Reinhard Kardinal Marx und die Freiheit

Reinhard Kardinal Marx, Foto: Stefan Groß

Er ist einer der ranghöchsten Würdenträger der katholischen Kirche Deutschlands, war der jüngste Kardinal der Welt, ist Bestsellerautor und Kämpfer für soziale Gerechtigkeit. Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx mischt sich immer wieder in die Politik ein, sei es bei den Missbrauchsfällen oder in der Flüchtlingskrise. Marx geht es dabei um die Freiheit des Einzelnen und um die Nachhaltigkeit der Verantwortung in Zeiten der Globalisierung.

Reinhard Kardinal Marx ist alles in Personalunion: frommer Christ, Hirte des Freisinger Bistums, Chef aller deutschen Katholiken und einer der einflussreichsten Kardinäle weltweit. Unter den deutschen Bischöfen ist er mittlerweile zur Zentralfigur und Ikone aufgestiegen, verleiht der Katholischen Kirche hierzulande ihr Gesicht. Ob Weltkirche in Rom oder europäische Wertegemeinschaft in Brüssel – Marx spielt auf allen Klaviaturen, ist gefragter Redner und gern gesehener Gast auf vielen Bühnen. Er ist zudem ein enger Vertrauter von Papst Franziskus geworden. Manche in der katholischen Kirche halten ihn gar für einen denkbaren Nachfolgekandidat in Rom.

 Der Missbrauchs-Krisenmanager

Der Münchner Kirchenfürst ist wortgewaltig, redegewandt, politisch versiert und lässt sich vom Zeitgeist nicht erschüttern oder einschüchtern. Seine Persönlichkeit hat etwas Barockes, obwohl er aus dem bodenständigen Westfalen kommt. Das Selbstbewusstsein gepaart mit Intelligenz, Wortgewalt und Humor verleiht ihm große Präsenz und Autorität. Das eigentliche Faszinosum aber ist sein Vertrauen auf das freie Denken und Reden. Es ist im besten Sinne Kantianer, der Mut hat sich seines Verstandes zu bedienen. Marx versteckt sich nicht hinter Dogmen oder einem Säulenwald aus Ritualen – er fordert den Glauben als unmittelbaren Akt der eigenen Persönlichkeit. Ihm ist Gott ein Du, das ein freies Ich braucht. Es ist diese Souveränität der Freiheit, die seine Wirkung als Prediger entfalten läßt. Er spricht nicht gestelzt und in Phrasen, er spricht wie er denkt und fühlt und glaubt.

Auch wenn er leidet, tut er das. Beim Missbrauchsskandal zum Beispiel, der Deutschland im Jahr 2010 erschütterte und zu einer schweren Krise und Bewährungsprobe der katholischen Weltkirche wurde, hatte der Münchner Erzbischof klare Worte gefunden, konsequent aufgeklärt, durchgegriffen und drastische Sanktionen gegen die pädophilen Täter verhängt. Er war einer der wenigen, der sich mit seiner akribischen Sichtung der Akten sich einen Überblick über das sexuelle Fehlverhalten der Geistlichen und anderer kirchlicher Mitarbeiter gegenüber Minderjährigen und Schutzbefohlenen verschaffte. Reinhard Kardinal Marx hat in diesen düsteren Zeiten wieder ein wenig Licht in die verdunkelten Kirchenmauern gebracht, sei es im Kloster Ettal oder in Berlin. Dass sich Marx auch unangenehmen Entschlüssen stellt, wenn es um persönliches Fehlverhalten geht, zeigte sich in der Causa Mixa und Causa Tebartz –  erzwungener Amtsverzicht war die Konsequenz. Zugleich gibt er einer verunsicherten Kirche aber auch die Sprache und das Selbstbewusstsein zurück. Heute kann man sagen, dass er die katholische Kirche souverän aus dieser Krise herausgeführt hat.

Flüchtlingskrise und AfD

Aber auch im krisengeschüttelten Deutschland der Flüchtlingskrise rief der Münchner Erzbischof zu Besonnenheit auf, zu christlicher Hilfe und Solidarität mit den Ankommenden. Dass er dabei – insbesondere vom rechten Rand der Gesellschaft – immer wieder kritisiert wurde, hat ihn wenig beeindruckt, noch sein Insistieren auf das Gebot der Stunde, die Not zu lindern, geschwächt. Wie Angela Merkel sieht Marx das Gebot der Hilfe und der Solidarität als kategorischen Imperativ der Nächstenliebe, der Christlichen Soziallehre. Gegenüber der AfD und politischen Angstkampagnen ist der Münchner reserviert, mahnt vor dem Rede- und Diskussionstil von „Scharfmachern und Fundamentalisten“.

Papst Franziskus und Reinhard Marx

Immer wieder sucht der Papst der Armen und Entrechteten, Papst Franziskus, die Nähe zum Münchner Erzbischof. Die Liste der Verantwortlichkeiten, die Marx in der Kurie und in den verschiedensten päpstlichen Institutionen übernommen hat, liest sich wie das Who’s who eines, der in der Karriereleiter ganz weit oben steht. Neben der Barmherzigkeit, einem Begriff der zum Leitmotiv des römischen Pontifex geworden ist, ist es der Reformwille des argentinischen Papstes, seine angestrebte Kurienreform, für deren Umsetzung er den Politikstrategen Marx braucht. Marx ist ein Macher – dies goutiert auch das nunmehr etwas liberalere Rom.

