Was ist falsch an Alexander Dobrindts bürgerlicher Wende?

Alexander Dobrindt, Foto: Stefan Groß

Es gibt viele Wege etwas falsch zu machen. Einer dieser Wege lässt glauben, man marschiere selig in Richtung Ziel, während man sich in Wahrheit immer weiter davon entfernt. Das ist der gefährlichste. Alexander Dobrindts konservatives Manifest gehört zu dieser Sorte Falschheit: Die Idee ist die richtige, aber die Art und Weise lässt zusammenzucken – bevor nur noch Trübsal bleibt.

Es gibt eine ideengeschichtliche Marktlücke in Deutschland, die Nachfrage ist riesig, allein das Angebot enttäuschend. Eine ganze Fraktion politischen Denkens enthält sich seiner Stimme: Die Konservativen. Dem Wähler fehlt dieses Angebot kaum, berücksichtigt man, dass sich das Denken in Ideologievokabeln auf eine sehr kleine Gruppe der Gesellschaft beschränkt. Doch diese kleine Gruppe, die in den Redaktionsstuben, den Verlagen, Universitäten und Kultureinrichtungen sitzt, mangelt es an einer politischen Größe, die die Gegenwart jenseits konkreter Politik in konservativen Begriffen denken kann. Schon deswegen, weil viele davon selbst ein Weltbild pflegen, das mit Linkssein nur noch dem Humanitätsgedanken nach etwas zu tun hat.

Alexander Dobrindt versucht ein solches Angebot zu machen. »Wir brauchen eine bürgerlich-konservative Wende«, sagt er in einem Gastartikel für die Welt. Die Mehrheit der Deutschen denke und lebe bürgerlich-konservativ, schreibt er dort. Mit allem was dazu gehört: Familienwerten, Christentum, Leistungsprinzip und Patriotismus. Es sind recht direkte Bekenntnisse, die mehr einem Forderungskatalog als einem intellektuellen Manifest gleichen. Nichts desto weniger dürfte das meiste davon zutreffen; zumindest in Sachen Familie, Arbeitsmoral und Patriotismus bestätigen Meinungsumfragen regelmäßig die Assoziationen des CSU-Politikers.

Und doch lässt der Artikel erschaudern. Neben den üblichen christdemokratischen Bekenntnissen stehen dort Anleihen aus einer politischen Bewegung, in deren Gegensatz die Unionsparteien explizit gegründet wurden, weil sie das NS-Regime geistig vorbereitete. So schreibt Dobrindt von einer »konservativen Revolution der Bürger«, die der »linke Meinungsvorherrschaft« endlich ein Ende setzen solle. Schluss mit »linker Ideologien, sozialdemokratischem Etatismus und grünem Verbotismus«. Dobrindt bläßt in ein Horn, dessen Ton auch beiläufige Politik-Beobachter mittlerweile zu Genüge kennen werden: Die linken Eliten sind arrogant, abgehoben, undemokratisch und vom einfachen Bürger weit entfernt. Das ist erschreckend, weil mit diesen Sprüchen die AfD zur drittstärksten deutschen Partei aufgestiegen ist. Aus genau diesem Grund aber auch nicht verwunderlich.

Es ist aber auch schade. Denn Dobrindts konservatives Manifest führt das Scheitern einer geistigen Neugründung des bürgerlichen Konservatismus in der Bundesrepublik zum x-ten mal anschaulich vor. Statt ernstzunehmender Reflexion nur eine weitere Wahlkampfschrift für gebildetere Leser. Diesmal für solche, die in Richtung AfD schielen. Der Konservatismus scheint in einem Teufelskreis aus Policy-Selbstbeschränkung in Regierungsgefolgschaft und intellektueller Angriffsposition auf AfD-Niveau festzustecken. Woran das liegen mag? Vielleicht ist die Zeit konsistenter politischer Gedankengebäude vorbei, vielleicht sind die Kategorien die falschen. Sicher aber fehlen die richtigen Autoritäten.

Was von Dobrindts Anlauf bleibt ist also Trübsal. Trübsal darüber, wie laut die Rufe nach einer republiktragenden Rechten sind, und wie leer doch der Posten ist, der ihnen Folge leisten könnte. Es ist ja nicht so, als hätte die demokratische Rechte in Deutschland niemals einen Gedanken gewagt, der über die nächste Bundestagswahl hinausweist. Einst konnte man jenseits der Linken mit Hegel dank Ritter die Entzweiung des modernen Subjekts denken, bejahen und trotzdem für die Bewahrung der Verlorenen im Inneren plädieren. Es war einst möglich, mit Böckenförde für die Freiheit des Grundgesetzes einzutreten – und trotzdem vor ihrer Gefährung durch die Selbstregulation der Bürgerschaft warnen. Oder mit Schelsky die Freiheit vor der Demokratie durch das Repräsentationsprinzip zu retten. Ja, es wirkte einmal eine frei schwebende Versammlung Gelehrter, die Jens Hacke nachträglich Liberalkonservative taufte. Wo ist diese Sorte Denker geblieben? Und was würden sie wohl zu einem solchen Manifest sagen?

Die Gedanken der alten Ritter-Schule sind noch heute fruchtbar. Und auch heute gäbe es Möglichkeiten daran weiterzutüfteln. Dazu bedarf es aber mehr als ein paar Absätze, die alles Gegenwartsschlechte einer fünfzig Jahre alten Studentenrevolte, oder den Bewohnern eines recht teuren Berliner Viertels zuschreiben. Personifizierung des Bösen ist leicht und bringt vielleicht ein paar Wählerstimmen; von echter Bürgerlichkeit ist diese Kritikmethode aber weit entfernt. Hinter dem Berg aus Gesetzestexten und Wahlkampfschriften wartet eine ganze Menge wichtiger Fragen: Vom Zusammenhalt in Migrationsgesellschaften bis zu humanistischen Ausgestaltungen des Kapitalismus. Deren Beantwortung ist womöglich patriotischer als Fahnenschwenken bei Fußball-Weltmeisterschaften. Mögen die Linken nach Reims zurückkehren und die Populisten auf die Barrikaden steigen – die Konservativen müssen dringend zurück in ihre Bibliotheken.

Literatur

Hacke, Jens: Philosophie der Bürgerlichkeit, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht Verlag, 2006.

Quelle: Oliver Weber

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Oliver Weber wurde 1997 in Kelheim geboren. Er schreibt als freier Journalist für diverse Online- und Printpublikationen. Im Zentrum seiner Analysen, Kommentare und Essays steht das tagesaktuelle Geschehen aus Politik, Wirtschaft und Kultur."

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