Maier und Bogdan Musiał mitwirkten, stieß in Polen auf Ablehnung und bei dem polnischen Historiker Władysław Bartoszewski sogar auf Empörung. Ähnlich war die polnische Reaktion auf die Ausstellung des Zentrums gegen Vertreibungen „Erzwungene Wege“ 2006 im Berliner Kronprinzenpalais. Erstmals wurde darin in Deutschland öffentlich auch an die Vertreibung von Polen erinnert. Bei einer von der Rzeczpospolita durchgeführten Umfrage, welche Person bei den Polen am meisten Angst auslöse, wurde Erika Steinbach von 38% der Befragten genannt und kam damit auf Platz 2; mehr Ängste würde nur Wladimir Putin mit 56% auslösen.
Über die Regierung von Kaczyński sagte Steinbach 2007: „Die Parteien, die in Polen regieren, sind mit den deutschen Parteien Republikaner, DVU und NPD vergleichbar“.Aus polnischer Sicht verstärkte dies den Eindruck, dass Steinbach den Nationalsozialismus verharmlose.Wiederholt wurde Steinbach Gegenstand auch polnischer Satire, wie im Fall einer auch in Deutschland nachgedruckten Fotomontage des polnischen Nachrichtenmagazins Wprost, die sie in SS-Uniform auf Bundeskanzler Gerhard Schröder reitend darstellt. Die Internetseite und Flugblätter des Vereins Powiernictwo polskie („Polnische Treuhand“) zeigten Erika Steinbach 2007 in einer Reihe mit einem Offizier der Waffen-SS und einem Ritter des Deutschen Ordens, ergänzt mit einem Zitat Hitlers. Durch alle deutschen Gerichtsinstanzen wurde dem polnischen Verein untersagt, diese Diffamierung weiter zu veröffentlichen.
1997 bezeichnete Steinbach die deutsch-tschechische Aussöhnungserklärung als „eine Schlussstricherklärung“, die dazu führe, dass menschenrechtsfeindliche Gesetze nach wie vor Gültigkeit haben.
1999 betonte sie vor Studenten der Karlsuniversität in Prag, dass Deutsche und Tschechen durch die Jahrhunderte mehr verbindet als trennt und dass es vor diesem Hintergrund heute möglich sein müsse, die Schatten der Vergangenheit zu überwinden.
Im Jahre 2003 zeichnete sie gemeinsam mit Peter Glotz die tschechische Jugendinitiative für das „Kreuz der Versöhnung“ im tschechischen Teplice nad Metují und die Bürgermeisterin Vera Vitova mit dem Franz-Werfel-Menschenrechtspreis für das Engagement aus, an ermordete Sudetendeutsche „und alle Opfer nationaler Konflikte dieser Region und für ein mutiges Zeichen des Dialogs zwischen Deutschen und Tschechen“. Im November 2010 erhielt der tschechische Filmemacher David Vondráček aus Steinbachs Hand den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis für seinen umstrittenen Film Töten auf tschechische Art.
1998 forderte Steinbach bei einem Pommerntreffen in Greifswald, die EU-Osterweiterung dürfe es nicht „ohne Heilung des Vertriebenenunrechts“ geben.Als diese 2003 bevorstand, bedauerte sie in einer Presseerklärung zur Abstimmung des Europäischen Parlaments, dass Europa es versäumt habe, gegenüber den entsprechenden Beitrittsländern, insbesondere Tschechien, „die Heilung der Folgen menschenrechtswidriger Vertreibungen anzumahnen und durchzusetzen“. Trotzdem stimmte sie 2004 für die Aufnahme jener Länder in die Europäische Union.
Im September 2008 äußerte sie, nach dem Zweiten Weltkrieg seien die Deutschen beispielsweise in Jugoslawien einem Völkermord ausgesetzt gewesen. In mehreren Veröffentlichungen wies Steinbach darauf hin, dass, in Zusammenarbeit von postjugoslawischen Regierungen mit der Landsmannschaft der Donauschwaben, große Gedenkeinrichtungen an den Massengräbern eingeweiht werden konnten.
Eines der politischen Ziele Steinbachs ist die Errichtung eines Zentrums gegen Vertreibungen in Berlin, das auch dem Schicksal der deutschen „Vertriebenen“ gewidmet sein soll. Sie ist die Vorsitzende der zu diesem Zweck im September 2000 gegründeten Stiftung.
Der Bund der Vertriebenen schlug im Februar 2009 neben zwei weiteren Vertretern Erika Steinbach für einen Sitz im Beirat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung vor. Diese Stiftung soll ein Dokumentationszentrum der Bundesrepublik Deutschland mit dem Arbeitstitel Sichtbares Zeichen initiieren. Die Nominierung Steinbachs war politisch umstritten, sie wurde vor allem von polnischer Seite kritisiert. SPD und Oppositionsparteien in Deutschland sprachen sich gegen die Mitwirkung Steinbachs im Stiftungsbeirat aus. Am 4. März 2009 zog der BdV die Nominierung Steinbachs zurück: man wolle so „die nicht durch uns verursachte Blockade auflösen und nicht der billige Vorwand dafür sein, das Stiftungsgesetz nicht in die Tat umzusetzen und so die Stiftung auf den letzten Metern noch zu verhindern“. Das Präsidium des BdV kündigte an, keinen anderen Vertreter an der Stelle Steinbachs zu benennen: „Es will diese Position demonstrativ unbesetzt lassen, um deutlich zu machen, dass es sich sein originäres Besetzungsrecht von niemandem vorschreiben lässt“, heißt es in einer Erklärung des BdV. Dagegen wurde von der deutschen Bundesregierung klargestellt, dass der Vertriebenenverband zwar das Recht auf eine Vorschlagsliste hat, die Beiratsmitglieder jedoch nicht von ihm, sondern vom Kabinett bestellt werden.Nach dem Wechsel der Regierungskoalition 2009 wurde Steinbach wieder für einen Sitz im Beirat ins Gespräch gebracht. Im Februar 2010 verzichtete Steinbach endgültig. Über die Besetzung des Beirats entscheidet künftig der Bundestag.
Steinbach wandte sich mehrfach gegen eine familienrechtliche Gleichstellung von homo- und heterosexuellen Partnerschaften. Eine steuerliche Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften homosexueller Paare mit der Ehe lehnt Steinbach ab.
Der Historiker und Journalist Erich Später sieht in Steinbachs Vertriebenenpolitik den Versuch, die Verbrechen der NS-Zeit durch die Fokussierung auf die deutschen Vertriebenen zu relativieren: Das Zentrum gegen Vertreibungen unter Federführung des BdV solle „die Sicht der deutschen Rechten manifestieren“. Später kritisiert Steinbachs „Leistung“, den „Diskurs der deutschen Rechten an die internationale Menschenrechtsdebatte angeglichen zu haben“. Die Vertriebenen würden in der Öffentlichkeit durch Steinbachs Engagement „jetzt als Opfer der Weltgeschichte, von unmenschlichen Regimes, von einer seit Jahrtausenden stattfindenden Politik der Vertreibung“ erscheinen. Der Zweite Weltkrieg werde „zu einem Ereignis unter vielen in einer Kette von weltgeschichtlichen Verhängnissen“.
Dazu der Journalist, Schriftsteller und Regisseur Ralph Giordano in einem Beitrag vom Februar 2009:„Ein persönliches Wort zu der deutsch-polnischen Auseinandersetzung um den Beirat der ‚Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung‘: Wer in diesem Zusammenhang Erika Steinbach eine Revanchistin nennt, begeht Rufmord! Mehr als einmal hat sie die Vertriebenen bezeichnet als ‚Opfer der Politik Hitlers‘, der ‚die Büchse der Pandora geöffnet‘ habe; sie hat sich unmissverständlich von der in der Tat revanchistischen Rechtsberatungsfirma ‚Preußische Treuhand‘ distanziert und ausdrücklich betont, dass der Bund der Vertriebenen (BdV) keine Forderungen mehr an Polen stellt. Sie war es, die die Gleichsetzung von Vertreibung und Holocaust zurückwies und den Völkermord an den Juden im deutsch besetzten Europa während des Zweiten Weltkriegs als das bezeichnete, was er ist: ein singuläres Verbrechen. Und sie war es auch, die verantwortlich zeichnete für die erste Ausstellung über das Schicksal der polnischen Vertriebenen.“
In der extremen Rechten wird der Terminus „Vertreibung“ als ideologischer Kampfbegriff“ gebraucht. Es findet sich fast durchgängig eine Täter-Opfer-Logik: Die „Vertriebenen“ werden als ewige Opfer des „bolschewistischen Terrors“ und der „Vertreiberstaaten“ Polen und Tschechoslowakei inszeniert und es wird immer wieder Mitleid für ihr „Schicksal“ eingefordert. Dies dient zur eigenen Schuldabwehr und zur Zuweisung von Verantwortlichkeiten an die „Vertreiberstaaten“. Die ihnen zugefügten „Verbrechen“ werden übertrieben dargestellt, um den eigenen Opferstatus zu festigen und daraus Identität in einem volksgemeinschaftlichem Sinne zu schöpfen. Es wird ein Geschichts- und Gebietsrevisionismus vertreten, in dessen Mittelpunkt die „Rückgabe“ der ehemaligen deutschen Ostgebiete und des Sudetenlandes an Deutschland steht.
