Kann man heute überhaupt noch Links-Sein?

Tischfußball, Foto: Stefan Groß

Auch eine Replik auf den SPIEGEL-Artikel von K. von Hammerstein

unter der Überschrift „Was für Helden“ (2/2018) 

 

Typisch „Spiegel“ kommt einem zuerst in den Sinn, da sich deren Autoren ja im Zweifelsfall schön links einordnen wollen oder sollen. Da wurden zu Beginn des neuen Jahres von einem adligen Journalisten aus durchaus gutem Hause fünf Dissidenten und Bürgerrechtler skizzenhaft porträtiert und im Untertitel schon voll abgestempelt: „In der DDR stritten sie als Bürgerrechtler für Demokratie – jetzt triften Freiheitskämpfer von einst nach rechts ab. Warum?“

 

Vor dem Untertitel wurde in rot noch eine Ortsangabe gesetzt: „Ostdeutschland“. Keiner der Beschriebenen stammt aus den ehemaligen Ostgebieten, sondern alle wuchsen im Sendebereich des Mitteldeutschen Rundfunks auf. Schon mit solch einer Manipulation oder Geistlosigkeit beginnt es. Doch es kommt ja leider noch schlimmer. Wenn es in einer Demokratie, die sich ja gern mit Sir Popper als „offene Gesellschaft“ versteht, nur gestattet ist, links zu sein, dann kann das nur eine Diktatur sein, im harmlosesten Fall eine Demokratur.

 

Im Alten Testament (Kohelet 10,2) hieß es noch: „Der Verstand des Gebildeten wählt den rechten Weg, der Verstand des Ungebildeten den linken…“ Der „Fortschritt“ brachte es jedoch mit sich, dass es heute genau andersherum gültig sein soll.

 

In kritischen Leserbriefen gegen den Kurs der BILD-Zeitung hieß es im Februar 2018: „Es gibt nicht mehr links und rechts, es gibt nur noch ein oben und unten, wobei die ‚oben‘ die Systemlinge, die Abhängigen sind. Hochgelobt, weil sie ganz brav und artig Tag für Tag die Agenda durchboxen, hoch gekommen durch Beziehungen, aber auch gut bezahlt und in der Scheinwelt glitzernd. Wie nennt man Leute, die für Geld alles machen?“ Dazu passt auch eine weitere Zuschrift: „Die BILD geht den Leidensweg der SPD, man verlässt die Welt des kleinen Mannes und versucht sich stattdessen in moralischer Unterweisung des Volkes. Das kann nicht funktionieren und endet in der Bedeutungslosigkeit!“

 

Ja, „oben“ und „unten“ ist ebenso ein vor allem politisch auslegbares Gegensatz-paar, das in jeder Zeit und Ordnung mehr oder weniger präsent ist, doch es ist politisch nicht mehr so dominant wie der modernere Spannungsbogen zwischen rechts und links.

 

Doch was verstehen wir heute eigentlich unter “links” und “rechts”? Diese politische Einteilung entstand bekanntlich Anfang des 19. Jahrhunderts in Frank-reich mit der Sitzordnung der Nationalversammlung. In der damaligen Deputiertenkammer saßen links die „Bewegungsparteien“, deren Ziel es war, die politisch-sozialen Verhältnisse zu verändern, rechts die „Ordnungsparteien“, die mehr auf die Bewahrung der politisch-sozialen Verhältnisse hinwirkten. Auch in vielen anderen Parlamenten setzte sich diese Sitzordnung durch. Das ist bis heute so, und auch bei der Sitzverteilung der Parteien im Deutschen Bundestag sitzt die Linkspartei, deren politische Ausrichtung sogar auf ihrem Namensschild steht, links vom Bundestagspräsidium und auf der rechten Seite sitzen gegen wärtig die Abgeordneten der AfD.

 

Möge die Einteilung der Parteien in das „Links-Rechts“-Schema heutzutage für viele immer unübersichtlicher und damit entbehrlich geworden sein, so wird man trotzdem auch in Zukunft nicht ohne diese Klischeebegriffe auskommen, denn nirgendwo lässt sich die auf Erden und im materiellen Universum herrschende Polarität, also der uns alle beherrschende Dualismus aufheben. Ohne Gegensätze ließe sich auch gar nichts erkennen. Dabei muss man sich vordergründig selber nicht zum Dualisten abstempeln lassen, nur weil man als zur Transzendenz neigender Zeitgenosse im Sinne Christian Wolffs „die Existenz materieller und immaterieller Substanzen“ anerkennt oder sich an Luthers Zwei-Reiche-Lehre orientiert. Was wäre denn die Literatur, von den Liebes- oder Kriminalromanen mal ganz abgesehen, ohne solch ein dualistisches Figurenpaar der Dichtung wie Faust/Mephisto?

 

Deutlicher wird vieles, wenn Parteien und Menschen besonders radikale Ansichten vertreten oder antagonistische Gegensätze verkörpern. Normalerweise verträgt eine stabile Demokratie auch radikale, also bis zur Wurzel reichende Ansichten, Forderungen oder Bestrebungen. Doch in jeder Gesellschaftsordnung gibt es auch durch Gesetze vorgegebene „rote Linien“. Wer sie überschreitet, sei er ein besonders aktiver „Freund des Fortschritts“ oder ein sogenannter „Reaktionär“, wird zumeist und zurecht als „Extremist“ bezeichnet. Diese wollen entweder als frustrierte oder sonstwie abgehängte Links- oder Rechtsextremisten das bestehende Staats- und Gesellschaftssystem verändern, nicht selten auch mittels Putsch oder Revolution, also durch Gewaltanwendung.

 

Luthers Anerkennung der weltlichen Obrigkeit und seine Forderung, sich ihr in irdisch-politischen Fragen unterzuordnen, bereitete den Boden für das oft zu enge Bündnis von Thron und Altar im deutschen Protestantismus. Erst die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts führte bei dem Theologen Dietrich Bonhoeffer zu einer kritischen Interpretation von Luthers Lehre, denn er postulierte im Nazi-Regime, wenn der Staat in seiner Recht und Ordnung schaffenden Funktion versagt, ein Recht auf Widerstand. Das ist dann auch in den Artikel 20 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland eingeflochten worden.

