Teufelszeug

Die moderne Aufklärung ließ die Kirche höchstens noch als eine Anstalt gelten, die den Untertanen wirksam Moral einbläuen konnte. So wünschte sich Voltaire nur christliche Dienstboten, die das Verbot des Diebstahls beachteten, weil sie Höllenstrafen befürchteten. Heute gibt es in Deutschland keine Dienstboten mehr und auch kaum noch Christen, denen man mit der Hölle kommen kann. Dafür haben wir immer mehr politische Herrschaften, die sich nicht mehr christlich verpflichten lassen, sondern besonders das siebte und achte Gebot mißachten.
Indem sie etwa Kredite in Anspruch nehmen, die sie niemals zurückzahlen, und uns vorflunkern, es werde ja alles gut. Ob sie später dafür in die Hölle kommen, weil sie uns schon auf Erden den Himmel bescheren wollten? Es soll Zeiten gegeben haben, da waren die Verheißung des Himmels und die Drohung mit der Hölle noch wirksame Anreize, durch ein tadelloses, tugendhaftes Leben vor Gott bestehen zu können – und auch vor den Mitmenschen und späteren Generationen. Aber dieser Zusammenhang von Drohung und Verheissung funktioniert nicht mehr. Himmel und Hölle wurden als transzendente, biblisch bezeugte und kirchlich überlieferte Wirklichkeiten aus der Verkündigungssprache verbannt. Aber nur, um als innerweltliche Zustände wieder aufzutauchen und in die politisch-theologische Rhetorik einzuziehen. Der Entdogmatisierung des Christentums folgt die Dogmatisierung der Politik.
Im modernisierten religiösen Horizont scheint der Himmel des Glaubens leer, die Hölle wie ausgebrannt zu sein. Wann hat man zuletzt eine Predigt gehört, in der der Himmel, das endgültige Reich Gottes, hoffnungsvoll verkündet wurde? Und wer gar über Hölle und Teufel predigt, also über die Möglichkeit, das ewige Heil zu verfehlen, gilt als Drohbotschafter und Bangemacher. Es sei denn, er projiziert die Hölle auf eine geschichtliche Drohkulisse und beschwört Teufel, die als politische Gegner identifizierbar sind. Das gehört zum Repertoire einer Moderne, an die auch Teile der Kirche unbedingt „Anschluß“ gewinnen wollen.
Die Selbstverweltlichung des christlichen Glaubens schreitet munter voran. Sodaß es einem prominenten katholischen Amtsinhaber kürzlich gefiel, die Kernenergie als „Teufelszeug“ zu bezeichnen. Wenngleich sonst Teufel wie Engel in der Glaubensverkündigung ausgespielt haben. Wer nicht an Hölle und Teufel glaubt, wird stattdessen der grünen Ersatzreligion folgen und die Kernenergie als irdisches Höllenereignis und Teufelswerk gläubig befürchten. Heidenangst nennt man das. Aber der Teufel liegt auch hier im Detail. Es mag ja gute Gründe für eine „Energiewende“ geben. Die aber sollten mit vernünftigen Argumenten versehen sein, damit die Politik zu verantwortlichen Entscheidungen kommt. Und Prälaten überziehen ihren hochwürdigen Kredit, wenn sie sich irgendwelche technologischen Hypothesen aneignen, die sie mit ihren theologischen Methoden gar nicht überprüfen können und die nicht in ihrer Glaubenskompetenz liegen.
