Wird in Dresden wirklich nur das verprasst, was in Chemnitz erarbeitet und in Leipzig gehandelt wird?

„Ich habe einer schönen Frau beim Ankleiden zugesehen. Ein Geschenk! Ich habe gesehen, wie sie im Bademantel vor der Frisierkommode sitzt, ein wenig gelangweilt schaut sie in den Spiegel. Doch dann richtet sie sich auf, kämmt die Haare, schminkt sich die Lippen, wählt ein Parfum. Sie sucht den passenden Schmuck, das passende Kleid. Sie probiert mehrere Paar Schuhe an, bis sie die richtigen gefunden hat. Prüfend geht sie vor dem Spiegel auf und ab. Dann legt sie noch Ohrringe an, lange, glänzende Steine, streift einen Ring über, wirft sich schließlich den schweren Schal um die Schultern, greift zum warmen Mantel, zieht die schwarzen Samthandschuhe aus der Tasche. Sie strahlt, sie funkelt, sie ist bereit, sich zu zeigen. Ich habe einer schönen Frau beim Ankleiden zugesehen.“
Von wem mag Christine von Brühl hier in so poetischen Worten gesprochen haben? Von niemand anderem als der Dame Dresden ist die Rede. Die Ur-ur-ur-ur-ur-Enkelin des einst so mächtigen Premierministers unter August dem Starken erlag wie so vielen dem Zauber dieser Stadt. „Dresden traf mich mitten ins Herz. Es hat mir so gut gefallen, dass ich sesshaft wurde.“ Mehrere Jahre verbrachte sie nach der Wende in der sächsischen Hauptstadt und reist auch heute noch regelmäßig an den Ort, von dem 1839 der erste deutsche Fernzug startete, an dem die erste Lokomotive gebaut, der Teebeutel, Kaffeefilter, Büstenhalter, Waschmaschine, Zahnpasta, Bierdeckel, Reiseschreibmaschine, Ansichtskarte, Frotteehandtuch, Spiegelreflexkamera, Mineralwasser, das abendländische Porzellan, das digitale Satellitenradio und man höre und staune, selbst der Inbegriff der bayerischen Trachtenmode – der Lodenmantel – erfunden wurde. Doch all dies zeichnet Dresden nicht wirklich aus. Wer selbst einmal um das Schloss gelaufen ist, die wieder aufgebaute Frauenkirche bewundert und sich die Semperoper angesehen hat, wer durch den Zwinger oder auf der Brühlschen Terrasse flaniert ist, den hat die Seele der Stadt wahrscheinlich gleichfalls gekitzelt.
Die vorliegende völlig neu überarbeitete „Gebrauchsanweisung für Dresden“ besteht größtenteils aus Betrachtungen über Architektur, Kunst, Theater, Ausstellungen, Geschichte, Musik, Essen, Sprache, Licht und Atmosphäre dieser einzigartigen Stadt. Christine von Brühl hat ihr Büchlein in 18 Kapitel gegliedert. Charmant und äußerst kenntnisreich, mit Witz, Esprit, Spürsinn und Kenntnis plaudert sie über den fantastischen sächsischen Kuchen („Eine Wucht. Eine Katastrophe für die Taille.“), empfiehlt die ausgesprochen differenzierte Kinolandschaft, erzählt von dem Bauwerk mit dem wohl symbolischsten und identitätsstiftendsten Charakter für die Stadt – der Frauenkirche – und erholt sich nach ihren Rundgängen bei den „Alten Meistern“ („Nirgends schläft man so gut wie im Museum. (…) Wer einschläft, sieht kurz zuvor noch Wunderwerke, und wenn er wieder aufwacht, findet das Wunder immer noch statt.“). Sie sinniert über den sächsischen Dialekt, besucht den schönsten Milchladen der Welt („Es ist eine Hommage an die Milch, ein Tempel für die Kuh und ihre Melkerin gleich dazu.“), feiert am Abend im Szene- und Kneipenviertel von Dresden, der „Äußeren Neustadt“ oder aber sitzt einfach nur an einem der vielen Lagerfeuer am Elbestrand. Aber auch die engere Umgebung verdient ihr Augenmerk. Brühl bummelt entlang der Weinhänge und romantischen Täler an der Elbe über Karl Mays ehemaligen Wohnsitz Radebeul bis hin nach Meißen oder elbaufwärts nach Pillnitz ins prächtige ehemalige Lustschloss von August dem Starken. Lohnenswert ist ebenso ein Ausflug in das angrenzende landschaftlich traumhaft schöne Elbsandsteingebirge, die Sächsische Schweiz, vielleicht mit der traditionsreichen, ältesten Raddampferflotte der Welt.
Der Autorin gelingt es, ein unglaublich emotionales Bild der Stadt und ihrer Umgebung entstehen zu lassen, das von einer immensen Liebe zu dieser Stadt zeugt. Harmonisch verbindet sie Altes mit Neuem, Bekanntes mit weniger Auffälligem, sächsische Gastlich-, ja, Großzügigkeit und fröhliche Gutmütigkeit mit manchmal sturem Festhalten an Historischem. Entstanden ist eine harmonische, wissenswerte, liebevolle und informative „Gebrauchsanweisung“, die jedem Dresden-Gast und auch seinen Bewohnern nur zu empfehlen sei, so dass ihnen „ein Licht aufgehe“. Denn nicht dem Barock und der anmutigen Lage am Fluss verdankt die Stadt den Namen Elbflorenz. Es ist augenscheinlich eben jenes wunderbare Licht, das einen unvermittelt nach Italien versetzt glaubt. „Die ganze Stadt erstrahlt in goldenem Glanz. Das Wasser schimmert orangerot. Die alten Mauern scheinen sich plötzlich zu bewegen, die Bäume auf der Terrasse werfen unendlich lange Schatten. Auf der Elbe tanzen tausend Lichter.“
Danke für dieses so treffend und liebevoll gezeichnete Bild Dresdens. Wer nicht – wie ich – in dieser zauberhaften Stadt lebt, dem sei folgender Tipp mit auf den Weg gegeben: „Lieber weggehen und dann wiederkommen. Das hält sonst kein Mensch aus.“

Christine von Brühl
Gebrauchsanweisung für Dresden
Piper Verlag (September 2012)
207 Seiten, Broschiert
ISBN-10: 3492276237
ISBN-13: 978- 3492276238
Preis:14,99 EURO

Finanzen

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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