Interview mit Prof. Dr. Dr. h.c. Karl-Josef Kuschel

Von Gott kann man nicht sprechen, wenn man nicht weiß, was Sprache ist“, was ist damit gemeint?

Zunächst einmal ist das ein Zitat des großen Lyrikers Günther Eich aus seiner Büchner-Preis- Rede Ende der 50er Jahre. Und der Satz hat noch eine Fortsetzung. Dann wird deutlich, was damit gemeint ist: Tut man es dennoch, sagt Eich, also spricht man von Gott, ohne zu wissen, was Sprache leistet, was Sprache möglich und unmöglich macht, dann missbraucht man seinen Namen und erniedrigt ihn zur Propagandaformel. Das heißt: Günther Eich will darauf hinweisen, dass Sprache große Möglichkeiten hat – aber auch große Gefahren in sich birgt. Nämlich die der Versteinerung, der Objektivierung, der Verdinglichung. Und wenn man „Gott“ wie ein Ding, wie eine Sache behandelt, dann bleibt er nicht mehr der lebendige Gott, der sich aller Sprache entzieht. Es ist eine Warnung davor, dass „Gott“, den wir den Unnennbaren, den Unbegreiflichen, den Unverfügbaren nennen, in wohlfeile Formeln aufgelöst wird. Sprache hat diese Gefahr in sich – also die der Verdinglichung, der Verzweckung, des propagandistischen Missbrauchs, was im „Fall“ der Gottesrede besonders gefährlich ist.

Warum brauchen wir globale ethische Standards, Sie sprechen von einem Weltgewissen, um zu überleben?

Globale ethische Standards braucht man, weil wir in einer immer stärker zusammenwachsenden Weltgesellschaft leben – sowohl ökonomisch wie ökologisch wie finanziell. Wenn Sie an Fragen wie die des Weltklimas denken, der Weltmigrationsströme, der Weltverbrechen wie Drogenhandel, Waffenhandel etc., dann wissen Sie, was ich meine. Wir leben in einer zunehmend kommunikativ vernetzten Weltgesellschaft. Wie soll man da überleben, wenn man nicht elementare ethische Standards miteinander teilt? Wenn nicht das Gebot, du sollst nicht lügen, du sollst nicht stehlen, nicht morden, du sollst Sexualität nicht missbrauchen, um nur diese vier zu nennen, wenn die nicht überall geteilt werden? In einer immer stärker zusammenwachsenden W eltwirtschaft zum Beispiel kann man nicht interagieren, kann man kein Vertrauen, kann man keine geschäftlichen Beziehungen aufbauen ohne ein Minimum an Vertrauen, an Zuverlässigkeit, an Ehrlichkeit. Auch der Welthandel mit ausländischen Partnern beispielsweise würde ja sofort zusammenbrechen, wenn man das Gefühl hätte, man wird vom anderen nur übervorteilt, man wird angelogen, man wird betrogen, übers Ohr gehauen. Verträge wären dann das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Mit anderen Worten: die eine Welt- Gesellschaft braucht ein Welt-Ethos, das heißt universal, überall geltende ethische Standards – zumindest in elementaren Bereichen, unbeschadet kultureller oder religiöser Unterschiede. In speziellen Bereichen, sagen wir bei Geburtenkontrolle, Abtreibung, Sterbehilfe oder vielen anderen konkreten ethischen Fragen, wird es sicher keinen Konsens geben. Aber die Weltreligionen können bei diesen elementaren ethischen Standards so etwas wie ein Weltgewissen sein, damit die Weltgesellschaft zusammengehalten wird und nicht auseinander driftet.

Was können wir Christen von den anderen Religionen lernen, wo sehen Sie Nachholbedarf?