Die „Vertriebenen“ werden in der extremen Rechten als Opfer in einem volksgemeinschaftlichen Sinne inszeniert; die „Verbrechen“ werden in ihrer Tragweite übertrieben und als singulär begriffen: „(…) die ethnische Säuberung (…), von der zehn bis zwölf Millionen Deutsche betroffen waren, ohne Parallele in der Geschichte“. (JF 13/2008: 6) Die „Vertreibungsverbrechen durch Polen an Deutschen ab 1945“ werden mit den Verbrechen des NS-Regimes aufgerechnet und damit relativiert: „(…) ebensowenig rechtfertigen, wie die Verbrechen der Deutschen in Polen ab Kriegsbeginn durch vorhergehende Vertreibungsmaßnahmen und Übergriffe der Polen gegenüber Volksdeutschen in der Zwischenkriegszeit zu entschuldigen sind.“[1] Die JF verfolgt die Strategie, mit ihren Thesen zur „Vertreibung“ einen Brückenschlag vom konservativen bis zum extrem rechten jungkonservativen Spektrum zu erreichen und so einer breiten Öffentlichkeit als historische „Wahrheit“ zu verkaufen. In der PAZ ist in weiten Teilen dieselbe Strategie zu beobachten. Die „Vertreibung“ wird dort als „singuläres Verbrechen“ begriffen und ein Opfermythos inszeniert: „ (…) gewaltsame Verschiebung von Volkstumsgrenzen durch Bevölkerungswechsel, und das mit einer Brutalität, mit einer Systematik und in einer Größenordnung, die das Attribut singulär rechtfertigt.“[2] Es kommt zu einer Konstruktion nationaler Identifikationsangebote und es werden Anschlussstellen an den bürgerlichen hegemonialen Diskurs gesucht, um diesen kontinuierlich nach rechts zu verschieben.
Radikalere verbale Positionen als bei der JF und der PAZ finden sich bei der NPD. Sie vertritt eine nationalhistorische verbrämte Inszenierung der geschichtlichen Vorgänge auf völkischer Grundlage. Lenard Suermann schreibt: „Geschichtspolitik in ihrer völkisch-nationalistischen Spielart fußt auf der Idee einer primordialen Nation bzw. einer Ur-gemeinschaft; das Subjekt der Geschichte ist dementsprechend stets die ‚eigene‘, seit Urzeiten bestehende und daher ‚ewige‘ Gemeinschaft.“ Schuldabwehr und Verherrlichung des eigenen Volkes gehen einher mit einem radikalen Bruch mit der in der BRD vorherrschenden Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. Ein wichtiger Terminus für die NPD ist dabei der „Vertreibungsholocaust“. Der Ausdruck wird benutzt, um die „Vertreibung“ von ihren historischen Ursachen zu isolieren und als mit dem Holocaust gleichrangiges Verbrechen darzustellen. Gleichzeitig wird dabei der Holocaust verharmlost und als singuläres Verbrechen bestritten. So veröffentlichte der NPD nahestehende Verlag Deutsche Stimme im Jahre 2000 das Buch „Der Vertreibungsholocaust“ von Rolf-Josef Eibicht und Anne Hipp, wo die „Vertreibung“ als „Jahrtausendverbrechen“ bezeichnet wurde. Vier Jahre später erschien im extrem rechten FZ-Verlag von Gerhard Frey das Werk von Karsten Kriwat „Der andere Holocaust“, wo ebenfalls der Holocaust mit der „Verbreibung“ gleichgesetzt wurde.
Der damalige NPD-Fraktionsvorsitzende Holger Apfel hielt 2011 im Landtag in Dresden eine Rede über das „erschütternde Schicksal von rund 15 Millionen Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer angestammten Heimat vertrieben wurden“ und die „über drei Millionen Toten hin, die im Zuge von Racheakten seitens Vertreiberstaaten wie Polen und Tschechien ums Leben kamen“. Deshalb könne auch laut Apfel „von einem an Deutschen begangenen Vertreibungs-Holocaust“ gesprochen werden“.[3] Der „vertriebenenpolitische Sprecher“ der NPD-Fraktion, Arne Schimmer, sprach bei derselben Veranstaltung von einer „Verzerrung der historischen Tatsachen durch die politische Linke“ und prangerte „die selektive Trauerkultur“ in der BRD an. Schimmer bemerkte: „Die deutschen Opfer von Krieg und Vertreibung waren in Zeiten, in denen jeder für seine Zugehörigkeit zu einem Volk in Haftung genommen wurde, genauso unschuldige Opfer wie ermordete Juden oder ums Leben gekommene Russen, die auch beileibe nicht alle blutrünstige Kommunisten waren. Den Siegern posthum einen Opferstatus zuzuerkennen, den Verlierern aber nicht, ist menschenverachtend. Besonders menschenverachtend übrigens, wenn dies von den eigenen Landsleuten praktiziert wird.“[4] Die NPD-Fraktion brachte dabei den Antrag ein, den 5. August als Jahrestag der Unterzeichnung der Charta der deutschen Heimatvertriebenen zum „nationalen Gedenktag für die Opfer der Vertreibung“ zu erklären.

Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL)

Die Sudetendeutsche Landsmannschaft ist zum einen nach der Herkunft ihrer Mitglieder in „Heimatlandschaften“ und „Heimatkreise“ gegliedert, zum anderen nach dem heutigen Wohnort in Landes-, Kreis- und Ortsgruppen. Gemeinsam mit den sudetendeutschen „Heimatvereinigungen“ vertritt die Landsmannschaft nach eigenen Angaben die Interessen von 250.000 Mitgliedern. Die SL erhebt den Anspruch, für alle sudetendeutschen „Vertriebenen“ zu sprechen und bindet andere sudetendeutsche Organisationen im Sudetendeutschen Rat ein. Die Mitglieder der SL umfassen heute sowohl die Erlebnis- (vor 1945 Geborene), als auch die Bekenntnis-Generation (nach 1945 Geborene).
Jährlich wird seit 1958 der „Europäische Karlspreis“ vergeben, der nach dem böhmischen König und römisch-deutschen Kaiser Karl IV. benannt ist.
Der Sudetendeutsche Rat (SR) ist eine überparteiliche Vereinigung von Sudetendeutschen. Er verfolgt angeblich das Ziel, die Verständigung zu fördern und sudetendeutschen Politikern unterschiedlicher Parteien ein gemeinsames Gesprächsforum zu bieten, um sie über die Anliegen der Sudetendeutschen zu informieren und um die heimatpolitischen Bestrebungen der Sudetendeutschen mit den Auffassungen der im Bundestag vertretenen politischen Parteien zu koordinieren.
Der SR besteht aus 30 Mitgliedern, die eine Hälfte wählt der Bundesversammlung der SL, die andere Hälfte benennen die im Bundestag vertretenen Parteien. Der SR veröffentlicht Dokumentationen und Erklärungen, die auch in politischen Kreisen der Vereinigten Staaten, Kanada, Großbritannien und in Skandinavien verbreitet werden. Sitz des Rates ist München, seine Geschäftsstelle befindet sich im Sudetendeutschen Haus.
2008 gehören der Vollversammlung des Sudetendeutschen Rates u.a. der CDU-Bundestagsabgeordnete Egon Jüttner und die SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Ernstberger an. Der Rat gliedert sich in die Vollversammlung, das fünfköpfige Präsidium und den Generalsekretär.Generalsekretärin ist seit 1. Februar 2014 Christa Naaß (SPD) als Nachfolgerin von Albrecht Schläger (ebenfalls SPD), der das Amt seit Mai 2006 ausgeübt hatte. Sein Vorgänger war der CSU-Politiker Matthias Sehling. Dem Präsidium des Rates gehören derzeit der frühere bayerische Landtagspräsident Johann Böhm, der frühere bayerische Staatsminister für Arbeit und Soziales, Franz Neubauer, sowie der rechte Verleger Herbert Fleissner an.
Der Sudetendeutsche Rat führt Gespräche mit Politikern, lädt zu Diskussionsveranstaltungen ein, organisiert Ausstellungen, erstellt Dokumentationen und publiziert Bücher und andere Veröffentlichungen über die Belange der Sudetendeutschen, auch in englischer und französischer Sprache.
Nachdem Vertriebene aus Böhmen bereits 1948 eine Kreisgruppe in München und 1949 eine Landesgruppe für Bayern gebildet hatten, gründete sich 1950 die Sudetendeutsche Landsmannschaft als Bundesverband. Nach der Öffnung der Grenzen begann eine zögerliche Annäherung an die alte Heimat, die 2003 mit der Gründung eines sudetendeutschen Büros in der tschechischen Hauptstadt Prag gipfelte.
Mehrere Jahrzehnte wurden die Vorsitzenden der Sudetendeutschen Landsmannschaft von Mitgliedern des rechten Witiko-Bundes gestellt, der sich als „nationale Gesinnungsgemeinschaft der Sudetendeutschen“ versteht.
Der Witikobund wurde offiziell am 1. Oktober 1950 in Stuttgart von Anhängern der in den 1930er Jahren in der Tschechoslowakei von Konrad Henlein geführten Sudetendeutschen Partei (SdP) gegründet. Vorausgegangen war eine Sammlungsbewegung, die bereits 1947 ins Leben gerufen wurde. Auf Einladung des Unternehmers Emil Lode und des ehemaligen Henlein-Vertrauten Walter Brand trafen sich am 9. November 1947 sieben ehemalige Nationalsozialisten in Waldkraiburg und gründeten die Vorläuferorganisation, um Vertreter der völkischen Sudetendeutschen zusammenzuführen. Neben Emil Lode und Walter Brand waren es der frühere HJ-Führer Rudolf Bayer, der ehemalige Vorsitzende des NS-Bundes der Deutschen Technik im Sudetenland Rupert Glaas, Konstantin Höß, der ehemalige Gestapo-Chef von Belgrad Karl Kraus und der ehemalige Senator der SdP Hugo Liehm.
