Vertrauen schaffen in Zeiten der Krise

Das Jahr 2008 begann überaus positiv: Die starke wirtschaftliche Belebung seit dem Jahr 2006, die bis ins Frühjahr reichte, hat vielen Menschen in Deutschland neue Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt eröffnet. In den vergangenen drei Jahren hat die Wirtschaft mehr als 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen – die Mehrzahl davon voll sozialversicherungspflichtig. Die Arbeitslosigkeit lag erstmals seit 16 Jahren für einige Zeit wieder unter der Marke von 3 Millionen.

Hierzu haben neben der allgemeinen wirtschaftlichen Dynamik auch kluge Entscheidungen der Vergangenheit beigetragen. Verantwortungsvolle Tarifabschlüsse, flexible Arbeitszeitgestaltung und neue Beschäftigungsformen wie zum Beispiel die Zeitarbeit haben den Arbeitsmarkt gestärkt. Sie haben dazu beigetragen, dass die deutsche Wirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten ausbauen und ihre Position als Exportweltmeister halten konnte.

Seit Mitte des Jahres jedoch dominieren die negativen wirtschaftlichen Nachrichten. Die globale Finanzkrise, die 2007 ihren Ursprung auf dem amerikanischen Immobilienmarkt hatte, hat auch Deutschland erfasst. Es ist dem entschlossenen Eingreifen von Zentralbanken und der Finanzpolitik in allen großen Industrieländern zu verdanken, dass nach der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers Mitte September keine weiteren großen Banken zusammen gebrochen sind. Die Bundesregierung hat mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz innerhalb weniger Tage einen Schutzschirm für den Finanzsektor gespannt. Dabei geht der Staat nicht unwesentliche finanzielle Risiken ein. Dies ist jedoch unabdingbar, um weiteren Schaden von unserem Land abzuwenden. Die Rettungsaktion zielte im Kern auch nicht auf die Finanzbranche an sich; sondern sie diente und dient dem Zweck, die Kreditversorgung der Wirtschaft und vor allem der vielen mittelständischen Unternehmen sicher zu stellen. Denn ohne ein funktionierendes Bankwesen ist eine moderne Wirtschaft nicht überlebensfähig. Bisher haben die Sicherungsmaßnahmen der Bundesregierung gut funktioniert und den Finanzsektor stabilisiert. Die Bundesregierung wird die Entwicklung auf dem Kreditmarkt sehr aufmerksam beobachten und hat bereits einen zusätzlichen Kreditrahmen von 15 Milliarden Euro speziell für den Mittelstand über die Kreditanstalt für Wiederaufbau bereitgestellt.

In Folge der internationalen Finanzmarktkrise haben sich inzwischen die konjunkturellen Aussichten drastisch verschlechtert. Alle Experten gehen davon aus, dass für Deutschland ebenso wie für alle anderen großen Industrieländer im kommenden Jahr von einer Rezession auszugehen ist. Die Bundesregierung hat auf den scharfen Abschwung bereits schnell und entschlossen reagiert. Sie setzt dabei auf Entlastungen der Bürger und mehr Investitionen. Das schafft kurzfristig mehr Nachfrage und Aufträge, stärkt langfristig aber auch Innovationen und Wachstum. Bereits im Oktober haben wir ein Paket verabschiedet, das die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland – und insbesondere Familien mit Kindern – in den kommenden zwei Jahren um insgesamt rund 20 Milliarden Euro entlastet, zum Beispiel durch die Erhöhung von Kindergeld und Kinderfreibetrag. Im November haben wir dann ein Investitionspaket im Umfang von weiteren 11 Milliarden Euro geschnürt. Unter anderem sind darin verbesserte Abschreibungsbedingungen und Investitionsanreize für Unternehmen enthalten. Ebenso inbegriffen sind jeweils 1 Milliarde Euro in den beiden kommenden Jahren für Investitionen in die Verkehrswege. Damit können zahlreiche bereits geplante Projekte wie Autobahnen und Eisenbahnstrecken schneller fertiggestellt werden.

