Tribüne statt Spielfeld

Abschlussdiskussion zu Medien und Gericht beim ifp-Jahrestreffen

Kachelmann, Guttenberg, Strauss-Kahn – um nur einige wenige prominente Namen für aktuelle Fälle zu nennen, an denen sich die Fragen nach dem Umgang zwischen Justiz und Medien einerseits sowie dem eigenen Selbstverständnis der Medien und Journalisten beim Umgang mit der Justiz und juristischen Sachverhalten andererseits zuletzt derart heftiggestellt haben, dass die Reflexion über die Berichterstattung und Rolle der Medien bei juristischen Ereignissen selbst zu einem Topos der Berichterstattung geworden ist. Wie gehen Medien mit rechtsstaatlichen Verfahren um? Werden Medien allzu eilfertig zum Handlanger eigener oder fremder Interessen bei der Berichterstattung über Ermittlungen oder Verfahren? In wie weit findet eine Vorverurteilung statt, ehe überhaupt ein Gericht das Urteil gesprochen hat? Oder ergehen, um es besonders zuzuspitzen, mitunter die Urteile „im Namen der Medien“ statt des Volkes?
„Wenn Medien Gericht spielen“ lautete vor diesen Fragen denn auch die trefflich gewählte Überschrift der Abschlussdiskussion, mit der das „Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses (ifp)“ sein traditionelles Jahrestreffen beendete. Trefflich nicht nur wegen der Aktualität des Themas angesichts jüngster Verfahren, sondern auch deshalb, weil der Titel mit seiner Zweideutigkeit eindeutig auch eine Selbstkritik oder Selbstvergewisserung über den eigenen Berufsstand erkennen ließ. „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache“, meinte einmal der ehemalige Tagesthemen-Moderator Hans-Joachim Friedrichs. Das gilt nicht zuletzt und hier womöglich in besonders sensibler Weise für die Auseinandersetzung mit polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, gerichtlichen Verfahren und Urteilen.
Die Versuchung, sich vereinnahmen zu lassen oder für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen, stellt sich gerade für Polizei- oder Gerichtsreporter in besonderer Weise. „Der Journalist gehört auf die Tribüne und nicht aufs Spielfeld“, betonte Gisela Friedrichsen bei der Debatte im Düsseldorfer Maxhaus und ergänzte dies noch um den Hinweis, dass es besonders unangenehm werde, sobald sich Journalisten noch als Ermittler gerierten. „Das ist nicht unser Job, wir haben uns da rauszuhalten“, so die Gerichtsreporterin des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Dabei provozierte sie den ARD-Rechtsexperten Karl-Dieter Möller mit der rhetorischen Frage, ob denn beim Kachelmann-Prozess nicht mindestens vier Journalistinnen mitten auf dem Spielfeld gestanden haben. Bemerkenswert war die Replik der bekannten Reporterin. Mit ihrem Hinweis, auf keine Veranstaltung mehr zu gehen, bei der auch Alice Schwarzer anwesend ist, hatte sie zwar viel Wohlwollen unter den Vertretern, Absolventen und Auszubildenden der Journalistenschule der Katholischen Kirche auf ihrer Seite Nachdenklich musste jedoch stimmen,als sie darauf verwies, dass bei den meisten Kachelmann-Prozesstagen die Öffentlichkeit weitestgehend ausgeschlossen war und so die Journalisten anfingen, sich gegenseitig auszufragen und übereinander zu schreiben.
Mehr noch: Ihre Anmerkung, dass sie für den ein oder anderen ihrer Berichte ein Lob aus der Zentralredaktion dergestalt zu hören bekam, dass ihr ins Internet eingestellter Beitrag innerhalb kurzer Zeit hohe Zugriffszahlen generiert habe, wirft in bemerkenswerter Weise die Frage nach der ,Medialisierung‘ juristischer Verfahren hervor.Schließlich sei der Kachelmann-Prozess sehr öffentlichkeitswirksam gewesen, so Kachelmann. „Aber wie viele Verfahren laufen so oder so ähnlich im Verborgenen ab.“ Möller, selbst ifp-Absolvent, mahnte in diesem Zusammenhang: „Es kann nicht sein, dass wir uns auf die exotischen oder prominenten Fälle konzentrieren und die große Masse aus den Augen verlieren.“ Seiner Beobachtung nach stelle sich ohnehin ein problematischer Trend ein: „Es wird für viele Redaktionen, auch wegen der finanziellen Maßnahmen, immer schwieriger, eine dauerhafte Gerichtsberichterstattung zu gewährleisten, obwohl diese Form der Berichterstattung eigentlich mehr und mehr zunimmt.“