 

Ich nehme wie der ehemalige sächsische Justizminister und Bundespräsidentschaftskandidat Steffen Heitmann an, dass sich hinter den Begriffen rechts und links unterschiedliche Wirklichkeitsverständnisse verbergen, unterschiedliche geistige Ansätze, die dann jeweils auch unterschiedliche politische Akzentsetzungen nach sich ziehen“. (In seiner Dankesrede anlässlich des Freiheitspreises der Stiftung Demokratie und Marktwirtschaft, 1995)

 

Wollte man nun genau die eigentlichen Unterschiede zwischen den politisch linken oder rechten Überzeugungen analysieren, dann käme am Ende ein dickes Buch heraus. Deshalb können hier nur skizzenhaft die Unterschiede angedeutet werden. Rechts eingestellte Menschen und Parteien haben ein konservatives Menschenbild, das sich aus der Tradition bis hin zur biblischen Geschichte speist, also auch vom Sündenfall des ersten Menschenpaares weiß. Für sie steht, um es aktuell auszudrücken, das Wohl der eigenen Familie und Nation samt ihrer Staatsbürger im Vordergrund, während bei links eingestellten Menschen und Parteien weltweit die soziale Gerechtigkeit und die Gleichheit aller Menschen im Vordergrund stehen. In der Theorie. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus?

 

Davon kann der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß folgendes Lied singen: Er war mit einer Bundestagsabgeordneten der Linken mal auf Auslandsreise. Er bekam mit, dass sich diese Dame beim Rückflug auf First Class um-buchen ließ. „Ich war überrascht und fragte, ob die Linken nicht eher Holzklasse fliegen müssen.“ Die Linke erklärte ihm daraufhin, dass er da etwas falsch verstanden habe: „Im Sozialismus fliegen alle First Class.“ Tja, so fliegen die Vertreter der Armen, Ausgebeuteten und Benachteiligten schon mal ihrer Zeit etwas voraus. Denn die Avantgarde muss schon etwas früher im Sozialismus ankommen, um dann die Masse der Entrechteten dort gebührend empfangen zu können. Das kennen wir schon aus dem Verhalten der einst regierenden Bonzen in den sogenannten sozialistischen Ländern, die ebenfalls Wasser predigten und heimlich guten Wein vom Klassenfeind soffen, um wieder in Anlehnung an ein Bibelzitat deutlich zu machen, dass die Technik sich zwar wahnsinnig schnell fortentwickelt, aber der Charakter, das Wesen des Menschen bleibt unverändert: der alte Adam.

 

„Der alte Adam in uns soll ersäuft werden.“ Sagte Martin Luther und schluss-folgerte: „Nimm dich aber in acht, das Aas kann schwimmen!“ Und wie der von den Linken erträumte neue solidarische Mensch oder deutlicher gesagt: der total abgerichtete Mensch aussieht, das lässt sich heute am besten in Nordkorea studieren. Nichts schreckt die Linken ab, die Welt zu revolutionieren, damit das Glücksversprechen für alle endlich seine Erfüllung findet. Das hieße in der Konsequenz, alle Gegensätze zwischen den Menschen und ihren Verhältnissen abzuschaffen. Welch in Irrsinn! Allein schon die Gesetze der Ungleichzeitigkeit lassen sich nicht abschaffen, denn das hieße, die Zeit anhalten oder abschaffen zu wollen. „Da aber die positiven Wissenschaften“, so Martin Heidegger, „auf die ontologische Arbeit der Philosophie weder warten ‚können‘ noch sollen, wird sich der Fortgang der Forschung nicht vollziehen als ‚Fortschritt‘, sondern als Wiederholung und ontologisch durchsichtigere Reinigung des ontisch Entdeckten.“ (Aus: „Sein und Zeit“, S. 51) Doch die Fortschrittsmenschen werden nichts unversucht lassen, den neuen Menschen zu züchten, dieses Mal mit Hilfe der Digitaltechnik.

 

Linke empfinden sich in der Tradition der Aufklärung stehend und halten die Welt grundsätzlich für durchschaubar, steuerbar und beherrschbar, wenn auch bar jeder Vernunft, während Rechte ihre bescheidenere Vernunft der Transzendenz unterordnen, wissend, dass sie nicht die Schöpfer der Welt und des Universums sind und deshalb ehrfurchtsvoll die Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeit beachten, soll heißen, sich selber nicht zur letzten Instanz erheben.

 

Linke glauben im Sinne Darwins und Heckels an den Fortschritt vom Niederen zum Höheren. Dann ist es auch logisch, die marxsche Stufenleiter vom Urkommunismus über die Sklavenhalterordnung und den Feudalismus hochzukraxeln, um als letzte Station vor dem Paradies auf Erden den teuflischen Kapitalismus zu überwinden. Denn erst dann wird die vom Klassenkampf bestimmte „Vorgeschichte der Menschheit“ überwunden sein, und der Mensch wird ein von Entfremdung und Ausbeutung befreites Leben führen und seine Geschichte bewusst und selbstständig gestalten können. Wer könnte denn etwas gegen den Kommunismus der klassenlosen Gesellschaft haben? Das können doch nur Dummköpfe sein, die nicht die von Marx entdeckten Geschichtsgesetze anerkennen wollen. Gehören sie nicht in geschlossene psychiatrische Einrichtungen gesperrt?

 

Oder die Anderen, die von der ungerechten kapitalistischen Ordnung schwärmen, weil sie von ihr profitieren, gehören sie nicht wenigstens weggesperrt? Und gar die Produktionsmittelbesitzer, gehören sie etwa nicht enteignet? Marx, der ja gern mit Fremdworten herumprahlte, nannte das „Expropriation der Expropriateure“. Und siehe: Die marxsche Theorie wurde zur materiellen Gewalt. Das „Manifest der kommunistischen Partei“ wurde zum Bestseller.

 

Also: „Völker, hört die Signale!/Auf, zum letzten Gefecht!/Die Internationale/Erkämpft das Menschenrecht…“ Und wie heißt es dazu bei Marx? „Es gibt nur ein Mittel, die mörderischen Todeswehen der alten Gesellschaft, die blutigen Geburtswehen der neuen Gesellschaft abzukürzen, zu vereinfachen, zu konzentrieren, nur ein Mittel – den revolutionären Terrorismus.“ (Band 6, Seite 505) Das haben sich weder die Sturmabteilungen der Nationalsozialisten, noch die Kommunisten des Rotfrontkämpferbundes zweimal sagen lassen. In dieser Tradition stehen bis heute vor allem die vermummten Antifa-Banden, die überall nur Nazis und Rassisten sehen wollen, sie regelrecht hervorkitzeln und dafür brav und dumm vom demokratisch sein wollenden Rechtsstaat subventioniert werden.

