Wir müssen mit dem Schubladendenken aufhören

Straßenverkehrsschild, Fot: Stefan Groß

Frauen können kein Auto fahren, Männer nicht zuhören und Blondinen sind allesamt dumm. Schubladendenken ist ein weit verbreitetes Phänomen. Doch was bedeutet das eigentlich?

Wer kennt es nicht: das berühmte Schubladendenken? Es ist aber auch wirklich einfach, vorschnell zu urteilen und Menschen in Schubladen zu stecken, ohne sich genauer mit ihnen zu befassen. Schubladen sind immerhin eine geniale Erfindung. Wir entscheiden, was unter welchen Bedingungen in welche Schublade passt, räumen es ein und verschließen das Ganze. An sich ist nichts dabei, Dinge zu kategorisieren und in Schubladen zu stecken. Wenn wir über Socken, die wir von Unterwäsche trennen, reden, ist es nur sinnvoll. Wesentlich komplizierter es aber, wenn wir dabei über Menschen sprechen.

Derjenige, der andere Menschen in Schubladen steckt, macht es sich natürlich schön einfach und erspart es sich dabei, den anderen wirklich kennen lernen zu müssen, um urteilen zu können. Ohne sich viele Gedanken zu machen, wie man mit der betreffenden Person umzugehen hat. Die sei immerhin wie alle anderen aus der geöffneten Schublade.

Nicht so angenehm ist dieses Denken allerdings für die Person, die in Schublade X gesteckt wird, da aber vielleicht gar nicht reinpasst. Wer möchte schon aufgrund von Äußerlichkeiten be- oder vielleicht sogar verurteilt werden? Abgestempelt, nur weil man durch den ersten Eindruck vielleicht besonders gut in eine gewisse Schublade passt, möchte wohl keiner werden.

Das klassische Klitscheedenken

Problematischerweise stecken wir im Alltag in genauso vielen Schubladen, wie wir andere stecken und kaum einer bleibt davor verschont. Die blonde Dame auf der anderen Straßenseite kann nicht einparken? Wahrscheinlich ist sie auch allgemein total dumm – wie eben alle Blondinen. Vielleicht ist sie aber auch erfolgreiche Anwältin und gewöhnt sich recht schwierig an ihren Leihwagen. Der Kerl da vorne an der Kasse, der gerade die Chips kauft, isst wahrscheinlich nichts anderes als das. Vielleicht muss er aber auch bestimmte Medikamente nehmen, durch die man leicht abnimmt und bringt seiner Frau die Chips mit.

Genauso oft wie wir Leute in Schubladen stecken, rutschen wir also auch in welche – ganz ungewollt. Die schlechte Autoparkerin könnte nämlich genauso gut ich sein und ich bräuchte dafür nicht mal einen Leihwagen. Trotz blonder Haare und schlechter Parkqualiäten würde ich mich allerdings ganz sicher nicht als dumm oder nicht erfolgreich betiteln. Ein Außenstehender vielleicht schon. Spätestens wenn ich mit meinem pinken „Tussi on Tour“-Thermobecher aussteigen würde.

Ein paar Beispiele: In fünf Minuten von der Studentin zur Sozialempfängerin

Schubladendenken vereinfacht schlichtweg unser Leben und erspart uns Zeit. Wir müssen uns nicht auf die betreffende Person einstellen, viel über ihn oder sie herausfinden oder nachfragen. Ein Blick reicht völlig aus und schon „wissen“ wir, wer da gerade vor uns sitzt und wie er oder sie tickt. Passend dazu gehen wir dann auch mit der Person um und verhalten uns ihr gegenüber. Mit einem Menschen, den wir als intelligent einstufen, reden wir immerhin auch ganz anders, als mit einer Person, der wir dahingehend nicht so viel zutrauen.

