Sebastian Kurz: Wenn wir unsere Grenzen schützen, bekommen wir mehr Stabilität in Europa

Sebastian Kurz, Foto: Stefan Groß

Sehr geehrter Herr Premierminister! Sehr geehrte Damen und Herren!

Vor allem geschätzter Herr Botschafter! Vielen Dank für die Einladung.

Sie haben mich begrüßt mit den Worten „Langzeit-Teilnehmer“. Ich weiß nicht, ob man nach 5 Jahren wirklich von Langzeit-Teilnehmer sprechen kann, aber für die Perspektive eines 31-Jährigen sind 5 Jahre definitiv ein langer Zeitraum.

 

Als jemand, der in Österreich aufgewachsen ist, mit einer ganz anderen geografischen Lage als Polen, mit einer ganz anderen Geschichte, war für mich Sicherheit Zeit meines Lebens eigentlich etwas Selbstverständliches. Etwas über das man gar nicht viel sprechen oder nachdenken musste, weil es ja ohnehin gottgegeben war. In den letzten Jahren hat sich hier auch bei uns der Blick und auch der Blick meiner Generation sicherlich etwas verändert. Während in den vergangen Jahrzehnten militärische Bedrohungen und auch Terrorismus zwar stattgefunden haben, aber weit weg von uns in anderen Regionen dieser Welt, haben auch wir mitten in Europa als jüngere Generation miterleben müssen, dass Sicherheit oftmals nicht so selbstverständlich ist, wie wir das gerne hätten.

 

Die Ukraine-Krise ist noch immer weit von einer Lösung entfernt, im Nahen Osten ist der arabische Frühling mittlerweile zum Winter geworden und in Afrika ist der Migrationsdruck, der uns destabilisieren kann nicht gelöst sondern nach wie vor stark vorhanden bzw. mit sehr viel Potential nach oben. Und wenn wir etwas weiter weg blicken, dann merken wir auch hier haben sich die Machtzentren verschoben.

 

Die USA ist zwar wirtschaftlich stark wie schon lange nicht, aber hat sich von der Weltbühne mehr und mehr zurückgezogen. Und China füllt das Machtvakuum vor allem im Politischen und vielleicht hat sich auch ein Spiel verändert. Wenn es früher oft so gewirkt hat als würden die Großen die Kleinen fressen können, so ist heute vielmehr der Eindruck, dass die Schnellen die Möglichkeit haben, die Langsamen auf unserer Welt zu fressen. Aber nicht nur die Herausforderungen um uns herum haben zugenommen, sondern wenn ich auf die Jahre, die ich jetzt als Außen- und Europaminister erleben durfte, so habe ich auch das Gefühl, dass die Herausforderungen in der Europäischen Union mehr geworden sind und dass wir da und dort falsch abgebogen sind.

 

Um dauerhaft Frieden in der Europäischen Union sicherzustellen, haben wir vor langer Zeit die Grenzen innerhalb der Europäischen Union abgebaut. Doch ohne einen ordentlichen Außengrenzschutz sind diese Grenzen in Gefahr und das was für mich eigentlich immer unvorstellbar gewirkt hat ist Wirklichkeit geworden: Nämlich dass wir innerhalb der Europäischen Union wieder Grenzkontrollen gestartet haben. Nur wenn wir selbst entscheiden, wer zu uns zuwandern darf und wer nicht, nur wenn wir selbst unsere Außengrenzen schützen, werden wir sicherstellen können, dass das Europa ohne Grenzen nach innen auch in Zukunft Selbstverständlichkeit ist. Und um dauerhaft Wohlstand zu sichern haben wir als Europäische Union

 

einheitliche Rahmenbedingungen geschaffen und einen Binnenmarkt auf die Beine gestellt. Aber wenn wir uns aber heute anschauen, wie stark die Flut an Regulierungen ist, wenn wir zuhören, dass immer mehr kleine und mittelständische Unternehmen über diese Regierungsflut klagen, dann glaube ich müssen wir uns bewusst sein, dass wir den Wohlstand nur dann auch sichern können, wenn wir Rahmenbedingungen schaffen, in denen auch kleine und mittelständische Unternehmen weiterhin das Gefühl haben, dass sie diese Rahmenbedingungen auch nutzen können.