 

Ehemalige Linke, die nach rechts konvertierten wie der Herausgeber Stéphane Courtois, brachten 1997 das „Schwarzbuch des Kommunismus“ heraus. Darin wird äußerst zurückhaltend die Bilanz dieser marxistisch-kommunistischen Ideologie aufgelistet: 100 Millionen Tote.

 

Schnell unterstellen darauf Linke den Rechten: Ihr habt zwei Weltkriege auf dem Gewissen samt Holocaust. Wer so dumm argumentiert, will Verwirrung stiften, denn der totalitäre Nationalsozialismus ist ein linkes Gewächs, wenn auch nicht unmittelbar auf dem Nährboden des Marxismus gekeimt. Obwohl die Befürworter der ersten Demokratie auf deutschem Boden ab 1924 den mitgliederreichsten Verband zur Verteidigung der Demokratie gegründet hatten, das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, das sowohl gegen die Kommunisten als auch gegen Nationalsozialisten kämpfte, kamen trotzdem die Nazis an die Macht. Überwiegend bestand das Reichsbanner aus Sozialdemkraten, doch auch An-hänger der Deutschen Zentrumspartei (DZP) und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) hatten das Reichsbanner mitgegründet. Die Zentrumspartei war einer der wichtigsten Repräsentanten des politischen Katholizismus in Deutschland, also konservativ, heute auch rechts genannt.

 

Die moderne zumeist verbeamtete Linke, die gern für das große Endziel die Freiheiten Andersdenkender einschränkt, beansprucht jedoch alle Freiheiten für sich, um ihre Gleichheitsgedanken in die Welt trompeten zu können, aber nicht in dem Sinn, dass wir alle vor Gott oder dem Richter gleich sind, sondern eher in dem Sinn, dass es nichts geben darf, was uns differenziert, sondern uns grundsätzlich auf eine Stufe stellt. Deshalb nicht nur die „Ehe für alle“, sondern im Sinne einer „sozial gerechten und antidiskriminierenden Gesellschaft“ sei es nicht länger hinzunehmen, dass Nomen, die ein Arbeitsgerät/-mittel bezeichnen, häufig nur mit maskulinen Artikeln gebraucht werden“. Künftig soll es dann nicht mehr „der Radiergummi“ oder der Schreibtisch“ heißen, sondern: „der/die ScannerIn, der/die ComputerIn, der/die BleistiftanspitzerIn, der/die Kopier-erIn, der/die StaubsaugerIn“. Weitere Bezeichnungen sollten bestehenden Doppelformen „kreativ nachgebildet“ werden. So zum Beispiel: „der/die Papierkorb/-körbin, der/die Briefkopf/-köpfin, der/die AbfalleimerIn“. (Antrag der Linkspartei in Flensburg, September 2016)

 

Aus manchen linken Spaßvögeln oder Revolutionären sind oft vernünftige Konservative verschiedener Schattierungen hervorgegangen, wie der SPIEGEL-Redakteur Jan Fleischhauer, der erkannte: „Die Krux jeder utopistischen Bewegung besteht darin, dass ihre Bemühungen um die Herstellung einer besseren Welt nie ein definiertes Ende haben. Deshalb kann man das Gespräch mit Linken auch immer weiter treiben, über den Punkt der Absurdität hinaus. Das macht es so komisch. Klar, nicht alle können lachen.“ Von der linksgrünen Gleichstellungs-beauftragen Franza Drechsel erfuhr er nun etwas über die Feinheiten der Gendersprache, um alle Menschen gleichberechtigt einbeziehen zu können, auch jene, die sich sexuell nicht zuordnen wollen“. Am besten sogar, so belehrt sie ihn, „mit Unterstrich und kleinem i“. „Der wirklich aufgeklärte Linke schreibt deshalb konsequent nur noch von Vergewaltiger_innen – das nenne ich wahre Gleichberechtigung!“

 

Überzeugungs- oder Glaubensänderungen sind nichts Neues in der Geschichte. Sie können jedoch noch heute in vielen Ländern der Erde mit dem Tod bestraft werden. In demokratischen Rechtsstaaten hingegen kommen viel zu leicht ehemalige Extremisten an die Macht, das fing bei Herbert Wehner und Ernst Reuter an, die als stramme Kommunisten natürlich auch Dreck am Stecken hatten. Im Gegensatz zu späteren Konvertiten aus dem linksextremen Spektrum sind sie jedoch echte Demokraten geworden, was ich bei sogenannten Politikern wie „Joschka“ Fischer, Claudia Roth, Joscha Schmierer, Hans-Christian Ströbele, Jürgen Trittin und vielen anderen dieses Kalibers bisher nicht erkennen konnte.

 

Denen stehen jedoch Hunderte Konvertierte gegenüber, die wirklich von linksradikalen bis extremen Positionen zur bügerlich-konservativen Mitte fanden, seien es Philosophen wie André Glucksmann, Rüdiger Safranski oder Peter Sloterdijk, Schriftsteller wie Hans Christoph Buch, George Orwell oder Botho Strauß, seien es Wissenschaftler wie Jörg Baberowski, Klaus Schröder oder Manès Sperber, seien es Journalisten wie Dieter Borkowski, Tomas Kittan oder Matthias Matussek, seien es  Politiker wie Viktor Orbán, Günter Schabowski oder Miloš Zeman.

 

Es gibt nur ganz selten ein Wandlung von rechts nach links. Da fallen mir nur der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler ein, der öfter durch stark polari-sierende Äußerungen über politische Gegner auffiel, doch bald sorgte seine Wendung zu tendenziell linken Positionen für beträchtliches Aufsehen. Zuvor gab es den ehemaligen Bundespräsident Gustav Heineman, der von der CDU zur SPD wechselte.

 

Die Rechten haben kaum noch einen Arsch in der Hose. Rainer Zitelmann, der sich wie Tausende andere auch von linksextrem über linksradikal und links auf die Gegenseite bewegt hat, was einem natürlichen Reifungsprozess entspricht, resümierte: „Es bedarf einer Überwindung, sich selbst als ‚rechts‘ zu bezeichnen. (…) Merkwürdigerweise trifft all dies auf den Gegenbegriff ‚links‘ nicht zu.“ (In: „Die selbstbewusste Nation“, Berlin 1994, S.164 f.)