Nach Richard Stöss war der Witikobund in den 1950er und 1960er Jahren eine „einflußreiche elitäre Traditionsgemeinschaft“, die sich weitgehend aus ehemaligen führenden „völkisch-nationalistischen“ Nationalsozialisten aus dem Sudetenland zusammensetzte. Großen Einfluss übte der Bund auf den BHE, die Gesamtdeutsche Partei (GDP) und die Sudetendeutsche Landsmannschaft aus.
Der überwiegende Teil führender Mitglieder des Witikobundes waren vor 1945 der NSDAP beigetreten. Eine Untersuchung der Mitgliederliste von 1958 ergab, dass von 634 Mitgliedern über 600 sudetendeutsche NS-Funktionäre waren.
In den 1960er Jahren bestanden enge Beziehungen zur NPD, und mehrere Parteimitglieder wie Heinz Flöter und Ernst Anrich waren 1967 im Vorstand des Witikobundes. Einige dieser Verbindungen bestehen bis heute weiter. Sowohl der NPD-Bundespressesprecher und ehemalige Bundesvorsitzende des (NHB) und der Jungen Nationaldemokraten (JN) Karl-Heinz Sendbühler als auch der einstige NHB-Bundesgeschäftsführer Günter Schwemmer sind Witikonen, ebenso wie die beiden ehemaligen NPD-Abgeordneten im baden-württembergischen Landtag Rolf Kosiek und Karl Baßler.
In den 1970er Jahren nahmen an den „Reichsgründungsfeiern“ des Witikobundes, die Deutsche Reichsgründung betreffend mehrere Aktivisten der Wiking-Jugend teil. In den 1980er Jahren bestanden wiederum neue Beziehungen mit dem Hilfskomitee Südliches Afrika. Außerdem äußerten sich mehrere Mitglieder rechtsextrem geschichtsrevisionistisch und relativierten oder leugneten den Holocaust. Aktivisten aus dem Witikobund wie Walter Staffa und Werner Nowak gründeten 1970 das Deutsche Seminar, das Vorträge hauptsächlich rechtsextremer Referenten organisierte.
Zahlreiche Witikonen haben in der Jungen Freiheit publiziert. Der ehemalige stellvertretende Chefredakteur der „Jungen Freiheit“ und Organisator der JF-Sommeruni 1993, Hans-Ulrich Kopp, ist seit 1983 Mitglied und seit 1992 Schriftleiter des „Witikobriefes“. Bei den Veranstaltungen des Witikobundes trat beispielsweise im November 2003 Alfred Mechtersheimer als Referent auf.
Mehrere im bürgerlichen Lager anerkannte Personen sind Witikonen, so z.B. der langjährige CDU-Funktionär Rüdiger Goldmann oder der ehemalige Fraktionsassistent der CDU im hessischen Landtag Wolfgang Egerter (1930–2008) (stellvertretender Bundesvorsitzender des WB) sowie Herbert Fleissner.

Jedes Jahr zu Pfingsten wird – in den letzten Jahren häufig – in Augsburg, Nürnberg oder München der Sudetendeutsche-Tag abgehalten; er präsentiert – neben der SL – alle anderen Gruppen, die das kulturelle Erbe pflegen und in die Zukunft tragen wollen. Zunehmend sind auch – insbesondere junge – tschechische Besucher – zu verzeichnen.
Die „Bürgervereinigung Sudetendeutsche Landsmannschaft in Böhmen, Mähren und Schlesien“ ist eine tschechische Organisation, die unabhängig von der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Deutschland entstand und agiert. Die Anerkennung als Verein wurde ihr anfangs durch das tschechische Innenministerium verwehrt. Begründet wurde dies damit, dass die Ziele der Vereinigung gegen die tschechische Verfassung verstießen. Anfang März 2015 wurde das Verbot der Organisation allerdings vom obersten Gerichtshof in Brünn aufgehoben und der Verein offiziell registriert.
Die Bürgervereinigung unterstützt die Durchsetzung des Rechts auf Heimat (Rückkehranspruch) sowie den Rechtsanspruch auf Restitution ehemaliger Besitztümer und auf Entschädigung. Außerdem setzt sie sich für das Recht auf Erwerb der tschechischen Staatsbürgerschaft für „Vertriebene“, die Aufhebung der Benes-Dekrete sowie Kriegsverbrecherprozesse gegen die Verantwortlichen für die „Vertreibung“ der Sudetendeutschen ein.
Der als Befreiung empfundene Einmarsch der Roten Armee in die Slowakei, nach Mähren sowie in wesentliche Teile Böhmens verstärkte den russischen Einfluss im Lande genauso wie der Umstand, dass sich die Exilregierung mit der Kommunistischen Partei bei Verhandlungen in Moskau auf Grundzüge für ein gemeinsames Programm geeinigt hatte. Am 4. April 1945 wurde dieses Regierungsprogramm in Kosice (Kaschau) verkündet.

Es sah folgende Punkte vor:
Bildung einer Nationalen Front und von örtlichen Nationalausschüssen,
Ausschluss der bürgerlichen rechten Mitte durch Verbot ihrer Parteien,
eine Bodenreform,
die Nationalisierung der großen Industrie, der Bergwerke und Banken,
die Enteignung der Kriegsverbrecher und der einheimischen Kollaborateure sowie
die Aussiedlung der deutschen und ungarischen Bevölkerung.

Präsident Benes regierte in den ersten Monaten durch Verordnungen, die sogenannten Benes-Dekrete, die im Nachhinein durch die Nationalversammlung bestätigt wurden.
Als „Benes-Dekrete“ werden allgemein die Rechtsnormen bezeichnet, die in den Jahren 1940 bis 1945 durch den tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benes erlassen worden sind. Sie wurden nämlich von der tschechoslowakischen Exilregierung insgesamt vorbereitet und widerspiegeln deshalb den Willen des überwiegenden Teils der damaligen tschechoslowakischen politischen Elite. Der Erlass von Dekreten war die Folge einer Verfassungsnot, die durch die Zerstörung des tschechoslowakischen Staates und seine Besetzung durch das NS-Regime in den Jahren 1938 bis 1939 eingetreten war. Die tschechoslowakische Exilpolitik konstituierte darauf die „Provisorische tschechoslowakische Staatsordnung im Exil“. Nach ihr gab es einen Präsidenten und eine von ihm ernannte Regierung, die in den Kriegsjahren international anerkannt worden war. Die rechtliche sowie politische Kontinuität wurde in erster Linie durch Benepi selbst verkörpert, was unter anderem in der Übertragung der höchsten legislativen Gewalt auf ihn seinen Ausdruck fand. Diese Rolle hatte er bis zum Oktober 1945 inne, als ein provisorisches Parlament gewählt wurde, das die Dekrete im Nachhinein legitimierte.

In den Jahren 1940 bis 1945 wurden insgesamt 143 Dekrete erlassen, einige von ihnen leiteten tiefgreifende, politische, soziale und wirtschaftliche Veränderungen in die Wege. Bis heute sind einige von ihnen umstritten (besonders die Dekrete Nr. 5/1945, Nr. 12/1945, Nr. 33/1945, Nr. 71/1945 und Nr. 108/1945), welche die Entrechtung (Entzug der Staatsbürgerschaft) und die soziale Stellung (Enteignung des Vermögens) der deutschen (wie der ungarischen) Minderheit regelten. In diesem Fall wandten sich die Dekrete gegen eine Gruppe von Personen nicht wegen persönlicher konkreter Taten, sondern wegen ihrer nationalen Zugehörigkeit. Damit missachteten sie das Prinzip der Unschuldsvermutung und verweigerten den Betroffenen zudem das Recht, sich vor einem unabhängigen Gericht zu verteidigen. Die Innenpolitik der ersten Nachkriegsjahre wurde in bedeutendem Maße durch die „Vertreibung“ der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei geprägt. Unterscheiden lassen sich dabei zwei Phasen: eine „wilde Vertreibung“ zwischen Kriegsende und Verabschiedung des Potsdamer Abkommens im August 1945 und die „regulierte Vertreibung“ danach, die 1947 im Wesentlichen abgeschlossen war.
Die meisten Opfer unter der deutschen Bevölkerung waren in der ersten Phase zu beklagen, in der tschechische Rachegefühle zu schrecklichen Übergriffen auch auf Frauen und Kinder führten. Ausschreitungen, brutale Mißhandlungen und Morde wie in Aussig (Ústí nad Labem) und in Brünn (Brno: „Brünner Todesmarsch“) ließen auch den tschechischen Historiker Tomas Stanek von Lynchaktionen sprechen, von „Selbstjustiz“, von grausamen Exekutionen allein aufgrund des Vorwurfs, deutsch zu sein. Fast 350000 Personen wurden zeitweise in Internierungs-, Auffang- sowie Arbeitslagern festgehalten.

Während der regulierten „Vertreibung“ gestatteten die Behörden, pro Person 30 bis 50 Kilogramm Gepäck und Nahrungsmittel für drei bis sieben Tage mitzunehmen. Die Praxis war örtlich unterschiedlich, und in einigen Fällen kamen die Deutschen ohne jede Habe im Landesinneren oder jenseits der Grenzen an.
Insgesamt wurden bis 1947 etwa 2,9 Millionen Personen ausgesiedelt. Ungefähr 220000 Deutsche blieben nach dem Ende der Vertreibung im Lande, unter anderen Antifaschisten, Deutsche in „Mischehen“ mit Tschechen und produktionswichtige Arbeitskräfte.

