Helmut Kästl „Ankunft des Lichts“ Stadtgalerie Altötting

Groß ist die Faszination, die von der Gestalt des Franz von Assisi immer noch ausgeht, den „Heiligen der Freiheit aus dem Geist der Armut“, wie ihn der ausgesprochen laizistische „konservative Anarchist“ Giuseppe Prezzolini in einem meisterhaften Essay einmal charakterisierte.
Franziskus schlichte Lebensphilosophie, wonach „Verzicht Freiheit, Unwissenheit Weisheit und Armut Reichtum“ bedeuten, hat im Zuge der Geschichte manche Krisen überstanden und ist heute mehr denn je von Gläubigen, Nicht-Gläubigen oder Andersgläubigen in aller Welt allgemein hoch angesehen und gepriesen. Die in seinem Geist von Papst Johannes Paul II 1986 initiierten „Friedenstreffen von Assisi“ haben die Umbrische Stadt in das Zentrum des interreligiösen Dialogs verwandelt, das schon zum wiederholten Mal Vertreter der Weltreligionen mit Erfolg zusammenführt.
Von Franziskus Modernität zeugt nicht zuletzt auch die Literatur des 20. Jahrhunderts, die sich mit ihm beschäftigt hat: Von Rilke und Chesterton bis hin zu Hesse, der in ihm eine verwandte Seele, den „Mystiker“ und „Troubadour“, „Spielmann“ und „singenden Vogel“ erblickte.
Franziskus anhaltender Einfluss auf die bildenden Künste vom 13. Jahrhundert bis heute wurde voriges Jahrdurch eine spektakuläre Ausstellung im Diözesanmuseum Paderborn mit hochwertigen Exponaten aus dem Louvre und dem Vatikan kulturhistorisch dokumentiert. Ihr vielbedeutender Titel lautete“Franziskus – Licht aus Assisi“.
Über Francesco d’Assisi ist geschrieben worden, dass er die Natur in eine direkte Beziehung zum Menschen stellte und in seinem „Sonnengesang“ ein „neues Gefühlelement“in die Poesie einführte, das in den Psalmen fehlte.
Franziskus Verherrlichung der Schönheit und vor allem der Nützlichkeit aller von Gott für die Menschen geschaffenen Lebewesen ließ zu seiner Zeit einen neuen Sinn für das Spirituelle entstehen. Eine überall spürbare mystische Aura breitete sich auch auf die bildenden Künste, insbesondere auf die Architektur aus. In den „Franziskaner-Kirchen“ führten zum Beispiel die Fresken an den Wänden zur Entfaltung eines neuen Raumempfindens.
Dieser Einfluss erstreckte sich auch auf die Malerei, wo mit Giotto, dem „Episodenmaler“ Sassetta und dem Mystiker Simone Martini Höhepunkte unerreichter Intensität erzielt wurden.
Ein Hauch dieser mystischen Aura ist nun in einer Werkschau zu spüren, in der Werke des namhaften bayerischen Künstlers Helmut Kästl unter dem Titel „Ankunft des Lichts“ präsentiert werden.
Helmut Kästls geschwisterlicher Umgang mit der Natur hat viel von der einfachen Lehre des „Poverello“ und von dieser authentischen Spiritualität in sich aufgenommen.
Wieim Franziskus „Sonnengesang“ tauchen auch in seinem Werk oft Himmelskörper und Gestirne auf, gefolgt– ganz in der Art der Scholastik – von den „Vier Elementen“ – Wasser – Luft – Feuer- Erde-,denen sich Tiere und Pflanzen anschließen.
Franziskus Cantico delle Creature – Der Gesang der Geschöpfe -, dies der Originaltitel dieses Erstlingswerks der italienischen Literatur – zelebriert die Vielschichtigkeit der Schöpfung als Offenbarung des Göttlichen.
So auch Kästls Schaffen, in dem sich die Natur schon sehr früh als der wahre Protagonist einer eigenen poetischen Welt entpuppt.
Eine üppige, freundliche, im Laufe der Jahre zunehmend stilistisch reduzierte Natur, die eine ideelle Brücke zwischen der rein menschlichen und der überirdischen Dimension schlägt.
Mit einem unverwechselbaren Zug arbeitet der Maler und Bildhauer vorwiegend abstrakt-symbolisch. Linien, Flächen, geometrische Formen gesellen sich auf poetischer Weise zu minimalistisch anmutenden Bäumen und Bächen oder zu einer am äußersten Bildrand auf- oder untergehenden Sonne. Es sind ausschnittsweise angedeutete Gebilde von großer kompositorischer Wichtigkeit, die wie geheimnisumwitterte Erscheinungen, wie zufällige Präsenzen wirken.
Gestalterisch pflegt Kästl den Umgang mit grafischem Liniengefüge als Gegensatz zur Fläche. Er bevorzugt die klassische Aufgliederung mit senkrechten und quer verlaufenden Linien, was in der darstellerischen Transponierung vor allem religiöser Themen förderlich ist. Ein Beispiel in der Altöttinger Schau ist das Bild „Das Große Licht“, wo drei konzentrische Kreise – große blaue Scheibe mit gelbem Kreis in der Mitte – in einem Quadrat eingebettet sind, das die „Ordnung der Schöpfung“ symbolisiert. Innerhalb der hellblauen Umrandung spielt sich alles Leben ab, versinnbildlicht durch Teile der Vier Elemente, die unten und oben, rechts und links andeutungsweise zu erkennen sind.