Viele fordern, die Bundesregierung solle schnell weitere Maßnahmen ergreifen, um die Konjunktur zu stützen. Es kann aber nicht dem Vertrauen der Menschen dienen, im Wochenrhythmus neue Maßnahmen zu diskutieren. Gerade in der Krise sind nüchterne Analyse und Besonnenheit besonders wichtig. Wir werden daher im Januar in der Koalition erneut beraten, was zusätzlich getan werden kann und muss. Ich bin der Meinung, dass insbesondere bei staatlichen Infrastrukturinvestitionen noch Handlungsspielraum besteht. Dies werden wir uns, auch in Abstimmung mit den Ländern, genauer ansehen. Im Kern geht es darum, Arbeitsplätze zu erhalten und zu sichern. Darauf müssen wir uns konzentrieren.

Bei allem Handlungsdruck in Anbetracht der Krise bleibt die notwendige Konsolidierung der Staatsfinanzen auf der Tagesordnung. Das Ziel eines ausgeglichenen Bundeshaushalts ist angesichts des unerwarteten konjunkturellen Abschwungs nicht mehr so wie ursprünglich geplant zu realisieren. Dennoch dürfen wir das Ziel der Konsolidierung nicht aufgeben. Wir dürfen kommenden Generationen nicht eine erdrückende Schuldenlast hinterlassen. In diesem Jahr hat Deutschland aller Voraussicht nach erstmals seit 1989 gesamtstaatlich wieder einen leichten Budgetüberschuss erzielt. Das ist gerade jetzt von unschätzbarem Wert. So sind wir besser in der Lage konjunkturpolitisch gegenzusteuern, ohne den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt aufs Spiel zu setzen. Damit ist Deutschland in einer wesentlich günstigeren Position als viele andere Länder in Europa. Jede Milliarde neuer Schulden schränkt unseren Handlungsspielraum in Zukunft weiter ein. Bereits heute müssen wir jeden siebten Euro im Bundeshaushalt für Zinsen ausgeben. Dieses Geld fehlt uns für wichtige Zukunftsinvestitionen. Aus diesem Teufelskreis müssen wir in der längeren Perspektive unbedingt heraus. Die der Konjunktur geschuldete Erhöhung der Neuverschuldung im kommenden Jahr steht hierzu nicht im Widerspruch. Für die dauerhafte Rückkehr auf den Konsolidierungspfad ist eine moderne, effektive Verschuldungsregel für Bund und Länder wichtig. Hierüber diskutieren wir mit den Ländern in der Föderalismuskommission. An der Neuregelung der Schuldenbegrenzung hält die Bundesregierung eindeutig fest. Eine Vereinbarung hierzu wäre gerade jetzt von allergrößter Bedeutung.

Deutschland gehört mit seinen die Konjunktur stützenden Maßnahmen in Europa zur Spitzengruppe – und zwar sowohl was Umfang als auch Umsetzung der Maßnahmen betrifft. Ich unterstütze die Ideen der Europäischen Kommission für ein europaweit abgestimmtes Vorgehen in der Krise. Das haben wir bei den Rettungsaktionen für den Finanzsektor so gemacht, und wir werden es auch in der Konjunkturkrise so halten. Wichtig ist aber, dass jedes Land die Instrumente selbst wählen kann. Das ergibt sich schon aus der sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Struktur in den einzelnen Ländern. Das haben wir beim Europäischen Rat auch so beschlossen.

