Migrant ist nicht gleich Migrant

Die CSU, Parteien weiter rechts und im ganz rechten Abseits sind von Merkels Flüchtlingspolitik, sagen wir, nicht ganz so entzückt. Das haben sie mit einer Großzahl der deutschen Bürger gemein. Wie es sich allerdings mit den Menschen verhält, die selbst einen Migrationshintergrund haben, ist nicht ganz so ersichtlich. Man könnte vermuten, dass diejenigen, die selbst eine Migrationsgeschichte mit, gar in sich tragen (Mimimis, wie es so schön heißt), der fast vergessenen Willkommenskultur oder zumindest den Geflüchteten positiv gegenüberstehen. Denn auch sie oder ihre Eltern beziehungsweise Großeltern waren einst mit der Frage nach Identität konfrontiert, durchlebten Umbrüche, vielleicht auch Schwierigkeiten aufgrund ihrer Andersheit und Migration. Auch sie waren eine Zeit lang Fremde und mussten in gewisser Weise ein neues Leben beginnen.

Doch wer denkt, dies seien einschneidende biografische Ereignisse, der irrt. Zumindest öfter als man denkt. Verschiedene Faktoren sind dafür verantwortlich. Zum einen ist Migrant nicht gleich Migrant. Ein gebildeter Arbeitsmigrant ist kein Asylsuchender. Der Zuwanderer aus Osteuropa unterscheidet sich von dem aus Nahost. Zum anderen kann ein Mitbürger mit Migrationshintergrund sich vollkommen deutsch fühlen, sich seiner einstig angeblichen Andersheit ganz und gar entledigt haben. (Und das ohne Integrationskurs!) Schließlich mag es daran liegen, dass die Zuwanderer einer nachfolgenden Migrationswelle allzu oft um den gleichen Arbeits- und Wohnungsmarkt werben wie die vorausgegangener. So schreibt der Ökonom Paul Collier in seinem Buch Exodus: „Those who have already migrated lose, at least in economic terms, from the subsequent migration of others.“ Davon abgesehen sind einzelne Migrationsgruppen nicht immer ziemlich beste Freunde. Man denke da zum Beispiel an Erdoğan-Anhänger und Kurden.

Zunächst ahnte ich nicht, dass dieses Phänomen etwas mit meinem eigenen Migrationshintergrund zu tun haben könnte. Allerdings hatte ich bei meinen letzten Indienaufenthalten häufiger den Eindruck, manch einer meiner Freunde, sogar Verwandten, hätte gute Karrierechancen bei der AfD. Auch jemanden, der selbst einst nach Deutschland kam, um zu studieren, dann hier lebte, arbeitete. Vorwiegend wird das Argument angeführt, dass sich insbesondere die Kultur der Syrer, Iraker und Afghanen von der deutschen zu sehr unterscheide. Die der Inder anscheinend nicht. Auf die Frage, ob sie die Menschen wirklich an den Grenzen der Europäischen Union ihrem Schicksal überlassen hätten, heißt es: „Besser die als ihr.“

Natürlich ist das hier bestehende Ressentiment unter anderem der Erfahrung Indiens, besonders indischer Hindus, mit Muslimen geschuldet. Bereits die Geburt Bhārat Mātās oder Mutter Indiens samt seinen Umsiedlungen war in Blut getränkt. Dann folgte Krieg nach Krieg mit Pakistan, Anschläge und der anhaltende Konflikt in Kaschmir, das quasi seit Dekaden per Ausnahmezustand regiert wird. Trotzdem betonen indische Panditen wie Amartya Sen, dass die zweitgrößte muslimische Gemeinschaft der Welt relativ friedlich in Indien existiert und „Terroristen“ meistens aus dem Ausland stammen. Erfahrung mit Geflüchteten hat Indien selbst genug. Allein 1971 flüchteten zehn Millionen in Folge des Bangladesch-Krieges aus ehemals Ostpakistan nach Indien. Was Indiens eigene Asylpolitik betrifft, so ist diese jedoch nur schwerlich deutbar. Politische Flüchtlinge aus Tibet, den Dalai Lama mit Entourage, empfing man mit offenen Armen in Dharamsala. Andere Flüchtlinge (oft Muslime) werden nicht anerkannt und leiden unter Diskriminierung.

Menschen mit Migrationshintergrund sind nicht gleich Befürworter neuer Migration. Dass ein Rechtsrutsch der gesamten Gesellschaft – selbst wenn er sich anfangs nicht gegen alle Einwanderer oder Nachkommen solcher zu richten scheint – auch ihr Leben früher oder später negativ beeinflussen könnte, sollte sie dennoch stutzig machen. Zumindest tat es dies bei einigen meiner indischen Freunde. Denn letztendlich differenziert die Angst vor dem Fremden nicht.

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