Staatsbankett, gegeben von Israels Staatspräsident Shimon Peres

Gut zwei Monate nach meiner Wahl zum Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland stehe ich hier bei Ihnen, in Israel. Ich danke Ihnen für Ihre herzliche Aufnahme an diesem Tag. Es ist mir wahrlich eine Ehre, hier zu sein. Und ich könnte mir dafür kaum eine schönere Umgebung wünschen, als diesen wunderbaren Garten hinter Beit Hanassi!

Mein Dank für die großzügige Einladung zum Staatsbesuch gilt allen voran Ihnen, verehrter Herr Präsident Peres. Wir Deutsche bewundern Sie als ganz außergewöhnlichen Vertreter Israels in der Welt. Und wir schätzen Sie als großen Freund Deutschlands.

Ihre persönlichen Worte am 27. Januar 2010 vor dem Deutschen Bundestag haben mich ebenso wie sehr viele Deutsche berührt. Das Bild Ihres Großvaters, Rabbi Zwi Meltzer, das Sie uns damals so plastisch vor Augen geführt haben, kann ich nicht mehr vergessen. Ihr Lehrer und Mentor, ein würdiger Mann mit weißem Bart und braunen Augenbrauen, den sie verehrt, ja geliebt haben. Auf Befehl der Nazis zog er, eingehüllt in seinen Gebetsmantel, seiner Familie, seiner Gemeinde voran, in die Synagoge Ihrer Geburtsstadt Wiszniewo. Die Deutschen verriegelten die Türen und zündeten das hölzerne Gebäude an. Was blieb, waren Asche und Rauch. Niemand überlebte.

Die Gräueltaten, die Deutsche an Ihrer Familie und Ihrem Volk verübten, erschüttern mich. Sie aber, Herr Präsident, reichen uns die Hand zur Versöhnung. Das wurde nicht nur im Ton Ihrer Berliner Rede deutlich. Ihr ganzes politisches Leben steht im Geist der Versöhnung und ist der auf immer besonderen deutsch-israelischen Freundschaft gewidmet.

Als junger Mann, gerade erwachsen geworden, habe ich versucht, einen Zugang zur Schoah zu finden. Völlig fassungslos stand ich da mit einem Buch über den Nationalsozialismus und fand weder einen Gesprächspartner noch verständnisvolle Worte für mein Entsetzen. Heute noch – mit 72 – ist mir dieser Schmerz und dieses Schweigen in bedrückender Erinnerung. Sie haben mein Verhältnis zu Israel und zum jüdischen Volk geprägt.

Heute früh in Yad Vashem wurde dieses Verhältnis zu Ihrem Land greifbar. Die Trauer um die von Nazideutschland ermordeten Juden hat alles durchdrungen. Doch zugleich, und mit Ihnen an meiner Seite, Herr Präsident, spürte ich, wie unermesslich großherzig das Geschenk des Vertrauens ist, das Deutschland erhalten hat.

Und ich spürte die Kraft, die uns die deutsch-israelische Partnerschaft gibt; eine Stärke, die uns hilft, wenn wir in die tiefsten Abgründe deutscher Geschichte blicken; eine Stärke, mit der Deutschland heute Israel und seinen Bürgerinnen und Bürgern verbunden ist.

Ich stamme aus Mecklenburg, dem Nordosten Deutschlands. Vier Jahrzehnte meines Lebens habe ich in der DDR verbracht, die Israel bis kurz vor ihrem Ende nicht anerkannt hat. Verblendet von einer „antifaschistisch“ genannten Ideologie, haben die Machthaber in der DDR die deutsche Verantwortung für die Schoah nicht übernommen. Stattdessen verordneten sie staatlichen Antizionismus. Damit nahmen sie den Bürgerinnen und Bürgern der DDR nicht nur die Gelegenheit, sich mit Israel zu beschäftigen und die hier lebenden Menschen kennenzulernen. Gott sei Dank gab es in den Kirchen, unter sensiblen Intellektuellen und Künstlern und in den oppositionellen Milieus genug Menschen, die eigenständig Wissen über die Vergangenheit erworben haben, Schuld anerkannt und Trauer zugelassen haben. Auch haben wir in diesen Kreisen Begegnungen organisiert, wo immer das möglich war. Ich habe zum Beispiel in den 80er Jahren einen Israeli zum Kirchentag in meine Heimatstadt Rostock eingeladen, Yaakov Zur, geboren als Jakob Zuckermann in Rostock. Er hat mit klaren Worten Israel erklärt und gegenüber den Regierenden in der DDR verteidigt. Zur Freude der Christen und zum Verdruss der Parteikader. Derartige Begegnungen waren für uns wichtig, sie halfen uns, so etwas wie eine „Gegenkultur“ zur offiziellen Politik und Geschichtspolitik zu entwickeln.

