Revolte, Underground-Kultur und minimalistische Kunst: Lowbrow

Robert Williams: Appetite for Destruction
Der Begriff Lowbrow als „anspruchslose Kunst“ wurde bewusst gewählt, um sich von der „hohen Kunst“ Mitte des 20. Jahrhunderts, die noch immer den Mainstream beherrschte, abzugrenzen. In einem Artikel in der Ausgabe seiner Zeitschrift Juxtapoz im Februar 2006 erklärte Robert Williams, dass er im Jahr 1979 zusammen mit Gilbert Shelton beschloss, ein Buch mit Willams‘ Werken zu erstellen. Williams setzte durch, dass das Buch den selbstironischen Titel „Die Lowbrow-Kunst von Robt. Williams,“ tragen sollte, da kein renommiertes Kunstinstitut dies als Kunst bezeichnen würde. Museen, Kunstkritiker und Mainstream-Galerien sahen zunächst die Lowbrow-Bewegung nicht als Kunst an.[1] Obwohl der Comic in fortschrittlichen Künstlerkreisen (Picasso, Miro, Resnais, Fellini) als Mittel der Grenzüberschreitung beliebt war, war der elitäre Dünkel der „hohen Kunst“ noch weit verbreitet. Einige Kunstkritiker bezweifelten, dass Lowbrow eine „legitime“ Kunstbewegung sei. Viele hatten Schwierigkeiten mit dem figurativen Fokus des Lowbrows, den Anbau von Erzählung, und die starke Wertschätzung der technischen Fähigkeiten. Alle diese Aspekte der Kunst wurden in den Kunstakademien und von den Kuratoren und Kritikern in den 1980er und 90er Jahren abgelehnt. Reiner Wilk spricht aber mit Recht von einer Wechselbeziehung von „hoher“ und „anspruchsloser“ Kunst: „Die Beziehung zwischen der Hochkultur und der vom Kunstbetrieb akzeptierten Kunst einerseits und der Populärkunst andererseits zeichnet sich durch ein wechselseitiges Spannungsverhältnis aus. Einerseits grenzt sich die (hohe) Kunst von der auf Unterhaltung und Kommerz ausgerichtete Populärkunst ab, andererseits dient die Populärkunst, wie vorher die Volkskunst, als immer neue Inspirationsquelle für eine zeitgemäße Kunstproduktion.“[2] Lowbrow Art ist eine Kunstströmung, die sich jenseits der etablierten Galerien- und Museumsszene innerhalb in Kalifornien entwickelte.[3] Es ist eine weit verbreitete populäre Kunstbewegung mit den Ursprüngen im Untergrund der Comic-Szene, der Punk Musik, der „not rod“-Straßenkultur und anderer Subkulturströmungen wie der Tattoo-Szene. Seit den 1960er Jahren entstand ein völlig neues Phänomen der der Herausbildung eines eigenen, internationalen Feldes der Comicproduktion, das eine eigenständige Legitimität beansprucht. Die ersten Ausstellungen wurden in alternativen Galerien in New York und Los Angeles, wie Psychedelic Solutions Gallery in Greenwich Village, New York City durchgeführt. Die meisten Lowbrow Werke sind Gemälde, es existieren aber auch digitale Kunst, Skulpturen und Spielzeug.
Zu den Künstlern der ersten Generation des Lowbrow gehörten Robert Williams, Nick Griffin, Gilbert Shelton, Victor Moscoso und Robert Crumb. Die frühen Arbeiten waren bestimmt von apokalyptischen Motiven, phantastischen Gestalten aber leider auch Gewalt und Sexismus.
Rick Griffin (18.6 1944-18.8.1991) war ein US-amerikanischer Plakat- und Comic-Zeichner im psychedelischen Stil. Neben Stanley Mouse, Alton Kelley, Victor Moscoso und Wes Wilson gehörte Griffin zu den führenden Protagonisten der Plakatkunst der 1960er Jahre, den San Francisco 5. Griffin zeichnete auch Underground-Comix für verschiedene Magazine. Er entwarf auch Schallplattencover wie das von Grateful Deads Aoxomoxoa, das von der Musikzeitschrift Rolling Stone zum achtbesten Albencover aller Zeiten gewählt wurde. Immer wiederkehrende Motive in seinen Zeichnungen waren Phantasiegestalten wie Monster, Pilze und verfremdete Indianergestalten.
Gilbert Shelton gilt als einer der Gründerväter des amerikanischen Underground-Comics („Comix“). Seine bekanntesten Comicserien sind The Fabulous Furry Freak und Fat Freddy's Cat, die die beiden Serien hohe Auflagen in vielen Ländern erreichten.
Victor Moscoso gehörte zu den San Francisco 5 und machte sich durch die Herstellung von psychedelischen Rock-Plakaten, Anzeigen und Underground-Comics in San Francisco in den 1960er und 1970er Jahren einen Namen. Seine Plakatkunst für Clubs oder Tanzlokale in San Francisco und Umgebung machten ihn ebenfalls bekannt.
