Rassist und Antisemit oder Patriot und Gelehrter?

Die Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald streitet über ihren Namenspatron

Zu den vielen Prominenten, die auf dem Alten Bonner Friedhof ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, gehören auch der bedeutende Schriftsteller, Historiker und Politiker Ernst Moritz Arndt (1769 bis 1860) sowie dessen Frau Anna Maria, eine Schwester des berühmten Theologen Friedrich Schleiermacher. Doch in Frieden ruhen kann das bekannte Paar aus dem 19. Jahrhundert schon seit einigen Monaten nicht mehr. Das liegt aber nicht daran, dass das Wurzelwerk der großen Eiche zwischen den Gräbern der Eheleute derart ausgeschlagen hat, dass die Standfestigkeit der beiden Kreuze nachhaltig erschüttert worden ist. Vielmehr ist es ein erbitterter Streit, der im vorpommerschen Greifswald ausgetragen wird. Die dortige Universität, 1456 gegründet und damit eine der ältesten deutschen Universitäten überhaupt, ist nämlich nach dem aus Groß Schoritz auf der Insel Rügen stammenden Ernst Moritz Arndt benannt.
Das soll sich aber nach dem Willen der Studenteninitiative „Uni ohne Arndt“ demnächst ändern. Ihrer Meinung nach sei Arndt ein Antisemit und Franzosenhasser, ein Rassist und Verfasser „unsäglicher völkischer Elaborate“, so ein Sprecher der Initiative. Nicht genug damit: Viele Kritiker sehen in Arndt, der in Greifswald unter anderen evangelische Theologie studierte und später dort Geschichte und Philologie lehrte, einen frühen Vordenker des Nationalsozialismus. Auf Antrag des deutschnationalen Frontkämpfervereins Stahlhelm wurde die Universität im Jahre 1933 in „Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald“ umbenannt, die entsprechende Urkunde wurde vom damaligen preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring unterzeichnet.
Doch das Vorhaben der Initiative, mit einer Abstimmung unter der Studentenschaft ein eindeutiges Votum für die Umbenennung zu erhalten und damit die letztlich entscheidende Instanz, den Senat der Universität, zur Umbenennung in „Universität Greifswald“ zu motivieren, ist gescheitert. Von den 23 Prozent der 12 300 Studierenden, die zur Wahl gingen, votierten 43 Prozent für eine Umbenennung, 49 Prozent stimmten für die Beibehaltung des Namens. In absoluten Zahlen ist das zwar nur ein Vorsprung von 181 Stimmen, doch für die Vertreter der Initiative, die mit rund 60 Prozent Zustimmung gerechnet hatten, ist das eine empfindliche Schlappe.
Kein Wunder, dass die Gegner der Umbenennung das Ergebnis mit Freude und Genugtuung aufgenommen haben. Ihre Argumentation, etwa vom Ring Christlich-Demokratischer Studenten vorgetragen, stellt Arndt als frühen Demokraten dar und hebt dabei insbesondere dessen Engagement in der Frankfurter Paulskirche hervor. Wie viele andere Personen – Martin Luther, Heinrich von Kleist, Richard Wagner – müsse auch die Person und das Wirken von Arndt in seinen historischen Kontext eingeordnet werden. So würden etwa sein Kampf gegen die Besatzung durch Napoleon und sein Eintreten für die nationale Einheit erklärlich. „Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze“ ist sicherlich eine der bekanntesten Schriften, die dieses Engagement ebenso illustrieren wie etwa der „Geist der Zeit“, in der er Grundzüge einer deutschen Verfassung skizzierte. Dass Arndt mit seinen Schriften zudem wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Leibeigenschaft sowie die Patrimonialgerichtsbarkeit im damaligen Schwedisch-Vorpommern aufgehoben wurde, mag einer der Gründe sein, warum der universal gelehrte Arndt auch die DDR unangetastet überdauerte, ja dort oftmals als beispielhafter Kämpfer gegen den Feudalismus benannt wurde.
