Kontaktstoned, aber: Irgendwas bleibt

Die Beatles reiten noch auf der Erfolgswelle ihres Albums „Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band“, das am 1. Juni 1967 erschienen ist und als eines der ersten Konzeptalben der Popgeschichte gilt, als sie im August des gleichen Jahres in den Südwesten Englands aufbrechen. Hier drehen sie ihren dritten Spielfilm, bei dem sie erstmals nicht nur Darsteller sind, sondern auch als Autoren und Regisseure verantwortlich zeichnen. „Magical Mystery Tour“, ein surrealistischer Lobgesang auf die Kultur der nordenglischen Arbeiterklasse, zeichnet sich durch eine relativ zusammenhanglose Handlung, begleitet durch eine Gruppe feierwütiger Briten auf ihrer Busreise in den Urlaub ans Meer, aus. Unterwegs geben diverse Zauberer – dargestellt von den Beatles selbst – immer wieder Anstoß zu vielfältigen exzentrischen, aber auch musikalischen Aktivitäten.
Als zeitversetzte Persiflage könnte man Sven Regeners gleichnamigen Roman bezeichnen. Auch hier wird der Leser Teil einer konfusen Truppe unterschiedlichst zusammengewürfelter Raver, die zwar nicht zur Erholung ans Wasser fahren, sondern auf ihrer Tour den Techno unters Volk bringen wollen. Auch sie sind dem Feiern, Trinken und Konsumieren unterschiedlichster, stimmungsaufhellender Substanzen nicht abgeneigt. Und Zauberer sind sie allemal, schon allein wegen ihrer schrägen Charaktere und der damit verbundenen differenzierten Lebenseinstellungen. Einziger „Normalo“ unter der chaotischen Horde um Ferdi, Schöpfi, den Hosti Bros, Dubi oder Flapsi scheint Karl Schmidt zu sein. Der fährt das illustre Trüppchen von Bremen nach München, Frankfurt und Hamburg, mit Abstecher über Schrankenhusen-Borstel, um auch dem letzten „Güllebauern und Dreibuchstaben-Ravern“ das „BummBumm“ in die Gummistiefel zu jagen. Ohne Alkohol und Drogen und auch ohne nächtelanges Feiern, steuert Karl, aus dessen Sicht in der Ich-Form der Roman geschrieben ist und der „auch sonst ein paar Schrauben locker hat“ seine mal mehr oder weniger muntere Truppe durch Deutschland. Für ihn wird es allerdings eher Bewährungsprobe als Partykracher. Denn er erlebte beim Fall der Mauer seinen ganz persönlichen Flash, landete dazumal in der „Klapper“ und später in einer betreuten Drogen-WG. In dessen Nähe, im Eiscafé „Romantica“, spürt ihn nach über fünf Jahren Raimund, ein alter Bandkollege aus vergangenen „Glitterschnitter“-Zeiten, auf und zieht ihn „magical mystery“ in das Chaos aus Sex, Drugs und Rock'n'Roll… äh… Tekkno… nein… Techno. Denn, so Raimund: „Wir brauchen einen, der sich um alles kümmert, der uns fährt und auf das Geld aufpasst und auf uns auch und dass wir weiterkommen und was weiß ich alles.“
„Die alten Sachen waren Vergangenheit und die Zukunft war offen. Keine Richtung, kein Plan. Das gefiel mir ganz gut.“ Doch wird der alte „Klapsmühlen- und Psychozausel“ Karl den ständigen Versuchungen von Hofbräuhaus, Äppelwoi-Kneipe oder Hafenrundfahrt widerstehen und als „Klarsichthüllenfreak“ „sauber auf der Kaffeespur bleiben“ können oder mutiert er letztendlich doch wieder zum bösen Wolf, der den „kleinen Drogenschweinchen in ihren Häuschen aus Acidpapier, Hanfholz und Crackstein“ ans Leder geht? Findet er den richtigen Draht, um diese heillos chaotische „Gruppe von Verstrahlten“ zu bündeln? Seine Erfahrungen als Hilfshausmeister und Tiefpfleger im Kinderkurheim Elbauen in Ottmarschen gereichen ihm auf jeden Fall nicht zum Nachteil. Doch wie er selbst feststellt: „Die Zukunft ist eine dumme Sau. Man weiß nie, womit sie als Nächstes um die Ecke kommt!“. Aber: Da gibt es unter den ganzen durchgeknallten Typen und Partygranaten ja auch noch Rosa….
Sven Regener hat nach seiner „Herr-Lehmann-Trilogie“ erneut ein Buch geschrieben, das auf den ersten Blick den Eindruck macht, zu einem einzigen „Quatschbrei“ verschmolzen zu sein. Doch die Hintergründigkeit seines Textes offenbart sich wie immer zwischen den Zeilen. Raver, alte Hippie-Avantgarde, Künstler, Plattenlabelbesitzer und deren Hitparadengaranten sowie jede Menge Dosenbier und ein wenig Paranoia sind tonangebendes Metier. Mit lockerer Souveränität konstruiert der erfolgreiche Autor sowie Sänger und Texter der Folkrock Band „Element of Crime“ groteske Situationen, die trotz alledem nicht künstlich, sondern authentisch wirken. I-Tüpfelchen sind seine, den Text beherrschenden, brillanten, zum Teil inneren Dialoge, die sich durch einen kernig-lakonischen Witz auszeichnen. Hier läuft Karl Schmidt, alias Sven Regener, zu Höchstform auf und macht den augenscheinlich trivial wirkenden und leicht zu lesenden Roman zu einem kleinen „Sprachspaßkunstwerk“.
Fazit: Das „Lexikon des Internationalen Films“ schreibt über den Polaroid-Streifen der Beatles: „Witziger, unerhört rhythmischer Film, in dem die Beatles zahlreiche liebe Gewohnheiten der Briten persiflieren, aber auch sich selbst auf die Schippe nehmen. Die Zuneigung der Gesangsgruppe zu den Menschen aus den unteren Schichten, ihrer eigenen Herkunft, ist deutlich spürbar und macht den Film sympathisch.“ Auch Sven Regeners „Magical Mystery“ offenbart eine äußerst unterhaltsame Parodie auf die Raver-Szene Mitte der 90er Jahre, einer Subkultur, die zwischen Dilettantismus und Genialität schwankte.

Sven Regener
Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
Galiani Verlag Berlin (September 2013)
509 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 386971073X
ISBN-13: 978-3869710730
Preis: 22,99 EUR

Finanzen

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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