Merkel, Precht und Co – die neuen Visionäre und die eigentliche Visionslosigkeit

Luftballons, Foto: Stefan Groß

Hierzulande gilt er als Vorzeige-Intellektueller, der in der medialen Welt fast Kultstatus genießt. Doch Richard David Precht spült immer nur das in den Diskurs, was andere schon dachten. Das hat der Vorzeige-Eklektiker mittlerweile fast perfekt inszeniert. Blamiert sind Deutschlands Intellektuelle. Doch Precht ist nicht der einzige, der das System Seifenblase zum Umgangsjargon gemacht hat.

Standen einst Raimund Popper, Jürgen Habermas, Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski für die intellektuelle Debattenkultur in der alten Bundesrepublik, für eine akademische Kultur mit Niveau, schwebt nebulös mit Richard David Precht nun ein richtiger Modephilosoph durch die medial abgeflachte Welt und bestimmt den Diskurs. Der promovierte Germanist ist für das ZDF der Guru schlechthin, wenn es um Sachen philosophische Aufklärung geht. Precht ist ein geschickter Selbstinszenierer und linker Ideologe, der sich als Weltretter regelmäßig aufspielt. Damit passt er wunderbar in die geriatrische Fernsehkultur, die unterhalten und halbseiden gebildet werden will. Monströs verkündet Precht das, was andere dachten, verabsolutiert dies und verkauft es als seine originäre Philosophie, er würfelt wie ein großer Magier alles zusammen, ist eklektisch und damit eigentlich postmodern – doch Lichtjahre von der immerhin denkerisch und spielerischen Postmoderne entfernt.

Die schöne Seifenblase des Pseudo-Talks

Precht ist der moderne Taschentrickspieler der Philosophie, der auf alles eine Antwort hat – eine Art Weltgewissen in Personalunion. Das Ganze verkauft er dann mit spielerischer Hochnäsigkeit, Arroganz und im Gestus der Besserwisserei wie ein Hohepriester und toleriert dabei nur seine je individuelle Meinung. Argumentativer Diskurs ist seine Sache eben nicht und so macht er die ganze Philosophie zu einer Nullitätenbude samt moralischem Zeigefinger. An die großen Denker der abendländischen Kultur reicht er in Bruchstücken nicht einmal ansatzweise heran. Was er verkauft, ist aufgeblasener Zeitgeist in monologischer Struktur. Und seine Sendung „Precht“ ist eine schöne Seifenblasenshow, die die intellektuelle Verflachung in ihrer Reinheit widerspiegelt und das akademische Gespräch ins Nirwana geschickt hat.

Die visionslose Tagespolitik

Nun hat Deutschlands „Vorzeigephilosoph“ – mit seinem spürbar antrainierten Wissen – der deutschen Politik Visionslosigkeit vorgeworfen und Kurzsichtigkeit bescheinigt. Precht, der die Elite verachtet, weil er aus keiner kommt, Precht, der alles verachtet und mit fast nietzscheanischer Dekadenz aushebelt, ,was nicht in seinen intellektuellen Baukasten passt, erklärte gegenüber dem „Focus“, dass er „niemanden aus der Riege der gegenwärtigen Spitzenpolitiker, der das Prädikat ‚Visionär’ zu Recht tragen würde“, wüsste. Der visionslosen Tagespolitik ermangele es nicht nur an Zeit, die enge Taktung ermögliche keine freien Blicke und man müsse „völlig unterschiedliche Themen gleichzeitig bearbeiten“. Der geistige Horizont sei durch den „Rhythmus der Legislaturperioden“ beschränkt und ferne Visionen kommen dem abhanden, der kleingeistig im Turnus von zwei bis drei Jahren denke. Die Wiederwahl ins politische Amt wird letztendlich als Kriterium der Kurzsichtigkeit benannt. Darüber hinaus will Precht die intellektuelle Elite des Landes mehr in politische und zukunftsweisende Diskussionen einbinden. Menschen, „die ausreichend Zeit, Intelligenz und Bildung besitzen, um über grundlegende Zukunftsfragen nachzudenken“ und deren Ideen zumindest in den „öffentlichen Diskurs eingespeist und debattiert werden.“

Darin mag Precht sicherlich recht haben, die intellektuelle Kultur hierzulande ist, wie es Arnulf Baring schon vor Jahren beschrieb, im Niedergang, doch mit seiner Kritik kocht Precht – als wäre er der Entdecker der Utopie – wieder nur das in seinem Suppentopf auf, was allzu bekannt ist.

Wir brauchen mehr Pragmatiker – Visionäre haben wir genug

Was wir brauchen, sind keine Visionäre, keine Gesinnungsethiker, sondern Pragmatiker und Verantwortungsethiker. Intellektuelle Besserwisser – wie Herrn Precht – haben wir genug.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel fühlt sich, so in ihrer Neujahrsansprache neuerdings verpflichtet, die Bedürfnisse aller Bürger im Auge zu haben. Doch ihre Vision bleibt ein multikulturelles Deutschland mit Sozialer Marktwirtschaft, der Ausverkauf klassischer Werte und vor allem ihrer eigenen Partei. Die Bundesbürger haben die Richtlinienkompetenz schlicht zu akzeptieren; wer rebelliert, dem droht der Maulkorb. Mehr DDR war nie nach der Wende im politischen Berlin. Kritik an ihrer Person lässt Merkel blindlings liegen. Mit ihrem Satz „Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten“, hat sie bei vielen deutschen Wählern endgültig verspielt.

Merkels Visionen von der Zukunft eines linken Deutschlands würden selbst bei Helmut Schmidt nur pures Entsetzen ausgelöst haben und sein damaliger Satz ist mittlerweile Legende: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“

Und auch dem deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier ist erst zu Weihnachten aufgefallen, dass viele Bundesbürger finanziell abgehängt sind, das ganze Regionen ausbluten, die Altersarmut gravierend steigt und die Schere zwischen arm und reich in Schwindel erregende Höhe schnellt. Und daraufhin entwickelt Steinmeier eine Visionen für die Sozialschwachen.

SPD-Funktionär und „Visionär“ Heiko Maas träumt gar von einer kritiklosen Gesellschaft, reguliert und bevormundet die Sozialen Medien. Die linke Bevormundungsrepublik erweist sich so als ein Verkehrswegesystem, das mittlerweile nur noch aus Verbotsschildern besteht. Seine Vision ist ein Redeverbot, zumindest, wenn es ungewünschte Kritik mit einschließt.

Und selbst der große Wahlverlierer und nun Neu-Sondierer, SPD-Chef Martin Schulz, hat gar die Vision von einem geeinten Europa, wie das – bei allen nationalen Verschiedenheiten und der weitgehenden Uneinigkeit in Sachen Flüchtlingsverteilung – funktionieren soll, darauf hat auch der ehemalige Präsident des Europäischen Parlamentes keine Antwort.

Kurzum: Sowohl aufgeblasene Gutmenschen-Philosophen als auch eine politische Kaste, die nur auf eine Wohl- und Floskelpolitik abstellt und letztendlich nur den eigenen Machtanspruch samt Wiederwahl sichern will, bleiben Seifenblasen-Statisten. Und die Große Koalition ist ein Sammelsurium von Visionären. Die künftige Große Koalition hingegen ein Weiter-so von lauter Visionslosen.

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2126 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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