Das zweite wichtige Thema beim Europäischen Rat war das Klimaschutzprogramm der EU. Mit dem beschlossenen EU-Klimapaket wurden die Grundlagen gelegt, um die im Jahr 2007 unter deutscher Präsidentschaftvereinbarten Klima- und Energieziele für das Jahr 2020 zu erreichen: eine Verringerung der Treibhausgase um mindestens 20%, den Ausbau der erneuerbaren Energien auf 20% am Endenergieverbrauch und die Senkung des Energieverbrauchs um ebenfalls 20%. Die Bundesregierung hat sich in den Verhandlungen für eine Balance von Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie eingesetzt. Industriebranchen, die in einem internationalen Wettbewerb stehen, werden ihre Emissionsrechte weiterhin kostenlos erhalten. Besonders stromintensive Industrien können ab 2013 eine Kompensation für steigende Strompreise erhalten. Wir entlassen die Unternehmen damit weder aus dem Emissionshandel noch aus ihrer Verpflichtung zur Verringerung der Treibhausgase, denn die maximal zulässigen Gesamtemissionen werden jedes Jahr verringert. Wir vermeiden aber zusätzliche Kosten, die die europäische Industrie im globalen Wettbewerb einseitig belasten. Eine Verlagerung der Produktion in Länder mit niedrigeren Klimaschutzstandards würde nicht nur dem Klima schaden, sondern zudem Arbeitsplätze in Europa kosten. Darüber hinaus ermöglicht das Klimapaket eine Förderung neuer, hocheffizienter Kraftwerke. Damit können wir die dringend notwendige Modernisierung des Kraftwerkparks in Deutschland unterstützen.

Die Herausforderungen sind ebenso groß wie die Chancen. Der Emissionshandel erfordert mehr Effizienz sowie innovative Prozesse und Produkte. Die deutsche Industrie ist mit hohen Effizienzstandards, ausgeprägtem Know-How und hohem Innovationspotential sehr gut aufgestellt. Vom weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien werden gerade deutsche Hersteller profitieren. Im nächsten Jahr wollen wir bei der Klimakonferenz in Kopenhagen ein umfassendes und anspruchsvolles Folgeabkommen für das Kyoto-Protokoll erreichen. Die EU geht mit der Verabschiedung des EU-Klimapakets gestärkt und glaubwürdig in die entscheidende Phase der internationalen Klimaschutzverhandlungen. So können wir im nächsten Jahr mit aller Entschiedenheit für ein Anschlussabkommen an das Kyoto-Protokoll eintreten, hoffentlich gemeinsam mit dem neuen US-Präsidenten Barack Obama.

Vertrauen ist das wichtigste Fundament der Sozialen Marktwirtschaft und ihrem Versprechen von Chancen und Wohlstand für alle Bürger. Heute, in Zeiten von Globalisierung und internationaler Arbeitsteilung, bedeutet dies für Deutschland und seine Zukunft vor allem eines: Bildung für alle. Bildung und Qualifizierung sind der Schlüssel für die persönlichen Chancen jedes Einzelnen und für die Zukunft unseres Landes. Sie sind die Voraussetzung für wirtschaftliche Stärke, gesellschaftlichen Zusammenhalt und soziale Stabilität. Deshalb brauchen wir in Deutschland möglichst viele gut qualifizierte Fachkräfte und kluge Köpfe in Wissenschaft und Wirtschaft, die aus kreativen Ideen innovative und marktfähige Produkte machen. Die Bundesrepublik muss eine Bildungsrepublik werden. Dazu haben Bund und Länder am 22. Oktober in Dresden wichtige Entscheidungen getroffen. An erster Stelle der Vereinbarung steht das Ziel, bis zum Jahr 2015 zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung und Forschung zu investieren. Die Bundesregierung nimmt ihre Verantwortung sehr ernst. So haben wir in dieser Wahlperiode die Ausgaben zur Forschungsförderung um mehr als 7 Milliarden Euro erhöht. Für Qualifizierungsmaßnahmen und -programme stellen wir in den Jahren 2008 bis 2012 rund 4 Milliarden Euro und für den Ausbau der Kinderbetreuung bis 2013 4 Milliarden Euro zur Verfügung. Auch die Länder haben wichtige Weichenstellungen vorgenommen.