Im Mai 1946 fanden die ersten Nachkriegswahlen statt, aus denen die Kommunistische Partei (KPC) als Siegerin hervorging, weil sie sich im Krieg das Ansehen der Bevölkerung erworben hatte und ihr nationales und demokratisches Nachkriegsprogramm auf allgemeine Akzeptanz stieß. Damit konnte sie das „Budovatelsky program“, das Programm des Aufbaus einer Planwirtschaft, in Angriff nehmen.
Wohl kaum eine andere Größenangabe, die mit der tschechisch-deutschen Vergangenheit zusammenhängt, divergiert in solchem Maße wie die Zahl der sudetendeutschen Vertreibungsopfer, wohl keine andere wurde vor allem in den neunziger Jahren ähnlich intensiv diskutiert. Mit ihrer Berechnung beschäftigte sich zum ersten Mal das Statistische Bundesamt in den fünfziger Jahren, wobei es die Methode der Bevölkerungsbilanz anwandte. Aus dem Vergleich des Standes der sudetendeutschen Bevölkerung von 1939 und 1950 ergab sich nach Einrechnung der Bevölkerungsbewegung – Geburten, Sterbefälle, Kriegsverluste, Migration – eine Anzahl von ungefähr 240000 Personen mit ungeklärtem Schicksal.

Mit den sudetendeutschen „Vertreibungsverlusten“ beschäftigte sich seit Anfang der neunziger Jahre sehr intensiv die aus namhaften Wissenschaftlern zusammengesetzte Deutsch-Tschechoslowakische, später Deutsch-Tschechische und Deutsch-Slowakische Historikerkommission. Die von ihr initiierten Untersuchungen zeigten zunächst, dass die Methode der Bevölkerungsbilanz für die Ermittlung der sudetendeutschen Vertreibungsopfer problematisch war: Sie konnte sich eher ausnahmsweise auf statistisch gesicherte Daten stützen und arbeitete mit Schätzungen. In ihrer Erklärung aus dem Jahre 1997 sprach sich die Historikerkommission daher dafür aus, „auf die Zahl von 220000 oder mehr Vertreibungsopfern nicht nur in der wissenschaftlichen Diskussion, sondern auch in politischen Auseinandersetzungen zu verzichten“.
Einem neuen Versuch zur Ermittlung der sudetendeutschen „Vertreibungsopfer“ wurden die Daten des Kirchlichen Suchdienstes zugrunde gelegt, welche die Rekonstruktion sudetendeutscher Einzelschicksale ermöglichen. Ihre Summierung ergab circa 19000 namentlich belegte Todesfälle, die als Folge direkter Gewaltanwendung bzw. abnormer Bedingungen im Zusammenhang mit Flucht und Vertreibung anzusehen waren. Diese Todesfälle wurden danach durch eine geschätzte Zahl weiterer Todesopfer ergänzt. Darauf aufbauende Schätzungen, die „ungeklärte Fälle“ sowie die durch die Suchkarteien gar nicht erfasste sudetendeutsche Bevölkerung (schätzungsweise 500000 Menschen) zu berücksichtigen versuchen, ergeben eine Untergrenze der Verluste von etwa 23000 Todesfällen. Als obere Grenze vermuten sie 30000 bis maximal 40000 Todesopfer.
Kritische Stimmen behaupten, dass diese Dekrete im Widerspruch zum EU-Recht stehen und verlangen von Tschechien, sie vor seinem EU-Beitritt aufzuheben.
Dass viele Sudetendeutsche auch Nationalsozialisten waren, wird oft unterschlagen. Herauszuheben ist in diesem Zusammenhang Konrad Henlein. Am 1. Oktober 1933 gründete Henlein in Eger die „Sudetendeutsche Heimatfront“ (SHF). DNSAP und Deutsche Nationalpartei hatten sich kurz zuvor aufgelöst, um einem Verbot durch die tschechoslowakische Regierung zuvorzukommen. Es beteiligten sich viele ehemalige Funktionäre und Politiker dieser Parteien an der Gründung der neuen Bewegung. Die SHF fand unter den Deutschen in Böhmen rasch eine breite Basis, obgleich bis Mitte der 1930er Jahre die sozialdemokratische und die kommunistische Partei mehr Anhänger hatten.
Henlein äußerte sich in seinen Reden zunächst im Sinne einer aktivistischen Politik; er betonte seine Loyalität zum tschechoslowakischen Staat, innerhalb dessen er die Mitbestimmungs- und Selbstverwaltungsrechte der deutschen Minderheit stärken wolle. Unter Historikern ist bis heute umstritten, inwieweit es sich hierbei um Überzeugung oder – wie von Henlein später behauptet – um taktisches Verhalten handelte.
Am 19. April 1935 musste sich die SHF in Sudetendeutsche Partei (SdP) umbenennen. Diese wurde in den Folgejahren mit massiver Unterstützung der NSDAP systematisch ausgebaut. Bei den Wahlen 1935 gewann die SdP 44 der 66 deutschen Sitze im Prager Parlament. Im November 1937 unterwarf sich Henlein in einem Schreiben an Hitler dessen expansiver Politik – möglicherweise nachdem Agenten aus Berlin eine Revolte in der SdP gegen ihn angezettelt hatten. Ziel war ab diesem Zeitpunkt unverhohlen der Anschluss der Sudetengebiete an das nationalsozialistische Deutsche Reich.
Zwischen dem 12. und 13. September 1938 startete Henlein den „Ersten Septemberaufstand“, den Versuch eines Staatsstreiches in den Grenzbezirken. Diese Rebellion wurde aber durch die tschechoslowakische Armee und Polizei rasch erstickt. Die SdP, die noch am 11. September in Gesprächen mit der Regierung stand, wurde verboten. Die gesamte SdP-Führung flüchtete nach Deutschland, wo Henlein die Bildung des „Sudetendeutschen Freikorps“ veranlasste, dessen Kommandeur er wurde. Dieses „Sudetendeutsche Freikorps“ wurde organisatorisch den SS-Totenkopfverbänden unter Theodor Eicke zugeordnet und Ende 1938 von diesen eingegliedert.
Am 21. September 1938 kam es zum „Zweiten Septemberaufstand“, der im Bezirk Asch (dem westlichsten Grenzbezirk der Republik) begann. Weil die tschechoslowakische Regierung eine Provokation Hitlers mit dem Ziel, die tschechoslowakische Seite zu Kriegshandlungen hinzureißen, fürchtete, verhielten sich Polizei und Militär passiv. Bis zum 23. September gelang es der SdP-Guerilla, den gesamten Bezirk Asch zu beherrschen. Am 30. September wurde das Münchner Abkommen geschlossen, vor dem die tschechoslowakische Regierung kapitulierte. Am nächsten Tag okkupierte die deutsche Wehrmacht etwa ein Drittel des tschechischen Landesteils. Nach dem Münchner Abkommen war Henlein zunächst Reichskommissar für die sudetendeutschen Gebiete und erhielt am 9.Oktober 1938 die Befugnis, die Uniform eines SS-Gruppenführers zu tragen; er war nun SS-Ehrenführer und politisch dem „Stab RFSS“ unterstellt. Er stellte im Januar 1939 seinen NSDAP-Aufnahmeantrag Wenig später trat er auch der SS (SS-Nr. 310.307) aktiv bei und wurde am 21. Juni 1943 zum SS-Obergruppenführer befördert.
Mit der Errichtung des Reichsgaus Sudetenland am 15. April 1939 wurde er zum Reichsstatthalter und Gauleiter berufen.
Der Reichsgau Sudetenland wurde aus dem größten Teil der 1938 einverleibten Gebiete der Tschechoslowakei gebildet und bestand im Deutschen Reich von 1939 bis 1945. Der Reichsgau Sudetenland war in die Regierungsbezirke Eger, Aussig und Troppau unterteilt und umfasste im Oktober 1938 22.608 km², im Dezember desselben Jahres infolge weiterer Gebietskorrekturen 29.140 km². Gauhauptstadt war das böhmische Reichenberg.
Mit der Wiederherstellung des Staatsgebietes der Tschechoslowakei nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs endete die Geschichte des Reichsgaues Sudetenland.
Das sudetendeutsche Gebiet der Tschechoslowakei war im Münchner Abkommen von 1938 als Ergebnis britisch-französischer Appeasement-Politik gegen den Willen der Prager Regierung von den an der Konferenz beteiligten Staaten dem Deutschen Reich zugesprochen worden. Vom 1. Oktober bis zum 10. Oktober 1938 besetzten rund 24 Divisionen der Wehrmacht die an Deutschland und das frühere Österreich angrenzenden Gebiete der Tschechoslowakei. Die neuen Grenzen des Deutschen Reiches wurden nicht nach der wirklichen oder angeblichen Bevölkerungszusammensetzung der annektierten Gebiete gezogen, sondern nach wirtschaftlichen und strategischen Gesichtspunkten. Die konkrete territoriale Festlegung traf der „Berliner Ausschuß“, in dem die Außenminister der Unterzeichnerstaaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien vertreten waren. Das Ergebnis wurde im deutsch-tschechoslowakischen Grenzabkommen vom 21. November 1938 verlautbart. Mit diesen Gebieten verlor die Tschechoslowakei ein Drittel ihrer Bevölkerung, ihre wichtigsten Industrieanlagen und ihre gesamten Grenzverteidigungsanlagen.
Infolge des Münchner Abkommens vom wurden die deutschsprachigen Gebiete vom Deutschen Reich annektiert und den Sudetendeutschen die Staatsbürgerschaft des Deutschen Reichs zuerkannt. Sozialdemokraten, andere Regimegegner und Juden wurden teilweise verhaftet, interniert, misshandelt und ermordet oder flohen davor.Hunderttausende tschechische Bewohner der Gebiete mussten diese teilweise verlassen. Die beabsichtigte Trennung von Deutschen und Tschechen scheiterte, denn die neuen Grenzen des Deutschen Reiches umfassten auch Siedlungsgebiete mit tschechischer Bevölkerungsmehrheit, z.B. das Gebiet rund um Hohenstadt oder die Industriestadt Nesselsdorf.