Auch später blieb der weit gereiste und in unterschiedlichsten verantwortlichen Stellen tätige Arndt seinen Überzeugungen treu. Am 18. Mai 1848 war der inzwischen im Rheinland beheimatete Mann aus Pommern als Abgeordneter für Solingen in das Frankfurter Paulskirchenparlament eingezogen und amtierte darüber hinaus als Alterspräsident. Zudem war er Mitglied der sogenannten Kaiserdeputation, die dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. – erfolglos – die Kaiserkrone angetragen hatte. Trotz des Scheiterns der Versammlung blieb Arndt als patriotischer Schriftsteller tätig. Sein berühmtes Lied „Was ist des Deutschen Vaterland?“ war für viele Jahre die inoffizielle Hymne der deutschen Einheitsbewegung.
Noch zu Lebzeiten wurde Arndt hoch verehrt und geachtet. In Bonn, wo er an der dortigen Universität lange Jahre als Rektor gewirkt hatte und seinen Lebensabend in einem malerischen klassizistischem Haus mit Rheinblick verbrachte, feierte er unter großer öffentlicher Anteilnahme seinen 90. Geburtstag. Wenige Wochen darauf starb er, am 29. Januar jährt sich sein Todestag zum 150. Mal.
Wie unterschiedlich die Rezeption und Inanspruchnahme von Arndt in der jüngeren Vergangenheit immer wieder ausgefallen ist, verdeutlicht auch ein Hinweis auf die Gegner von Adolf Hitler in der Wehrmacht. Auf der Gründungsversammlung des Nationalkomitees Freies Deutschland im Jahr 1943 beriefen sie sich auf einen Ausspruch von Ernst Moritz Arndt: „Denn wenn ein Fürst einen deutschen Soldaten befiehlt, Gewalt zu üben gegen die Unschuld und das Recht, (…) müssen sie nimmer gehorchen.“
Ob Arndt tatsächlich mit seinem Nationalismus des 19. Jahrhunderts zu den geistigen Wegbereitern des Nationalsozialismus im 20. Jahrhundert zu zählen ist und daher der Universitätsname abgeschafft werden sollte, muss nun der Senat des Alma Mater entscheiden. „Eine eigens eingesetzte Namenskommission mit sechs Historikern und vier Senatsmitgliedern wird im Februar eine Empfehlung abgeben, und Mitte März wird es dann hoffentlich einen Senatsbeschluss geben“, erklärt die Senatsvorsitzende Maria-Theresia Schafmeister auf Anfrage. Ab April amtiert ein neuer Senat und dem solle diese „Altlast“ nicht unbedingt mitgegeben werden. Zur Meinungsbildung habe es daher auch mehrere öffentliche Debatten sowie eine wissenschaftliche Anhörung gegeben. Im Übrigen sehe sie die Diskussionen mit Gelassenheit, den Namensstreit habe es schon vor Jahren einmal gegeben und werde es wohl auch immer wieder einmal geben.
Ob die Professorin womöglich die Tafel an Arndts Grab im Hinterkopf hatte? Tröstlich lesen sich die Worte, geradezu eine Mahnung zur Gelassenheit: „Gute Nacht, ihr meine Freund‘/ihr meine Lieben/alle, die ihr um mich weint/Lasst euch nicht betrüben/Diesen Abstieg, den ich thu/in die Erde nieder/Seht die Sonne geht zur Ruh/kommt doch morgen wieder.“

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Über Constantin Graf von Hoensbroech 74 Artikel
Constantin Graf von Hoensbroech absolvierte nach dem Studium ein Zeitungsvolontariat über das "Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses - ifp". Nach Stationen in kirchlichen Medien war er u. a. Chefredakteur von "20 Minuten Köln", Redaktionsleiter Rhein-Kreis-Neuss bei der "Westdeutschen Zeitung", Ressortleiter Online bei "Cicero" sowie stellvertretender Pressesprecher der Industrie- und Handelskammer zu Köln. Seit März 2011 ist er Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation der Rheinland Raffinerie der Shell Deutschland Oil GmbH.

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