 

Ja, warum wohl? Die Mehrheit des deutschen Volkes, die im Berufsleben steht und keine Zeit hat, sich ständig von Gender-Affen agitieren oder im Schlussverkauf politischer Moden zum Schnäppchenkauf verführen zu lassen, ist eigentlich ganz gut ausgeglichen, aber es hat nicht die Regierung, die es verdient (oder doch?), es hat nicht die Medien, die objektiv berichten. Die Volkserzieher dominieren, und sie wollen bestimmen was links und rechts ist. Links ist natürlich für sie gut, rechts ist böse. Und das wird über alle zwangsfinanzierten Kanäle durchgepeitscht bis zum Geht-nicht-mehr! Der Schriftsteller Ulrich Schacht, der sich einst sein kritisches Bewusstsein in der Stasi-Haft schärfen ließ, drückt es so aus: „Ich meine, dass wer heute die hohntriefenden oder hassverzerrten Masken von Figuren der öffentlich-rechtlichen Medien – die behaupten, Nachrichten zu verkünden – bei der täglichen Arbeit der Lüge durch dreisteste Manipulation beobachtet – also die Physiknomien der Slomka, Miosga oder Kleber, wenn sie den Feind vor sich haben, wahlweise Trump, Putin, Orban, Farage, Gauland oder gleich die ganze AfD, gleich ob im Interview oder im Text -, der sieht doch plötzlich mitten in Deutschland nordkoreanisches Fernsehen: fanatisches Augenrollen, hassbebende Stimme, siegessicheres Lächerlichmachen.“

 

All das fordert den Rechten viel Verantwortungsgefühl ab. Obwohl sie von der prinzipiellen Ungleichheit der Menschen ausgehen, befürworten sie eine Hier-archie traditionell bewährter Werte und Normen, in denen die individuelle Freiheit wichtiger zu sein hat als die soziale Gleichheit. Mit rechten Werten, erkannte schon die Pionierin der Demoskopie, Elisabeth Noelle-Neumann, verbinden Men-schen neben Betonung der Unterschiede, Distanz, Autorität, Disziplin, geregelte Umgangsformen, das Nationale und das „Sie“. Für Ausländer sind das typisch deutsche Eigenschaften, die jedoch immer mehr verlorengehen, denn Linke sind Freiheitshalbierer. Sie grenzen den Raum nicht nur in machtpolitischer Hinsicht ein, sondern auch in moralisch-ethischer Hinsicht.

 

Von Linken habe ich, obwohl sie schon über ein halbes Jahrhundert den Club Voltaire unterhalten, noch nie Voltaires Zitat gehört: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, daß Sie sie äußern dürfen.“ Linke sind eindimensionale Rechthaber, weil sie sich fortschrittlich wähnen und eine Vision von der besseren Welt im Kopf haben, für die sie, wenn es die Umstände erfordern, auch über Leichen gehen. Denn für dieses gute Ziel darf, nein, muss man auch Menschen opfern, die sich dem Ziel in den Weg stellen. Auf die „Diktatur des Proletariats“ nach marxscher Diktion wagen sich heute nur noch die Wenigsten direkt zu berufen, aber auf die „Diktatur der richtigen Weltanschauung“ schon.

 

Rechte haben kein festgezurrtes Weltbild, nicht alle sind religiös gebunden, sie sind geistig viel flexibler, oft auch Wechselwähler, denn sie glauben nicht an den Fortschrittswahn und das Paradies auf Erden. Sie sind Gegner jeder Sozialimusvariante und jeder Eine-Welt-Regierung, die sich Linke ebenso wie die Profiteure des Banken- und Großkapitals wünschen. Rechte sind nicht so anmaßend, die Welt retten zu wollen, aber in ihrem Umfeld, also ihrem Nächsten gegenüber, sind sie oft gerechter und sozialer als Linke, die vor allem immer die große Veränderung im Weltmaßstab im Blick haben und in ihrem Umfeld oft die größten Egoisten sind. Großzügig sind Linke immer nur beim Anheben ihrer Diäten und im Ausgeben von Steuergeldern, auch für die sinnlosesten Projekte der sogenannten Entwicklungshilfe. In unserem Saat sind die Linken, einschließlich der verkommenen Sozialdemokratie, die größten Aussauger des deutschen Wohlfahrtsstaates, der auf den Konzepten der von ihnen bekämpften Ordoliberalen beruht und von Ludwig Erhard umgesetzt wurde, von der heute die Linke Sarah Wagenknecht glaubt, dass er heute bei den Linken andocken würde. Zum Lachen kann sie schon reizen, die einstige Stalin- und Ulbricht-Verehrerin, die mittler-weile nicht nur etwas reifer, sondern vor allem viel reicher geworden ist.

 

Einer der interessantesten deutschen Philolosophen der Gegenwart, Peter  Sloterdijk, schlug deshalb eine neue Kulturrevolution vor, einen radikalen psychosozialen Wandel, der von der Einsicht ausgeht, dass die ausgebeutete produktive Schicht heute nicht mehr die Arbeiterklasse, sondern die obere Mittelklasse ist. Deren Vertreter sind die wahren „Gebenden“, deren hohe Besteuerung die Bildung, Gesundheitsversorgung und vieles mehr der Mehrheit finanziert. Um diesen Wandel zu bewerkstelligen, müssten wir den Etatismus überwinden, jenes Relikt des Absolutismus, das auf seltsame Weise in unserem demokratischen Zeitalter weiterlebt: die Idee also, die selbst in der traditionellen Linken starken Zuspruch findet, der Staat habe das Recht, seine Bürger zu besteuern, ihren Beitrag zur Produktion zu ermitteln und einen Teil einzuziehen.

 

Immer wieder muss laut die Frage gestellt werden: Ist der Staat für die Men-schen da oder der Mensch für den Staat? In archaisch strukturierten Gesell-schaftsformen zählt das Individuum wenig, die Familie, der Clan, das Volk, die Religionsgemeinschaft aber alles. Auch Atheisten, die meinetwegen nur an die Wissenschaften glauben, sollten wissen, dass sie es auch dem „Reformator“ Jesus Christus zu verdanken haben, dass sie heute so selbstbewusst individuell auf-treten können. „Für die Freiheit hat Christus uns freigemacht; steht nun fest und lasst euch nicht wiederum unter einem Joch der Knechtschaft halten.“ (Galater 5,1) Weder im Alten Testament noch im Koran habe ich den Begriff „Freiheit“ finden können.