Wer als Kleriker in der Öffentlichkeit um Zustimmung wirbt, möge doch bitte nicht im Brustton der Glaubensüberzeugung über etwas faseln, worüber sogar einschlägige Wissenschaftler unterschiedlicher Meinung sind. Er möge stattdessen rationale Regeln beachten, nach denen die Risiken abgeschätzt und die möglichen Übel minimiert werden. Und zwar im globalen Zusammenhang. Irrationale deutsche Sonderwege führen gewöhnlich nicht in den Himmel auf Erden. Hierzulande wird der von Angst diktierte Atomausstieg gern als Modernisierung gepriesen. Hingegen verstehen pragmatisch-rationale Briten, Amis, Franzosen, Inder und Chinesen unter Modernisierung etwas anderes. Nämlich die technische Perfektionierung und Risikominimierung auch der Kernenergie. Von dieser Auffassung hat sich die Mehrheit der Deutschen seit den japanischen Ereignissen abgekoppelt. Und sie fühlt sich dabei als die ökologische Speerspitze, die es dem der Rest der Welt zeigen will. Völlig vergessen wird dabei, daß die Kernenergie für die fortschrittsgläubigen Parteien, insbesondere die Sozialdemokraten, noch bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts als die technologische Erfüllung eines Menschheitstraums gegolten hat und entsprechend ideologisch überhöht wurde. Hier hat sich der Modernisierungsbegriff in sein völliges Gegenteil verwandelt. Und er wird auch künftig manche Kapriolen schlagen. Die Begriffshure „Modernisierung“ ist in ihren alten Tagen auch noch fromm geworden, sie hat sich pseudoreligiös aufgeladen – nicht nur auf protestantischen Kirchentagen. Die sind von grünen Parteitagen kaum mehr zu unterscheiden: Ein klebriges Gemisch aus politischem Machtkalkül und pseudoreligiösem Enthusiasmus, an dem sich auch katholische Modernisierer gerne beteiligen. Die grünen Exorzisten waren vor allem in der Merkel-CDU erfolgreich mit der Austreibung atomarer Teufel beschäftigt. Von der systematischen Verteufelung können wir uns ein neues Arbeitsbeschaffungsprogramm für alternative Heilsbringer erwarten. Und für Theologen eröffnet sich ein neues Forschungsfeld zum Thema der säkularisierten Gnosis, die schon Eric Voegelin bearbeitete.
Gott hat die Atome nicht geschaffen, daß der Mensch sie spalte, meinte einmal ein grüner Theologe. Dasselbe gilt dann auch vom grünen Holz. Und ein theologisch erweckter Politiker, der es sogar zum Bundespräsidenten brachte, hatte bei den harmoniesüchtigen Deutschen großen Erfolg mit der Parole „Versöhnen statt spalten“. Bezogen auf die Kernenergie ließe sich daraus der Imperativ ableiten, die Kernfusion technisch voranzubringen. Das wäre doch eine schöne neue Welt.
Inzwischen melden sich ökonomisch-ökologische Kritiker zu Wort. Sie haben wegen der „Erderwärmung“ kalte Füße bekommen. Und sie weisen auf die grossen Kosten der Energiewende hin. Beim Geld hört nämlich der Spaß auf. Auch bei grün säkularisierten Frommen dämmert die Einsicht, daß es in der Politik wie in der Technik nichts dogmatisch Endgültiges, nichts Unumkehrbares gibt. Auf Kommando wird der Wind nicht wehen, die Sonne nicht scheinen und das Wasser nicht fließen. Die Natur bleibt letztlich unbeherrschbar, Gott sei Dank.
Statt die Nachhaltigkeit als neues Sozialprinzip zu predigen, sollten wir uns auf die nachhaltige, die letzte Verantwortung vor Gottes Gericht einstellen.

(c)-Vermerk: Die neue Ordnung (4/2011)

Über Wolfgang Ockenfels 43 Artikel
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels, geboren 1947, studierte Philosophie und Theologie in Bonn und Walberberg. 1985 erhielt er eine Professur für Christliche Sozialwissenschaften mit den Lehrgebieten Politische Ethik und Theologie, Katholische Soziallehre und Sozialethik, Wirtschaftsethik sowie Familie, Medien und Gesellschaft an der Theologischen Fakultät Trier. Ockenfels ist zudem Geistlicher Berater des Bundes Katholischer Unternehmer BKU und Chefredakteur der Zeitschrift "Die Neue Ordnung" in Bonn. Er gehört zum Konvent Heilig Kreuz der Dominikaner in Köln.

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