Beispiel: Eine Frau ist abends in einem Club und ein Mann, der sehr muskulös und top gestylt ist, kommt auf die Betreffende zu und spricht sie an. Der erste Gedanke, den sie wahrscheinlich hat, ist, dass der Mann wahrscheinlich nicht gerade über das Wetter sprechen will. Wenn der Gute dann aber fragt, ob seine Freundin im auffälligen roten Kleid gerade an ihr vorbei in die Toilette direkt nebenan gelaufen ist, ist man irritiert und muss sich eingestehen, dass man mit etwas anderem gerechnet hätte. Wäre betreffender Mann aber ein eher unscheinbarer Kerl gewesen, hätte sie wahrscheinlich weniger mit einer offensiven Anmache gerechnet. Schublade auf, Clubbekanntschaft rein. Schon ist es passiert.

Während das Beispiel gerade zeigt, wie schnell wir andere in Schubladen stecken, möchte ich folgend noch über eins schreiben, dass ich 1:1 selbst erlebt habe. Ich war mit drei kleinen Kindern, die sich tadellos benommen haben, in einem Restaurant essen und fütterte gerade die Kleinste, als ich bemerkte, wie hinter mir getuschelt wurde. Nachdem ich dieses Verhalten mehrere Minuten tolerierte, drehte ich mich und fragte, ob ich behilflich sein kann. Als Reaktion bekam ich vorgeworfen, dass, wenn ich schon so früh Kinder bekommen und mich vom Staat finanzieren lassen würde, ich doch wenigstens selber kochen könnte. 22 Jahre, küchenaffin, Studentin und als Nebenjob Babysitterin wurde ich also in wenigen Minuten zu einer dreifachen Mutter, die vom Staat lebt und nicht kochen kann. So schnell kann also eine Schublade geöffnet werden.

Der seriöse Arzt und der Musiker, der reihenweise die Frauen abschleppt – Schubladendenken erster Güte

Seriösität verbindet man mit Ärzten, Juristen, allgemein Anzugträgern. Lockere Einstellungen, Partys und Alkohol zum Beispiel mit Rockmusikern. Ich kann aus persönlicher Erfahrung berichten, dass ich Ärzte getroffen habe, die sich mit der größten Freude durch die Betten geschlafen haben. Weiterhin traf ich Anzugträger, die plötzlich aus dem Nichts ohne Anstand den Kontakt abgebrochen oder nachts ohne Zusammenhang die unangebrachtesten Nachrichten geschrieben haben, die rein klitscheehaft eindeutig anderen Personengruppen zuordnen werden würden. Auf der anderen Seite durfte ich die Erfahrung machen, Rockmusiker zu treffen, bei denen ich mit gerade Geschriebenen gerechnet hätte.

Im Alltag war aber genau das Gegenteil der Fall. Abseits der Bühne wurden seriöse Berufe ausgeübt, der Stuhl wurde einem als Frau zurecht gerückt, Getränke angeboten und ich kann mich über kein einziges Verhaltensmuster beschweren. Ich muss allerdings auch zugeben, dass ich selbst mit diesem Verhalten nicht gerechnet habe und dem Schubladendenken folglich auch schon teilweise verfallen bin. „Der hat nicht tausend Frauen auf einmal? Damit hätte ich nie gerechnet“ – oder „Der wirkt so seriös. Mit Sicherheit ist er ein richtiger Gentelman und hat sehr viel Anstand“, habe auch ich schon gesagt und ich entschuldige mich hiermit ganz öffentlich dafür. Fair ist dieses Denken nämlich definitiv nicht.

Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung

Schubladendenken lässt sich wahrscheinlich niemals ganz aus dem Alltag verbannen. Schlichtweg weil wir Menschen uns unsere Meinung automatisch bilden und oftmals erst im Nachhinein merken, dass sie vielleicht auf ungerechten Grundlagen gebildet wurde. Ein Schritt in die richtige Richtung ist es aber definitiv, einzusehen, dass dieses Denken nicht wirklich fair und eigentlich nur oberflächlich ist. Genauso wenig wie wir aufgrund von verschiedenen Kriterien in Schubladen gesteckt werden wollen, sollten wir auch keine anderen in sie verbannen. Ich für meinen Teil werde in der Zukunft definitiv darin arbeiten, die Schubladen ungefüllt zu schließen und jeder Person ihre eigene kleine Schachtel zu geben, in die nur er oder sie ganz individuell passt. Wer ist dabei?

Zur Quelle: firstlife.de

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