 

Linke, die ständig von Solidarität faseln, halten aber die Bürger für die größten Egoisten, die gezwungen werden müssen, zum Gemeinwohl beizutragen. Um sie abzuschöpfen, um Vermögen umzuverteilen, bedarf es eines riesigen Beamten-apparates, so dass den Bürgern immer mehr Zeit gestohlen wird, weil sie sich mit unübersichtlichen Steuererklärungen und sonstigem Bürokratenmüll herumschlagen müssen. So bekommt der erschöpfte Bürger kaum mit, was mit seinem Geld alles finanziert wird oder wie sein hart erarbeitetes Geld in Milliardenhöhe sinn- und verantwortungslos in- und ausländisch verpulvert wird – von dem Berliner Flughafen und anderen Millionenprojekten ganz zu schweigen. Keiner der Politiker wird dafür zur Verantwortung gezogen.

 

Trotzdem hat es dem niveauvollen Rechten klar zu sein: Das Linke zu leugnen, hieße selbstverständlich, das Rechte aufzuheben – und umgekehrt. Die Wahrheit ihrer logischen und phänomenologischen Differenz besteht in ihrer Einheit. Das Linke bedarf eines Gegenübers, auf den es seine Wirksamkeit beziehen kann, an dem es sein Profil bezieht. Das Rechte braucht das Linke, und umgekehrt, damit das Eigene überhaupt erkannt werden kann in seiner Wesenheit. Und das gilt prinzipiell für alle Dualismen, die sich auch in Platons „Zwei-Welten-Lehre“ dar-stellt und die unser irdisches Leben einkreisen und ausmachen.

 

Deshalb ist es eine Ungeheuerlichkeit, dass eine demokratisch sein wollende Regierung, deren Aufgabe es ist, neutral die Balance zwischen notwendigen Ge-gensätzen zu wahren, dreist einen mit Steuermitteln geführten „Kampf gegen rechts“ führt. Das ist ein totalitärer Eingriff in die Substanz des inneren Friedens einer Gesellschaft, der eindeutig entlarvt, dass solch eine Regierung von dem dialektischen Geschichtsprozessen nichts versteht, um die harmlosere Variante zu vermuten, und somit das Gesellschaftsschiff einer Katastrophe zusteuert. Zum Glück sind solche Regierungen abwählbar, sodass immer die rechte Hoffnung besteht, dass das Steuer noch rechtzeitig – von wem auch immer – herumge-rissen werden kann. Was sagte dazu einst der als pessimistisch geltende Arthur Schopenhauer? „Solange der Ausgang einer gefährlichen Sache nur noch zweifelhaft ist, solange nur noch die Möglichkeit, daß er ein glücklicher werde, vorhanden ist, darf an kein Zagen gedacht werden, sondern bloß an Widerstand…“

 

Ein Demokrat bekennt sich dazu, eine linke und eine rechte Hirnhälfte als auch linke und rechte Gliedmaßen zu haben. Alles Einseitige im Menschen liegt mittig, auch wenn links ausgerichtete Menschen gern und stolz darauf verweisen, dass unser Motor, also das Herz, links schlägt. Ist das der Grund, warum Linke gern zuschlagen, gern Revolutionär sein wollen? Wissen sie nicht, dass jeder Revolutionär zum Verbrecher wird?

 

Oder nehmen wir die sanfteren sozialdemokratischen Gutmenschen, sie kämpfen ja immer um soziale Gerechtigkeit. Was haben sie hervorgebracht? Ein Steuer-rechtsmonster, das einem Heer von Beamten und Steuerberatern zwar sinnlose Einkünfte verschafft, aber dem Volk nur Ärger bereitet und kostbare Lebenszeit stiehlt. Nur Reiche, die sich gute Anwälte leisten können, haben etwas davon.

 

Mit dem Maßstab rechts/links ist es nicht einfach. Ich weiß zwar, was meine linke Faust ist und was ich meiner rechten zutrauen kann. Doch wenn ich mich umdrehe, ist das, was links von mir, plötzlich rechts. Und je schneller ich mich drehe, umso verdrehter wird alles, bis ich schließlich durchdrehe, weil es mir schwindelig wird und ich nichts mehrauseinander halten kann und nur noch eins möchte: kotzen!

 

Genaus so geht es mir, wenn ich das zwangsfinanzierte Staatsfernsehen gucke, um zu sehen, dass ich kaum etwas von dem erkenne, was ich ansonsten mit eignen Augen sehe. Es macht mich schwindelig, und ich frage mich benommen: Wer will mich hier eigentlich beschwindeln? Sie zeigen mir ein heile Welt und kommentieren: „Noch nie ging es den Deutschen so gut wie heute.“ Ich sehe das genau umgekehrt, wie jemand, der vor mir steht und meinen rechten Arm auf der linken Seite sieht, so, wie ich ebenfalls seinen linken Arm rechts orte.

 

Die Wahrheit ist bekanntlich nach Hegel immmer das Ganze, das freilich kein Mensch überblicken kann, wenn er nicht das Auge Gottes verkörpert, der von allen und allem zu aller Zeit alles sieht und durchschaut. Schon von hier aus wäre es vernünftiger, einem allmächtigen Gott zu vertrauen, der Himmel und Erde schuf, als gar Menschen zu vertrauen, die sich gierig anmaßen, andere regieren, dirigieren und relegieren zu wollen.

 

Alle Schöpfungsmythen zeugen von ersten Teilungen zwischen Licht und Schat-ten, Sonne und Mond, Himmel und Erde, Tag und Nacht bis hin zu Mann und Weib, Herr und Knecht, Täter und Opfer, Freude und Leid… Macht und Machtmissbrauch hingegen sind kein Gegensatz, sondern ein Paar. Auch aus Gegen-sätzen ergeben sich manchmal Grundsätze, die für beide Seiten gültig sein können. Die klügsten Sprüche entstammen oft den Widersprüchen.

 

Weil wir jedoch nur mit Sprache denken können, manche sogar nur in stere-otypen Formeln, kommen wir unserem Dasein in unserem Sosein in Raum und Zeit nie richtig auf die Spur, denn wir gehören, um es trivial auszudrücken, der Welt auf drei Ebenen an: durch Seele, Geist und Körper. Gut eingeschlossen, zum Beispiel in Eis oder auch heißen Sand oder Moor, können uns sogar unsere Knochen Jahrtausende überleben, doch ebenso unsere Geistesprodukte in elektronischen Büchern, Filmen, Bildern.

 

Im Geiste sind wir auf Streit angelegt. Hier wollen wir alles infrage stellen, neu bewerten, entdecken, erforschen – immer auch in Konkurrenz, im Wettstreit zu anderen Menschen. Nicht nur im Sport, auch in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Politik, ja, auch im Kampf um den schönsten Lebenspartner, überall lassen sich rote Linien des Anstandes, der Fairniss und der Humanität überschreiten, wenn manche der Ehrgeiz bis zum Ausschalten des Gegners treibt, von der Diffamierung, dem Rufmord bis zum körperlichen Mord.

