Nun geht es erst richtig los

Zwei italienische Journalisten waren es, Paolo Rodari und Andrea Tornielli, die im vergangenen Sommer das Buch mit dem etwas martialisch klingenden Titel „Angriff auf Ratzinger“ veröffentlicht haben. Das Buch beginnt mit einem längeren Zitat. Es spricht ein Kurienkardinal, der anonym bleiben will, aber seine Einschätzung des deutschen Pontifikats dennoch den beiden Autoren anvertrauen wollte. Und so diktierte er ihnen diese Sätze: „Ich habe immer noch, als ob es heute wäre, die Worte im Ohr, die ich einen damals äußerst einflußreichen Kardinal der römischen Kurie am Tag nach der Wahl Benedikts XVI. sagen hörte: ,Zwei, drei Jahre – länger als zwei, drei Jahre wird das nicht dauern’, wobei er seine Worte mit einer Art beschwichtigenden Geste begleitete. Joseph Ratzinger, der 78 Jahre alte Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, der gerade zum Nachfolger von Johannes Paul II. gewählt worden war, sollte ein Übergangspapst sein. Er sollte schnell wieder abgelöst werden und vor allem nicht allzu viele Spuren hinterlassen… Gewiss, auch Ratzinger selbst hat in der Sixtinischen Kapelle auf die Dauer seines Pontifikats angespielt. Ich habe noch das Bild von dem Augenblick vor Augen, in dem er die Wahl annahm.
Er sagte, er wolle den Namen Benedikt annehmen: einmal wegen der Bedeutung des großen heiligen Patrons von Europa, aber auch, weil das Pontifikat des letzten Papstes, der diesen Namen angenommen hatte, Benedikt XV., nicht von sehr langer Dauer gewesen sei und er sich für den Frieden eingesetzt habe. Doch ein Pontifikat, das aufgrund fortgeschrittenen Alters nicht lange dauert, bedeutet nicht, dass es keine Spuren hinterlassen kann. Auch das Pontifikat von Johannes XXIII. sollte ein Übergangspontifikat sein – und rein chronologisch betrachtet, war es das auch. Doch wie sehr hat es die Geschichte der Kirche verändert… Ich habe oftmals darüber nachgedacht: Nachdem klar war, dass das Pontifikat nicht so schnell vorüber sein würde, wie mancher das gehofft hatte, und dass es dazu bestimmt war, Zeichen zu hinterlassen, haben sich die Angriffe gegen Benedikt XVI. vermehrt. Und zwar Angriffe jeder Art. Einmal heißt es, der Papst habe sich unglücklich ausgedrückt, ein anderes Mal ist die Rede von einer Schwachstelle in der Kommunikation, wieder ein anderes Mal von einem Koordinierungsproblem zwischen den Kurienbehörden, dann wieder von der Unfähigkeit einzelner Mitarbeiter oder von einem gemeinsam abgestimmten Versuch subversiver Kräfte,
dem Ruf der Kirche zu schaden. Wollen Sie wissen, welchen Eindruck ich habe? Auch wenn der Heilige Vater de facto nicht einsam ist, auch wenn er von treuen Menschen umgeben ist, die versuchen, ihm zu helfen, wird er, objektiv betrachtet, bei vielen Gelegenheiten alleine gelassen. Es gibt keine Gruppe, die ihn angemessen unterstützt, die bestimmte Probleme zu verhindern weiß oder darüber nachdenkt, wie wirksam reagiert werden kann. Die versucht, seine eigentliche Botschaft klar zu machen und zu verbreiten, die so häufig verdreht wird. Tatsächlich lautet die Frage, die am häufigsten gestellt wird: Und wann kommt die nächste Krise? Mich überrascht auch die Tatsache, dass diese Krisen häufig nach wichtigen Entscheidungen eintreten… Ich frage mich zum Beispiel, was jetzt passieren wird, nachdem Benedikt XVI. mutig den heroischen Tugendgrad sowohl von Johannes Paul II. als auch von Pius XII. anerkannt hat.“
Soweit das Zitat des Kurienkardinals. Das sind Beobachtungen aus allernächster Nähe. Längst schon hat Benedikt XVI. begonnen, nicht nur den päpstlichen „Dienst nach Vorschrift“ zu machen, sich nicht nur auf seinen Apparat zu verlassen, sondern selber Initiativen zu ergreifen: So war es, als er sich entschloss, ein mehrbändiges Buch über Jesus Christus herauszubringen.
So war es erst recht, als er Peter Seewald die Antworten für das Interview-Buch „Licht der Welt“ in die Aufnahmegeräte sprach. Und so wird es in diesem Jahr wieder sein, wenn er Deutschland besucht. Sein Apparat hätte ihm vielleicht davon abgeraten. Aber der Papst hat gesehen, dass es in England möglich war, eine negative Stimmung ins Positive zu drehen. Und was auf der Insel möglich war, das wird wohl auch in seinem Heimatland möglich sein. Der Papst hat Mut, und Deutschland hat den Pontifex zum Thema. Von wegen ein „Übergangspapst“!
In diesem Jahr 2011 geht es nun so richtig los.

Guido Horst ist Chefredakteur des „Vatikan-magazin“, www.vatican-magazin.de

Finanzen

Über Horst Guido 35 Artikel
Guido Horst wurde 1955 in Köln geboren. Nach dem Studiun der Geschichte und Politologie arbeitete er für die katholische Presse als Journalist. Im Jahr 1998 übernahm Horst die Leitung der katholischen Zeitung Die Tagespost mit Sitz in Würzburg; 2006 gab er den Posten des Chefredakteurs ab und ging wieder nach Rom. Er wurde abermals Rom-Korrespondent der Tagespost und Chefredakteur der zusammen mit Paul Badde konzipierten Zeitschrift "Vatican-magazin".

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.