Seiner Meinung nach sei es gefährlich, wenn Zentralreaktionen sich dann auf Agenturmaterial oder das Internet stützten, statt selbst im Gericht zu sein. So komme es oftmals zu einem unsorgsamen Umgang mit juristischen Dingen, „statt vor Ort zu sein und zu berichten, was man mitbekommt, in den Fingerspitzen spürt“. Auch Friedrichsen verwies hierbei auf den großen Unterschied zwischen dem Gerichtsreporter und dem Journalisten in der Redaktion, dem der Produktionsdruck oder die Klickzahlen dann mitunter wichtiger seien als das tatsächliche Geschehen im Namen des Volkes. Ihr Rat: „Es braucht dann eben auch mal den Mut, Nein zu sagen und eine Geschichte nicht zu machen.“ Möller ergänzte: „Als Gerichtsreporter muss man einen langen Atem haben und sich Vertrauen erarbeiten ohne die Distanz zu verlieren.“
Dass dieses Vertrauen im Verhältnis zwischen Justiz und Medien oftmals sehr schwierig aufzubauen ist, mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass sich die Presse häufig nicht an den juristischen Sprachgebrauch gebunden fühlt, wenn es für den Leser unerheblich erscheint. Kann sie das beurteilen? Überhaupt wird gerade bei der Juristerei und ihren Verfahren sowie den Medien und ihrem Umgang mit dem Wort eben gerade der Umgang mit dem Wort zu einem besonders sensiblen Vorgang. Konjunktiv oder Indikativ? Hat der Verdächtige etwas getan oder soll er etwas getan haben? Entbindet eine staatsanwaltschaftliche oder gerichtliche Pressemitteilung den Journalisten von seinen Aufgaben der Sorgfaltspflicht und Gegenrecherche? Kann Richtlinie 13.1 im Pressekodex wirklich so stehenbleiben: „Die Presse darf eine Person als Täter bezeichnen, wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat.“ Ist ein Medienvertreter kompetent zu präjudizieren, ob es sich um Mord oder Totschlag handelt, oder sollte er nicht schlicht von einem Tötungsdelikt berichten?
Hinzu kommen neben juristischen Fachfragen vielfach auch Aspekte wie das mangelnde Verständnis für die praktische Arbeit der jeweiligen Seite. „Es ist ein psychologischer Spagat für jeden Staatsanwalt, einen Tatverdacht zu hegen und von Gesetzes wegen die Unschuld zu vermuten“, illustrierte es der Dortmunder Strafrechtler Professor Ralf Neuhaus und ergänzte dies mit Blick auf die Medienberichterstattung zu laufenden Verfahren oder nach Urteilssprüchen, die in der subjektiven Wahrnehmung als ungerecht empfunden werden: „Bei aller Medienschelte im Einzelfall an einem Richter: Ich bin überzeugt, dass die meisten Richter in der Lage sind, Distanz zu wahren.“ Das gelte auch für Staatsanwälte, wie der kürzlich in den Ruhestand verabschiedete Oberstaatsanwalt Wolfgang Schweer hervorhob. „Es gibt keinen Wettstreit zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft“, so der ehemalige Pressesprecher der Anklagebehörde in Münster. Auch wenn sich in einem Verfahren beide Seiten mitunter heftig begegneten, „lässt sich daraus nicht der Schluss ziehen, dass Staatsanwälte nur belastendes Material nutzen und entlastendes bei Seite lassen“.
Aspekte, die in der journalistischen Praxis oftmals zu kurz kommen. Karl-Dieter Möller plädierte folglich denn auch für den Ausbau von Fortbildungen in Straf- und Zivilrecht, wie sie manche Justizbehörden mittlerweile für Journalisten anbieten. „Ein Basiswissen sollte bei den Berichterstattern vorhanden sein.“ Umgekehrt scheint dieses Verständnis aber auch notwendig zu sein, zumindest, wer der selbstkritischen Anmerkung von Wolfgang Schweer folgt: „Die Justiz hat sicher nicht die Öffentlichkeitsarbeit erfunden.“ Er selbst sei vor Jahren mehr oder weniger durch Handauflegung zum Pressesprecher befördert worden. Es waren nicht zuletzt auch solche Bemerkungen und manche Anekdote, die die Referenten aus ihrer praktischen Arbeit einzustreuen wussten, um so dazu beizutragen, dass die gesamte Diskussion zu einer ebenso unterhaltsamen und anschaulichen wie inhaltlich facettenreichen und journalistisch herausfordernden Aussprache geriet.

Über Constantin Graf von Hoensbroech 74 Artikel
Constantin Graf von Hoensbroech absolvierte nach dem Studium ein Zeitungsvolontariat über das "Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses - ifp". Nach Stationen in kirchlichen Medien war er u. a. Chefredakteur von "20 Minuten Köln", Redaktionsleiter Rhein-Kreis-Neuss bei der "Westdeutschen Zeitung", Ressortleiter Online bei "Cicero" sowie stellvertretender Pressesprecher der Industrie- und Handelskammer zu Köln. Seit März 2011 ist er Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation der Rheinland Raffinerie der Shell Deutschland Oil GmbH.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.