Mit dem Beutel fing an, was heute die Handtasche ist

Wer ihn füllt, bereichert sich. Hat ihn der eine, hat der andere das Geld. Legt er die Hand drauf, ist er ein Geizkragen. Zieht er ihn, will er bezahlen, hält er ihn zu, weigert er sich, dies zu tun. Ist seiner leer, hat er kein Geld. Muss er tief hineingreifen, wird von ihm eine größere Summe verlangt. Wer daran arm ist, der ist am Herzen krank. Diese und andere Sprüche hat der Volksmund im Laufe von Jahrhunderten über den Beutel erfunden.
Die reichhaltige, unterhaltsame, traumhaft schöne neue Schau des Bayerischen Nationalmuseums kann und will nicht leugnen, dass das, was heute die (Hand-)Tasche ist, früher der Beutel war. Geld-Beutel, sogar Geldstrümpfe gibt es da und dort noch immer, Stielbeutel liegen nur noch im Museum. Ein museales lustiges Exemplar stammt aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Mit ihm setzt die kulturgeschichtlich geordnete Reihe der Behältnisse ein, die in der Hand zu tragen waren und, gewandelt und variiert, heute noch sind. Sie endet mit der eleganten Kuvert-Tasche, die die Dame von Welt des beginnenden 21. Jahrhunderts benützt. Die jüngste Henkeltasche, geschaffen von einer Designerin, ist aus grünlichem Leder und wird ins in die Wende 2013/14 datiert.
Dazwischen liegen derart viele Formen und Formate an Taschen, dass das, was dem Betrachter vor Augen kommt, diesem immer wieder ein Kopfschütteln abnötigt: Mini-Geldbeutelchen zum Zuziehen, einer gar geformt wie ein Schuh, dazu Lederbeutel mit Seidenstickerei aus dem 17. Jahrhundert, zünftige, meist aus dem Niederbayerischen kommende Zöger aus teilweise gefärbtemLeder, die die Rottalerinnen auf den Wochenmarkt mitnahmen, um mit Gemüse drin nach Hause zu kommen, vasenähnlich gebaute „Ridicules“ (in der Tat lachhaft!) aus Seide und Pappe, wie man sie in Bürgerkreisen zu Beginn des Biedermeier, keineswegs nur in Süddeutschland, trug, Reisetaschen, die tief blicken ließen, auf die ein Schoßhündchen als Begleiter unterwegs appliziert wurde (um 1860) – Vorläufer der Handtaschen.
Auffällig: Ein Teil der aus dem Fundus des BNM stammenden Stücke, vor denen frau/man mit Staunen steht, hat durchaus Motive aus der Volksfrömmigkeit aufzuweisen: Heiligenfiguren, das IHS-Zeichen oder paramentenähnliche Seidenstickereien mit Blumen und Symbolen, die sich auf Altardecken oder Messgewändern genauso wiederfinden lassen. Der Clou: Es gab noch vor ein paar Jahren regelrechte Gebetbuchtaschen, bestehend aus einem „Schott“ mit farbigen Lesebändchen, an Lederhenkeln zu tragen, allerdings nur von einer Frau. Männer würden so ein Stück wohl nie benützt haben.
Historisch Königlich-Fürstliches (wie die Aktenmappe des bayerischen Grafen Montgelas, die dieser sich 1808 in Paris mit seinem Namen auf Französisch hatte anfertigen lassen oder des Königs Ludwig I. Bügelbörse aus himmelblauem metallbesticktem Seidensamt, mit Atlas gefüttert und drei baumelnden Quasten um 1850) ist ebenso zu bewundern wie, in einem Bistro-gestylten Raum, Klassisch-Modern-Hochelegantes, das einst Damen vom Range einer Grace Kelly oder Marlene Dietrich mit sich führten(1950er Jahre), um ihre Utensilien samt Schnupftuch und Geldbörse zu bergen. Der vor drei Jahren als Bühnenbildner für eine Bellini-Oper in München gastierende französische Modedesigner Christian Lacroix kreierte 1989 einen putzigen rot-grün-weißen Henkeltaschen-Traum, vor dem die auf ihn stoßenden Damen allesamt in die Knie gehen dürften: Für sie waren und bleiben Taschen Objekte der Demonstration, aber auch der Sehnsucht. Wenn sie sie ihren Männern in die Hand drücken, damit sie sie ihnen ein Stück Weges trügen, sieht das possierlich – oder doch eher ziemlich blöd aus. Eine Handtasche ist Frauensache. Etwas anderes ist es, wenn es sich um den Beutel handelt: Dieses Ur-Taschen-Stück ist wiederum ganz und gar männlich besetzt.
Das Nützliche passt viel besser zum Mann als zur Frau, und das Schöne, Reizende, das einer Tasche eignet, gehört gar nicht unbedingt in erster Linie zum Mann. Zur reifen Frau allerdings eher als zur jungen. Die besitzt meistens noch gar nicht so viel „Zeug“, um es mit sich herumzutragen. Ihr Geldbeutelchen passt gut in die Jeanstasche. Ein Taschen-Ungetüm erübrigt sich für ein Mädchen von 17, 18 Jahren. Dennoch: Ob jung oder mittelalt oder schon Gruftie: Diese Taschen-Revue des BNM ist ein altersunabhängiges Schau-Vergnügen. Frau/Man sollte es sich auf keinen Fall entgehen lassen. Dauer: bis 25. August. Öffnungszeit: täglich von 10 bis 18 Uhr. Es gibt einen sehr schönen Bestandskatalog, dazu ein schmales Buch über Taschen des 20./21. Jahrhunderts, das kein Taschenbuch, sondern, bei aller Taschen-Geschmeidigkeit, fest gebunden ist

Über Hans Gärtner 456 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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