Manchmal werden aus einfachen, alltäglichen Materialien strahlende Kunstwerke

Berlin, morgens um 8 Uhr: Zwei Stunden vor Einlass beziehen die ganz Disziplinierten bereits Posten. Eher lässig veranlagte Kulturinteressierte versuchen ihr Glück dagegen erst, wenn im „Café Einstein“ an der Nordseite der Neuen Nationalgalerie alle essbaren Artikel schon ausverkauft sind und die Wartenden im Abendschatten zu frösteln beginnen. Mit der Ausstellung „Das MoMA in Berlin“ kamen 2004 mehr als 200 Meisterwerke des Museum of Modern Art in New York nach Deutschland: Ein Event der Superlative, eine Blockbuster-Ausstellung zur Freude von Kunstbegeisterten aus ganz Europa. Arbeiten von Jackson Pollock, Willem de Kooning oder Robert Motherwell, die zum abstrakten Expressionismus zu zählen sind, lösten heftige Debatten aus. Die sich um die Werke von Picasso, Matisse oder Chagall scharenden Besucherströme schrumpften ganz schnell um einige wenige, die sich dieser gegenstandslosen Kunst widmeten. Viele Besucher fanden sich in dieser aufgeladenen und doch höchst eigenen Bildersprache nur schwer zurecht. Moderne Kunst löst immer noch bei vielen ein großes Unverständnis aus.

Dem versuchen die Kunsthistorikerin Jacky Klein und Suzy Klein, die Musik in Oxford studierte und als Produzentin bei BBC arbeitet, entgegenzuwirken. Die beiden Schwestern wollen anhand von Werken aus eben jenem MoMA bei Kindern ab 10 Jahren ein Verständnis für die Kunst ab den 1960er Jahren und deren Intentionen – die Liebe zum Experiment und das Brechen von Traditionen – entwickeln. Nicht mehr nur Farbe, Tusche, Marmor und Bronze sind die vorherrschenden Materialien, mit denen der Künstler seine Kreativität umzusetzen versucht, sondern sie treten zuweilen selbst in Performances auf, machen Installationen oder produzieren Videos. Auch der Materialeinsatz kann sehr unkonventionell sein. Elefantendung, zerquetschte Autos oder auch Schokolade kommen zum Einsatz. „Indem sie Dinge umformen, die wir für alltäglich oder gar überflüssig halten, erfinden und erdenken zeitgenössische Künstler immer wieder Neues.“, so die Autorinnen.

Entstanden ist ein wunderbares Buch, das seine Leser mit Sicherheit zum Nachdenken anregt und sie assoziieren lässt. Nach Themen zusammengestellte Kunstwerke laden zum Erkunden der Ideen und Techniken von Künstlern aus aller Welt ein, die sich zum Beispiel mit Spielen, dem Weltall und merkwürdigen Monstern beschäftigen. Das Buch macht mit den Bausteinen der Kunst wie Formen, Linien und Farben bekannt und stellt manch überraschende Materialien wie elektrisches Licht oder leere Eierschalen vor. Es zeigt Jackson Pollocks auf die Leinwand geschleuderte Farbe, Vito Acconcis überdimensionalen, verstellbaren Wand-Büstenhalter oder Andy Warhols „Campbell's Suppendosen“.

62 zeitgenössische Künstler und ihre Kunstwerke werden in Bild und kindgerechtem Infotext sowie einer Kurzvita am Ende des Buches dem jungen Leser vorgestellt. Aber vor allem lädt es ein, die Objekte eigenständig zu erkunden, Frage zu stellen, Gefühle zu entwickeln und die Augen zu öffnen, um die Welt anders zu sehen, als sie auf den ersten Blick scheint.

Eine äußerst gelungene Inspiration – nicht nur für Kinder ab 10, sondern auch für Erwachsene.

Jacky Klein und Suzy Klein

Ist das Kunst? Ja!

Moderne Kunst kinderleicht verstehen

Dumont Verlag (Oktober 2012)

64 Seiten, Gebunden

ISBN-10: 3832193863

ISBN-13: 978-3832193867

Preis: 19,95 EURO

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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