 

Und das hat noch nicht einmal etwas mit unseren Machttrieben zu tun, die ebenfalls in uns schlummern. Ach ja, die menschenlichen Triebe! Davon gibt’s ja einige, die uns nicht selten zum Tier erniedrigen wollen, falls damit nicht schon die Tiere beleidigt werden. Bleibt noch die Seele übrig, die gute Unbekannte. Ist sie es, die uns zum Mitgefühl, zum Mitleiden befähigt? Sind wir dadurch nicht auch zur Kooperation befähigt?

 

Natürlich nicht zu jedem und allem, so wie wir höchstens zur Nächsten-, aber in der Regel nicht zur Fernstenliebe fähig sind und nach dem Gebot des Christen-tums auch nicht sein sollen. Wir können uns noch sonstwie in die Höhe strecken, mit bloßen Armen oder mit Raketen, wir werden immer nur, selbst auf fremden Planeten, irdische Kinder bleiben, selbst dann noch, wenn wir uns durch unsere eigenen Robotergeschöpfe ersetzt haben.

 

Erstaunlich, womit wir alles zu jonglieren haben, womit wir Maß und Mitte in unseren eigenen Veranlagungen ausbalancieren sollen, um ein friedensstiftendes Subjekt sein zu dürfen, falls wir es denn überhaupt wollen. Und könnten wir es wollen, dann würde der Teufel arbeitslos. Wollen wir das? Was könnten wir gedanklich noch durchspielen, sei es anthropolgisch, philosophisch, mathematisch oder rein spieltheoretisch?

 

Wie soll man z.B. die ehemalige Bundesbeauftragte der Stasi-Unterlagen und Grünen-Politikerin Marianne Birthler verstehen, die dem SPIEGEL-Redakteur verriet: „Es gibt eben keine Garantie, dass man in seinem Leben immer auf der richtigen Seite steht.“ Mal ehrlich, möchte jemand sein ganzes Leben lang steh-en? Gar noch auf der richtigen Seite? Und die wäre? Wir Klügeren wissen ja, was sie meint: „Links, links, links, zwo, drei vier…“ Und irgendwann ist Stillgestanden angesagt. Dann der nächste Befehl: „Diiiiiiiiiiie Augen – links!“ Das entspräche zwar ganz der Familientradition der von Hammersteins, aber doch nicht mehr den Richtlinien der SPIEGEL-Chefetage – oder?

 

Na also! Ganz locker bleiben, durchaus den Versuchungen nachgehen, einmal aus der Reihe zu tanzen, mal links, mal rechts herum, mal Wiener Walzer, mal schön im Tangoschritt, mal Foxtrott bis zum sportlichen Rock‘ n‘ Roll. Dann endlich eine Pause mit einem erotischen Bauchtanz wohlproportionierter Damen aus dem Orient. Wäre das nicht Lebensfreude pur? Nein, belehren mich die neuen Oberlehrerinnen, das ist Seximus pur, also neuerdings strafbar!

 

Wie wir älteren Semster wissen, lauert der Verführer überall. Einst befahlen in der jungen Sowjetunion wie im Deutschen Reich die Führer; und selbst der tote KPD-Chef Ernst Thälmann war, auferstanden in einem DDR-Pflichtfilmepos, erst ein Sohn, dann im zweiten Teil des Filmes: ein Führer seiner Klasse. Was manche noch heute dazu verführt, sich die befohlenen Freiheiten nicht entgehen zu lassen, also auf der „richtigen Seite“, wenn schon nicht stramm zu stehen, dann wenigstens zu tanzen.

 

Wer könnte nicht mit Milan Kundera hadern, weil man nicht weiß, ob man auf der richtigen Seite der Erde steht oder geht? „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ – sein weltberühmter Roman, darin es heißt: „Man kann nicht wissen, was man wollen soll, weil man nur ein Leben hat, das man weder mit früheren Leben vergleichen noch in späteren korrigieren kann.“

 

Freilich, wer glaubt, durch den Komiker Charlie Marx die Geschichtsgesetze er-kannt zu haben und sich damit garantiert immer auf der richtige Seite aufhält, hat auf dieser Welt das große Los gezogen. Wer solche Imperative auf der religiösen Schiene braucht, und sei es nur zur Ergänzung, der ist beim letzten Propheten Muhammad am besten an-, wenn nicht gar aufgehoben. Denn dieser Analphabet war nach Meinung des französischen romantischen Dichters Alphonse de Lamartine (1790-1869) zusätzlich noch „Philosoph, Redner, Gesetzgeber, Kämpfer, Eroberer, Denker, Prophet, Gründer der Religion des Verstandes und einer Dienerschaft ohne Statuen oder Götzen. Dazu war er ein Führer von 20 irdischen Reichen und des seelischen Imperiums, welches keine Grenzen hat.“

 

Tja, da können wir Deutschen nicht mithalten. Für solch einen Führer lohnt es sich vielleicht doch, seinen Arsch fünfmal täglich gen Himmel zu heben? Zumal er ja Gottes letzte Botschaft in die Welt brachte, die im Koran zusammengefasst worden sei. Und zwar als „schönste Poesie der Welt“ überhaupt, indem zusätzlich jeder Vers ein Gesetz (!) anordnet. Dazu sind die Sätze nach Ihrer Länge angeordnet. Warum kommt eigentlich keiner auf die Idee, die Bibel der Marxisten, „Das Kapital“, ebenfalls nach der Länge der Sätze zu ordnen? Vielleicht würde dann der wirklich tiefe Unsinn erst richtig verständlich?

 

Muhammad, der – wie später auch Stalin – ein Drittel der damaligen Welt eroberte, war, wie es heißt, „im Diesseits anwesend und gleichzeitig nicht da, denn sein Herz hing nur an Allah“ (Aus: „Muhammed, der Gesandte Allahs, Friede sei auf ihm“ von Abdul Rahman Al-Shea) Ob es noch heute dort hängt?

