Totale Finsternis gegen alle Künstlichkeit – Wie Thomas Bernhard in Salzburg wieder einmal dichterisch präsent wurde

Liebe!Thomas Bernhard bezichtigte das Salzburg der Sommer-Festspiele als Heuchlerin von Universalität. „Das Mittel der sogenannten Weltkunst“ sei nur eines, das über den „Ungeist als Perversität“ hinwegtäusche, schrieb er, „wie alles … hier nur ein Wegtäuschen und ein Wegheucheln und ein Wegmusizieren und ein Wegspielen“ sei. Geschäftssinn triebe die Salzburger an, die die Festspiele nur „aufgezogen“ hätten, „um den Morast dieser Stadt für Monate zuzudecken“.

Nun, immerhin wurden fünf – wenngleich nicht auch beide extra für Salzburg geschriebenen – Stücke aus der Feder des 1989 im Alter von 58 Jahren verstorbenen so hochgepriesenen wie vermaledeiten Autors in Salzburg uraufgeführt. Eine Tafel am Landestheater erinnert daran. An erster Stelle: „Der Ignorant und der Wahnsinnige“. Am 28. Juli 1972 war hier die Uraufführung. Ein großer Erfolg – für Bruno Ganz als Doktor (der Wahnsinnige), aber auch Ulrich Wildgruber als Vater (und Ignorant) der Sängerin der „Königin der Nacht“ (Angela Schmid, s. Foto: Figurine von Moidele Bickel). Viel Wirbel gab es backstage. Da war zum einen der dreiste Regisseur Claus Peymann mit Beschimpfungen der Bühnenwerker als „Arbeitergesindel“ und „Scheißösterreicher“ und der Forderung nach original französischem Champagner für die Schluss-Szene im Nobelrestaurant „Zu den Drei Husaren“. Zum andern der oft zitierte „Notlicht-Skandal“: Weil die Feuerpolizei untersagte, bei der Premiere das Notlicht für die nach dem Willen von Autor und Regisseur in totale Finsternis zu tauchende Schluss-Szene abzuschalten (was bei der Generalprobe klappte), kam es zu keiner 2. Aufführung des Stückes.

„Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht“ – möglich, dass Bernhard diesen Schluss-Text des Sarastro aus W. A. Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ einst selbst gesungen hat. Jedenfalls forderte er für den Schluss des „Ignoranten“, in dem es um die „Zauberflöte“ geht, absolutes Dunkel, was die Feuerpolizei verbat. Der Autor war erbost über die „Ignoranz“ (!) der Festspiel-Administration. „Eine Gesellschaft, die 2 Minuten Finsternis nicht verträgt, kommt ohne mein Schauspiel aus“, telegrafierte er am 2. August 1972 um 14.17 Uhr an den Festspielpräsidenten Josef Kaut.

Schwamm drüber? Das ambivalente Verhältnis des widerborstigen Bernhard zu Salzburgs Festival kann nicht vergessen werden. So sagte sich der aus seinem Amt als Interims-Leiter des weltweit größten Klassik-Festivals scheidende Sven-Eric Bechtolf. Seine Gegner werfen ihm Altbackenheit und Arroganz vor. Beides vereinigt die Rolle des Doktors im „Ignorant“. Und Bechtolf griff zu. Ließ sich, ein Regisseur von hohen Graden (die drei Salzburger Da Ponte-Opern Mozarts hat er inszeniert), von Gerd Heinz als nicht eben einfallsreichem Spielleiter und Bühnenbildner Martin Zehetgruber die Landestheater-Bühne publikumswirksam zubereiten, um als Koryphäen-Hirn-, Herz- und Harnblasen-Sezierer im messerklingenscharfen Wider-Geist Thomas Bernhards herrlich monoman zu agieren. Seinen Auftritt, gerade im ersten Akt, machte Bechtolf zum fulminant ausgestoßenen Alleingang Bernhardischer Rundumschläge gegen Print-Feuilletonismus, Opernbetrieb, Pathologie-Gläubigkeit und Künstlichkeitsperfektionismus, vornehmlich die einer frag- und mühelos funktionierenden Koloraturmaschinerie, wie sie der Interpretin der „Königin der Nacht“ abverlangt wird.

Annett Renneberg, einem Millionenpublikum als Elettra in den Donna Leon-TV-Krimis bekannt, hätte man sich in dieser Partie neben Bechtolf und Christian Grashof als versoffenem Vater schneidend, zickig, ausgemergelt und – nach (witzig gemeinten) 222 „Koloraturmaschinen“-Auftritten an allen bedeutenden Opernhäusern Europas – ausgelaugt gewünscht. „Erschöpfung, nichts als Erschöpfung“ – so schließt das Stück. Allerdings nicht ohne eine Reminiszenz an das, was vor 44 Jahren an selbigem Ort passierte, wenn auch im glatten Gegenteil. Gerd Heinz ließ es, toll, grell aus tausend (wie des Doktors Anzug: weißen) Glühbirnen gleißen, dass dem Zuschauer die Augen schmerzten. Erst in allerletzter Sekunde verfinsterte sich die Bühne, und ein wüstes Geschirr- und Gläserklirren (zum Teufel mit all dem Kram!) traf die Ohren derer, die an diesem Bechtolf-„Feier-Abend“ bis zum bitteren Ende ausharrten. Gefühlte 20 Prozent Bernhard-Connaisseurs nur erlebten ihn und schienen die (freilich heute längst überholten) Kultur- und Pathologie-Kritik-Passagen, die auf die Zeit um 1970 zutrafen, nicht kapiert zu haben. Es gab zu wenig Lacher, zu wenig Feixende, und kaum Bernhard-Infizierte, die diese Aufführung als eine Sternstunde schauspielerischer Monolog-Kunst mittrugen.

In Thomas Bernhards Salzburger Theaterstücke konnte man sich bei einer feinen, mit dem Werk Peter Handkes kombinierten Ausstellung des Literaturarchivs Salzburg vertiefen. Diesen Ort (Kaigasse 5 – 7) überhaupt gefunden zu haben, schätzt sich ein lange Suchender glücklich. Schaute er doch in Dokumente und nachgestellte Miniatur-Szenen, autobiografische Fotos und zeitgeschichtliche Bild-Belege, nicht nur zum „Ignorant“, auch zum „Theatermacher“ (uraufgeführt 1985). Darin bezieht sich Bernhard ironisch auf den „Notlicht-Skandal“: Für sein Utzbacher Gastspiel will Staatsschauspieler Bruscon totale Finsternis. Der Feuerwehrhauptmann des Dorfes gewährt sie ohne weiteres. Salzburg – wie kläglich stehst du, als Theaterstadt, gegen das Provinz-„Theater“ von Utzbach da!

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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