Was der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin tun sollte

Der Bundespräsident bzw. die Bundespräsidentin hat in meiner Sicht vor allem politisch-kulturelle Aufgaben: Die Person soll die deutsche Demokratie stärken, die Gesellschaft integrieren und Deutschland nach innen und nach außen repräsentieren. Sie soll nicht in Konkurrenz zur ausübenden Politik treten und keine parteipolitischen Vorlieben durchsetzen. Stärkung der Demokratie, Integration der Gesellschaft und Repräsentation Deutschlands in seiner inneren Vielfalt und staatlichen Einheit verlangen eine eigenständige, kohärente und zukunftsorientierte Position des Amtsinhabers, die zureichend komplex ist und zugleich durch konzeptionelle Schlüssigkeit Verlässlichkeit bietet.
Die geistige Stimmigkeit sollte sie sich auch anschaulich im persönlichen Lebenslauf wiederfinden. Sonst gerät der Amtsinhaber in die Versuchung, um der eigenen Popularität willen aktuellen gesellschaftlichen oder politischen Stimmungen zu folgen, Integration als Anpassung an jeweilige Opportunitäten zu deuten und den ursprünglichen Sinn von Repräsentation – nämlich Vergegenwärtigung der komplexen gesellschaftlichen Vielfalt in der originellen Einheit der in sich ebenfalls komplexen Person – zu verfehlen.
Die Chancen des Bundespräsidenten, die Demokratie zu stärken, liegen insbesondere darin, aus eigener Kompetenz, unabhängig von Parteiopportunitäten und Wahlperioden Diskussionen in der deutschen Gesellschaft anzustoßen, damit sie Wege findet, freiheitlich, klug und mutig die Herausforderungen der Zukunft anzunehmen und zu meistern.
Die Chancen des Bundespräsidenten, die Demokratie zu stärken, liegen insbesondere darin, aus eigener Kompetenz, unabhängig von Parteiopportunitäten und Wahlperioden Diskussionen in der deutschen Gesellschaft anzustoßen, damit sie Wege findet, freiheitlich, klug und mutig die Herausforderungen der Zukunft anzunehmen und zu meistern. Hier geht es vor allem um Voraussicht wichtiger langfristiger Probleme.
Das erfordert den Mut, den eigenen Einsichten auch dann zu folgen, wenn sie auf den ersten Blick noch nicht in die Zeit passen, deshalb eben „anstößig“ wirken, sich auf den zweiten Blick aber als zukunftsträchtig erweisen. Dadurch vermag das Amt auch denjenigen Politikerinnen und Politikern zu helfen, die schwierige bzw. unpopuläre, weil erst langfristig wirkende, politische Entscheidungen treffen wollen und dazu die Aufgeschlossenheit, die Reife und Unterstützung der Gesellschaft brauchen. Zugleich können damit zivilgesellschaftliche Initiativen und Organisationen unterstützt werden, die sich gemeinnützig ebensolchen Herausforderungen stellen wollen. Insgesamt geht es darum, aus dem Amt des Bundespräsidenten nicht die autoritäre Sehnsucht nach einem, der „sagt, wo’s lang geht“, zu bedienen, sondern die Bürgergesellschaft in Deutschland in ihrer Eigeninitiative zu ermutigen. Nur so kann Demokratie gestärkt werden.
Integration einer pluralistischen Gesellschaft gelingt nicht dadurch, dass man verschiedenen Seiten zum Munde redet oder Widersprüche zudeckt. Vielmehr schließt sie Konflikt und Auseinandersetzung in der Sache ein. Ich möchte dazu beitragen, solchen Streit in der Sache anstelle persönlicher Verunglimpfungen und Unterstellungen, die in den Medien oft im Mittelpunkt stehen, zu beleben. Aussprechen was uns trennt ist die Voraussetzung dafür, dass wir verlässlich zusammen kommen. Das gilt insbesondere für das Verhältnis von Ost und West in Deutschland. Es gibt auch andere Trennungslinien in Deutschland, aber für die geistige Vereinigung unseres Landes zwanzig Jahre nach der politischen Vereinigung bleibt noch besonders viel zu tun. Hier geht es um die fundamentale Tugend der Gerechtigkeit, sich mit Phantasie wechselseitig an die Stelle des anderen zu setzen. Neun Jahre als Westdeutsche an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) haben mir dabei geholfen, die Weltsicht unserer ostdeutschen Landsleute besser zu verstehen.
Es kommt deshalb darauf an, mit viel Takt und politischer, kultureller ebenso wie sozialer und ökonomischer Sachkunde zur Gemeinwohlorientierung anzuregen und sie so zum Tragen zu bringen. Ein wichtiges Kriterium für den Erfolg ist dabei immer die Achtung vor Minderheiten, die es schwer haben, in der Gesellschaft zu Wort zu kommen.
Das Wort Repräsentation löst besonders viele Missverständnisse aus. Ich meine damit nicht, auf zahllosen Empfängen das Cocktailglas zu schwingen. In unserer repräsentativen Demokratie haben die Abgeordneten die Aufgabe, einerseits die Interessen ihrer Wähler in die Entscheidungen des Parlaments einzubringen und diese andererseits am Gemeinwohl Deutschlands zu messen, das sie zu repräsentieren haben. Das verlangt oft eine schwierige Abwägung. Repräsentation Deutschlands durch den Bundespräsidenten zielt auf die Vergegenwärtigung des Gemeinwohls in unserem Land. Das kann ein Bundespräsident oder eine Bundespräsidentin nicht einfach von sich aus bestimmen.
Es kommt deshalb darauf an, mit viel Takt und politischer, kultureller ebenso wie sozialer und ökonomischer Sachkunde zur Gemeinwohlorientierung anzuregen und sie so zum Tragen zu bringen. Ein wichtiges Kriterium für den Erfolg ist dabei immer die Achtung vor Minderheiten, die es schwer haben, in der Gesellschaft zu Wort zu kommen.
Meine Vorstellung vom Amt des Bundespräsidenten beruht zum einen auf dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, zum anderen auf meinem Verständnis von Politik und Demokratie. Dieses ist in meiner Grundüberzeugung über das, was uns Menschen aufgetragen ist, über unsere Stellung in der Welt und über die Rolle verankert, die Politik für ein gelungenes sinnvolles Leben spielt.

Mit freundlicher Genehmigung von Gesine Schwan

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Über Schwan Gesine 2 Artikel
Prof. Dr. Gesine Schwan, geb. 1943, lehrte Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Von 1992 bis 1995 war sie Dekanin am Otto-Suhr-Institut. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte sind politische Theorien von Sozialismus und Marxismus sowie Philosophie. Gesine Schwan kandidiert 2009 erneut für das Amt der Bundespräsidentin.

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