Sofort nach dem deutschen Einmarsch erhielt das Heer die vollziehende Gewalt. Die fünf beteiligten Heeresgruppenkommandos setzten zunächst Chefs der Zivilverwaltungen (CdZ) ein, bis am 1. Oktober 1938 Konrad Henlein zum „Reichskommissar für Sudetendeutschland“ ernannt wurde. Die CdZ-Organisationen waren schlecht geplant und bewährten sich nicht. Sie sahen sich einem Machtkampf einzelner Reichsinstanzen gegenüber und mussten gebeten werden, eine zusätzliche Woche im Amt zu bleiben, weil die Zivilverwaltung Henleins noch nicht arbeitsfähig war. Henlein konnte sich durch seinen unmittelbaren Zugang zu Adolf Hitler der Einflussnahme der militärischen Befehlshaber mühelos entziehen. Am 20. Oktober 1938 endete die vollziehende Gewalt des Heeres und Henlein übernahm als Reichskommissar die Verwaltung.
Der tschechische Bevölkerungsanteil umfasste Januar 1938 rund 319.000 Personen. Noch im Oktober 1938 nahmen 193.793 Tschechen (=60,75%) die deutsche Staatsangehörigkeit an, um in ihrer Heimat verbleiben zu können. Die Tschechen, die nun nicht mehr unter deutscher Herrschaft leben wollten, wurden ins Protektorat Böhmen und Mähren umgesiedelt. Ihren Besitz eigneten sich sowohl der deutsche Staat als auch viele deutsche Privatleute an, nachdem Entschädigungszahlungen erfolgt waren. Allerdings zahlten die Deutschen nur einen Minimalwert an die Betroffenen.
Unmittelbar nach der „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ legte der §1 des Gesetzes über die Gliederung der sudetendeutsche Gebiete vom 25. März 1939 die Bildung des Reichsgaues Sudetenland zum 15. April 1939 fest. Dessen Verwaltungsaufbau regelte das Gesetz über den Aufbau der Verwaltung im Reichsgau Sudetenland (Sudetengaugesetz) vom 15. April 1939, das zum 1. Mai 1939 in Kraft trat. Danach wurde aus dem Großteil der sudetendeutschen Gebiete der neue Reichsgau Sudetenland gebildet. Kleinere Grenzabschnitte im Nordosten wurden der preußischen Provinz Schlesien zugewiesen Teilgebiete im Südwesten und Süden kamen zum Regierungsbezirk Niederbayern-Oberpfalz des Landes Bayern und den Reichsgauen Oberdonau und Niederdonau. Das „Sudetengaugesetz“ beseitigte den vorhandenen Aufbau der Verwaltung.
Nachdem durch das „Sudetengaugesetz“ die Grundlagen für die neuen Behörden geschaffen worden waren, folgte die Zerschlagung der bisherigen Verbände. NS-Organisationen erfassten die Bevölkerung. Die Sudetendeutsche Partei (SdP) ging in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) auf. Alle sonstigen Parteien wurden verboten.
Es blieben auch nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft Deutsche in ihrem angestammten Bezirk. Zur deutschen Minderheit in Tschechien bekannten sich bei der Volkszählung 2001 etwa 39.000 Menschen, was rund 0,4 Prozent der Gesamtbevölkerung der Tschechischen Republik umfasst. Es handelt sich dabei überwiegend um Nachfahren der trotz der „Vertreibung“ im Land verbliebenen Deutschböhmen und Deutschmährer. Weder die tschechische Regierung sieht diese Bevölkerungsgruppe als Sudetendeutsche noch erklärt sich die Mehrheit der dortigen Deutschen als Angehörige dieser von politischen Vertretern häufig als historisch eingestuften Minderheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Deutschen in der damaligen Tschechoslowakei einem starken Anpassungsdruck unterworfen, so dass sich speziell jüngere Angehörige dieser Minderheit häufig der tschechischen Mehrheitsbevölkerung im Land assimilieren.
Die deutsche Minderheit war vor dem Zweiten Weltkrieg mit einem Anteil von ungefähr 30 Prozent auf dem Gebiet des heutigen Tschechiens die bei weitem bedeutendste Minderheit. Bei der Volkszählung 1921 gaben 3,06 Millionen Menschen deutsch als Nationalität an, bei der Zählung 1930 waren es 3,23 Millionen.
Bei der ersten Erhebung nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1950 waren es, aufgrund der oben genannten Gründe, nur noch ca. 160.000 Deutsche auf dem Gebiete Tschechiens. Diese Zahl nahm danach beständig ab. So lag sie 1970 bei etwa 81.000 und bei der letzten Erhebung 2001 bei 39.100.
In absoluten Zahlen lebt heute die größte deutsche Minderheit im Ústecký kraj (insgesamt 9.500 deutsche Einwohner), den höchsten prozentualen Anteil besitzt der Karlovarský kraj mit fast 3%. Innerhalb des Karlovarský kraj ist der Bezirk Sokolov mit 4,5% der Bezirk mit der größten deutschen Minderheit in Tschechien. Im Ort Měděnec (im okres Chomutov) bekannte sich ein Viertel der Einwohner zur deutschen Minderheit. Etwa ein Fünftel bildet die deutsche Minderheit in den Orten Tatrovice (okres Sokolov), Horská Kvilda (okres Klatovy) und Kryštofovy Hamry (okres Chomutov).
In deutscher Sprache wird die Prager Zeitung herausgegeben. Die Prager Zeitung ist eine deutschsprachige Auslandspublikation, die seit dem 5. Dezember 1991 wöchentlich in Prag erscheint und in der Tschechischen Republik, Deutschland, Österreich und der Schweiz verkauft wird.
Nach der politischen Wende in der Tschechoslowakei gründete der aus Zwickau stammende Historiker Uwe Müller im Jahr 1991 die „Prager Zeitung“ und übernahm die Position des geschäftsführenden Chefredakteurs. Müller war zuvor Mitarbeiter der „Prager Volkszeitung“. Mit der „PZ“ wollte er eine moderne Publikation schaffen, die einerseits neu ins Land strömende deutschsprachige Geschäftsleute und Touristen ansprach, aber andererseits auch an die jahrhundertealte deutschsprachige Pressetradition in Böhmen und Mähren anknüpfte. Die „PZ“ sieht sich als Nachfolgepublikation des berühmten „Prager Tagblatts“, für das Reporter-Legenden wie Egon Erwin Kisch schrieben. Sie führte den Titel „Prager Tagblatt“, an dem sie alle Rechte erworben hatte, auch lange als Zweitnamen.
Bis zur Gründung der Landeszeitung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien im Jahr 1994 enthielt die „Prager Zeitung“ eine Beilage für die deutsche Minderheit in der Tschechischen Republik (Deutschböhmen und Deutschmährer). Bei Prago-Media, dem Verlag der „Prager Zeitung“, erschien bis Dezember 2006 auch die deutschsprachige Karlsbader Zeitung.
Anfang 2012 hatte die „Prager Zeitung“ 16 Seiten und eigenen Angaben zufolge eine Auflage von ca. 15.000 Exemplaren, wovon etwa die Hälfte in der Tschechischen Republik verkauft wurde. Der Rest wurde nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz geschickt. Ende 2011 beschäftigte die Wochenzeitung 15 Mitarbeiter.
1997 lehnte die SL die Deutsch-Tschechische Erklärung ab. Die Deutsch-Tschechische Erklärung ist ein grundlegendes Dokument der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik von 1997, in dem beide Seiten erklärten, dass sie „ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden“. Gleichzeitig vereinbarten sie die Einrichtung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds.
Der am 21. Januar 1997 von Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundesaußenminister Klaus Kinkel sowie Premierminister Václav Klaus und Außenminister Josef Zieleniec in Prag unterzeichneten Erklärung stimmten sowohl der Deutsche Bundestag (am 30. Januar) als auch das tschechische Parlament (am 14. Februar) zu.
Am 28.Februar 2015 beschloss die Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft in München eine neue Grundsatzerklärung sowie einige Satzungsänderungen. Diese beinhalteten auch die Streichung einiger Paragrafen, in denen die „Wiedergewinnung der Heimat“ und eine „Restitution oder gleichwertige Entschädigung“ gefordert wurden. Während diese Änderungen von einigen Mitgliedern kritisiert und rechtlich angefochten wurden, äußerten sich Politiker in Deutschland und Tschechien großenteils positiv und sprachen von einem Neuanfang. Ob man von einer radikalen Neuausrichtung der Landsmannschaft sprechen kann, ist allerdings umstritten.
Traditionell ist die SL personell und programmatisch eng mit der CSU verwoben. Wie andere deutsche Vertriebenenverbände positionierte sich die SL deutlich gegen die Ostpolitik von Willy Brandt und den Verzicht auf deutsche Gebietsansprüche im Zuge der Verhandlungen zur deutschen Einheit. Im Zuge des EU-Beitritts von Tschechien versuchte die SL vergeblich, eine Aufnahme der Tschechischen Republik davon abhängig zu machen, ob die tschechische Regierung die seit 1945 geltenden Benes-Dekrete aufhebe.

Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) als politische Interessenvertretung

Es trafen bis 1949 in der späteren Bundesrepublik ca. 7,6 Millionen „Heimatvertriebene“ ein, was in etwa 16% der Gesamtbevölkerung entsprach. Dies führte wegen der Armut und der hohen Arbeitslosigkeit in den Aufnahmeregionen zu großen sozialen Spannungen zwischen der autochthonen Bevölkerung und den „Heimatvertriebenen“. Die Alliierten befürchteten deshalb eine politische Radikalisierung und erließen ein Koalitionsverbot für die „Heimatvertriebenen“. Nach dem Beginn des „Kalten Krieges“ wurde dieses Koalitionsverbot unterlaufen und auf lokaler und regionaler Ebene gründeten sich die ersten Zusammenschlüsse der „Heimatvertriebenen“.[5]Die Ziele dieser Organisationen bewegten sich von Anfang an zwischen den Polen der Sozialpolitik und des Revanchismus. Einerseits engagierten sich diese Organisationen für eine materielle und politische Eingliederung der „Heimatvertriebenen“ sowohl an den lokalen Wohnsitzen als auch in die gesellschaftlichen Strukturen der BRD insgesamt. Andererseits wurde eine Rückkehr in die jeweiligen „Vertreibungsgebiete“ gefordert.
Die Initiative zur Gründung von Interessensorganisationen der „Heimatvertriebenen“ ging häufig von ehemaligen NS-Mitgliedern aus, die hier ein ausgezeichnetes Wiederbetätigungsfeld ausmachten. Bei den „Heimatvertriebenen“ war ein breiter antikommunistischer Grundkonsens vorherrschend, der Stereotyp vom „bolschewistischen Terror“ war weit verbreitet. Ein weiterer Anknüpfungspunkt war die vorherrschende Interpretation unter den „Heimatvertriebenen“, dass nicht der deutsche Angriffskrieg Schuld an ihrem Schicksal war, sondern die Politik des bolschewistischen Russlands, als dessen Opfer sie sich sahen. Das angeblich durch die „kommunistische Expansionspolitik“ verursachte gemeinsame Schicksal der verschiedenen Klassen und Schichten der „Heimatvertriebenen“ bereitete den sozialen Boden für die Entstehung eines volksgemeinschaftlichen Denkens.
In Nordrhein Westfalen gründeten der Aktivist Georg Goebel und der Organisator der Bombengeschädigten in Nordrhein-Westfalen, Paul Mertens, wenige Wochen vor der Bundestagswahl 1949 die Tatgemeinschaft freier Deutscher (TfD). Durch die Bildung von Aktionsausschüssen versuchte die TfD auch in Niedersachsen, Bremen und Westberlin Fuß zu fassen. Jedoch blieb diesem Vorläufer des BHE die Lizenzierung versagt.[6]
Auf maßgebliche Initiative von Waldemar Kraft, Alfred Gille und Hans-Adolf Asbach gründete sich am 08.01.1950 in Kiel der BHE. Diese drei Gründungsväter besaßen alle eine nationalsozialistische Vergangenheit. Waldemar Kraft war von 1940 bis 1945 Geschäftsführer der „Reichsgesellschaft für Landbewirtschaftung“. Seit 1943 war er NSDAP- Mitglied und bekleidete den Titel des „Ehren-Hauptsturmführers der Allgemeinen SS“. Alfred Gille wurde 1933 Mitglied der SA und 1937 NSDAP-Mitglied. Hans-Adolf Asbach war zwischen 1934-1935 SA-Mitglied und wurde 1934-39 zum Abteilungsleiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF) befördert. 1957 wurde Asbach in Schleswig-Holstein zum Rücktritt von seinem Ministeramt in der Landesregierung gezwungen, da er für die Anwerbung vieler ehemaliger Nationalsozialisten bzw. ehemaliger SS-Mitglieder in seiner Behörde verantwortlich war.
Bei der Landtagswahl im Juli 1950 in Schleswig-Holstein erzielte der BHE unterstützt von anderen „Vertriebenenverbänden“ mit 23,4% der Stimmen einen großen Erfolg. In der Regierungskoalition stellte der BHE den stellvertretenden Ministerpräsidenten sowie zwei Minister. Ausgehend von Schleswig-Holstein breitete sich der BHE in der gesamten Bundesrepublik aus. Am 27./28.01.1951 gründete sich in Bonn der Bundesverband der BHE; Waldemar Kraft wurde zum Vorsitzenden gewählt. Mit dem 1. Bundesparteitag vom 13./14.09.1952 in Goslar war die Bildung einer Bundesorganisation auch formell abgeschlossen. Der BHE entwickelte sich zum Sprachrohr für die materiellen Interessen der „Heimatvertriebenen“, vor allem bei den Auseinandersetzungen um den so genannten Lastenausgleich, wo es um die Entschädigung deutscher Bevölkerungsgruppen ging, die aufgrund des 2.Weltkrieges Eigentumsverluste hinnehmen mussten. Der enorme Aufschwung des BHE hatte zur Folge, dass Teile des extrem rechten und revanchistischen Spektrums der Partei beitraten und dort versuchten, Einfluss zu gewinnen. Richard Stöss schrieb: „Keine andere Partei zählte vermutlich so viele ehemalige NS-Funktionäre zu ihren ‚Amtsträgern’ wie der BHE.“[7] Die New York Times notierte: „Wilhelm Schepmann, der letzte Führer von Hitlers Sturmtruppen wurde in einen Kreisausschuss in Niedersachsen durch den BHE gewählt. (…) Das politische Comeback der früheren Nazis ist kennzeichnend für den Charakter der kommenden Bundestagswahlen. Viele frühere Nazis, darunter Wilhelm Schepmann, bewerben sich um Ämter in der früheren Nazihochburg Niedersachsen. Ihr Erfolg lässt die Drohung einer politischen Rückkehr des Nationalsozialismus auferstehen.“[8]
Der Aufschwung des BHE setzte sich bei der Bundestagswahl 1953 fort, als die Partei 7% der Stimmen erhielt und mit 27 Mandaten in das Parlament einzog. Die BHE-Fraktion trat daraufhin der Regierungskoalition Adenauers bei und bekam zwei Ministerposten für Waldemar Kraft (Besondere Aufgaben) und für Theodor Oberländer (Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte). Auf dem 2. Bundesparteitag am 08./09.05. 1954 in Bielefeld kritisierten vor allem landsmannschaftlich gebundene Parteifunktionäre die Westintegrationspolitik der Bundesregierung als Festschreibung der Teilung Deutschlands.[9] Bundesminister Oberländer wurde Nachfolger des scheidenden Parteigründers Kraft. Theodor Oberländer (01.05.1905-04.05.1998) gilt als prominentes Beispiel für das Phänomen der personellen Kontinuität der Eliten im „Dritten Reich“ und der Bundesrepublik. 1923 nahm Oberländer am Hitler-Putsch in München teil, 1933 trat er in die NSDAP und in die SA ein, wo er den Rang eines Hauptsturmführers erhielt. Von 1934 bis 1937 war Oberländer „Reichsführer“ des völkischen „Bundes deutscher Osten“, der nach seiner Gründung im Jahre 1933 neben dem „Verein für das Deutschtum im Ausland“ (VDA) eine der tragenden Säulen der NS-Volkstumspolitik war.[10] Bis 1940 bekleidete Oberländer Professuren im ehemaligen Danzig, Greifswald und im ehemaligen Königsberg. Dort entwickelte er sich zu einem Propagandisten der „Bevölkerungspolitik“ des NS-Staates. 1940 war er „Ostexperte“ und Offizier der ukrainischen Wehrmachtseinheit „Nachtigall“, die bei ihrem Einmarsch im heutigen Lwiw Massenmorde mit bis zu 5.000 Opfern begingen.[11] Am 29.04.1960 wurde Oberländer deshalb in der DDR in Abwesenheit zu lebenslänglicher Haft verurteilt; dieses Urteil wurde 1993 in der BRD aufgehoben. 1943 bekam Oberländer eine Professur in Prag und erteilte Schulungen des NS-Führungsnachwuchses. Im postfaschistischen Deutschland wurde er zunächst 1948 FDP-Mitglied, bevor er 1950 zum BHE wechselte. 1953 wurde er in den Bundestag gewählt und im selben Jahre Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. 1960 trat er nach Vorwürfen wegen seiner Tätigkeit während des Nationalsozialismus zurück.[12] Nachdem er 1954 zum Vorsitzenden des BHE gewählt wurde, trat er ein Jahr später aus der Partei aus und schloss sich der CDU an. 1994 wurde er am „Tag der Heimat“ in Berlin vom VDA-Verwaltungsratsmitglied Eberhard Diepgen wegen seiner „Verdienste um den deutschen Osten“ geehrt.
Im Jahre 1955 trat eine Parlamentarier-Gruppe um eben die Funktionäre Kraft und Oberländer (K.-O.-Gruppe) in spektakulärer Weise aus dem BHE aus. Hintergrund dieser Entscheidung waren schwerwiegende Differenzen innerhalb der Partei anlässlich der Frage einer „Europäisierung“ der Saar. In diesem Machtkampf setzte sich die nationalistische Fraktion um Frank Seiboth und Linus Kather durch, was dazu führte, dass der BHE im Bundestag den Gang in die Opposition antrat. Frank Seiboth war 1939 „Gauleiter“ für Schulung und Leiter des NS-Schulungslagers im ehemaligen „Sudetengebiet“. Linus Kather war für seine extrem rechte Einstellung bekannt. Nach dem Ausscheiden aus dem BHE kandidierte er 1969 anlässlich der Bundestagswahl für die NPD.