Lassen Sie mich ihre abstrakte Frage gleich „herunterbrechen“: Was habe ich von Menschen anderen Glaubens gelernt? Ich habe vor allen mit vielen jüdischen Kolleginnen und Kollegen, aber auch muslimischen, zusammengearbeitet und unendlich viel von ihnen gelernt. Ich habe zunächst einmal gelernt, dass der jeweils Andere nicht nur der anders Glaubende, sondern auch der Andersglaubende ist. Daraus folgt: Glauben an Werte, an etwas Göttliches, etwas Heiliges ist kein Privat- oder Exklusivbesitz einer Religion. Dass es überall auf der Welt
Menschen gibt, die sich religiös oder spirituell orientieren, heißt ja umgekehrt: Man ist als Christ nicht alleine in der einen Weltgesellschaft. Man lernt die Pluralität religiöser Ausdrucksformen kennen und auch schätzen. Man weiß sich verbunden mit Menschen, die ähnlichen Idealen folgen. Natürlich in ihrer eigenen Sprache, kulturbedingt, in ihren eigenen Ausdrucksformen, in ihren eigenen Riten und mit ihren eigenen Festen. Aber ich war immer beglückt, zum Beispiel an Festen des Judentums teilnehmen zu können oder von Muslimen eingeladen worden zu sein zum Fastenbrechen am Ende des Ramadan oder zum Opferfest. Weil ich merkte: Ich teile als Christi dieselben Ideale, das gelebte Leben in eine „göttliche Ordnung“ einzubetten. Gelernt habe ich auch, dass ich als Christ mit Juden die Hebräische Bibel und mit Muslimen viele Überlieferungen teile, die der Koran ausdrücklich „bestätigt“: Überlieferungen von Adam, Abraham und Moses bis hin zu Jesus und Maria.

Wahrheit ist immer wieder das große Thema, bei dem sich die Religionen streiten. Wie können sich die großen Religionen noch mehr annähern?

Zunächst einmal ist zu sagen: Religionen vertreten Wahrheitsansprüche gegeneinander. Das darf man nicht verharmlosen, nicht bagatellisieren. Ein Jude wird sich immer orientieren an der Tora, ausgelegt in Mischna und Talmud. Christen werden sich immer an Botschaft und Person Jesu Christi orientieren, der für sie der definitive Interpret Gottes ist. So wie sich ein Muslim für sein Leben und Sterben am Koran orientiert als dem für ihn definitiven „Wort Gottes“. Ich nenne das die theologische Axiomatik, und sie macht ja auch eine Religion zur „Religion“. Die entscheidende Frage aber ist: Gibt es unter Respektierung dieser Wahrheitsansprüche in jeder der genannten Religionen auch Raum für den Glauben der Anderen? Diese Frage ist Jahrhunderte lang ausgeblendet worden; man hat seine eigene Wahrheit zum Exklusivbesitz gemacht. Man hat sich oft genug polemisch abgegrenzt gegen „die Anderen“. Man hat sie entweder als Defizitäre oder als Ungläubige oder als Unorthodoxe bezeichnet. Mein christliches Wahrheitsgewissen in Orientierung an der Botschaft Jesu gibt „den Anderen“, den Nichtchristen und auch den Nichtgläubigen, den Menschen guten Willens, die ihrem Gewissen folgen, Raum vor Gott. Dem Matthäus-Evangelium zufolge (Kap. 25) werden Christen ja am Ende, wenn Christus wiederkommt zum Weltgericht, nicht gefragt: Warst du in der richtigen Kirche, hast du die richtige Religion zelebriert, hast du nach der richtigen Dogmatik geglaubt? Sie werden nach dem Werken der Barmherzigkeit gefragt: Was hast du dem Geringsten meiner Brüder getan? Für einen interreligiösen Dialog heißt das, bereit zu sein, sich für den Anderen zu öffnen, auf den anderen zuzugehen, sich um ihn zu kümmern. Wie tut man das am besten? Indem man seine Überlieferungen studiert. Indem man versucht, sich in den Wahrheitsanspruch des Anderen hinein zu versetzen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat die schöne Formel gebraucht: Ziel des interreligiösen Dialogs ist das bessere wechselseitige Verstehen untereinander. Was ja nicht heißt, dass ich meine Religion aufgebe, dass ich konvertiere. Aber ich muss die mich bemühen, die Andersheit des Anderen besser zu verstehen. Das sagt mir mein christliches Wahrheitsgewissen, das ist für mich ein Teil der Nachfolge Christi: Mich in die Schuhe des anderen zu stellen, den Weg des anderen versuchen nachzuvollziehen, um so immer genauer die Andersheit des Anderen verstehen zu können.

Vor welchen großen Herausforderungen steht die Kirche im 21. Jahrhundert?