Kritik am Raubtierkapitalismus

Wie Papst Franziskus geht es dem Münchner Kardinal, dem ehemaligem Bischof von Trier und Professor für Christliche Soziallehre, um den Gedanken der Nachhaltigkeit, gerade mit Blick auf die globale Wirtschaft. Marx Berufung in den Wirtschaftsrat des Vatikans ist ein Zeichen wie sehr ihm der Papst auch als Wirtschaftsfachmann vertraut. „Diese Wirtschaft tötethatte Franziskus vor einigen Jahren geschrieben. Was der oberste Kirchenhirte kritisiert, ist ein Kapitalismus, der sich entgrenzt, der sich ins Maßlose entfremdet und den Menschen übersteigt, ihn – gut kantisch gesprochen, nur zum Mittel und nicht zum Zweck seiner selbst macht.

Genau vor dieser ausufernden Wirtschaft warnte auch der Münchner Kardinal: „Wirtschaft und Gesellschaft sollen nicht nur effizient, sie sollen auch gerecht sein.” Das Prinzip einer Sozialen Marktwirtschaft wie es Marx vor Augen hat und wie er sie in seinem renommierten Buch „Das Kapital“ entfaltet, basiert dabei auf den Prinzipien der Solidarität, Personalität und Subsidiarität, der Gemeinwohlorientierung und dem Prinzip der Nachhaltigkeit – letztendlich einer wirtschaftlich fundierten Ethik, die ihr Fundamente in der Christlichen Soziallehre hat und für die Namen wie Wilhelm Emmanuel von Ketteler, Adolph Kolping und Oswald von Nell-Breuning stehen.

Aber Marx bringt auch immer wieder den Ordoliberalismus  als ein Ordnungsgefüge ins Gespräch, das dem Menschen den Spielraum der Freiheit belässt und ihn in einen Staat einbindet, der die Rahmenbedingen für seine Freiheit schafft. Für den Münchner Kardinal bleibt Freiheit immer das große Wort der Stunde, die geschöpfliche Freiheit einerseits und die Verantwortung zur Freiheit andererseits. Seine Theologie ist eine der Freiheit, wenn man so will eine Freiheits-, aber nicht Befreiungstheologie, denn von Leonardo Boff und der Theologie der Befreiung unterscheidet er sich dennoch gravierend.

Freiheit ist das A und O 

Im Jahr 2011 hat der renommierte Verfassungsrichter Paul Kirchhof in seiner Laudatio auf Kardinal Marx, der den „Preis Soziale Marktwirtschaft“ von der Konrad-Adenauer-Stiftung erhielt, dessen Freiheitsbegriff als „Freiheit der aufgeklärten Freiheit“ bezeichnet. Marx’ Credo: Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“, sein Bischofsmotto (Ubi spiritus domini, ibi libertas), spiegelt sich nicht nur im Risiko der Freiheit, in der Verantwortung der Freiheit, in der Demut und Bescheidenheit der Freiheit, in ihrer Endlichkeit, sondern auch in der wirtschaftlichen Dimension dessen, was Marx unter Freiheit versteht. Theologisch ist Freiheit die Freiheit vor Gott, wirtschaftlich verstanden ist die Freiheit des Marktes, aber, gut hegelanisch, eine Freiheit in der Notwendigkeit. Zuwider ist dem Kardinal, der sich für die Armen und für die Flüchtlinge als Globalisierungsverlierer engagiert, ein unbezähmbarer Raubtierkapitalismus. Vielmehr plädiert er im Umkehrschluss für eine Synthese zwischen Sozialer Marktwirtschaft und einem eingehegten Kapitalismus, der auch Verantwortung gegenüber den Marktteilnehmern übernimmt, gerade in Zeiten,  wo die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander zu driften droht. Marx ist daher ganz nah bei Konrad Adenauer, der bereits 1946 schrieb: „Die Wirtschaft soll dem Menschen dienen, nicht der Mensch der Wirtschaft.” Aber auch Walter Eucken, Wilhelm Röpke, Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard sind für Marx Kronzeugen. Und mit dem Begründer des deutschen Wirtschaftswunders, Ludwig Erhard, geht Marx konform. Der ehemaliger Wirtschaftsminister schrieb einst: „Die Wirtschaft ist vielleicht das Primitivste, aber sie ist auch das Unentbehrlichste; erst auf dem Boden einer gesunden Wirtschaft kann die Gesellschaft ihre eigentlichen und letzten Ziele erfüllen.” Je stärker sich eine Wirtschaftsordnung, so der Münchner Kardinal, an den zeitlosen Prinzipien der Personalität, der Subsidiarität, der Solidarität, der Gemeinwohlorientierung und Nachhaltigkeit orientiert, umso mehr entspricht sie einer Ordo Socialis – einer vernünftigen Ordnung des menschlichen Zusammenlebens.

Der Text erschien zuerst auf „The European“

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2127 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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