 

Ähnliche Verherrlichung wie Muhammad erfuhr im Westen lediglich Karl Marx, den nicht nur der Münchner Politikwissenschaftler Prof. Konrad Löw schon in alle Einzelteile zerlegt hatte, sondern später auch der ehemalige Marxismus-Professor an der Ost-Berliner Humboldt-Universität, Hermann von Berg, der nach gründlichen Recherchen Marx als Scharlatan unter dem Namen Karl Murks entlarvte. Zu seinen Lebzeiten nahm diesen Vielschreiber niemand als Philosoph ernst, aber im freien Westen wird er heute umso euphorischer zum größten Denker, Analytiker und Zukunftspropheten stilisiert. Hochdotierte Wissenschaftler erstellen schon seit Jahren auf Kosten des deutschen Steuerzahlers die Marx-Engels-Gesamtausgabe, die einmal mindestens 114 Bände umfassen soll.

 

Anton Odenthal schreibt in der Häftlingszeitung „der stacheldraht“ (1/2018) em-pört: „Nun ist etwas passiert, was unglaublich zu sein scheint. Der Bundesprä-sident (also Frank-Walter Steinmeier, SPD) hat die Schirmherrschaft über die Ehrung-en für den Vater der Ideologie des Kommunismus, Karl Marx, 2018 in Trier über-nommen! Ist das der Bundespräsident aller Deutschen? Hat er die Menschen vergessen, die zwischen 1945 und 1989 durch die Ideologie des Marxismus-Kommunismus in Deutschland ermordet wurden? Sollen die zum Teil 90jährigen Workuta-Häftlinge am Ende ihres Lebens feststellen, dass ihre Peiniger im Recht waren, als sie mit Marx-Zitaten auf den Lippen Todesurteile und 25jährige Zwangsarbeit aussprachen? Wann hat der Bundespräsident die Schirmherrschaft für die Millionen umgekommenen Menschen der Lager Buchenwald, Ket-schendorf, Workuta übernommen?“

 

Der Philosoph Friedrich Nietzsche, ein Zeitgenosse von Marx & Engels wies schon 1878 darauf hin, dass der Sozialismus „der phantastische jüngere Bruder des fast abgelebten Despotismus“ sei, „den er beerben will; seine Bestrebungen sind also im tiefsten Verstande reactionär. Denn er begehrt eine Fülle der Staatsgewalt, wie sie nur je der Despotismus gehabt hat, ja er überbietet alles Vergangene dadurch, dass er die förmliche Vernichtung des Individuums an-strebt: als welches ihm wie ein unberechtigter Luxus der Natur vorkommt und durch ihn in ein zweckmäßiges Organ des Gemeinwesens umgebessert werden soll.

 

„Deshalb“, so weiter bei Nietzsche, „bereitet er sich im Stillen zu Schreckens-herrschaften vor und treibt den halb gebildeten Massen das Wort „Gerechtigkeit“ wie einen Nagel in den Kopf, um sie ihres Verstandes völlig zu berauben (nachdem dieser Verstand schon durch die Halbbildung sehr gelitten hat) und ihnen für das böse Spiel, das sie spielen sollen, ein gutes Gewissen zu schaffen.“ Immerhin, so der Dialektiker Nietzsche, kann der Sozialismus auch dazu dienen, „die Gefahr aller Anhäufungen von Staatsgewalt recht brutal und eindringlich zu lehren und insofern vor dem Staate selbst Misstrauen einzuflößen. Wenn seine rauhe Stimme in das Feldgeschrei ’so viel Staat wie möglich‘ einfällt, so wird dieses zunächst dadurch lärmender, als je: aber bald dringt auch das entgegengesetzte mit um so größerer Kraft hervor: ’so wenig Staat wie möglich‘.“ (Aus: Menschliches, Allzumenschliches, 1878)

 

Wieso wird Nietzsche nicht als Prophet bezeichnet? Hat er denn nicht klar vor-ausgesehen, was Millionen Menschen später in sozialistischen Staaten zu erleben hatten und noch haben? Stattdessen gibt es überall in Deutschland, natürlich vor allem auf dem ehemaligen Gebiet der DDR, noch immer Straßen- und Plätze-namen nach Karl Marx benannt, Denkmale stehen überall herum, Personenkultfilme laufen im Kino und im Fernsehen, als wäre nicht längst bewiesen, dass alle Machthaber, die sich auf ihn beriefen, gleichgültig, ob zu Recht oder zu Un-recht, und seine obskuren Theorien in die Praxis umsetzen wollten, schlicht und unwiderlegbar Massenmörder geworden waren, bevor sie mit ihren Regimen unter Lenins witzigem Motto „Die Lehre von Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist“ jämmerlich gescheitert sind.

 

Doch immer wieder werden Menschen geboren, die das ganz anders sehen wollen. Das Gleiche lässt sich natürlich zum Islam sagen, dessen Praxis von Anfang an, also seitdem Muhammed seine Heimatstadt Mekka verlassen musste und erst anschließend erfolgreich wurde, fast immer nur einer Kriegswirtschaft glich. Türme von abgeschlagenen Köpfen zieren seinen Weg bis in die Gegenwart. 270 Millionen sollen bislang dem islamischen Heiligen Krieg zum Opfer gefallen sein, und die versklavten und vergewaltigten Terroropfer lassen sich kaum zählen. Auch hier könnte Erdoğan mit gleicher Logik sagen: „Der Islam ist allmächtig, weil er wahr ist.“

 

Das Todbringende, das Böse, das Niederträchtige und Erniedrigende wird immer Bestandteil unseres menschlich-unmenschlichen Wesens sein. Jedes Volk hat seine Leichen im Keller, kein Volk ist auserwählt, nur Böses hervor zu bringen – und umgekehrt. Wandlungen finden nicht nur im Menschen statt, auch Städte, Staaten und Landschaften wandeln sich, so dass neue Formen, Farben und Ge-staltungen immer wieder neue Rätsel gebären.

 

François Bondy berichtete über eine Begegnung mit dem ebenfalls vom Kommunismus abgefallenen italienischen Schriftsteller Ignazio Silone, bei der er sag-te: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‚Ich bin der Faschismus‘. Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus‘.“ Heute ist längst ersicht-lich, wie Recht er hatte, wenn man sieht, wie jene, die den Antifaschismus instrumentalisiert haben, selber zu militanten Jakobinern geworden sind.