 

Nicht nur, dass wir in einigen Bereichen vielleicht falsch abgebogen sind, ich hab oft auch das Gefühl, dass wir uns immer stärker in gegenseitigen Widersprüchen verlieren und uns Strukturen schaffen, die vielleicht nicht mehr ganz so handlungsfähig sind wie sie sein sollten. Ich habe in den letzten Jahren als Europaminister miterleben müssen, dass wir uns als Europäische Union teilweise verhalten wie ein altes Ehepaar. Der Westen, der über den Osten klagt, der Norden, der über den Süden schimpft und auch die selbsterklärte Avantgarde, die immer wieder Sorge äußert über die von vermeintlich Rückständigen in der Europäischen Union. Ich habe den Eindruck, dass wir in der Europäischen Union die Notwendigkeit haben, bei diesen Entwicklungen gegenzusteuern. Viele von Ihnen haben mitgewirkt, die Europäische Union aufzubauen, sie zu stärken, sie zu dem zu machen, was sie ist und was sie sein kann. Und ich gehöre einer Generation an, die stets von dieser Entwicklung profitiert hat und die auch sehr dankbar für diese Europäische Union ist.

 

Als ich 18 war durfte die Erweiterung der Ost-Mitgliedstaaten miterleben. Wir haben das gemeinsam gefeiert. Heute – 14 Jahre später – erleben wir erstmals den Austritt eines Staates aus der Europäischen Union. Und ich glaube, wenn wir als Europäische Union wieder stärker werden wollen, dann ist es notwendig uns vielleicht wieder etwas stärker auf das zu besinnen, was ursprünglich die Idee der Europäischen Union war. Auch wenn das Motto erst in den 2000er Jahren entstanden ist, so bringt das Motto „In Vielfalt geeint“ meiner Meinung nach doch sehr gut auf den Punkt, was die Europäische Union eigentlich ausmachen sollte und ausmachen kann. Ich glaube wir müssen darauf Acht geben, dass aus dem Motto „In Vielfalt geeint“ nicht immer mehr das Motto entsteht „In Gleichheit getrennt“.

 

Wir versuchen als Europäische Union in immer mehr Bereichen einheitliche Regelungen zu schaffen und es geht vielleicht da und dort der Fokus auf die wesentlichen, großen und wichtigen Fragen verloren. Ich glaube aber, dass es genau diesen Fokus und das Rückbesinnen auf die zentralen Fragen braucht, damit wir auch international die Stärke haben, die wir brauchen. Wenn wir uns in der Europäischen Union auf die großen Fragen fokussieren, dann wird es uns auch gelingen, mehr Stärke im internationalen Konzert zu entwickeln. Das ist aus meiner Sicht der Fokus darauf, dass die Niederlassungsfreiheit, dass die Möglichkeit der offenen Grenzen auch in Zukunft gewahrt ist. Und das bedeutet, einen Fokus auf einen besseren und stärkeren Außengrenzschutz. Das ist zum zweiten glaube ich ein Fokus auf das was uns ausmacht. Das christlich-jüdisch und durch die Aufklärung geprägte Europa, in dem Grundwerte wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte nicht verhandelbar sein dürfen. Das ist natürlich ein Fokus auf unsere Wettbewerbsfähigkeit, weil wir die wirtschaftliche Stärke brauchen, um auch international mitspielen zu können. Und das ist aus meiner Sicht ein Fokus auf die stärkere Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Da haben wir als neutrales Land natürlich eine ganz besondere Rolle. Aber auch wir haben uns klar dazu bekannt bei PESCO mitarbeiten zu wollen und unseren Beitrag leisten zu wollen.

 

Auch hier gilt in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik wahrscheinlich das Motto „In Vielfalt geeint“. Das heißt die Bitte nicht nur aus Österreich sondern auch anderen neutralen Staaten, dass wir auch hier die Möglichkeit haben, Rücksicht zu nehmen auf die unterschiedlichen rechtlichen aber auch unterschiedlichen tatsächlichen Möglichkeiten, die die verschiedenen Staaten in der Europäischen Union haben.

 

Ich glaube fest daran, dass wenn wir als Europäische Union intern wieder stärker und handlungsfähiger werden, wenn wir wirtschaftlich stark sind, wenn wir unsere Grenzen schützen und so Stabilität innerhalb der Europäischen Union sicherstellen, dass das die richtige Basis ist auch um international wieder mehr an Gewicht zu bekommen und nicht nur in Europa sondern hoffentlich auch über unsere Grenzen hinaus für mehr Sicherheit und Stabilität sorgen zu können. Wir sind ein kleines Land aber wir leisten gerne unseren aktiven Beitrag. Vielen Dank.