Was Lindner und Kurz richtig machen

Ob Putschversuch, Menschenrechtsverletzungen, Einschränkungen der Pressefreiheit, Folter und die Wiedereinführung der Todesstrafe – Sultan Erdogan waltet nach der ihm eigenen autoritären Gesetzmäßigkeit. Gegenüber Kritik ist er so unaufgeschlossen wie ein Dackel beim Versuch, diesem Kommandos zu erteilen. Erdogan ist kritikresistent – und er kann es sich erlauben, Berlin stützt ihn auf breiter Front.

Während Erdogan täglich die Welt in Aufsehen versetzt und unliebsame Personen wie einst Stalin von der politischen Bühne verschwinden lässt, die europäischen Medien wie ein beleidigter Schuljunge bei Ungehorsam maßregelt und seine Politaufseher nach Stasimanier in Europa infiltriert, sieht man in Berlin keinen Grund zur Aufregung.

In einem Interview mit der „Berliner Zeitung“ bleibt Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) ganz auf türkischem Kurs und findet erst recht keinen Grund, vom viel kritisierten Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei abzurücken. Erst vor wenigen Tagen hatte die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), in Sachen Türkei-Abkommen ihr Veto eingelegt und betont, dieses zu überprüfen, da in der Türkei rechtsstaatliche Prinzipien nicht mehr eingehalten würden.

Das Mantra des Herrn Altmaier

Ganz anders der Kanzleramtschef: Das Abkommen, so Altmaier, werde von den Nachwirkungen des gescheiterten Militärputsches nicht tangiert. Dieses sieht vor, dass insbesondere syrische Flüchtlinge an ihrer Weiterreise in die Europäische Union gehindert werden. Und Altmaier weiter: „Wir haben keinen Anhaltspunkt, dass die Menschen, die von der Türkei aufgenommen worden sind oder dorthin zurückgeschickt werden, schlecht behandelt werden.“ „Derzeit vollzieht sich alles so, wie es nach dem Abkommen sein soll.“

„Es gibt keinen Grund für einen Plan B“

„Es gibt keinen Grund für einen Plan B.“ Einen Plan B – im Falle eines Scheiterns – hat der gewichtige Minister genauso wenig wie die deutsche Bundeskanzlerin, die hartnäckig an ihrem Kurs festhält – gleichwohl der Terror Deutschlands Alltag peu à peu verändert. Auch den Streit über das Ende der Visumpflicht für türkische Staatsbürger scheint Altmaier geflissentlich zu ignorieren, auch dass sich Ankara resolut gegen die von Brüssel geforderte Reform seiner Anti-Terror-Gesetzgebung wehrt. Die Drohgebärde des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu, der angekündigt hatte, den Flüchtlingsdeal platzen zu lassen, wenn die Türken bis spätestens Oktober ohne Visum nicht in die EU-Staaten einreisen dürfen, kommentiert Altmaier so: Für die Visa-Freiheit müsste die Türkei klar festgelegte Voraussetzungen erfüllen, so beispielsweise bei den Anti-Terror-Gesetzen, aber das „weiß die türkische Regierung.“

Sicherlich weiß das die türkische Regierung, nur sie wird dem nicht entsprechen. Warum soll man den EU-Kurs goutieren, wenn man mit Russlands Putin, ebenfalls eine Insignie der Macht und Selbstdarstellung, der nur seinen eigenen Regeln folgt, einen erfolgreichen Anti-EU-Kurs verfolgen kann. Sollen doch die Flüchtlinge kommen. Beiden Ost-Politikern ist wenig an einem starken Europa gelegen. Und mit noch mehr Flüchtlingen kann dieses dann auch gleich seinen Konkurs anmelden. Dies weiß man in Moskau und Ankara sehr gut – und spielt diese Überlegenheit mit Trumpfkarte aus.