 

Auch Ulrich Schacht hatte völlig Recht, als er konstatierte: „Aber diese Sturmtrupps der „totalitären Demokratie“ (Jakob L. Talmon) sind mitnichten das Hauptproblem unserer Tage. Das Hauptproblem sind ihre intellektuellen Wasserträger in Parteien, Massenmedien, Universitäten und kulturellen Institutionen, die mit dürren Worten Rechtsstaatsnormen verteidigen, aber mit ungleich mehr Vokabeln die so terrorisierten Kritiker der im blockparteilichen Gleichschaltungswahn dahintaumelnden deutschen Merkel-Gesellschaft ins moralische Unrecht zu versetzen suchen, gegen das (fast) alles erlaubt ist. Sie hassen dabei im Kern den Nationalstaat, die Heimat, das Christentum, vor allem aber das Volk, das all diese Identitätstopoi nicht hasst, sondern verteidigt – warum? Weil sie das Eigene, also sich selbst hassen und aus diesem Selbsthass, in einem Akt nachgeholten Jakobinertums, die universalistische Generaltugend des 21. Jahrhunderts gemacht haben.“

 

Genauso unlogisch wie verlogen ist die französische Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Für Goethe stand schon damals fest: „Gesetzgeber oder Revolutionäre, die Gleichsein und Freiheit zugleich versprechen, sind Phantasten oder Charlatans.“ (Maximen und Reflexionen, Über Literatur und Leben) Christen müssten sich eigentlich affrontiert fühlen, wie ihre Trinität „Glaube, Hoffnung, Liebe“ verdrängt worden ist durch utopische Ungereimtheiten und infantile Argumentationen.

 

Was wird sich durchsetzen, ersetzen, absetzen? Die Utopie des Kommunismus? Die totalitäre Welteroberungsideologie im Namen Allahs? Der allen alles versprechende Atheismus? Der intelligente Roboter, der uns endlich sagen kann, was „die richtige Seite“ ist?

 

Als Wissenschaftler hat man die Pflicht, seine Thesen oder Hypothesen durch Versuchsreihen zu überprüfen und nachzuweisen. Aber derselbe Wissenschaftler als Mensch kann nur in einem Leben beweisen – ja, was eigentlich? Dass er gelebt hat! Ob es lohnenswert war, ob er für nachfolgende Generationen gut und richtig war, das können nur die Nachfolger sagen, denn er selber kann es zu Lebzeiten nicht erfahren, ob sein Leben richtig oder falsch verlief, selbst wenn er von den Potentaten seiner Zeit dekoriert wurde, für die sich seinen Enkel vielleicht nur schämen. Alles, was wir an Erfindungen und Entdeckungen hinterlassen, lässt sich nutzen und ausnutzen, sowohl im humanen als auch gegenteiligen Sinn. Es dürfte auf Erden nichts geben, was sich nicht ins Gegenteil kehren, also ausnützen ließe.

 

Wäre es da nicht bescheidener, anständiger, gleich an eine höhere Macht zu glauben, die wir eben nicht erfassen und verstehen, aber manchmal wenigstens erfahren können? Nur der Allwissende kann wissen, was richtig und falsch ist; nur er kann uns richten oder aufrichten. Zwar können Enkel mehr über uns wissen als wir über uns selber, aber auch sie sind Menschen, also unvollkommen und fehlbar. Und selbst wenn wir uns nach Gott richten wollen – nach welchen? Wenn der Gott der Juden, der Christen und Muhammedaner der Gleiche wäre, wäre schon alles viel einfacher. Aber das ist es halt nicht. Und Toleranz gegenüber der Intoleranz ist auch keine Lösung.

 

Um wieviel einfacher und damit freier wäre es in einer modernen Zivilisation, wenn es nur die Zehn Gebote gäbe, die Moses als 1. Prophet dem Menschen of-fenbart hatte. Die Zehn Gebote enthalten 279 Wörter, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung 300, die Verordnung der Europäischen Gemeinschaft über den Import von Karamelbonbons aber exakt 26.911!“ Mit diesen Worten hat 1986 der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß die damals schon überbordende Bürokratie auf europäischer Ebene angeprangert. (Diese Verordnung war tatsächlich einmal in Vorbereitung, ist aber Dank der Kritik nicht realisiert worden.)

 

Dadurch kann auch die freieste Verfassung der Welt ein Leben in einer solch angeblich „offenen Gesellschaft“ zur Bürokratendiktatur im Alltag werden lassen.

Ein mit Regeln, Ordnungen, Gesetzen und vor allem ideologischen Sprachregelungen vollgestopfter Alltag, der zusätzlich noch von Staus auf Autobahnen, übervollen S- und U-Bahnen erschwert oder mit verlockenden Sonderangeboten und sonsterlei Reklame zugemüllt wird, kann mitunter anstrengender sein als das Dasein in einer Diktatur. Diktatoren lassen sich leichter betrügen, weil man eigentlich weiß, was sie wollen. Da findet man leichter seine Freiräume. Doch in einer westlichen Demokratie ist alles mittlerweile so verlogen und überzogen, so eckigrund und kunterbunt, so einerlei wie entscheidungsfrei, so kriminell und universell, so verpuppt wie korrupt, so abwägend wie aufregend, so unermesslich vergesslich, dass einem oft die Luft ausgehen will und zu viele Menschen unter Bluthochdruck leiden lässt.

 

Im Vordergrund noch immer die rote Verheißung, im Hintergrund die große Verscheißerung. Alles in allem ein abwechslungsreiches Leben, das jeder Sensible ständig als Gefährdung erlebt, trotz vieler Gefährten. Noch ein Erfahrungsunterschied: Das Leben in einer Diktatur, im Gefängnis oder unter dem strengen Reglement einer totalitären Religion dauert viel länger als ein Leben auf freier Wildbahn. (So wurde nach Umfragen am 5. Februar 2018 die Halbzeit zwischen 28 Jahren Leben mit der Berliner Mauer als länger empfunden als die 28 Jahre nach dem Fall der Mauer.)

 

Doch was nützt alle Freiheit, aller Wohlstand, wenn man den Glauben verliert, den man nie besaß? Dann verflüchtigt sich auch jede Hoffnung. Und vor allem das Wichtigste davon: die Liebe.

 

Finanzen

Über Siegmar Faust 46 Artikel
Siegmar Faust, geboren 1944, studierte Kunsterziehung und Geschichte in Leipzig. Seit Ende der 1980er Jahre ist Faust Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), heute als Kuratoriums-Mitglied. Von 1987 bis 1990 war er Chefredakteur der von der IGFM herausgegebenen Zeitschrift „DDR heute“ sowie Mitherausgeber der Zeitschrift des Brüsewitz-Zentrums, „Christen drüben“. Faust war zeitweise Geschäftsführer des Menschenrechtszentrums Cottbus e. V. und arbeitete dort auch als Besucherreferent, ebenso in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Er ist aus dem Vorstand des Menschenrechtszentrums ausgetreten und gehört nur noch der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik und der Wolfgang-Hilbig-Gesellschaft an.

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