Der ewige Kreislauf der Natur beflügelt seine Phantasie, der Wechsel der Jahreszeiten mit ihren schillernden Farbabweichungen fließt in sein tiefreligiöses Werk, das sich von Zitaten aus der biblischen Überlieferung wie aus der christlichen Ikonografie füllt.
Die sich wiederholende Elemente in seinen Stillleben wirken bei genaueren Hinsehen als sehr unterschiedlich und zeigen sich als immer wechselnde Varianten innerhalb einer Komposition, die nichts anderes ist, als das Resultat eines langen meditativen Prozesses.
Parallel zu dieser symbolisch-abstrakten Bildersprache entfaltet sich in Kästls Werk ein beinah mystisch-lyrisches Lexikon der Farben. Das überall dominierende Blau steht dabei für Geist und Wahrheit, Rot für Glut und Macht, während Goldgelb auf die Allmacht Gottes hinweist. Zeichen, figürliche Elemente und Farben sind in seinem Werk nur Bruchstücke eines Ganzen, dessen vollkommene Sicht dem Menschen versperrt bleibt.
Helmut Kästl – 1994 bis 2010 Mitglied des Präsidiums der Ausstellungsleitung „Große Kunstausstellung im Haus der Kunst“ – war 16 Jahre lang Präsident der renommierten, 1892gegründeten„Künstlergruppe“ Münchner Secession“ und ist nun deren Ehrenpräsident.
Er ist Maler und Bildhauer. Mit seiner an über 80 Orten in Bayern zu sehenden architekturbezogene Kunst in Glas, Bronze, Stein und Textil ist er vor allem einer der bedeutendsten Glasmaler Deutschlands.
Technisch arbeitet er als solcher ganz traditionell nach den ausdruckstarken Vorbildern des Mittelalters: Klassische Bleiverglasung mit mundgeblasenem, transparentem und opalisierendem Echt-Antikglas. Verwendet wird von ihm Glas mit von hellen nach dunklem Farbverlauf, was den Arbeiten aquarellhafte Wirkung verleiht. Gefolgt wird meistens der Struktur des Glases, wobei „Werkspuren“, Blasen und Schlieren erhalten bleiben undzur Inspirationsquelle für eine oft poetische Flucht in die Abstraktion werden.
17 alte und neue hinterleuchtete Vorhängescheiben aus seiner Hand werden nun in einer musealen, in den Abgleitungen des Blaus wie eingetauchten Inszenierung gezeigt, an der der Altöttinger Künstler Alto Hien mitgewirkt hat. Zu sehen sind sie in der von Herbert Bauer geleiteten „Stadtgalerie Altötting“, die sich seit zwanzig Jahren mit über fünfzig hochkarätigen Ausstellungsprojekten auch überregional einen Namen gemacht hat. Dies beispielweise mit Sonderschauen von Alexei Jawlensky und dem Blauen Reiter, Marc Chagall, Alberto Giacometti und Hermann Hesse oder Kleinodien der Pariser Hofkunst um 1400 aus dem Louvre.
Vor die einfach verglasten Fenster der Seitenschiffe gehängt, beleuchteten die farbigen Scheiben im Frühjahr-Sommer 2011 das Innere der neuromanischenPfarrkirche St. Benedikt in München-Westend. Neben 18 großen Ölbildern werden in Altötting auch Arbeiten auf Papier mit biblischen Motiven gezeigt. Sie sind vor Kurzem aus der Givatajim City Gallery in Tel Aviv zurückgekommen, wo Kästl sie im vergangenen Mai-Juni in einer vielbeachteten Einzelausstellung präsentiert hat.
Wie die Botschaft des Heiligen Franziskus setzen sich Bilder und Glasmalerei in ihrer auf das Wesentliche reduzierten Aussage und dank ihrer schlichten Eleganz über alle Moden und Trends hinweg. Indem sie auf moderne Weise deren universellen Geist interpretieren, sind sie – wie die Botschaft selbst – zeitlos. Zeitlos und als Kunstwerke dazu prädestiniert, die Herausforderung der Zukunft zu bestehen.

Helmut Kästl
„Ankunft des Lichts“
Stadtgalerie Altötting
bis zum 27. Oktober 2012
Öffnungszeiten:
Di-Fr: 14. – 16. Uhr
Do: 14. – 18. Uhr
Sa.-So.-Feiertag: 14- 16 Uhr
Führungen mit Alto Hien am 4. u. 24 Oktober
Sonderführungen auf Anfrage im Verkehrsbüro Altötting
Eintritt frei )

www. helmut-kaestl.de
www. altoetting.de

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Über Anna Zanco-Prestel 178 Artikel
Dr. Anna Zanco-Prestel, hat Literaturwissenschaften (Deutsch, Französisch und Italienisch) und Kunstgeschichte in Venedig, Heidelberg und München studiert. Publizistin und Herausgeberin mit Schwerpunkt Exilforschung. U.d. Publikationen: Erika Mann, Briefe und Antworten 1922 – 69 (Ellermann/DTV/Mondadori). Seit 1990 auch als Kulturkoordinatorin tätig und ab 2000 Vorsitzende des von ihr in München gegründeten Kulturvereins Pro Arte e.V.

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