Mit Seiboth und Kather an der Spitze veränderte sich die Stellung des BHE innerhalb des westdeutschen Parteiensystems. Der spätestens seit 1952 dem Bürgerblock zugehörige BHE rückte an den rechten Rand des Parteiensystems. Es war offensichtlich, dass das einsetzende westdeutsche „Wirtschaftswunder“ für eine zunehmende ökonomische Integration der „Heimatvertriebenen“ in die bundesrepublikanische Gesellschaft sorgte. Mit dieser Entwicklung ging dem BHE jedoch das bis dahin prägende Politikfeld der Sozialpolitik verloren. Dies führte zu einer Neubestimmung der politischen Inhalte des BHE. Die im Jahre 1955 einsetzende stärkere Betonung der Forderung der Vertriebenen nach „Heimatrecht im Osten“ bedeutete eine extrem rechte Orientierung des BHE. Die antidemokratischen Kräfte innerhalb der Partei bekamen Auftrieb, und es häuften sich die Fälle von Zusammenarbeit mit anderen extrem rechten Gruppierungen. Führende BHE-Vertreter waren zudem Mitglied des elitären, völkischen Witikobundes, der sich weitgehend aus ehemaligen Nationalsozialisten aus dem früheren Sudetenland zusammensetzte.[13]
Das Abgleiten des BHE in ein extrem rechtes Fahrwasser ab Mitte der 1950er Jahre lässt sich auch auf dem Bundesparteitag vom 25.-27.04.1957 in Düsseldorf beobachten, wo Leitsätze beschlossen wurden, die die Forderung nach der Wiederherstellung eines „völkischen deutschen Reiches von der Saar bis an die Memel“ einschließlich des Sudetenlandes enthielten: „Das Bekenntnis zur Freiheit der Nation bedeutet ein klares Eintreten für ihren Schutz gegen äußere Bedrohung. (…) Daher kann das Verhältnis zwischen Volk und Wehr auch nicht auf gegenseitigem Misstrauen aufgebaut werden, sondern nur auf dem Willen, die Freiheit gemeinsam zu schützen – und gemeinsam zu überleben. (…) In der gesellschaftlichen Struktur eines Volkes nimmt das Bauerntum als Wahrer des volklichen Brauchtums und der nationalen Eigenart einen besonderen Platz ein. (…) Das Ziel der deutschen Außenpolitik muß die Herstellung Gesamtdeutschlands in den ihm rechtens zustehenden Grenzen sein. Der erste Schritt dazu ist die Wiedervereinigung der sowjetischen Besatzungszone mit der Bundesrepublik. Ihm wird folgen die Beendigung fremder und völkerrechtswidriger Herrschaft über die Ostgebiete des Deutschen Reiches und die Einbeziehung dieser Gebiete in Gesamtdeutschland mit friedlichen Mitteln.(…) Die Treuhänderschaft der Bundesrepublik für die Ostgebiete des Deutschen Reiches umfasst den völkerrechtlich einbandfreien Besitzstand im Zeitpunkt des Zusammenbruchs des Jahres 1945. Nach Auffassung des Gesamtdeutschen Blocks/BHE gehören zu diesem Besitzstand ebenso das Sudetenland wie auch das Memelgebiet. (…) Stetes Ziel der deutschen Außenpolitik muß die Herstellung der vollen Souveränität und Handlungsfreiheit eines wiedervereinigten Deutschen Reiches in den ihm zustehenden Grenzen sein.“[14]
Es wurde herausgestellt, dass „allen Verzichtspolitikern“ der „entschlossene Kampf des Blocks“ gelte. Anschließend wurde die Auffassung über den Zweck der westdeutschen Partnerschaft in der NATO genannt: „Wir fordern darüber hinaus von der deutschen Bundesregierung, endlich an unsere westlichen Verbündeten das dringende Verlangen zu richten, die Rechtsansprüche auf die Ostgebiete des Deutschen Reiches anzuerkennen. Eine solche Anerkennung ist die unausweichliche Folge der Bindungen und Verpflichtungen, die durch den Abschluss der Pariser Verträge und die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO sich ergeben.“[15]
Das Gesetz nach Artikel 131 des Grundgesetzes aus dem Jahre 1951, das die Wiedereingliederung von Beamten, die 1945 von den Alliierten aus politischen Gründen entlassen worden waren, und von ehemaligen Berufssoldaten in den Öffentlichen Dienst regelte, sollte nach der Auffassung des BHE reformiert und abgeschlossen werden. Die Beseitigung angeblich diffamierender Bestimmungen über die Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS und ähnlicher Personengruppen sollte dabei im Mittelpunkt stehen.
Seit dem Parteitag in Düsseldorf wurden die Leitworte „national“ und „sozial“ herausgestellt, wobei man sich deklamatorisch von nationalistisch und sozialistisch abgrenzen wollte, um dem wachsenden Vorwurf in der Öffentlichkeit gegen die Parallelität mit der NSDAP zu begegnen.
Mit diesen neuen Schwerpunkten verfehlte der BHE 1957 mit nur noch 4,6% der Stimmen den Wiedereinzug in den Bundestag. Der Wahlsieg der Unionsparteien 1957 schürte die Angst vor einem Zweiparteiensystem und steigerte bei den kleineren bürgerlichen Parteien die Bereitschaft, eine „Dritte Kraft“ zu bilden. Nach der Bundestagswahl kam es in Niedersachsen zu einem Modellfall: Ende September 1957 bildeten die Abgeordneten des BHE und der FDP eine Fraktionsgemeinschaft, der sich Anfang November auch die sechs Abgeordneten der extrem rechten Deutschen Reichspartei anschlossen. Dieses Bündnis wurde vom Bundesausschuss des BHE ausdrücklich gebilligt. Im Juni 1958 wurde diese Allianz jedoch wieder aufgelöst, was dazu führte, dass zwei BHE-Mitglieder des Landtags in Niedersachsen die Fraktion verließen.[16] Die zunehmenden Misserfolge des BHE führten zu Mitgliederschwund und immer geringer werdendem Einfluss auf die Bundespolitik. Als Reaktion darauf fusionierte die BHE-Führung vor der Bundestagswahl 1961 mit der ebenfalls erfolglosen Deutschen Partei (DP). Am 15.04.1961 wurde die Gesamtdeutsche Partei (GDP) gebildet, die ihr Ziel, die Fünfprozentklausel zu überwinden, aber nicht erreichte. Bei den Bundestagswahlen 1961 bekam sie nur 2,8% der Stimmen. Der größte Teil der ehemaligen BHE- bzw. DP-Wähler hatte sich der CDU sowie der FDP zugewandt.[17]
Das Programm der BHE strebte eine Restituierung des „Deutschen Reiches“ an: „Der BHE strebte die Wiederherstellung des Deutschen Reiches mit Preußen als Kern und Ordnungszelle an. Das Reichsdenken im BHE war primär völkisch fundiert und in letzter Konsequenz ‚großdeutsch’.“[18] Der BHE wandte sich auch gegen die Entnazifizierungspolitik der Alliierten: „Schluß mit der Nazi-Riecherei-Schluß mit der Diffamierung-Schluß mit der kalten Entnazifizierung!“[19]
Die innerparteiliche Struktur des BHE wurde von einer Oligarchisierung und einer mangelnden innerparteilichen Demokratie geprägt. In den Jahren seines Bestehens bildete sich eine innere Führungsgruppe von zehn Personen heraus, die die Arbeit des BHE in Bundesangelegenheiten zum großen Teil bestimmten.[20]
Als Publikationsorgan gab es den „Gesamtdeutscher Block/BHE Nachrichtendienst der Partei“ aus Bonn, der von 1953 bis 1956 bestand. Im Oktober 1956 wurde die „Deutsche Einheit“ als zentrales Organ geschaffen. Weiterhin existierte in Nordrhein-Westfalen „Die Sicht“ aus Bonn von März 1954 – März 1961.
Nach der Gründung des BHE in Kiel am 08.01.1950 entstanden bald erste Gruppierungen in Köln, Schwerte und Detmold. Die Forderungen nach sozialem Ausgleich, Entschädigung sowie nach einer „konsequenteren Ostpolitik“ für die „Wiedergewinnung der Heimat“ waren der Hauptinhalt der Agitation dieser Gruppierungen. Bis zur offiziellen Gründung des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen im September 1951 war der BHE in sechs Bezirken und 50 Kreisen organisiert.[21] Zum ersten Landesvorsitzenden des BHE in Nordrhein-Westfalen wurde Ernst Turmann aus Detmold gewählt, 2. Vorsitzender wurde Karl Manke aus Köln. Erwin Frank aus Köln wurde zum Landesgeschäftsführer ernannt. Die Geschäftsstelle des BHE in Nordrhein-Westfalen wurde in Köln angesiedelt.
Bei der Bundestagswahl 1953 erhielt der BHE in Nordrhein-Westfalen insgesamt 2,7% der Stimmen. In vielen Wahlkreisen in Nordrhein-Westfalen wurde dieses Ergebnis zum Teil deutlich übertroffen. Im Wahlkreis Rhein-Wupper-Kreis bekam der BHE mit 4,9% der Stimmen sein bestes Ergebnis. Im Siegkreis und in Grevenbroich erreichte der BHE 4,3% der Stimmen. Im Rheinisch-Bergischen Kreis (3,9%), im Oberbergischen Kreis (3,8%), in Düsseldorf-Mettmann (3,7%), im Landkreis Bonn (3,5%), in Neuss (3,5%), in Kempen-Krefeld (3,5%) und in Remscheid (3,2%) blieb der BHE über der 3%-Marke.
