Vom Ötzi nichts Neues? Und ob!Schauen Sie nur mal in die Archäologische Staatssammlung!

Da liegt er. Der Ötzi. In der Archäologischen Staatssammlung in München. Der Ötzi? Kann doch nicht sein. Liegt doch in Bozen, diese Mumie, die vom Gletschereis konserviert wurde, gute 5000 Jahre lang. Liegt heute, wer weiß es nicht, im Südtiroler Archäologie-Museum. Auf einer Präzisionswaage. Bei einer Lagerungstemperatur von 6 Grad minus und einer Luftfeuchtigkeit von 99 Prozent. In einer Kammer, der weltweit einmaligen „Eismannbox“. Einer komplexen Anlage aus zwei Kühlkammern. Jeder Besucher kann kurz mal durch ein Fensterchen aus Panzerglas schauen und den Gelagerten sehen. Am 16. Jänner 1998 wurde der kurze Kerl aus den Ötztaler Alpen ein Bozener. Wurde, getauft als der „Mann aus dem Eis“, vom Innsbrucker Universitäts-Anatomie-Institut in Südtirols Hauptstadt Bozen überführt. Streng waren da die Sicherheitsmaßnahmen. Enorm war das Medieninteresse. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Also kann „der Ötzi“, wie er kurz genannt wurde, jetzt nicht in München liegen. Einfach so. Wie sollte das denn gehen?
Wer oder was da auf hartem Untergrund im Dunkeln glänzend liegt, ein braunes kleines Skelett mit ausgestreckten Armen, ein bisschen verdreht, ist – der „Feuerwehrmann“. So heißt die Puppe, die dem Ötzi ähnlich sieht und genauso daliegt, wie er den Museums-Feuerwehrleuten zu Übungszwecken dient, seit die BBC eine Dokumentation über die ganze Ötzi-Geschichte filmte. Könnte ja sein, dass einmal was passiert …! Einen kleinen Schrecken jagt der dürre Liegende dem Betrachter schon ein, der dicht an den „Feuerwehrmann“ heran tritt und versucht, den längst Verblichenen, vom Fleisch Gekommenen, in die Augen zu schauen.

„Der echte Ötzi ist nicht reisefähig“, bemerkt Professor Rupert Gebhard, der Direktor des Frühgeschichts-Museums an der Münchner Lerchenfeldstraße. Mehr als 3oo Gäste hatten sich für den Eröffnungs-Abend der neuen Ausstellung „Ötzi 2.0. Neues von der Eismumie“ angemeldet. Enorm also bis heute das Publikumsinteresse, auch fern von Ötzis Heimat Bozen. „Der echte Ötzi ist zu empfindlich“, konstatiert Gebhard. „Der muss unter großem technischem Aufwand aufbewahrt werden. Daheim. In Bozen. Wo er hingehört …“

Nun, aus Bozen selbst ist er ja eigentlich nicht. Ein Ehepaar aus Nürnberg hatte ihn per Zufall am 19. September 1991 beim Bergwandern gefunden – am Tisenjoch in den Ötztaler Alpen, 3210 Meter über dem Meer. Ein Foto ging später um die Welt: Die Extrembergsteiger Hans Kammerlander und Reinhold Messner kauern vor dem mit dem Oberkörper aus Eis, Schnee und Wasser ragenden Fundstück und beäugen es, als ihren „Vorgänger“, verwundert, ein wenig belustigt sogar, will es scheinen.

Heute gilt, im Ernst, der für das paläontologische Prachtstück zuständigen „Betreuerin“ Angelika Fleckinger aus Bozen der Ötzi als Musterbeispiel für die Entwicklung der modernen Naturwissenschaften. Als man die Feuchtmumie barg, erklärt sie, steckten die Bestimmungsmöglichkeiten mit der DNA-Analyse noch in den Kinderschuhen.

Heute weiß man dank DNA sogar über die Nachfolger Ötzis Bescheid und woher der Ötzi stammt. Der Ötzi, sagt Fleckinger, reiße ein Fenster in die Vergangenheit auf. Er ist zud e rQuelle für den Menschen, der vor mehreren tausend Jahren lebte, geworden. Fleckinger spricht geradezu ehrfürchtig von ihrem „Schützling“.

In der zuletzt erschienenen Nummer (138) der „Mitteilungen der Freunde der bayerischen Vor- und Frühgeschichte“ vom 3. Februar 2014 kriegt der Leser gleich das Wichtigste in den ersten paar Zeilen geliefert: Dass der Ötzi zwischen 3350 und 3100 vor unserer Zeitrechnung geboren wurde. Im Vintschgau. Dass er erschossen wurde, als er noch keine 50 Jahre zählte und etwa 1,60 Meter groß war. Jetzt ist er geschrumpft auf nur mehr gut anderthalb Meter Länge. Und wiegt nur noch 13 statt damals 50 Kilogramm. Er hatte Schuhgröße 38, braune Augen, war brünett und – mit Blutgruppe O – tätowiert.

