Warschau aus der Vogelperspektive: Ausstellung „Der Warschauer Aufstand 1944“ im NS-Dokumentationszentrum

Ein graues Hochhaus eingebettet in einer urbanen Landschaft, das allmählich hinter einer wuchernden Rauchwolke zu verschwinden droht. Es ist kaum zu leugnen: Das Bild erweckt auf Anhieb Assoziationen mit anderen Bildern von unserem 21. Jahrhundert, die uns immer weiter verfolgen. Nein, das Foto hat nichts zu tun mit dem Einsturz der Twin Towers und auch nicht mit einem spektakulären, filmreifen und dennoch wirklich in die Tat umgesetzten terroristischen Attentat. Es ist mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor entstanden und ist das Resultat einer Kriegshandlung inmitten eines Konflikts, der schon seit einigen Jahren im Herzen Europas wütete. Es steht nun in all seiner Dramatik auf einem S/W Plakat, das auf die zweite Wechselausstellung des NS-Dokumentationszentrums am Königsplatz hinweist, die bis zum 28. Februar 2016 die Dauerausstellung um eine „subjektivere“ Perspektive erweitern soll. In den Fokus tritt diesmal der „Warschauer Aufstand 1944“, aus der Perspektive Polens gesehen.
Das mit einem 60-cm Mörser „Karl“ beschossene Bauwerk war das Hochhaus der Versicherungsgesellschaft „Prudential“, ein Wahrzeichen des „Paris des Nordens“, wie Warschau während ihrer Glanzzeit in den 20er und 30er Jahren genannt wurde.
Die gleiche Stadt, die nach Himmlers Willen vollständig zerstört werden sollte, um als Drohung für alle anderen, die deren Beispiel zu folgen trachteten. Denn Warschau hatte in einer unglaublichen Aktion des Mutes und des nationalen Stolzes den Aufstand gegen die deutschen Eroberer geprobt und wurde zur Rechenschaft gezogen. Man schreibt den 1. August 1944, als die Niederschlagung beginnt. Deutsche Truppen greifen es massiv an. Ein eindrucksvoller Film von oben – à vol d'oiseau – aus der Vogelperspektive – gewährt uns in nur sechs Minuten einen Einblick in den ganzen Ausmaß einer wütenden Zerstörung, die kaum ein Gebäude übersteht. Ein Wüstenfeld aus Schutt und Asche entsteht, eine öde Trümmerlandschaft. Man sieht immer wieder Bilder der am meisten zerstörten deutschen Städten, Bilder von Dresden, Berlin, München. Nun sind auch die der anderen europäischen Städte an der Reihe. Der Film „Stadt der Ruinen“ wird alle halbe Stunde im Auditorium während der ganzen Dauer der Ausstellung zu sehen sein. Ein Film ohne Worte, von einer einfühlsamen Musik begleitet, die tief unter die Haut geht.
„Lernen am Ort des Geschehens“ ist der Grundsatz, der Gründungsdirektor Prof. Winfried Nerdinger animiert. Keine Ausstellung eigne sich deswegen besser als diese, um „die Besucher zu einer kritischen Reflexion über Antisemitismus, Ausgrenzung, Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit anzuregen“. Alle Themen, die leider wieder im Brennpunkt unserer Zeit stehen!
Wenige Tafeln weiter und man steht erneut vor etwas, was uns abrupt zum aktuellen Geschehen zurückführt. Warschau sollte dem Erdboden gleich gemacht werden. Die SS und Polizeikräfte bekämpfen den Aufstand, während die Rote Armee draußen wartet, dass das Unaussprechliche geschieht. Der Hitler-Stalin-Pakt wirkt noch. 123 Jahre lang war Polen ganz aus der Landkarte verschwunden, Warschau zur fassadenhaften Hauptstadt eines russischen Protektorats degradiert. Zwischen Ende vom I. und dem Ausbruch vom II. Weltkrieg war es zu einer der am meisten pulsierenden und lebendigen Metropolen Europas aufgestiegen. Die deutschen Besatzer wundern sich über die kulturelle Vielfalt. Sie zerstören mutwillig Denkmäler und plündern Museen, Kirchen, verwüsten Bibliotheken, zerstören Synagogen, rotten systematisch Juden aus, ermorden ihre geistigen Eliten. Palmira ist nichts Neues unter der Sonne. Ein jedes Volk lernt vom anderen. Wahrscheinlich eher das Schlechte. Viele Warschauer bezahlen für ihren Widerstand mit dem Leben. Aus den 1.300.000 Einwohnern im Jahre 1939 bleiben 1945 900.000 übrig.
Nach dem verheerenden Krieg und den düsteren Jahren der kommunistischen Diktatur gibt es eine „Wiederauferstehung“. Polen ist nun wieder eine souveräne Nation, die mit dieser Ausstellung auch um ein besseres Verständnis für seine Geschichte wirbt. Konzipiert vom Museum des Warschauer Aufstandes wird sie auf 63 Tafeln und 3 Vitrinen präsentiert. Realisiert dank der Unterstützung des Münchner Generalkonsulats der Republik Polen steht das deutsch-polnische Projekt unter der Schirmherrschaft von Bundespräsidenten Joachim Gauck und des Polnischen Präsidenten Andrzej Duda. München ist seine zweite Station, nachdem es in der Berliner Topographie des Terrors mit großem Publikumserfolg gezeigt wurde.

Infos über das umfangreiche Begleitprogramm sind unter www.ns-dokuzentrum-muenchen.de zu finden, eine interaktive Webseite zum Projekt unter www.warsawrising.eu.

Zur Eröffnung ist ein Katalog von 324 Seiten und mehreren Bildern und Texten erschienen. ISBN:978-83-643308-11-6

Über Anna Zanco-Prestel 178 Artikel
Dr. Anna Zanco-Prestel, hat Literaturwissenschaften (Deutsch, Französisch und Italienisch) und Kunstgeschichte in Venedig, Heidelberg und München studiert. Publizistin und Herausgeberin mit Schwerpunkt Exilforschung. U.d. Publikationen: Erika Mann, Briefe und Antworten 1922 – 69 (Ellermann/DTV/Mondadori). Seit 1990 auch als Kulturkoordinatorin tätig und ab 2000 Vorsitzende des von ihr in München gegründeten Kulturvereins Pro Arte e.V.

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