Herr Präsident, das Geschenk Ihres Vertrauens, von dem ich vorhin sprach, bezieht heute alle Deutschen mit ein. Und so gehört zu dem Glück, das uns mit dem Fall der Berliner Mauer widerfahren ist, auch die Freiheit, sich zu Israel zu bekennen!

Dieser Besuch in Israel ist mein erster als Bundespräsident außerhalb Europas. Es ist zugleich mein erster Staatsbesuch überhaupt. Das sind gewiss wichtige Zeichen. Doch auch ohne sie wissen wir, wie untrennbar unser Land mit Israel verbunden ist.

Deutschland und Israel sind aber nicht nur durch die Geschichte miteinander verbunden. Wir bekennen uns zu denselben Werten: zur Freiheit, zur Demokratie und zur Achtung der universellen Menschenwürde. Diese Werte verbinden uns.

Auch deshalb steht Deutschland an Israels Seite, jetzt und in Zukunft. Wir stehen an Ihrer Seite, wenn andere die Sicherheit und das Existenzrecht des Staates Israel in Frage stellen. Den friedliebenden Kräften reichen wir die Hand. Jenen aber, die Sie bedrohen, treten wir entschlossen entgegen.

Wir unterstützen Sie, wenn sich Israel, gemeinsam mit seinen Nachbarn, bemüht, einen dauerhaften Frieden zu schaffen. Ich teile Ihre Überzeugung, Herr Präsident: Ein solcher Frieden setzt voraus, dass Israel und ein unabhängiger, lebensfähiger palästinensischer Staat Seite an Seite in Sicherheit und anerkannten Grenzen leben können. Das erfordert, dass beide Seiten aufeinander zugehen. Nur durch mutige Schritte wird es möglich sein, den Stillstand im Friedensprozess zu überwinden.

Herr Präsident, die derzeitige palästinensische Führung will nach Ihrer und nach meiner Überzeugung den Frieden. Sie muss diesen Kurs aber radikalen Kräften gegenüber behaupten. Deshalb wünscht mein Land, wünscht die EU sich, und wünsche auch ich mir, dass Israel in der Siedlungspolitik ein Zeichen setzt.

Ich kenne Israel von früheren Besuchen und bin als langjähriger Freund gekommen. Ich freue mich darauf, die Menschen hier noch besser kennenzulernen: Überlebende der Schoah, die noch unter uns sind – wir fühlen uns in einzigartiger Weise für sie verantwortlich; Jeckes, die soviel für die Annäherung zwischen unseren Ländern getan haben; und Wissenschaftler, die hier in Israel hochinnovative Arbeit leisten.

Ganz besonders freue ich mich auf junge Menschen. Durch sie wird sichtbar, wie unsere Beziehungen sich wandeln, wie sie die Vergangenheit mitnehmen, aber auch wachsen und in die Zukunft greifen.

Unsere Bürgerinnen und Bürger haben noch viel miteinander vor. Viele Tausende kommen aus beiden Ländern jedes Jahr zusammen – Schüler, Stipendiaten, Freiwillige, Wissenschaftler, Künstler, Fachkräfte und viele andere. Wir beide, Herr Präsident, wissen: Wenn sich junge Leute heute für das jeweils andere Land interessieren, dann führen sie die deutsch-israelischen Beziehungen weiter, dann prägen sie die Zukunft unserer Freundschaft. Dass dieser große Schatz weiter gemehrt werden kann, dafür will ich mich gemeinsam mit Ihnen einsetzen.

Herr Präsident, am Ende Ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag haben Sie vor zwei Jahren gesagt, die Israelis gestatteten sich, von Gutem zu träumen und diesen Traum auch zu verwirklichen.

Auch die Deutschen träumen von Gutem und wir wollen mithelfen, diesen Traum wahr zu machen – den Traum von einem freien und friedlichen Leben, den Traum von menschlichem Miteinander und von gegenseitigem Respekt, im Nahen Osten und überall sonst, wo Menschen leben. Gemeinsame Träume können zu einer gemeinsamen Zukunft werden.

In diesem Sinne bitte ich Sie, meine Damen und Herren, mit mir das Glas zu erheben: Auf das Wohl von Präsident Peres, auf die Freundschaft zwischen Israelis und Deutschen und auf eine friedliche Zukunft in Freiheit für unsere beiden Länder – und gerade heute auch: Le chaim, auf das Leben!

www.bundespraesident.de

Über Gauck Joachim 14 Artikel
Joachim Gauck, geboren 1940, ist Pfarrer, Mitbegründer des Neuen Forums und war der erste Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Gauck studierte von 1958 bis 1965 Theologie. Seit dem 23. März 2012 ist Gauck der 11. Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland.

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