Am 09.09.1953, also drei Tage nach der Bundestagswahl, forderte der BHE in Königswinter das revanchistische „Recht auf Heimat“ und fabulierte von der Wiederherstellung des „Deutschen Reiches“: „Nach Presseberichten soll der Bundeskanzler Adenauer in einem Interview geäußert haben, daß die deutschen Ostgebiete möglicherweise als deutsch-polnisches Kondominium verwaltet oder den Vereinten Nationen unterstellt werden könnten: „(…) Der Gesamtdeutsche Block /BHE wird sich allen Plänen entschieden widersetzen, die das Recht auf die Heimat und eine jahrhundertelange Entwicklung außer Acht lassen. Bei Friedensverhandlungen wird davon auszugehen sein, daß nach dem geltenden Völkerrecht Deutschland in seinen bisherigen Grenzen fortbesteht.“[22]
Seit der Gründung 1951 entwickelte der Landesverband NRW neue Strukturen. Nordrhein- Westfalen wurde in sechs Regierungsbezirke aufgeteilt (Aachen, Arnsberg, Detmold, Düsseldorf, Köln, Münster) Die jeweiligen Vertreter in den Regierungsbezirken waren Anton Hennig für Aachen, P.T. Clemens und Ewald Göttling für Arnsberg, Ernst Turmann, Siegesmund Beyer und Dr. Pieper für Detmold, Gerhard Zoerner, Wilhelm Kötter und H. Claasen für Düsseldorf, E. Manke, Fritz Beier und Dr. Frank für Köln sowie W. Matschky, H. Stacklies und K. Nöding für Münster.
Im Vorfeld der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen 1954 fand am 08./09. Mai der zweite Bundesparteitag des BHE in Bielefeld statt.
Das Programm des BHE für den Landeswahlkampf enthielt völkische und etatistische Elemente: „Der Gesamtdeutsche Block erstrebt die Sammlung aller Deutschen. (…) Um den Fortbestand des deutschen Volkes in seinem Heimat- und Lebensraum zu sichern, müssen die geistigen, sittlichen und wirtschaftlichen Kräfte aller Volkskreise geweckt und gefördert werden.“[23] Der BHE forderte eine „Wiederherstellung des geeinten deutschen Reiches als Kernpunkt der deutschen Außenpolitik“. In der Innenpolitik lehnte der BHE einen „übersteigerten Förderalismus“ ab und trat für die Stärkung der deutschen Zentralgewalt ein, „ohne landschaftlich und landsmannschaftlich bedingte Aufgaben beeinträchtigen zu wollen.“ Die Partei plädierte „für einen endgültigen Schluss mit der kalten Entnazifizierung und Wiederherstellung der genommenen Rechte.“ sowie die „sofortige Aussetzung aller noch schwebenden und Überprüfung aller abgeschlossenen Kriegsverbrecherprozesse unter Haftentlassung der Beschuldigten und Verurteilten“, was als Klientelpolitik gewertet werden kann. In der Kulturpolitik sprach sich der BHE „für staatliche Pflege des Kulturgutes aller Deutschen auch der mittel- und ostdeutschen Stämme“ und „einen geistigen Austausch mit anderen Ländern auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und den Schutz der deutschen Kultur vor Überfremdung.“ aus.
In einem Brief von Theodor Oberländer vom 17.06.1954, der angeblich an alle Haushalte in Nordrhein-Westfalen verschickt werden sollte, wurde der BHE als „echte, nichtmarxistische Sozialpartei“ bezeichnet, der „mit christlichem Geist“ für „die sozialen Anliegen aller Volksteile kämpft.“ Der BHE wende sich gegen „übertriebenen Förderalismus, den die Mehrheit des deutschen Volkes ablehnt.“ Hier wurden auch die Kandidaten der Landesliste vorgestellt: „Unsere Landesliste wird angeführt von dem in NRW bekannten und bewährten Leiter des Gesamtdeutschen Blocks/BHE Helmut Petersen aus Düsseldorf, der als Wirtschafts- und Verwaltungsjurist heute als Vorsitzender des Kriegsopfer- und Heimkehrerauschusses im Bundestag die Sorgen und Nöte dieser so besonders bedrängten Menschengruppe verantwortlich vertritt. An zweiter Stelle folgt Bernhard Geissler, Oberregierungsrat in Münster, Landesvorsitzender des Bundes der vertriebenen Deutschen (…) An dritter Stelle Prof. Dr. Heinrich Neu aus Bonn, Landesvorsitzender des Zentralverbandes der Fliegergeschädigten (…), weiterhin die Kriegerwitwe Marianne Immisch aus Wülfrath, die als berufstätige Frau und Mutter (…), der Elektriker und Arbeiter Walter Klein aus Moers, die Landwirte Franz Weiß aus Lippstadt und Wolfgang Ziernberg aus Honnef.“[24]
Bei der Landtagswahl blieb der BHE schließlich mit 4,6% der gültigen Stimmen nur relativ knapp unter der 5% Grenze.[25] Dieses Ergebnis wertete der Landesverband angesichts des noch jungen Bestehens der Partei als Erfolg.
Als es auf der Landesausschlusssitzung des BHE in Düsseldorf im August 1955 zu innerparteilichen Auseinandersetzungen kam, wechselten drei von acht bisherigen Bezirksvorsitzenden sowie einige Kreisvorsitzende zur FDP. Ernst Turmann, Gründer und langjähriger Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen, trat ebenfalls zur FDP über.[26]
Die Mitgliederzahl im Landesverband NRW stieg von 1953 von 10.500 Personen auf 17.000 im Jahre 1956 an. Danach sank die Mitgliederzahl kontinuierlich; im Jahre 1957 waren es noch 10.600 Mitglieder, im Jahre 1960 nur noch 8.000.[27]
Festzuhalten bleibt, dass sich der BHE für eine materielle und soziale Eingliederung der „Heimatvertriebenen“ sowohl an den lokalen Wohnsitzen als auch in die gesellschaftlichen Strukturen der BRD engagierte. Außerdem wurde in revisionistischer Weise eine Rückkehr in die jeweiligen „Vertreibungsgebiete“ gefordert. Der Einfluss ehemaliger Nationalsozialisten im BHE war unübersehbar, zahlreiche Schlüsselpositionen wurden von ihnen besetzt. Seit dem Jahre 1955 entwickelte sich der BHE mit der Forderung nach „Heimatrecht im Osten“ immer mehr zu einer Partei mit rechtsextremen Tendenzen. Die antidemokratischen Kräfte innerhalb der Partei bestimmten den Kurs der Partei, es häuften sich die Fälle der Zusammenarbeit mit anderen extrem rechten Gruppierungen. Das Programm der BHE strebte eine Revitalisierung des „Deutschen Reiches“ an und wandte sich auch gegen die Entnazifizierungspolitik der Alliierten. Bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl 1954 scheiterte der BHE mit 4,6% der gültigen Stimmen nur relativ knapp an der 5% Hürde. Dieses Ergebnis war angesichts noch mangelnder Verankerung in Nordrhein-Westfalen ein Achtungserfolg.


[1] http://jungefreiheit.de/kolumne/2009/wolfgang-venohr-kriegsschuld-und-die-deutschen-in-polen/ (letzter Abruf 23.8.2014)
[2]www.ostpreussen.de/textarchiv.html?embed=http%3A%2F%3Dvertreibungsverbrechen%26STR2%3D%26ST3%3D%26STR4%3D (letzter Abruf 23.8.2014)
[3] www.npd-fraktion-sachsen.de/npd-fraktion-fordert-nationalen-gedenktag-fuer-die-opfer-der-vertreibung/(letzter Abruf 22.8.2014)
[4] Ebd./
[5] Taber, B.: Flüchtlinge und Vertriebene in der Bundesrepublik, Frankfurt/M. 2006, S. 25
[6] Stöss, R.: Der Gesamtdeutsche Block/BHE, in: Ders (Hrsg.): Parteienhandbuch Band 3 (EAP – KSP). Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, Opladen 1986, S. 1424-1459, hier S. 1427
[7] Ebd., S. 1441
[8] New York Times vom 11.11.1952
[9] Stöss, Der Gesamtdeutsche Block/BHE, in: Ders. (Hrsg.): Parteienhandbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, a.a.O., hierS. 1435
[10] Wachs, P.-C.: Der Fall Oberländer (1905-1998). Ein Lehrstück deutsche Geschichte, Frankfurt/Main 2000, S. 36ff
[11] Vgl. dazu Gerlach, G: Kalkulierte Morde.Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944, Hamburg 2000
[12] Raschhofer, H.: Der Fall Oberländer, Tübingen 1962, S. 89
[13] Sonnewald, B.: Die Entstehung und Entwicklung der ostdeutschen Landsmannschaften von 1947 bis 1952, Berlin 1975, S. 143
[14] Zitiert aus Neumann, F.: Der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten 1950-1960. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur einer politischen Interessenpartei, Meisenheim am Glan 1968, S. 137
[15] Zitiert aus Ebd, S. 145
[16] Stöss, Der Gesamtdeutsche Block/BHE, in: Ders. (Hrsg.): Parteienhandbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, a.a.O., hier S. 1443
[17] Ebd., S. 1438
[18] Ebd., S. 1434
[19] Neumann, Der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten 1950-1960. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur einer politischen Interessenpartei, a.a.O., S. 167
[20] Stöss, Der Gesamtdeutsche Block/BHE, in: Ders. (Hrsg.): Parteienhandbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, a.a.O., hier S. 1455
[21] Die Welt vom 17.09.1951
[22] Neumann, Der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten 1950-1960. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur einer politischen Interessenpartei, a.a.O., S. 157
[23] Ebd., S. 178
[24] Ebd., S: 188
[25] Köhler, W. (Hrsg.): Nordrhein-Westfalen: fünfzig Jahre später: 1946-1996, Essen 1996, S. 13
[26] Düsseldorfer Nachrichten vom 18.08.1955
[27] Stöss, Der Gesamtdeutsche Block/BHE, in: Ders (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, a.a.O., hier S. 1454

Über Michael Lausberg 545 Artikel
Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.

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