Und Sarrazin hat doch recht

Nicht nur Thilo Sarrazin hat es in seinem jüngsten Buch zur Sprache gebracht, auch Arnulf Baring, Hans-Olaf Henkel und Oswald Metzger haben in Talkrunden immer wieder darauf hingewiesen. Der klägliche Befund: Die deutsche Gesellschaft verblödet zusehends. Und umgekehrt gibt es wiederum jene, die gerade diese Talkshowgäste dahingehend bezichtigen, nicht unerheblich an dieser allgemeinen Verblödung mit teilzuhaben.
Doch die Bedrohung des geistigen Zustands ist keineswegs neu; schon vor Jahren warnten Physiker und Biologen, daß das menschliche Gehirn sukzessive zerfalle, und daß die Gesellschaft – samt ihren Schutzinstitutionen – weitgehend versagt habe.
Sicherlich, die mediale Kultur, oder eben Unkultur, das permanente Absenken des intellektuellen Niveaus durch weitgehend inhaltfreie Medien hat wesentlich zu einer Verschiebung des Wissenshaushaltes geführt, zu einer Vermassung des Wissens, das sich nur allzu gern mit Randständigkeiten statt mit dem Wesentlichen zu beschäftigen sucht. Zuletzt war es das Internet, das für die komplette und zunehmende Verblödung hinhalten mußte. Auch hier gilt mit Sicherheit – die Gefahr, in der virtuellen Welt die Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem zu verlieren, ist nicht von der Hand zu weisen. Allein was Jugendliche, sofern sie freien Eintritt zum World Wide Web haben, sich an Informationen besorgen, ist zum Teil himmelschreiend – doch das Internet allein vermag nicht für die zusehende Verblödung allein verantwortlich gemacht werden.
Vielmehr – und daran kann kein Zweifel bestehen – sind es immer noch die täglich im Fernsehen zur besten Sendezeit ausgestrahlten Talkrunden, die einem das Gefühl vermitteln, daß es in ihnen nicht um Inhalte, sondern um pures Gerede geht, um ein Schönreden und Sich-selbst-Inszenieren. Verloren im großen Mediengezeter hat dann meist, wer nicht eloquent in den Chor einzustimmen weiß, dem es also nicht um Unterhaltung um der Unterhaltung willen geht, sondern eben um das Wesentliche. Dies heißt aber nicht, daß sich eine Vielzahl von Zuschauern gerade vor diesem Wesentlichen und Inhaltlichen verschließen wollen sie bekommen nur gar nicht die Gelegenheit darauf achtsam zu lauschen, weil es sofort wieder vom bloßen Gerede und Sich-wichtig-Machen überrollt wird. Für die Medienmacher scheint eine Prämisse am wichtigsten, die der Unterhaltung, die quasi für die Sache selber steht. Ein Großteil des Volkes, und dies macht sich die Teleproximation – Vilém Flusser zum Trotz – unpädagogischerweise zur Maxime, will lediglich unterhalten werden, weswegen man es eben dauerhaft unterhält. Anstatt auf Konfrontation zu gehen, tatsächliche Probleme anzusprechen, setzt man nur auf Event, auf das mediale Ereignis, das dann am schönsten sich herauskristallisiert, wenn die Diskursteilnehmer restlos verstritten sind, die Kommunikation mit höchsten Belanglosigkeiten genährt, auf das finale Zerwürfnis hinsteuert – eben auf die in Szene gesetzte Verblödung. Und so geriert sich das Fernsehen – immer noch die Nummer eins vor dem Internet, was die Quote betrifft – zum Zeittotschläger. Und an Dramatik und Inhaltslosigkeit, diesem Hang die Zeit totzuschlagen, sind die jeweiligen Nachmittagsprogramme der privaten Sendeanstalten immer noch nicht zu überbieten, hier zählen nach wie vor keine Argumente, sondern regiert das Motto, wer der Blödeste ist, hat bereits gewonnen. Wie sehr diese seit Jahren produzierte Verbildung schon Früchte getragen hat, belegen nicht nur Pisa und andere Studien, an denen sich die alljährlich zunehmende Niveauabsenkung der Jugendlichen geradezu statistisch nachweisen läßt.
Dieser Zug zum Unintellektuellen, zum bloßen Amüsement, feiert Hochkultur mit Mario Barth und Sindy aus Marzahn, Unterhaltung auf niedrigstem Niveau und dennoch volle Häuser. Wer noch wagt, etwas Anspruchvolles zu bieten, wird entweder ganz ignoriert oder ausgepfiffen, zumeist hat er gar keine Möglichkeit, sich überhaupt der Menge darzubieten.
Leider bleibt es nicht bei der medialen Inszenierung der neuen Spaßmacher und Comedians, die in Sachen Unbildung einiges – auch und zumeist nur um ihrer selbst, um ihrer Karriere willen – tun. Die Tendenz des Zeitgeistes, das Niveau von Stufe zu Stufe zu senken, hat, wie ein FAZ-Redakteur bekundete, mittlerweile Tradition, auch die FAZ reihe sich ein, nur sei der Verfallsprozeß dort – naturgemäß – langsamer. Selbst die sogenannten intellektuellen Blätter geben also dem Druck peu à peu nach – Bildzeitung allenthalben. Und das Traurige ist, die Intellektuellen halten sich zunehmend aus allem raus, sind so sehr vom allgemein herrschenden Trend überwältigt, daß sie sich entweder nicht trauen, dagegen zu rebellieren, weil es in ihren Augen keinen Sinn mehr hat, oder sie haben sich in ihren Nischen derart behaglich und bequem eingerichtet, daß ihnen die Welt da draußen ohnehin nicht in die Quere kommt – interesseloses Wohlgefallen also an der selbstverschuldeten Unmündigkeit.

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