Gleichwohl muss unser Bildungssystem insgesamt durchlässiger werden. Es darf nicht aus Sackgassen bestehen, sondern muss Türen öffnen. Auch junge Menschen mit Migrationshintergrund sollen gleiche Bildungschancen in unserem Land haben. Schlüssel dafür sind die Sprachkenntnisse. In Zukunft werden alle Länder vor der Einschulung eine Sprachstandserhebung vornehmen, um diejenigen zu fördern, bei denen es notwendig ist. Außerdem müssen wir es schaffen, mehr junge Menschen für naturwissenschaftlich-technische Studiengänge zu gewinnen und die Universitäten in die Lage zu versetzen, Nachwuchskräfte für zukunftsträchtige Berufe bestmöglich auszubilden. Gemeinsames Ziel von Bund und Ländern ist es, die Studienanfängerquote auf 40 Prozent eines Jahrgangs zu steigern. Das BAföG hat die Bundesregierung in diesem Herbst um zehn Prozent erhöht. Wir werden den Hochschulpakt 2020 konsequent fortsetzen. Bund und Länder werden außerdem die Exzellenzinitiative sowie den Pakt für Forschung und Innovation über das Jahr 2010 hinaus weiterführen und entwickeln. Der Nachwuchs in Deutschland braucht international konkurrenzfähige Bedingungen.

Das Jahr 2009 bringt für die Bürger in Deutschland eine Reihe von Neuerungen, die Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat beschlossen haben, um mehr wirtschaftliche Leistungskraft und soziale Sicherheit zu erreichen. Zum Jahreswechsel tritt eine neue Erbschaftsteuerregelung in Kraft. Mit ihr werden vor allem Erben begünstigt, die ein Unternehmen fortführen und so die Arbeitsplätze sichern. Ebenfalls zum 1. Januar startet der Gesundheitsfonds. Mit ihm werden die Finanzströme der gesetzlichen Krankenversicherung grundlegend umgestellt. Für die Versicherten wird es zukünftig einfacher, Preis und Leistung der Kassen miteinander zu vergleichen. Jede Kasse erhält für ihre Versicherten gleich viel Geld. Die unterschiedliche Verteilung von Gesunden und Kranken auf die Kassen wird finanziell ausgeglichen. Ab 1. April 2009 verbessern wir die steuerliche Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung. Damit wird es für Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch attraktiver, dieses wichtige Instrument der Vermögensbildung und Mitarbeiteridentifikation zu nutzen.

2009 ist zudem das Jahr, in dem wir den 60. Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland und den 20. Jahrestag des Mauerfalls feiern. Beide Ereignisse erinnern uns daran, dass es die Soziale Marktwirtschaft war, die unser Land bis heute stark gemacht hat und deren Erfolg die Menschen in der ehemaligen DDR zusätzlich bestärkte, das dortige Unrechtsregime zu überwinden. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Soziale Marktwirtschaft aus der gegenwärtigen Wirtschaftskrise gestärkt hervorgehen wird, weil sie schon immer den Exzessen der Märkte eine faire Balance von Freiheit und solidarischem Ausgleich entgegengestellt hat. Deshalb werden wir bei uns im Land die Weichen in diesem Sinne weiter stellen und international für die Durchsetzung der Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft kämpfen.

©-Vermerk: REGIERUNGonline (www.bundesregierung.de.)

Finanzen

Über Angela Merkel 12 Artikel
Dr. Angela Dorothea Merkel, geboren 1954, ist seit dem 22. November 2005 deutsche Bundeskanzlerin und seit April 2000 Bundesvorsitzende der CDU. Von 1990 bis 1994 war Merkel Bundesministerin für Frauen und Jugend und von 1994 bis 1998 als Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Kabinett von Dr. Helmut Kohl. Von 1998 bis 2000 amtierte sie als Generalsekretärin der CDU.

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