Robert Crumb schuf in Haften wie Zap Comic Figuren, die sich gegen das kulturelle Establishment zu dieser Zeit wandten. Seine Comic-Stil und die damit verbundenen satirischen Werke zogen eine Reihe von jungen Künstlern an. die sexuell und politisch anstößig wirkten. Seine Zeichnungen wurden aber auch zu Recht als sexistisch und teilweise rassistisch kritisiert. Weiterhin entwarf er für Janis Joplin das Frontcover für ihr Album Cheap Thrills und die Schrift für das Album I Got Dem Ol' Kozmic Blues Again Mama!.
Robert Williams ist vielleicht der bekannteste Vertreter der Lowbrow-Kunst. Seine psychedelischen Bilder und Comics waren beeinflusst von filmischer Apokalyptik, phantastischer Literatur und Film Noir. Er produzierte Zap-Comics und gründete das Juxtapoz Art & Culture Magazine. Seit den 1980er Jahren wurde er von der aufkommenden Punk-Rock-Bewegung inspiriert und wurde vor allem mit seinen Zombie Geheimnis Gemälden einem breiteren Publikum bekannt.
Die Lowbrow-Kunst war in kultureller und gesellschaftspolitischer Hinsicht eng mit dem „Summer of Love“ in San Francisco mit dem Höhepunkt 1967 verbunden. Im Winter 65/66 gab die ersten großen, mehrtägigen Partys und Festivals in San Francisco und es entwickelte sich eine Subkultur, die immer mehr Anhänger fand. Der Grafiker Wes Wilson benutzte für Poster zu diesen Partys neuartige grafische Formen, aus denen die psychedelische Kunst entstand.[4] Durch das Monterey International Pop Festival vom 16. bis 18. Juni 1967 etablierte sich die Hippie-Bewegung auch außerhalb der USA.
Das von Robert Williams gegründete Magazin „Juxtapoz“ ist die erforlgreichste Kunstzeitschrift in den USA.[5] Die aktuell wichtigsten Zeitschriften neben „Juxtapoz“ sind das Raw Vision Magazin, das Farbbilder und Kurzbeiträgen von Nicht-Mainstream-Künstlern herausbringt. Das Decay Magazine dokumentiert die Konvergenz der Bildenden Kunst, Graffiti, Design, Mode, Musik und andere moderne Formen der Kunst. In Großbritannien ist das Kunst und Lifestyle Magazin Pinstriping & Kustom Graphics Magazine mit Künstlern aus der ganzen Welt führend.
In Europa dienten Werbeplakate von Henri Toulouse Lautrec, Alfons Mucha, Theophile Steinlein, Jules Cheret oder Leonetto Cappiello als Vorbilder der figurativen Kunst. Der Durchbruch des Lowbrows in Europa bedeuteten die erste Urban Art Messe „Stroke 01“ in München 2009, das „Ne dans la rue“ Projekt in Paris sowie das Nuart Festival in Norwegen. Flankiert von Ausstellungen europäischer Galerien setzte sich Lowbrow auch allmählich als anerkannte Kunstrichtung durch.
Der deutsche Künstler Heiko Müller ist mit Lowbrow-Kunst international sehr erfolgreich; seine Arbeiten werden von Galeristen in den USA, Spanien und Italien betreut. Mit Kombinationen aus Computergraphiken und mittelalterlichen Ikonen des Christentums wurde er einem breiteren Publikum bekannt. In der jüngeren Vergangenheit verlegte er sich vor allem auf Tierporträts in einer apokalyptischen Atmosphäre. Müller selbst bezeichnet seine Kunst eher als „Assoziativen Realismus“. Seine Werke wurden unter anderem in New York, Los Angeles, Seattle, Chicago, Paris, St. Petersburg und Tartu/Estland ausgestellt. In der BRD schuf Müller zusammen mit dem Galeristen Ralf Krüger die seit 2006 jedes Jahr stattfindende „Don’t Wake Daddy“ Ausstellungsreihe von Lowbrow-Kunst und Pop-Surrealismus in Hamburg, an der bedeutende Künstler aus Europa und den USA teilnehmen.


[1] Anderson, K.: Pop-Surrealismus. Der Aufstieg der U-Bahn-Kunst, San Francisco 2005, S. 17
[2] Wilk, R.: Aspekte der Kulturgeschichte, Berlin 1993, S. 75f
[3] http://deutsch-themen.de/lowbrow_(art_movement)
[4] The Charlatans und die befreundeten The Family Dog erfanden schon im Sommer 1965 auf einer gemeinsamen Tour einen Musik- und Tanzstil, der als psychedelisch bezeichnet wurde.
[5] Dukes Jordan, M.: Weirdo Deluxe: die wilde Welt der Pop-Surrealismus und Lowbrow-Kunst. San Francisco 2005, S. 23

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Über Michael Lausberg 545 Artikel
Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.

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