Wenn Sie die katholische Kirche meinen, gibt es seit dem Konzil eine große Agenda, die nach wie vor der Einlösung harrt. Das ist auf der einen Seite die Auseinandersetzung mit dem Säkularismus der Moderne. Millionen von Menschen fühlen sich religiös oder kirchlich nicht mehr gebunden. Haben ihre Vorbehalte, haben ihre traumatischen Erfahrungen mit Kirche gemacht. Wie gehen wir also mit Menschen um, die explizit jede religiöse oder auch kirchlich-institutionelle Verbindung zurückweisen, oft aus guten sachlichen oder persönlichen
Gründen? Mit diesen Menschen muss Kirche im Gespräch bleiben. Das andere ist die innerchristliche Ökumene. Nach wie vor haben die Kirchen es nicht vermocht, die Kirchenspaltung und damit die Exkommunikation auf Ortsebene abzuschaffen. 2017 ist nicht mehr lange hin, das Jahr des 500 jährigen Jubiläum der Reformation. Will die katholische Kirche so weiter machen, indem sie immer noch den protestantischen Kirchen das volle Kirchensein abspricht? Sie sei nicht die wirkliche Kirche Christi, sondern irgendeine defizitäre Form, eine „kirchliche Gemeinschaft“? Will man also die Kirchenspaltung nach wie aufrechterhalten und den Überlegenheitsanspruch der katholischen Kirche immer noch verteidigen? Millionen von Menschen in allen Kirchen warten darauf, dass die Kirchenleitungen endlich zu Lösungen kommen und das umsetzen, was die theologische Forschung seit dem Konzil längst erhoben hat: Die kirchentrennenden Differenzen sind beseitigt und die noch verbleibenden Differenzen sind nicht mehr kirchentrennend. Doch diese Ergebnisse sind nicht rezipiert. Wir könnten längst eine Abschaffung der Kirchenspaltung durchführen, wenn man die theologischen Ergebnisse ernst nähme und umsetzte. Und das dritte große Feld ist der Dialog mit den Weltreligionen, ausgehend von der Tatsache, dass wir in einer religiös pluralen Weltgesellschaft leben, in der auch die anderen Religionen mächtigen Einfluss haben. Vor allem der Islam. Rein statistisch sind Christentum und Islam die einzigen Religionen, die den Namen Weltreligionen verdienen. Jeder hat ungefähr 1 Milliarde nomineller Anhänger, jede ist weltweit verbreitet. Der interreligiöse Dialog steht vor großen Herausforderungen, weil der Weltfrieden nicht zuletzt vom Religionsfrieden abhängt. Und dieser hängt nicht zuletzt von der Bereitschaft zum Dialog ab.

Kunst als Paradigma von Harmonie und Versöhnung. Welche Rolle kommt der Kunst im interkulturellen Diskurs zu?

Kunst ist heute Weltkunst. Das ist ein wichtiges Faktum. Das war zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht so absehbar. Zwar haben sich europäische Künstler wie Picasso von Künsten aus Asien oder Ozeanien beeinflussen lassen, sie haben Impulse außereuropäische Kulturen aufgenommen. Ein Emil Nolde ist in den Südpazifik gereist, ein Paul Gauguin hat in Ozeanien gearbeitet. Heute aber haben wir eine ganz neue globale Kunstsituation. Wir haben Literatur als Weltliteratur. Ganz selbstverständlich rezipieren wir heute Autoren aus Afrika oder Südafrika: eine Nadine Gordimer, einen Wole Soyinka. Ganz Europa hat getrauert, als ein großer Südamerikaner neulich starb: Garcia Marquez. Wir rezipieren ganz selbstverständlich auch Autoren und Autorinnen aus Nordamerika. Die letzte Nobelpreisträgerin, Alice Munro, war eine Kanadierin. Die Grenzen sind längst durchlässig geworden. Kunst in Form von Weltliteratur, Weltmusik und Weltkunst kann Horizonte eröffnen, Grenzen sprengen und Grundfragen, die in der Kunst zum Ausdruck kommen, als Menschheitsfragen bewusst machen. Sie kann den interkulturellen Dialog befördern. Anders gesagt: Die internationalisierte Kunst, die Weltkunst, die wir jetzt erleben, kann zum Anstoß werden, Grundfragen des Menschen neu zu thematisieren. Die Fragen des Menschen nach dem Woher und dem Wohin seines Lebens, nach dem Sinn seiner Arbeit und seines Daseins, nach den Konflikten, denen er ausgesetzt ist, und nach der Hoffnung, die Menschen miteinander teilen. Insofern ist Kunst ein wichtiges Instrument, ein wichtiges Medium der Kommunikationsfähigkeit zwischen Menschen verschiedener Kulturen.

Danke für das Gespräch, das Dr. Dr. Stefan Groß führte, herzlichen Dank an Angelika Weber M.A., die das Interview in die Wege geleitet hat.
Gedankt sei Frau Bianca Henze von der Pinakothek der Moderne München.

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