„Kartenhaus der falschen Flüchtlingspolitik wird zusammenbrechen“

Weitsichtiger blickt da schon der dynamische österreichische Außenminister Sebastian Kurz, auch gern als Erodgan-Schreck bezeichnet. Kurz, unter 30 Jahre, der in Edmund Stoiber seinen größten Fan gefunden hat, erklärt die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei bereits für gescheitert und droht, wenn der Fall B eintreten werde, alle Flüchtlinge nach Deutschland abzuschieben. „Das Kartenhaus der falschen Flüchtlingspolitik wird zusammenbrechen“, betonte er im ORF-Fernsehen und unterstrich, dass die EU ihre Hausaufgaben beim Schutz der Außengrenzen selber machen müsse, um sich nicht erpressen zu lassen. Die Aussage seines türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu, der Wien als „Hauptstadt des radikalen Rassismus“ bezeichnete und damit die Äußerungen des österreichischen Bundeskanzlers Christian Kern kritisierte, dass die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei „nur noch diplomatische Fiktion“ seien, wies Kurz zurück und forderte im Umkehrschluss: „Wenn wir noch zu unseren Grundwerten stehen, können wir nur eine klare Meinung haben.“ „Die Türkei hat sich in den letzten Jahren immer weiter weg entwickelt von der Europäischen Union. All das kann die Europäische Union nicht einfach achselzuckend zur Kenntnis nehmen.“

Christian Lindner: Erdogan kann kein Partner für Europa sein

Flankendeckung bekommt Kurz aus Deutschland. Die FDP, die mit einem neuen Programm, Update, wie es ihr Vorsitzender Christian Lindner nennt, offensiv in den Wahlkampf 2017 steigt, macht ebenfalls gegen Altmaier und Merkel mobil und rüstet verbal auf. Gegenüber der „BILD“ erklärte Lindner: „Merkel lullt ein, Schäuble mogelt und Gabriel muss weg.“ Windelweich ist für den FDPler die Haltung der deutschen Bundesregierung gegenüber Erdogan.

Merkel steht für ein „kritikloses Nebeneinander“

„Wir erleben einen Staatsputsch von oben wie 1933 nach dem Reichstagsbrand: Er baut ein autoritäres Regime auf, zugeschnitten allein auf seine Person. Weil Recht und Freiheit des Einzelnen keine Rolle mehr spielen, kann er kein Partner für Europa sein. Es empört mich, dass die EU-Beitrittsgespräche nicht längst beendet sind. Aber Frau Merkel mahnt nur ganz vorsichtig ‚Verhältnismäßigkeit’ an, so Linder gegenüber „BILD“. Der FDP-Chef, der 2017 gegebenenfalls aus der Opposition heraus agieren will, will sich mit der Pauschalisierung, dass der Islam zu Deutschland gehört, einfach nicht anfreunden. „Ich fühle mich hier Cem Özdemir von den Grünen mit seiner kritischen Haltung zum Islam und zur Türkei näher als der Bundeskanzlerin, die für ein kritikloses Nebeneinander steht.“

Merkels Siechtum-Kabinett

Auch Merkels Kabinett liest Lindner die Leviten. Sigmar Gabriel, der wie die gesamte SPD, im Siechtum vereilt und dringender denn je eine Frischzellenkur oder künstliche Beatmung benötigt, schwächt für Linder die Marktwirtschaft. Ein Minister, der nicht einmal die Energiewende hinbekommt, „hat jede Glaubwürdigkeit verspielt. Gabriel sollte auf sein Amt verzichten.“ Und Bundesfinanzminister „Schäuble gibt das Geld schneller aus, als es die Leute erwirtschaften können. Das muss sich wieder ändern.“

Wir brauchen mehr Kurz und Lindner

Das man in Regierungsverantwortung auch Verantwortung für sein Land und für Europa übernehmen kann – dies scheint sich zumindest in Österreich zu bewahrheiten, und die deutsche FDP-Opposition spricht vielen Menschen aus dem Munde. Wir brauchen mehr Kurz und mehr Lindner! Treten Sie zurück – Herr Altmaier!

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2127 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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