Das will man sehen. Tätowiert? Wo denn, bitteschön? Wie denn? Eine ganze Wand erleuchteter Farbfotos, manche gar ein wenig grauslich, mit Fleisch und Blut und Knochen und so Zeugs, gibt den Neugierigen, die davor stehen und lesen und gucken und „Ah!“ und „Oh!“ rufen, Auskunft. Vier Strichbündel sind es, links von der Wirbelsäule. Tätowierungen, na ja. Kann man so nennen, die deutlich zu sehenden 60 Striche und Kreuze. Die fand man auf Ötzis Körper – oder dem, was davon übrig blieb, dank des „wunderbaren“ Konservierungs-„Stoffes“ Eis. Kein Nadel-Piercing hatte in der Kupferzeit stattgefunden. Eher von Schnitten kann die Rede sein. Die man anschließend mit Holzkohle einrieb und die sich bläulich färbten. Deshalb sind sie so gut zu sehen, die Tätowierungen. Angelika Fleckinger erzählt, dass ein Skythen-Fürst sich solche Körper-Zeichnungen zulegen ließ. Das war ungefähr vier Jahrhunderte vor Christi Geburt.

Laufend werden die neuesten Forschungen am Ötzi, die permanent vorangehen, in die Ausstellung eingearbeitet. Also, das ist keine Schau, die konstruiert wurde und nach ihrer Dauer wieder so abgebaut wird, wie sie aufgebaut worden war. Man will alles gleich immer revidieren, was man verbessern kann, aufgrund der neuen Sachlage. So machte man das schon bei den vorangegangenen Ötzi-Shows, in Japan und in Australien.

Die neueste Digitaltechnik macht das ständige Revidieren möglich. Man weiß zum Beispiel erst seit kurzem: Der „Mann aus dem Eis“ hatte Herzkreislaufprobleme. Und eine Nahrungs-Unverträglichkeit. Die letzte größere wissenschaftliche Arbeit ist 2010 abgeschlossen worden. Fast 60 Wissenschaftler waren im Einsatz. Sie nahmen auch Proben des Mageninhalts. Ganz zu Beginn der Entdeckung war man von Ötzis leerem Magen überzeugt – doch man verwechselte den Magen damals mit der Bauchspeicheldrüse.

Der Ötzi ist nicht Hungers gestorben. Vielmehr waren seine letzten Lebenstage dramatisch. Fünf Tage vor seinem Tod war seine Hand verletzt worden. Wohl wegen eines ausgefochtenen Nahkampfs. Ötzis Rechte wies eine tiefe Schnittwunde auf. Er musste sich tüchtig gewehrt haben gegen Angriffe. Was nicht ohne Erfolg geblieben war. Einen Serienrippenbruch hatte er früher schon überstanden. Ob er den Bogen aus Eibenholz noch so gut hatte führen können wie als Gesunder – mit der verletzten rechten Hand? Jedenfalls hatte er seine Verfolger abgeschüttelt – wie auch immer. Zu Tode kam er wohl durch einen Sturz und das Aufschlagen des Kopfes auf einen Stein. Seit knapp vier Jahren weiß man übrigens auch erst, dass der Ötzi, dessen Zähne man lange als unversehrt ansah, doch Karies hatte. Auch war ein Schneidezahn abgestorben. Oder war es ein Schlag auf den Zahn, der die Lücke verursachte? Noch immer ist man sich nicht in jedem Punkt völlig einig.

Alles bleibt noch spannend genug. Alles weiß man längst nicht über „unseren“ berühmtesten Vorfahren vom Ende der Steinzeit. Was es in den Münchner Vitrinen und Kästen alles zu sehen gibt, macht das Bild rund um den Ötzi lebendig: Waffen und Felle, Jagdgerätschaften und Schuhwerk, Abzeichen und Feuerzeuge, Utensilien einer kleinen Hausapotheke. „An zwei Fellstreifen waren
zwei aus dem Fruchtkörpergewebe des Birkenporlings herausgeschnittene Klumpen aufgefädelt“, heißt es bei Angelika Fleckinger, die ein Taschenbuch über den Ötzi publizierte (Folio Verlag, Bozen, 10,60 Euro). Der Birkenporling wirkt, das ist bekannt, blutstillend und antibiotisch. Wie schlau der Ötzi war. Kein Steinzeitmensch, wie man so sagt. Stetsbedacht auf das, was seiner Selbsterhaltung diente.

Aus den perfekt angeordneten und spannend beschriebenen Exponaten und Ausprobierstationen – man übersieht manches leicht, auch wenn die Ausstellung, gut gegliedert in zwei große Bereiche, zu denen ein „Labor“ gehört (mit der Möglichkeit eigener Untersuchungen, etwa an Gebissen) – ragt das skelettierte Spitzahornblatt heraus. Dazu muss man wissen: Zwei Birkenrindengefäße gehörten zu Ötzis Ausrüstung. Eins brauchte er für die Bewahrung der Glut. Die Reste der letzten Lagerfeuerglut wickelte er in frisch geerntete Spitzahornblätter, die er zur Isolierung benötigte. Sechszehn Spitzahornblätter wurden gefunden. Man schließt daraus: Ötzis Tod muss in den Frühsommer gefallen sein. Vielleicht hat man ihn deshalb mit bloßem Oberkörper dargestellt. Als mögliche Erscheinung. Ein bärtiger, wilder Geselle, drahtig, das lange Haar hinten gebündelt. Fellhosen. Waffen. Gerätschaften am Gürtel. Ein paar Brusthaare. Und ein Lächeln im Gesicht, das sagt. „Na, was möxt denn du von mir? Geh her! I friss di net!“

Die Ausstellung „Ötzi 2.O. Neues von der Eismumie“ ist bis 31. August 2014 in der Archäologischen Staatssammlung, München, Lerchenfeldstraße 2 (hinter dem Bayerischen Nationalmuseum) täglich geöffnet außer Montag, Karfreitag, 1. Mai und Fronleichnam – von 9.30 Uhr bis 17 Uhr.

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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